In letzter Zeit war der italienische Fashionsektor aufgrund zahlreicher Fälle von ausbeuterischer Arbeiterbeschäftigung und Verletzung von Arbeitnehmerrechten in den Medien sehr präsent. Die zunehmenden Skandale in der Modeindustrie – welche jedoch leider sicherlich keine Einzelfälle sind – zeigen erneut die Wichtigkeit, aber auch die Überfälligkeit einer Regulierung, die für die gesamte Liefer- sowie Produktionskette die Kontrolle durch die Unternehmen vorsieht und gegen diese im Falle von Verstößen Sanktionen verhängt.
Unternehmerische Sorgfalts- und Kontrollpflichten sowie Risikomanagement im Sinne der CSDDD
Wie bekannt, wird die Richtlinie (EU) 2024/1760 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit vom 13.06.2024 – allgemein bekannt als EU-Lieferkettenrichtlinie oder Corporate Sustainability Due Diligence Directive (kurz „CSDDD“) – ab dem 26.07.2027 schrittweise in Kraft treten und ab dem 26.07.2029 vollumfänglich anwendbar sein. Ab diesem Datum wird sie für alle EU-Unternehmen mit mehr als 450 Millionen Euro Umsatz und mehr als 1.000 Beschäftigten gelten.
Die CSDDD erlegt großen Unternehmen präzise Sorgfaltspflichten auf, die durch Maßnahmen zum Schutz von Menschen und Umwelt umgesetzt werden müssen, wobei die Sorgfaltspflicht in die Strategien, die Entscheidungsfindung und alle Unternehmensprozesse integriert wird.
Handlungsbedarf besteht jedoch bereits vor dem Jahr 2027: Um seine Sorgfalts- und Kontrollpflichten zu erfüllen, muss jedes Unternehmen – unabhängig von seiner Größe – sich zeitnah und wirksam vorbereiten, indem es ein adäquates Risikomanagementsystem einführt, das sich auf die gesamte „Kette von Tätigkeiten“ erstreckt. Es handelt sich hierbei um einen von der CSDDD selbst geprägten Begriff, der viel weiter gefasst ist als die üblichen Definitionen von „Lieferkette“ oder „Wertschöpfungskette“ und alle Geschäftsbeziehungen erfasst.
Was die konkrete und praktische Umsetzung des Risikomanagements betrifft, so müssen die Unternehmen unter Einbeziehung all ihrer Stakeholder die entsprechenden Risiken skizzieren und ermitteln, ihren Schweregrad bewerten und entsprechende Maßnahmen zur Risikoprävention und -minderung umsetzen. Falls das Risiko dann eintritt und es zu einer tatsächlichen Auswirkung kommt, sind die Unternehmen verpflichtet, diese zu stoppen und Behebungsmaßnahmen – einschließlich Schadensersatzzahlungen – zu ergreifen.
Wie können jedoch Unternehmen die Einhaltung der entsprechenden gesetzlichen Vorschriften durch ihre Geschäftspartner sicherstellen und prüfen? Zu diesem Zweck sieht die CSDDD ein „vertragliches Kaskadensystem“ vor, also Vertragsklauseln, aufgrund deren dem Geschäftspartner die Einhaltung des Verhaltenskodex obliegt, mit der damit verknüpften Verpflichtung, für deren Einhaltung auch in seinen Vertragsbeziehungen – beispielsweise mit Unterauftragnehmern – zu sorgen. Die Überprüfung der korrekten Einhaltung durch seine Geschäftspartner seitens des Unternehmens hat durch regelmäßige Audits, die auch von externen spezialisierten Betriebsprüfern durchgeführt werden können, zu erfolgen.
Was jedoch, wenn der Geschäftspartner nicht nachweist, dass er die gesetzlichen Vorschriften einhält, und/oder wenn er diese tatsächlich nicht einhält? Die CSDDD sieht zwar grundsätzlich die Verpflichtung zur Beendigung der Geschäftsbeziehung vor, jedoch in Form eines abgestuften Systems, um dem Geschäftspartner noch eine „Chance“ zu geben. Zu Beginn müssen ein Plan zur Prävention und Verbesserung des Verhaltens gefordert und eingeholt sowie die konkreten Fortschritte überwacht werden. Bei schwerwiegenden Risiken hingegen muss das Geschäftsverhältnis zunächst vorübergehend ausgesetzt werden, um dem Geschäftspartner die Möglichkeit zu geben, die geforderten Verhaltensstandards umzusetzen, außer wenn dies für das Unternehmen nicht zumutbar wäre.
Jüngste Gerichtsverfahren im Modesektor aufgrund der Verletzung von unternehmerischen Sorgfaltspflichten und Missstände bei der Produktionskettenkontrolle
Die nachfolgenden Fälle zeigen konkret, wie unerlässlich und überfällig die Verabschiedung der CSDDD war, durch die Unternehmen immer mehr dazu verpflichtet werden, Nachhaltigkeit in ihre Prozesse zu integrieren, um hierbei Verantwortung für Umwelt und Arbeitnehmer – auch im Fall einer Auslagerung der Produktionstätigkeiten – zu übernehmen.
Die gerichtlichen Verwaltungsmaßnahmen, die das Mailänder Gericht im Rahmen von kürzlich stattgefundenen Ermittlungen in Bezug auf die Ausbeutung von Arbeitnehmern gegen drei bekannte Großunternehmen im italienischen Modesektor ergriffen hat, machen nämlich leider sehr deutlich, wie tief die Phänomene der ausbeutenden Beschäftigung von Arbeitnehmern (sogenannte „Caporalato“) sowie schwerwiegende Verstöße gegen Gesundheitsschutz- und Sicherheitsvorschriften in der italienischen Geschäftskultur noch immer verwurzelt sind. Es reicht in diesem Zusammenhang auch aus, auf die im EU-Vergleich hohe Zahl an (tödlichen) Arbeitsunfällen in Italien hinzuweisen.
In den gegenständlichen Fällen – die unten genauer geschildert werden – beanstandeten die Behörden insbesondere die fehlende oder nur sehr mangelhafte Umsetzung geeigneter Maßnahmen zur Überprüfung der tatsächlichen und konkreten Arbeitsbedingungen in der Produktionskette.
Die unter Gerichtsverwaltung gestellten Unternehmen folgten nämlich dem Grunde nach alle demselben Schema. Sie lagerten Produktionstätigkeiten durch Verträge mit Auftragnehmern aus, die ihrerseits Unteraufträge an Dritte vergaben, welche wiederum die Arbeitsleistungen von Arbeitnehmern in Anspruch nahmen. Diese arbeiteten unter äußerst prekären Sicherheits- und Hygienebedingungen, erhielten unter dem gesetzlichen Minimum liegende Löhne und absolvierten Arbeitszeiten, die weit über den vertraglich vereinbarten und gesetzlich beziehungsweise tarifvertraglich zulässigen lagen.
Chronologisch vorgehend, ist dem ersten Modeunternehmen in der gerichtlichen Maßnahme, die auf Januar 2024 zurückgeht, vorgeworfen worden, dass es „die tatsächliche unternehmerische Kapazität der Auftragsnehmerunternehmen, denen es die Produktion übertrug, nie überprüfte und keinerlei Inspektionen oder Audits durchgeführt hatte, um die tatsächlichen Arbeitsbedingungen und Arbeitsumgebungen zu verifizieren“ (Gericht Mailand, Beschluss vom 15.01.2024, Nr. 1). Dieser Missstand erscheint umso schwerwiegender, wenn man bedenkt, dass die Möglichkeit der Vergabe von Unteraufträgen ausdrücklich vertraglich vorgesehen sowie detailliert geregelt war, jedoch eine konkrete Kontrolle durch das Unternehmen nie stattfand. Nach der Rekonstruktion des zuständigen Richters habe das Auftragsgeberunternehmen die Produktionskette nicht kontrolliert und sei untätig geblieben, obwohl es klar von der Produktionsauslagerung durch die von ihm beauftragten Zulieferunternehmen wusste. Es habe jedoch keine geeigneten Maßnahmen, wie zum Beispiel „die förmliche Aufforderung zur Überprüfung der Unterauftragskette, die Genehmigung der Unteraufträge oder die Auflösung der Geschäftsbeziehungen“, ergriffen.
Nur sehr kurze Zeit später erließ das Mailänder Gericht (Gericht Mailand, Beschluss vom 03.04.2024, Nr. 10) im April 2024 eine gerichtliche Verwaltungsmaßnahme gegen ein weiteres bekanntes Unternehmen im Fashionsektor. Einsatz von Maschinen ohne geeignete Sicherheitsvorrichtungen, chemische und leicht entzündbare Materialien, die unter unsicheren Bedingungen unbeaufsichtigt gelagert wurden, als Schlafräume genutzte Räume, die durch illegale Baumaßnahmen errichtet wurden, Bezahlung von Löhnen von nur 2 bis 3 Euro pro Arbeitsstunde: Dies sind nur einige der festgestellten Missstände, die sich in diesem Fall aus den Ermittlungen ergaben. Auch hier stellte das Gericht fest, dass das Auftraggeberunternehmen die Produktionskette nie wirksam kontrolliert hatte, obwohl die Prüfung der tatsächlichen unternehmerischen Leistungsfähigkeit der Unternehmen, mit denen es Lieferverträge geschlossen hatte, sowie der von Letzteren tatsächlich angewandten Produktionsmethoden gesetzlich vorgeschrieben ist, so dass im Ergebnis keinerlei geeigneten Präventions- und Gegenmaßnahmen umgesetzt wurden.
Auch der dritte Fall im Juni 2024 war sehr ähnlich gelagert (Gericht Mailand, Beschluss vom 06.06.2024, Nr. 12). Auch hier zeigte sich die Unfähigkeit des Unternehmens, die Ausbeutung von Arbeitskräften in seiner Produktionskette zu verhindern und zu bekämpfen. Es handelte sich in diesem Fall um vier von chinesischen Unternehmern betriebene Fabriken, die sich alle als illegal erwiesen. Dort wurden 32 Arbeitnehmer ermittelt, von denen sieben ohne Anmeldung beschäftigt waren. Die Produktion fand auch hier unter nach italienischem Recht verbotenen ausbeuterischen Bedingungen und in ungeeigneten und gesundheitsschädlichen Arbeitsumgebungen statt, mit zermürbenden Arbeitsschichten und Bezahlung von inakzeptabel niedrigen Löhnen.
Ein Ende dieser Vorkommnisse ist leider derzeit nicht in Sicht: Erst Anfang November ist ein neuer, sehr ähnlicher Fall von ausbeutender Beschäftigung chinesischer Arbeiter, teilweise ohne Aufenthaltstitel, unter menschenunwürdigen Bedingungen in einer Fabrik zur Herstellung von Luxusmode – inzwischen präventiv beschlagnahmt durch die Behörden – in der Provinz Varese bekannt geworden.
Zeitnahe Vorbereitung auf das formale Inkrafttreten der CSDDD durch geeignete Kontrollsysteme
Die oben genannten Skandale in der Modebranche – die leider sicherlich nur die Spitze des Eisbergs sind – zeigen vor allem eins: Unternehmen dürfen nicht mehr untätig auf das formelle und vollständige Inkrafttreten der CSDDD warten, sondern müssen umgehend im Bereich der internen Governance ein rigides und effizientes Kontrollsystem in der Lieferanten- sowie Produktionskette und in allen Geschäftsbeziehungen umsetzen.
Nur so können – abgesehen von den nach Inkrafttreten der CSDDD bei Verstößen anwendbaren Strafen – gerichtliche Maßnahmen (wie die oben beschriebenen), die Verhängung von schweren Sanktionen durch die Behörden sowie die Risiken von zivilrechtlichen Klagen von Geschädigten und Imageeinbußen des Unternehmens langfristig und nachhaltig verhindert werden.
Autor
Rita Santaniello
Rödl & Partner, Mailand
Avvocato (ital. Rechtsanwältin), Partner
Autor
Rebecca Salat
Rödl & Partner, Mailand
Avvocato (ital. Rechtsanwältin), Associate



