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Kompetenzlücke im Nachhaltigkeitsmanagement

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Nachhaltigkeit ist in Unternehmen allgegenwärtig, doch reicht reines Fachwissen für eine erfolgreiche Umsetzung aus? Viele Unternehmen konzentrieren sich primär auf technische und regulatorische Expertise, während essentielle überfachliche Kompetenzen oft unterschätzt werden. Für eine wirkungsvolle nachhaltige Transformation sind jedoch Soft Skills entscheidend. Dieser Artikel beleuchtet, welche Kompetenzen wirklich notwendig sind und warum Unternehmen ihre Anforderungsprofile überdenken sollen.

Was sind Nachhaltigkeitskompetenzen?

Nachhaltigkeitskompetenzen gehen weit über reines Fachwissen hinaus. Sie umfassen eine Kombination aus Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen, die es Individuen ermöglichen, aktiv zur nachhaltigen Entwicklung beizutragen. In der heutigen Arbeitswelt reicht es nicht aus, Nachhaltigkeitsthemen theoretisch zu verstehen. Es braucht die Fähigkeit, dieses Wissen in der Praxis anzuwenden, komplexe Zusammenhänge zu erkennen und Veränderungsprozesse anzustoßen. Nachhaltigkeitskompetenzen, auch als Sustainability Literacy bezeichnet, beinhalten sowohl kognitive als auch soziale und strategische Fähigkeiten. Sie helfen dabei, informierte Entscheidungen zu treffen, Probleme aus einer ganzheitlichen Perspektive zu betrachten und nachhaltige Lösungsansätze zu entwickeln. Besonders in Unternehmen sind diese Kompetenzen entscheidend, um Nachhaltigkeitsziele nicht nur zu definieren, sondern sie auch wirksam umzusetzen. Nachhaltigkeitsmanager sind nicht allein durch Fachwissen erfolgreich. Erst die Fähigkeit, Nachhaltigkeitskriterien in unternehmerische Prozesse zu integrieren, wirksam zu kommunizieren und konkrete Maßnahmen umzusetzen, ermöglicht einen nachhaltigen Wandel. Nachhaltigkeit wird somit erst durch interdisziplinäre Kompetenzen und soziale Intelligenz wirklich nachhaltig. Um Sustainability Literacy zu fördern, sollten Bildungsprogramme deshalb neben fachlichen auch überfachliche Kompetenzen vermitteln. Das Ziel ist es, nicht nur theoretisches Wissen bereitzustellen, sondern auch die Fähigkeiten zu fördern, die dabei helfen, in einer zunehmend komplexen Welt innovativ und agil zu handeln um nachhaltige Praktiken erfolgreich umzusetzen. Dies umfasst den Einsatz praxisnaher Lernmethoden wie projektbasiertes Lernen und interdisziplinäre Zusammenarbeit, um Fähigkeiten für ganzheitliche Problemlösungen zu entwickeln. So wird zukünftigen Nachhaltigkeitsmanagern und -managerinnen vermittelt, Nachhaltigkeit nicht nur als zu integrierendes Konzept zu verstehen, sondern als grundlegende Denkweise, die ihre zukünftigen Handlungen prägt. Dies trägt letztlich zu einem tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel bei.

Nachhaltigkeitskompetenzen und die Inner Development Goals (IDG)

Nachhaltigkeit erfordert nicht nur technisches Wissen, sondern auch persönliche und soziale Kompetenzen, um Veränderungen effektiv zu gestalten. Die IDG sind ein Rahmenwerk, das diese überfachlichen Kompetenzen definiert und systematisch weiterentwickelt. Ursprünglich als Ergänzung zu den Sustainable Development Goals (SDG) entwickelt, konzentrieren sie sich auf die individuellen Fähigkeiten, die für eine nachhaltige Transformation notwendig sind. Sie betonen, dass nachhaltige Entwicklung nicht nur durch technologische Innovationen oder regulatorische Vorgaben erreicht werden kann, sondern auch durch die innere Entwicklung von Individuen. Die IDG bestehen aus fünf zentralen Dimensionen mit insgesamt 23 spezifischen Kompetenzen, die Individuen und Organisationen helfen, nachhaltigen Wandel voranzutreiben (Tabelle 1).


Unternehmen suchen oft das Falsche – und scheitern an der Umsetzung

Im Rahmen einer Abschlussarbeit an der Hochschule Fulda wurden über 250 Stellenausschreibungen für verschiedene Positionen im Nachhaltigkeitsbereich analysiert1. Ziel war es zu ermitteln, welche Kompetenzen Unternehmen suchen, inwieweit diese mit den IDG übereinstimmen und welche Kompetenzen in der Hochschulausbildung (noch) nicht vermittelt werden.

Die Analyse ergab: Unternehmen legen den Fokus vor allem auf technisches Fachwissen. Häufig gefordert werden Englischkenntnisse, sicherer Umgang mit MS-Office sowie Kenntnisse rechtlicher Vorgaben, etwa der CSRD. Soft Skills spielen zwar eine Rolle, stehen aber meist nicht im Zentrum. Besonders genannt werden Selbständigkeit, Organisationsfähigkeit, Motivation, Kommunikationsstärke, Teamfähigkeit, Durchsetzungsvermögen sowie analytisches und konzeptionelles Denken.

Diese Fähigkeiten überschneiden sich teils mit den IDG, jedoch bleiben zentrale Kompetenzen aus den Bereichen „Sein“, „Denken“ und „Beziehung“ oft unberücksichtigt.

Dazu gehören:

  • Selbsterkenntnis: Eigene Stärken und Schwächen zu reflektieren, wird selten verlangt, dabei ist dies essentiell für authentisches Handeln.
  • Gegenwärtigkeit: Der Wert von Achtsamkeit im Hier und Jetzt wird kaum beachtet, obwohl er zu reflektierteren Entscheidungen beiträgt.
  • Kritisches Denken: Trotz der Komplexität von Nachhaltigkeitsthemen wird es selten explizit gefordert.
  • Perspektivwechsel: Die Fähigkeit, verschiedene Sichtweisen einzunehmen, bleibt häufig ungenannt.
  • Sinnstiftung: Wirtschaftliche Ziele dominieren. Das Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit wird vernachlässigt.
  • Wertschätzung: Anerkennung und Respekt stärken Engagement und Zusammenarbeit, sind aber kaum Bestandteil von Anforderungsprofilen.
  • Verbundenheit: Der Fokus liegt oft auf individueller Leistung statt auf Zugehörigkeit – dabei fördert Verbundenheit Teamgeist und Innovation.
  • Vertrauen: Als Grundlage für offene Kommunikation und Kreativität wird Vertrauen selten adressiert.

Obwohl diese Kompetenzen laut IDG entscheidend für nachhaltigen Wandel sind, finden sie in vielen Stellenanzeigen kaum Beachtung. Die Folge: Transformationsprozesse scheitern, weil essentielle überfachliche Fähigkeiten fehlen.

Umsetzungskompetenzen sind kein Add-on, sondern eine Voraussetzung

Eine stärkere Berücksichtigung der IDG-Kompetenzen in den Anforderungsprofilen könnte dazu beitragen, den nachhaltigen Wandel innerhalb von Unternehmen effektiver zu gestalten. Erfolgreiche Unternehmen fördern Systemdenken, Innovationsfähigkeit und werteorientierte Führung. Das bedeutet, dass die ganzheitliche Kompetenzentwicklung stärker in den Fokus rücken sollte, anstatt ausschließlich Fachwissen zu priorisieren.

Das können Unternehmen tun:

  • Systemdenken fördern: Nachhaltigkeit darf nicht isoliert betrachtet werden. Unternehmen sollten sicherstellen, dass Mitarbeitende befähigt werden, Wechselwirkungen zwischen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekten zu erkennen. Dies kann durch gezielte Schulungen, interdisziplinäre Teams und praxisnahe Fallstudien gefördert werden.
  • Innovations- und Transformationsfähigkeit stärken: Nachhaltigkeitsmanagerinnen und -manager sollten nicht nur bestehende Probleme analysieren, sondern auch aktiv Lösungen gestalten. Unternehmen können dies unterstützen, indem sie eine Kultur des Experimentierens und Lernens fördern. Beispielsweise durch Innovationssprints, Design-Thinking-Workshops oder die gezielte Einbindung von Nachhaltigkeit in Forschungs- und Entwicklungsprozessen.
  • Kommunikations- und Überzeugungsfähigkeit aufbauen: Nachhaltigkeit gelingt nur im Dialog. Unternehmen sollten gezielt nach Talenten suchen, die nicht nur inhaltliche Expertise mitbringen, sondern auch Führungskräfte und Mitarbeitende für Veränderungen gewinnen können. Das bedeutet, in Kommunikations- und Verhandlungstrainings zu investieren und Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, Stakeholder-Dialoge aktiv zu gestalten.
  • Nachhaltigkeit in die Talentstrategie integrieren: Bereits im Recruitingprozess sollten Unternehmen Nachhaltigkeitskompetenzen als festen Bestandteil der Anforderungsprofile definieren. Neben technischen Fähigkeiten sollten Soft Skills wie Veränderungsbereitschaft, Kreativität und ethische Entscheidungsfähigkeit explizit in Stellenausschreibungen benannt und in Bewerbungsgesprächen gezielt abgefragt werden.
  • Nachhaltigkeitskompetenzen als Teil der Unternehmenskultur etablieren: Eine Kultur, in der Nachhaltigkeit gelebt wird, fördert langfristige Veränderungen. Unternehmen können dies durch interne Weiterbildungsprogramme, Mentoring durch erfahrene Nachhaltigkeitsexpertinnen und -experten und die gezielte Integration von Nachhaltigkeit in Führungsleitlinien erreichen.

Durch diese gezielten Maßnahmen wird nicht nur das Bewusstsein für Nachhaltigkeit im Unternehmen gestärkt, sondern es entstehen auch langfristig leistungsfähige Teams, die den nachhaltigen Wandel aktiv gestalten können.

Zurück zu der durchgeführten Studie an der Hochschule Fulda: Als weiterführende Forschung wäre es sinnvoll zu untersuchen, inwieweit bestehende Weiterqualifizierungsangebote und Zertifikate im Bereich Nachhaltigkeit die in den Stellenausschreibungen identifizierten Kompetenzlücken schließen können. Gleichzeitig bieten die aufgezeigten Diskrepanzen wertvolle Anhaltspunkte für Anbieter solcher Qualifikationen, um ihre Programme gezielt weiterzuentwickeln und an den tatsächlichen Anforderungen des Marktes auszurichten. An der Hochschule Fulda wird bereits auf diese Herausforderungen reagiert. Durch die Optimierung der Modulgestaltung sowie die Einführung eines fachbereichsübergreifenden Nachhaltigkeitszertifikats für Studierende setzt die Hochschule gezielt darauf, überfachliche Kompetenzen zu vermitteln und praxisnah mit den Studierenden zu trainieren.

Fazit: Ein Paradigmenwechsel ist nötig!

Die nachhaltige Transformation erfordert einen Paradigmenwechsel hinsichtlich Kompetenzen in Unternehmen. Fachwissen allein reicht nicht aus. Es braucht überfachliche methodische und soziale Kompetenzen sowie eine langfristige, strategische Ausrichtung des Kompetenzmanagements. Unternehmen sollten ihre Anforderungen an ihre Talente überdenken und nachhaltige Transformation als interdisziplinäre Aufgabe verstehen. Wer heute nur auf Fachwissen setzt, riskiert, Nachhaltigkeit nur auf dem Papier zu haben. ß

1 Schöberl, R. (2024). Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktchancen für Nachhaltigkeitsmanager (w/m/d) mit Hintergrund Oecotrophologie. Eine quantitative Inhaltsanalyse von Stellenanzeigen mit Ableitung erforderlicher Kompetenzen. Abschlussarbeit an der Hochschule Fulda. (nicht veröffentlicht)

Autor

Prof. Dr. Linda Chalupová Hochschule Fulda, University of Applied Sciences Umwelt- und Nachhaltigkeitswissenschaften – Fachbereich Oecotrophologie

Prof. Dr. Linda Chalupová

Hochschule Fulda, University of Applied Sciences
Umwelt- und Nachhaltigkeitswissenschaften – Fachbereich Oecotrophologie


linda.chalupova@oe.hs-fulda.de
www.hs-fulda.de


Autor

Rebecca Schöberl Justus-Liebig-Universität Gießen Masterstudentin Nachhaltige Ernährungswirtschaft

Rebecca Schöberl

Justus-Liebig-Universität Gießen
Masterstudentin Nachhaltige Ernährungswirtschaft


rebecca.schoeberl@stud.uni-giessen.de
www.uni-giessen.de