Wenn Insolvenz- und Verwaltungsrecht aufeinandertreffen, hilft manchmal nur der Dialog

Beitrag als PDF (Download)

Ist der Insolvenzverwalter mit Forderungen der Leistungsverwaltung konfrontiert, knirscht es oft im Getriebe. So fehlt es den Beteiligten in solchen Verfahren häufig an Erfahrung, und die rechtlichen Regelwerke sind wenig kompatibel. In diesen Fällen hilft die offene Kommunikation der Beteiligten mehr als ein starrer Blick auf die Gesetze.

Klare Verhältnisse beim Finanzamt

Das Finanzamt als Teil der öffentlichen Verwaltung ist in vielen Insolvenzverfahren als Gläubiger beteiligt. Das Verhältnis des Finanzamts zu Insolvenzschuldner, Insolvenzverwalter und anderen Beteiligten ist weitgehend geklärt. Die Steuergesetze und die Insolvenzordnung waren und sind Gegenstand umfangreicher Auseinandersetzungen in Praxis, Rechtsprechung und Literatur. Auch wenn  die  Beteiligten immer wieder versuchen, ihre Position legislatorisch zu verbessern – man denke an das lang überwunden geglaubte und seit gut zehn Jahren wieder in § 55 Abs. 4 kodifizierte Fiskusprivileg –, sind die Regelungssysteme gut aufeinander eingestellt.

Verwaltungsrecht vs. Insolvenzordnung

Während das Finanzamt in fast jedem Insolvenzverfahren „Zwangsgläubiger“ ist, ist die Leistungsverwaltung weniger gut auf die Insolvenz eines Leistungsempfängers vorbereitet. Dies liegt zum einen daran, dass sie seltener mit Insolvenzverfahren in Berührung kommt. Denn im Gegensatz zum Finanzamt kann sie sich ihre Gläubiger aussuchen. Bevor öffentliche Leistungen gewährt werden, verlangt die Leistungsverwaltung von dem Leistungsempfänger einen Nachweis, dass er die Leistungsvoraussetzungen erfüllt. Wird der Leistungsempfänger dann insolvent, fehlt der Leistungsverwaltung schlicht die Erfahrung, wie sie ihre Interessen in ein Insolvenzverfahren einbringen kann. Während es zum Kerngeschäft des Finanzamts gehört, rückständige Steuerforderungen einzuziehen und sich über Forderungen mit dem Steuerpflichtigen zu streiten, steht die Leistungsverwaltung vor einer besonderen Herausforderung. Denn die Rückforderung von gewährten Leistungen findet in dem starren Korsett des Verwaltungsrechts statt. Die sich hieraus ergebenden Abläufe stimmen nicht immer mit denen des Insolvenzrechts überein.

Leistungsverwaltung: ohne Rückforderungsbescheid keine Insolvenzforderung

Grundlage für die Gewährung der Leistungen war ursprünglich ein Leistungsbescheid. Will die öffentliche Hand diese Leistung nun zurückfordern, bedarf es nach der Actus-contrarius-Theorie wiederum eines Bescheids, nämlich eines Widerrufs- und Rückforderungsbescheids (Widerrufsbescheids). Ist die Leistungsverwaltung mit der Insolvenz eines Leistungsempfängers konfrontiert, so sind insbesondere die folgenden Szenarien zu unterscheiden:

Wenig problematisch ist die Situation, wenn eine gewährte Leistung vor Stellung eines Insolvenzantrags per Widerrufsbescheid zurückgefordert wird. Der Widerrufsbescheid lässt den Rechtsgrund zum Behaltendürfen der Leistung entfallen und kann so zur Grundlage einer Anmeldung der Forderung zur Insolvenztabelle gemacht werden.

Schwieriger ist dagegen der Fall, wenn das Insolvenzverfahren eröffnet wird, bevor ein Widerrufsbescheid ergangen ist.

Das Dilemma mit der Rechtsbehelfsbelehrung

Ohne Widerrufsbescheid kann die Verwaltung ihre Insolvenzforderung nicht belegen und nicht zur Tabelle anmelden. Ein Widerrufsbescheid ist aber nur wirksam, wenn er eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, in der auf die Klagefrist des § 74 Abs. 2 VwGO hingewiesen wird. Die Behörde kann hierauf nicht verzichten, wenn sie wirksam handeln will. Lässt der Insolvenzverwalter als Adressat des Verwaltungsakts diese Frist aber verstreichen, erwächst der Verwaltungsakt im eröffneten Verfahren in formelle Rechtskraft. Hierdurch könnte die Insolvenzmasse mit einer unbegründeten Verbindlichkeit belastet werden. Um eine solche Rechtsfolge zu Lasten der Masse zu verhindern, wäre der Insolvenzverwalter in diesen Fällen stets gezwungen, gegen den Verwaltungsakt zu klagen und die dafür benötigten Geldmittel der freien Masse zu entnehmen.

Handelt die Leistungsverwaltung im eröffneten Verfahren streng nach verwaltungsrechtlichen Vorgaben, so setzt sie sich damit – zumindest prima facie – in Widerspruch zu § 87 InsO. Nach dieser Vorschrift können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Dementsprechend urteilen Verwaltungsgerichte seit Jahren, dass es mit den Verfahrensvorschriften des Insolvenzrechts grundsätzlich nicht zu vereinbaren sei, dass zur Durchsetzung von Insolvenzforderungen während des Insolvenzverfahrens ein Leistungsbescheid ergeht: Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens darf vielmehr wegen der Regelung des § 87 InsO hinsichtlich solcher Forderungen ein Leistungsbescheid nicht mehr erlassen werden.

Wenig sinnvoll: Verzicht auf Rechtsbehelfsbelehrung

Insolvenzverwalter fordern in solchen Fällen vereinzelt eine Erklärung der Verwaltung, dass der Bescheid ausschließlich Grundlage der Forderungsanmeldung zur Insolvenztabelle sei. Darüber hinaus soll ein Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung erfolgen, dass die Pflicht zur Klageerhebung aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als gegenstandslos angesehen werden kann. Dieses Vorgehen ist aus verwaltungsrechtlicher Sicht bedenklich. Eine Verlängerung oder Aussetzung der in der Rechtsbehelfsbelehrung genannten einmonatigen Klagefrist und somit die Verhinderung des Eintritts der formellen Bestandskraft des Verwaltungsakts ist nicht möglich. Die gesetzliche Klagefrist steht nicht zur Disposition der Beteiligten des Verwaltungsverfahrens oder des späteren Verwaltungsprozesses. An eine entsprechende Erklärung der Verwaltung sind die Verwaltungsgerichte nicht gebunden und müssten eine verspätet eingereichte Klage gegen den Bescheid als unzulässig abweisen. Zwar kommt die Heilung einer etwaigen Versäumung der Klagefrist durch den Insolvenzverwalter durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO in Betracht, sofern die Frist ohne Verschulden versäumt wurde. Bei der Frage, ob die Fristversäumung verschuldet war, ist allerdings zu beachten, dass an Insolvenzverwalter strengere Maßstäbe anzulegen sind als an juristische Laien. Unter diesem Gesichtspunkt könnte es an der Voraussetzung eines unverschuldeten Fristversäumnisses bei dem Insolvenzverwalter fehlen – dies insbesondere, wenn der Insolvenzverwalter selbst auf die Abgabe der Erklärung gedrungen hat.

Verfügung statt Bescheid

Ein gangbarer Weg wäre, dass die Leistungsverwaltung statt eines Widerrufsbescheids „nur“ eine Widerrufsverfügung erlässt. Eine solche Widerrufsverfügung begründet lediglich die Forderung der Leistungsverwaltung, ohne diese zugleich zu verfolgen (vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom 28.02.2012 – 1 L 184/11, ZInsO 2012, 1731). Damit stellt eine Widerrufsverfügung keinen Titel dar, dessen Sich-Verschaffen § 87 InsO untersagt. Bei Eintritt der Bestandskraft der Widerrufsverfügung würde auch nicht automatisch eine Masseverbindlichkeit entstehen, da der Bescheid lediglich actus contrarius zum Zuwendungsbescheid ist und die Grundlage für die Berechnung der Forderung zur Insolvenztabelle bildet. Dieses Vorgehen käme inhaltlich einer „Steuerberechnung“ des Finanzamts gleich.

Wo ein Wille, da ein Weg

Auch wenn dieser Ansatz mit einem gewissen Verständnis- und Begründungsaufwand für beide Seiten verbunden ist, zeigt sich einmal mehr: Im Insolvenzrecht sind eine offene Kommunikation und der beidseitige Wille, Probleme praxisnah zu lösen, oftmals der Schlüssel zur Lösung von rechtlichen Problemen.

 

heinrich.meyer@advant-beiten.com

torsten.cuelter@advant-beiten.com

Aktuelle Beiträge