e-Justice ist eine Publikation der Produktfamilie Deutscher AnwaltSpiegel

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Aktuelle Ausgabe

„Mein Justizpostfach“

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Der elektronische Rechtsverkehr mit den Gerichten ist derzeit noch überwiegend etwas für „Profis“. Die Berufsgruppen der sogenannten „professionellen Verfahrensbeteiligten“ verfügen jeweils über eigene besondere elektronische Postfächer, basierend auf dem Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP). Mit „Mein Justizpostfach“ (MJP) ging im Herbst 2023 ein neues Portal in einen Pilotbetrieb, das daran etwas ändern soll. Das niedrigschwellige Angebot bietet große Chancen. Die Plattform legt jedoch einen ordent­lichen Fehlstart hin und wird sich für wichtige Nutzerkreise erst eignen, wenn nachgebessert wird.

Ausgangslage

§ 130a Abs. 4 Nr. 5 ZPO verbindet die Justizkommunikation mit den Verwaltungsportalen nach dem Online­zugangsgesetz (OZG). Insbesondere Bürger und Bürgerinnen können also die dann bereits bestehenden Zugänge zu Verwaltungsportalen in Form der Nutzerkonten auch für das Prozessrecht nutzen, entsprechend dem „Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens genutzten Postfach- und Versanddienst eines Verwaltungsportals im Sinne des § 2 ­Absatz 2 des Onlinezugangsgesetzes und der elektronischen Poststelle des Gerichts“.

Die Nutzerkonten ergänzen das Angebot des elektronischen Bürger- und Organisationenpostfachs (eBO) gemäß § 130a Abs. 4 Nr. 4 ZPO, das ebenfalls einen Zugangskanal für Personengruppen bietet, die nicht auf eines der besonderen elektronischen Postfächer – das beA der Anwaltschaft, das beN der Notarinnen und Notare, das beSt der Steuerberaterinnen und Steuerberater oder das be­BPo der Behörden – zurückgreifen können. Das eBO hat aber ­gegenüber den Nutzerkonten den Nachteil, dass die derzeit verfügbaren Angebote zumeist mit nicht unerheb­lichen monatlichen Kosten verbunden sind.

Die OZG-Nutzerkonten als Kommunikationsmittel

Die OZG-Nutzerkonten können sowohl für die Kommunikation mit der Justiz als auch mit der Verwaltung, mit Rechtsanwälten, Notaren und Steuerberatern genutzt ­werden.

Das Onlinezugangsgesetz richtet sich primär an die ­Exekutive. Die Justizkommunikation war bis zum ERV-Ausbaugesetz eine Parallelwelt. Erst dank des noch ­neuen und bis vor kurzem noch nicht mit Leben erfüllten § 130a Abs. 4 Nr. 5 ZPO nähert sich die elektronische Kommunikation im Verwaltungsverfahren und im Prozessrecht erstmals an. Die übrigen Besonderheiten beider verfahrensrechtlichen Disziplinen, die sich aus der unterschiedlichen Konstruktion von § 3a (L)VwVfG bzw. § 36a SGB I einerseits und § 130a ZPO andererseits ergeben, bleiben freilich zunächst erhalten. Hier wird aber das auf der Zielgerade befindliche Fünfte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erleichterung schaffen. Darin ist vorgesehen, jedenfalls § 3a VwVfG (§ 36a SGB I folgt hoffentlich bald) an § 130a Abs. 3, 4 ZPO anzupassen. Insbesondere wird dann auch im elektronischen Rechtsverkehr im Verwaltungsverfahren auf eine qualifizierte elektronische Signatur verzichtet werden können, wenn ein sicherer Übermittlungsweg verwendet wird. Ferner sollen Behörden zur Schriftformwahrung auch qualifizierte elektronische Siegel anstelle der dort unpraktischen qualifizierten elektronischen ­Signaturen einsetzen können.

Der sichere Übermittlungsweg ist – wie stets – anhand des visualisierten Vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises (VHN) im Prüfvermerk oder Transfervermerk ersichtlich:

Einrichtung des MJP

Mit „Mein Justizpostfach“ befindet sich der Zugang zur Justiz unter Nutzung der bundID aktuell in einem Pilotbetrieb. Erreichbar ist das Portal hier. Die Registrierung ist verblüffend einfach und schnell erledigt. Gut und richtig für diese Art Angebot.

Um das MJP einzurichten, wird zunächst das OZG-Nutzerkonto bei der BundID benötigt. Ein solches lässt sich – sofern nicht ohnehin vorhanden – über diesen Link einrichten (siehe hier). Dazu wird idealerweise ein Personalausweis mit eID-Funktion benötigt, alternativ eine EU-Identität oder ein Elster-Zertifikat. Die Authentifizierung selbst ­erfolgt dann über die sogenannte AusweisApp2 (siehe hier).

Das MJP wird folgendermaßen eingerichtet:

  • Passwort festlegen: Mit dem Passwort wird die persön­liche Schlüsseldatei (das elektronische Zertifikat) abgesichert.
  • Schlüsseldatei speichern: Die persönliche Schlüsseldatei erlaubt den Zugriff auf die verschlüsselten Nachrichten.
  • Hinterlegung des (öffentlichen) Zertifikats: Das öffentliche Zertifikat wird bei der Justiz hinterlegt. Dies ermöglicht eine verschlüsselte Kommunikation.

Verwendbarkeit und Kritik am MJP

Das MJP kann neben der Kommunikation mit den Gerichten auch zur Übermittlung von Dokumenten an sämtliche anderen sicheren Übermittlungswege außer an ein anderes Nutzerkonto oder an ein eBO genutzt werden. Erreichbar sind deshalb insbesondere das beBPo einer ­Behörde oder beA der Rechtsanwälte. Das MJP kann deshalb auch für die sichere Mandantenkommunikation genutzt werden, wobei im Pilotbetrieb hier die Funktionalität noch eingeschränkt ist. Zustellungen in das MJP sind an Bürgerinnen und Bürger gemäß § 173 Abs. 4 ZPO möglich. Die Übermittlung durch die Justiz ist technisch bereits realisiert; aus anderen Postfächern kann erst in ­einer nächsten Ausbaustufe in ein MJP versandt werden. Das MJP verwendet die EGVP-Infrastruktur; Größen- und Mengenbegrenzungen (200 MB, 1.000 Einzeldateien) und das datenschutzrechtliche Schutzniveau entsprechen deshalb grundsätzlich dem EGVP.

Als „Ersatz“ des beA für die Rechtsanwaltschaft taugt das Justizpostfach dagegen nicht. § 31a Bundesrechts­anwaltsordnung (BRAO) schreibt das Bereithalten und das Überwachen des beA für jede Rechtsanwältin und ­jeden Rechtsanwalt unabhängig vom Vorhandensein ­weiterer sicherer Übermittlungswege vor. Geeignet ist das MJP deshalb maximal als Backup bei einer Störung des beA.

Großes Potential könnte das MJP aber bei der Kommunikation mit Sachverständigen haben, die ganz überwiegend noch gar nicht digital arbeiten. Ferner wäre das MJP eigentlich ein geeignetes Medium, um Dolmetscherinnen und Dolmetscher oder ehrenamtliche Richterinnen und Richter in den elektronischen Rechtsverkehr einzubinden.

Gerade im Hinblick auf die Nutzung dieser „Profis“ im Gerichtsverfahren ist allerdings zu beachten und deutlich zu kritisieren, dass durch die Anmeldung bei MJP unter anderem die vollständigen (privaten) Adressdaten des Nutzenden in das SAFE-Verzeichnis übertragen werden und dort frei für alle potentiellen Adressaten (das heißt die Justiz, sämtliche Behörden und Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Notarinnen und Notare, Steuer­beraterinnen und Steuerberater) sichtbar sind, selbst wenn einwohnermelderechtlich eine Auskunftssperre eingetragen worden ist. Datensparsam ist dies sicher nicht. Gerade die Preisgabe der Privatadressen schränkt die Nutzbarkeit für professionelle Verfahrensbeteiligte – bis hin zur Nichtverwendbarkeit – ein. Hier ist ein Nachsteuern noch dringend erforderlich.

Dies gilt umso mehr, als sich das MJP in Bezug auf den Datenschutz einen ordentlichen Fehlstart geleistet hat. Nutzerinnen und Nutzer sind am 13.11.2023 informiert worden, dass ihre Adressdaten in der Zeit vom 12.10.2023 bis zum 09.11.2023 nicht nur von potentiellen Empfängern einsehbar waren, sondern sogar für jedermann zugänglich gewesen sind, wie unter anderem netzpolitik.org berichtet. Im Übrigen betraf dies – natürlich – auch die Adressen mit Auskunftssperre.

 

Hinweis der Redaktion:
Der Autor ist Honorarprofessor der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen und Autor des eJustice-Praxishandbuchs. Er betreibt unter https://ervjustiz.de/ einen Blog zum elektronischen Rechtsverkehr.

 

Autor

Prof. Dr. Henning Müller Sozialgericht Darmstadt Direktor henning.mueller@sg-darmstadt.justiz.hessen.de www.sg-darmstadt,justiz.hessen.de

Prof. Dr. Henning Müller
Sozialgericht Darmstadt
Direktor

henning.mueller@sg-darmstadt.justiz.hessen.de
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