Aus der deutschen Politik kommen derzeit starke Worte im Hinblick auf die Bürokratiebelastung durch neue Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen. Neben den bereits in der Breite der deutschen Unternehmen spürbaren Belastungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) hält auch die Europäische Union viele deutsche Unternehmen mit den umfangreichen Berichtspflichten der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) in Atem. Insofern ist die zunehmende Kritik aus der Politik nicht unberechtigt, wenn es darum geht, deutsche Unternehmen wieder wettbewerbsfähiger zu machen.
Nicht alles, was durch die neuen Berichtspflichten gefordert wird, kann dieser Zielsetzung gerecht werden. Hierbei spielen auch die von der Europäischen Kommission bereits verabschiedeten detaillierten Berichtspflichten der ESRS eine wichtige Rolle. Zentrale Instanz für die Vorbereitung der ESRS war die EFRAG (European Financial Reporting Advisory Group), die quasi als Standardsetzer in Brüssel mit deren Ausarbeitung betraut war.
Die EFRAG hatte bei der Ausarbeitung der ESRS eher große multinationale Unternehmen im Blick und weniger mittelständische Unternehmen. Insgesamt werden etwa 13.500 bilanzrechtlich große deutsche Unternehmen berichtspflichtig werden. Erste Berichte nach den ESRS werden für das Berichtsjahr 2024 von circa 550 deutschen Unternehmen erwartet. Dem Vernehmen nach werden diese sehr umfangreich sein und bestehenden Lageberichten mindestens weitere hundert Seiten hinzufügen. Die erwartete Bürokratiebelastung ist also enorm.
Neue Herausforderungen durch Sektorstandards
Mit dem ersten Satz der ESRS ist es allerdings nicht getan. Die EFRAG ist gehalten, etwa 40 weitere sektorspezifische ESRS bis zum Jahre 2026 auszuarbeiten. Damit wird in Aussicht gestellt, dass Unternehmen über die bereits umfangreichen sektorübergreifenden Berichtspflichten hinaus zusätzliche sektorspezifische Berichtspflichten auferlegt werden. Erste von der EFRAG verabschiedete Entwürfe zur Sektorklassifikation und im Speziellen für den Öl- und Gassektor lassen wiederum nicht unerhebliche zusätzliche Berichtspflichten vermuten. Bei der EFRAG wird immer noch um die Frage gerungen, wie umfangreich solche zusätzlichen Berichtspflichten sein sollen. Hier gibt es auch erheblichen Widerstand seitens der nationalen Standardsetzer, die aufgrund der sich abzeichnenden umfangreichen Erstberichterstattung zur Zurückhaltung mahnen.
Auch die neue Europäische Kommission konnte sich bisher noch nicht klar zum Thema sektorspezifischer ESRS positionieren. Auf europäischer Ebene formiert sich die Europäische Kommission derzeit neu, und neue Politikleitlinien zeichnen sich eher im Großen ab. Nach Erscheinen des von der Europäischen Kommission beauftragten Draghi-Berichts im Herbst 2024 ist jedoch klar, dass dem Bürokratieabbau ein großer Stellenwert eingeräumt wird und die Berichtspflichten der CSRD eine konkrete Rolle spielen. Gleiches gilt im Kontext der deutschen Bundesregierung, wo die Wachstumsinitiative vom Sommer 2024 in die gleiche Richtung geht und die CSRD konkret als Handlungsfeld Richtung Brüssel benennt.
Insoweit sollte in den kommenden Wochen klarer werden, wie sich das geänderte politische Umfeld mit Blick auf die Arbeitsaufträge an die EFRAG weiterentwickelt. Eine DAX-40-Umfrage des DRSC aus dem Sommer 2024 hat zumindest gezeigt, dass Unternehmen kaum zusätzliche unternehmensindividuelle Berichtsthemen aufnehmen, die nicht bereits durch die bestehenden sektoragnostischen ESRS behandelt werden. Auch hat sich gezeigt, dass eher die vielen großen, nicht kapitalmarktorientierten Unternehmen Unterstützung für die sehr komplexe Wesentlichkeitsanalyse benötigen. Hier erscheint in diesen Tagen eine Handreichung von BDI und DRSC, um Branchenverbänden eine entsprechende Hilfestellung zur Ausarbeitung branchenbezogener Wesentlichkeitsanalysen zu geben, die wichtige Vorarbeiten für in der Regel weniger erfahrene und schlechter ausgestattete Unternehmen leisten. Insoweit müsste die Europäische Kommission dringend neue Signale setzen, um eine weitere Frustration bei den Unternehmen zu vermeiden.
Möglicher Lichtblick bei KMU-Standards
Deutlich positivere Handlungsansätze zeigen sich mit Blick auf die Berichterstattung kleiner und mittelgroßer Unternehmen (KMU). Im Mittelpunkt steht hier die Erarbeitung eines freiwilligen Berichtsstandards für diese Unternehmen. Dabei fokussieren sich die EFRAG-Arbeiten auf einen modularen Ansatz, der den KMU erlaubt, ein für sich passendes standardisiertes Angebot an Nachhaltigkeitsinformationen zu finden. Besonderes Augenmerk wird hierbei auf die Informationsbedürfnisse in Lieferbeziehungen mit Kunden und Lieferanten sowie mit Akteuren der Finanzwirtschaft gelegt, zum Beispiel im Rahmen der Kreditvergabe und bei der Versicherung von Betriebsmitteln. Bei vernünftiger Ausgestaltung böte dieser Berichtsstandard die Möglichkeit, KMU anstelle der aufwendigen LkSG-Berichterstattung einen praxistauglichen Rahmen zu bieten, der einen greifbaren Mehrwert verspricht. Das DRSC und der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) haben hier in den letzten zwei Jahren mit einer Pilotgruppe wichtige Erkenntnisse gesammelt und Input für die EFRAG-Arbeiten gegeben. Der RNE will den freiwilligen Berichtstandard auch zu Grundlage für die Überarbeitung des Deutschen Nachhaltigkeitskodex machen, wobei bereits ein entsprechendes Projekt angelaufen ist.
Implementation-Guidance als echte Praxisunterstützung
Die erstmalige Anwendung der von der EFRAG ausgearbeiteten ESRS im Jahr 2024 hat erkennen lassen, dass eine Vielzahl wichtiger Fragen derzeit noch nicht für die Praxis zufriedenstellend geregelt ist. Mehr als 700 bei der EFRAG eingegangene Fragen unterstreichen dies deutlich. Deren Abarbeitung bindet weitere EFRAG-Ressourcen, und die Fragen werden in schneller Abfolge durch die fachlichen Gremien geschleust. Dies ist auch eine Herausforderung für die DRSC-Gremienmitglieder. Zentral bedeutsame Themen wie die Wesentlichkeitsanalyse oder Wertschöpfungsketten werden in besonderen Implementation-Guidances behandelt. Aktuell hat das EFRAG-Sekretariat einen Entwurf für eine weitere Implementation-Guidance zu Transitionsplänen den EFRAG-Fachgremien zur Diskussion vorgelegt. Der nunmehr zweigeteilte Entwurf mutet nicht zuletzt durch Querverbindungen zu anderen europäischen Regulierungen zu Transitionsplänen als sehr umfangreich und komplex an und erscheint für die Anwendungspraxis noch nicht ausreichend geeignet.
Konsolidierung hat Vorrang; DRSC unterstützt pragmatische Ansätze
Auch das letztere Beispiel im Bereich der Implementierungsunterstützung zeigt, dass die Praxis derzeit zwar nach ausreichender Klarheit dürstet, aber gleichzeitig eine weitere detaillierte Regulierung das Gefühl einer (ungerechtfertigten) Überforderung bei den berichtspflichtigen Unternehmen weiter nähren dürfte. Hier gilt es, weiter Augenmaß zu bewahren. Erste echte Lehren kündigen sich für das Frühjahr nächsten Jahres an, wenn die ersten 550 Unternehmen ihre Lageberichte einschließlich Nachhaltigkeitsberichte nach ESRS vorlegen werden. Nehmen wir uns die Zeit, diese sorgfältig zu studieren und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen!
Autor
Georg Lanfermann
DRSC – Deutsches Rechnungslegungs Standards
Committee e.V., Berlin
Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Präsident
lanfermann@drsc.de
www.drsc.de


