Einleitung: Sachverhalt
Die Insolvenz wirft für den Geschäftspartner des Schuldners viele Fragen auf. Am häufigsten natürlich diese: Wie und auf welche Art und Weise komme ich an mein Geld oder meine Ware?
Damit hatten sich 2022 die Gerichte in Frankfurt am Main (Az. 3-13 O 69/21 und 17 U 110/22) im Zusammenhang mit einer Fahrzeugfinanzierung zu beschäftigen. Die spätere Insolvenzschuldnerin (Schuldnerin) hatte sich hierfür zunächst an eine Bank gewandt. Die Vereinbarung mit der Schuldnerin schloss die Bank aber nicht im eigenen Namen, sondern als Vertreterin der B-GmbH ab. Diese sah vor, dass die Schuldnerin das Fahrzeug an die B-GmbH verkauft und unter Vereinbarung eines Besitzkonstituts (§§ 929, 930 BGB) – sprich: das Fahrzeug verblieb bei der Schuldnerin – übereignet. Die B-GmbH veräußerte das Fahrzeug uno actu im Rahmen eines „Kauf- und Mietkaufvertrags“ unter Vereinbarung von Ratenzahlung und eines Eigentumsvorbehalts an die Schuldnerin zurück. Nach Zahlung der letzten Kaufpreisrate sollte das Eigentum an dem Fahrzeug auf die Schuldnerin übergehen. Die B-GmbH haftete weder für Mängel noch für den zufälligen Untergang der Sache. Den Kaufpreis hatte die Bank im Innenverhältnis zur B-GmbH finanziert und die aufgebrachten Raten abgetreten bekommen.
Wer diesen Sachverhalt liest, fragt sich: Weshalb so kompliziert? Hätte die Bank der Schuldnerin nicht einfach ein monatlich zu tilgendes Darlehen gewähren und sich das Fahrzeug zur Sicherheit übereignen lassen können?
Qualität des Eigentums der B-GmbH
Wie sich aus dem Hinweisbeschluss ergibt, stritten die Parteien darüber, welche Qualität das Eigentum der B-GmbH hatte. Hat die Schuldnerin das Fahrzeug unter Eigentumsvorbehalt erworben und wird danach insolvent, kann ihr Insolvenzverwalter entscheiden, ob der Rückkauf durchgeführt wird (§ 103 InsO). Verweigert der Insolvenzverwalter den Rückkauf, kann der Vorbehaltsverkäufer (hier also die B-GmbH) das Fahrzeug herausverlangen (§§ 47 InsO, 985 BGB).
Einem Sicherungseigentümer steht hingegen nur ein Absonderungsrecht zu (§ 51 Nr. 1 InsO). Hat sich die Bank das Fahrzeug als Sicherheit übereignen lassen, muss sie es dem Insolvenzverwalter daher zur Verwertung überlassen (§§ 21 Satz Abs. 1 Nr. 5, 166 ff. InsO). Der Verwertungserlös kommt der Bank dann nur abzüglich der sogenannten Feststellungs- und Verwertungskostenpauschalen und der mit der Verwertung einhergehenden Umsatzsteuerbelastung zugute (§§ 170 f. InsO). Das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters schützt den betrieblichen Funktions- und Wertschöpfungszusammenhang damit vor Gläubigerzugriffen, was als entscheidende Voraussetzung für den Erhalt und die Veräußerung oder Sanierung insolventer Unternehmen gilt. So kann ein Insolvenzverwalter z.B. Speditionsunternehmen mit finanziertem und sicherungsübereignetem Fuhrpark fortführen und mitsamt den finanzierten Fahrzeugen an einen Erwerber veräußern (§ 166 Abs. 1 InsO), wodurch nicht zuletzt auch die Arbeitsplätze erhalten bleiben.
Diese Konsequenz wollte die Bank vorliegend offenbar vermeiden, indem sie die Finanzierung als Kauf und Rückverkauf unter Eigentumsvorbehalt ausgestaltet hat. Auf dieser Grundlage konnte die B-GmbH für sich nämlich das Aussonderungsrecht eines Vorbehaltskäufers in Anspruch nehmen und das Fahrzeug als solches herausverlangen. Aber kann das sein?
„Framing“-Effekt
Die Einbettung eines Sachverhalts in einen (in diesem Fall rechtlichen) Kontext, der für sich bereits eine bestimmte Wertung nahelegt, zielt auf den „Framing“-Effekt, also unsere intuitive Neigung, Information nach dem äußeren Zusammenhang zu beurteilen. So erfahren dieselben Informationen, je nach ihrer äußeren Darbietung, unterschiedliche Bewertungen. Dass „Framing“ in der Politik und den Medien allerorten für teils mehr, teils weniger honorige Zwecke eingesetzt wird, ist nicht zu bestreiten. Wer ehrlich ist, muss auch zugeben, dass es sich hierbei um ein alltägliches Stilmittel anwaltlicher Schriftsätze handelt. Auf die gerichtliche Entscheidung sollte die bloße Art der Darstellung und kontextuelle „Einbettung“ aber keinen Einfluss haben (Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2. Aufl. 2022, § 2 Rn. 39).
Das OLG Frankfurt am Main hat in dem oben geschilderten Sachverhalt nicht übersehen, dass „die Vertragsparteien […] eine in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen mit einem Darlehensvertrag nebst Sicherungsübereignung vergleichbare Lage geschaffen haben“. So sprechen der vollständige Ausschluss der Mängelgewährleistung und die Verlagerung des Risikos eines zufälligen Untergangs auf die Schuldnerin wirtschaftlich für eine Sicherungsübereignung. Nach der im Insolvenzrecht maßgeblichen „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“ (Prütting in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rn. 24, 26) wäre daher eine „Substance over Form“-Betrachtung zu erwarten gewesen (ähnlich für das Steuerrecht: § 42 Abs. 2 AO).
Das OLG Frankfurt am Main hat sich bei der Bewertung demgegenüber tatsächlich von der äußeren Darstellung der Vertragsverhältnisse leiten lassen und ist von einem „einfachen“ Ratenzahlungskauf ausgegangen, bei welchem der B-GmbH beziehungsweise deren Rechtsnachfolgerin ein Aussonderungsanspruch zusteht. Eine unter Eigentumsvorbehalt veräußerte Sache sei in der Insolvenz des Vorbehaltskäufers, der den Kaufpreis noch nicht vollständig entrichtet hat, nun einmal aussonderungsfähig (BGH, Urteil vom 08.05.2014 – IX ZR 128/12 –, Rn. 13, juris; BGH, Urteil vom 27.03.2008 – IX ZR 220/05 –, Rn. 24, juris). Hätte das Gericht auf die wirtschaftliche Substanz abgestellt und eine besicherte Finanzierung angenommen, hätte der Insolvenzverwalter das Fahrzeug behalten und im Rahmen einer Sanierung oder Betriebsveräußerung verwerten können (§§ 51 Nr. 1, 166 Abs. 1 InsO).
Wie stark der „Framing“-Effekt verfangen hat, zeigt sich daran, dass der Senat die Sache „auf der Grundlage der im Hinweisbeschluss zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs“ (nämlich der zum Aussonderungsrecht des Vorbehaltsverkäufers) für „eindeutig“ hielt, so dass er gemäß § 522 ZPO sogar ohne mündliche Verhandlung entschieden und keine Revision zugelassen hat (Beschluss vom 25.07.2022, Az. 17 U 110/22). Die eigentliche rechtliche Würdigung hätte der Sache in der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO) mithin erst noch bevorgestanden. Diese hat der unterlegene Insolvenzverwalter dann aber offenbar – man muss sagen leider – nicht mehr eingelegt.
Fazit
Die schlechte Nachricht: Man stelle sich vor, es wäre eine Spedition oder ein Taxiunternehmen gewesen. In diesem Fall hätten die Frankfurter Gerichte mit ihrer Entscheidung die Fortführung des Betriebs und den Erhalt der Arbeitsplätze unmöglich gemacht.
Die noch schlechtere Nachricht: Mit „Framing“ kommt man bei den Gerichten durch. Zumindest in Frankfurt am Main.