Wann kommt sie, die Welle? Eine seit Beginn der Pandemie vieldiskutierte Frage. Doch geht es dabei nicht um steigende Inzidenzen, sondern um die mögliche Welle von Insolvenzen, die wie ein Damoklesschwert über der Weltwirtschaft hängt.
Im Rahmen einer kürzlich verfassten Studie von AMO, einem Netzwerk international führender Kommunikationsberatungen, wurden Unternehmen und Marktexperten zu ihren Erwartungen hinsichtlich der Entwicklung von Insolvenzen in diesem Jahr sowie den Aussichten für 2022 befragt. Darüber hinaus sollten sie abschätzen, wie sich das Ende der Staatshilfen auf verschiedene Branchen auswirken wird. Die Umfrage wurde in Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Großbritannien und der Schweiz durchgeführt.
Unterschiedliche Erwartungen innerhalb Europas
Ob und wann nun die vielzitierte Insolvenzwelle kommt, daran scheiden sich die Geister:
- Die Experten in Deutschland, Spanien und der Schweiz erwarteten mehrheitlich noch in diesem Jahr einen – wenn auch moderaten – Anstieg der Insolvenzen.
- In Deutschland war diese Erwartung mit fast 60% am höchsten – obwohl die Regierung bis Ende des Jahres Konjunkturmaßnahmen zugesagt hat.
- In Frankreich prognostizierten jeweils rund 50% der Befragten, dass Unternehmen im vierten Quartal 2021 oder erst 2022 vermehrt in Not geraten werden.
- In Italien hingegen gab eine knappe Mehrheit an, erst 2022 mit einer Insolvenzwelle zu rechnen, in Großbritannien waren es sogar mehr als 80%.
Dieses differenzierte Bild ergibt sich vor allem durch die unterschiedliche Ausgestaltung und Dauer der Staatshilfen in den einzelnen Ländern.
Ein französischer Experte stellte fest: „Zwei Komponenten könnten den Aufschwung behindern: Die Abschaffung der Staatshilfen kann den Cashflow der geschwächten Unternehmen beeinträchtigen; zudem wird der Zugang zu Krediten im Rahmen des wirtschaftlichen Aufschwungs für Unternehmen, die bereits hohe Schulden haben, erschwert sein.“
Unternehmen in Einzelhandel, Gastgewerbe und Tourismus haben das höchste Insolvenzrisiko
Die Auswirkungen der Pandemie auf Einzelhandel, Gastgewerbe und Tourismus sind gravierend. Ein weiterer, aufgrund der langen Schließungen stark betroffener Sektor ist die Medien- und Unterhaltungsbranche. Die Befragten aus allen europäischen Ländern waren sich einig, dass trotz der laufenden staatlichen Unterstützung nicht alle Unternehmen in diesen Sektoren überleben werden – insbesondere im Veranstaltungsbereich.
In Großbritannien verschmelzen die Auswirkungen der Pandemie zusätzlich mit denen des Brexits:
„Es gibt einige Sektoren, die sich in den vergangenen Monaten als sehr widerstandsfähig erwiesen haben, insbesondere der Technologiesektor. Das Gastgewerbe, die Freizeitindustrie und der Tourismus haben jedoch stark gelitten, nicht nur wegen mangelnder Besucherzahlen, sondern auch, weil viele internationale Mitarbeiter Großbritannien verlassen haben“, stellte einer der Befragten fest.
Die vor einigen Wochen getätigte Aussage hat sich in Großbritannien inzwischen auch in anderen Branchen bewahrheitet: Wegen des Brexits und der Pandemie sind auch viele Lkw-Fahrer in ihre Heimatländer zurückgekehrt – Schlangen an Tankstellen und leere Supermarktregale prägen in der Folge nun das Alltagsbild. Noch dominiert die Pandemie, aber zunehmend werden die Lücken deutlich, die der Brexit in die internationale Arbeitsteilung gerissen hat.
Kleinere Unternehmen werden es am schwersten haben
Die internationalen Experten sind sich einig, dass kleine Unternehmen in und nach der Pandemie am meisten zu kämpfen haben, da sie unter dem eingeschränkten Zugang zu Kapital und den härteren Handelsbedingungen besonders leiden.
- In der Schweiz waren alle Befragten der Meinung, dass es nur Kleinst- und Kleinunternehmen besonders schwer haben.
- Die Mehrheit der deutschen, spanischen und italienischen Befragten stimmte mit dieser Einschätzung überein.
- In Großbritannien und Frankreich waren die Ansichten differenzierter – auch ein höherer Anteil betroffener mittlerer und großer Unternehmen wird erwartet.
Staatshilfe – Fluch und Segen zugleich?
Mehrere der befragten Fachleute sahen auch längerfristige Probleme für Unternehmen, die von staatlichen Darlehen profitieren, vor allem hinsichtlich der Folgen für die beteiligten Interessengruppen.
Ein Experte aus Deutschland gab zu bedenken: „Was wird mit all den staatlichen Krediten geschehen, die nun in den Bilanzen von Unternehmen mit vernünftigen Geschäftsmodellen stehen? Werden alle Beteiligten akzeptieren, die nächsten Jahre hart zu arbeiten, nur um die staatlichen Gelder zurückzuzahlen?“
Ein weiterer Teilnehmer warf die Frage auf, „wie man Bilanzen von Unternehmen umstrukturiert, die staatlich abgesicherte Kredite erhalten haben, welche von Banken ohne oder mit geringem Risiko vergeben wurden. Das Management von Interessenkonflikten wird sicherlich eine Herausforderung sein.“
Wie aber können solche Interessenkonflikte unter den Bedarfsgruppen verhindert oder zumindest abgemildert werden? Der Schlüssel hierzu ist adäquate Kommunikation.
Die Rolle der Kommunikation
Regierungen, die in Krisensituationen wie der aktuellen eingreifen, stehen vor einigen Herausforderungen: Sie stehen unter hohem zeitlichem Druck und brauchen eine vernünftige Datenbasis, um auszuwählen, welchem Unternehmen Kapital zur Verfügung gestellt werden soll. Zugleich sehen sie sich mit den Erwartungen von Investoren, Mitarbeitern und der Öffentlichkeit konfrontiert. Auch Regierungen brauchen deshalb zielgruppengerechte Kommunikationsstrategien, um aufkommende Konflikte entsprechend moderieren oder bestenfalls von Beginn an vermeiden zu können.
Dies ist zunehmend wichtiger, da die Stakeholder durch die digitale Disintermediation und die gestiegene Transparenz einen breiteren Zugang zu Informationen, Waren und Dienstleistungen haben – ihre Entscheidungen haben infolgedessen einen großen Einfluss.
Für Unternehmen, die staatliche Unterstützung erhalten, ist es indes wichtig, einen Dialog mit der Regierung aufzubauen, der die Beziehung zwischen dem Unternehmen und seinen Stakeholdern stärkt.
Darüber hinaus ist es essentiell, durch aktive, zielgruppenspezifische Kommunikation Bedarfsgruppen wie Investoren, Geschäftspartner und Mitarbeiter von der Zukunftsfähigkeit und Resilienz des eigenen Geschäftsmodells zu überzeugen. Dadurch lassen sich auch die Stigmatisierung aufgrund der staatlichen Unterstützung vermeiden sowie durch Nutzung des Narrativs der „staatlichen Unterstützung als Quelle der Stärke“ Sicherheit schaffen.
Langfristige staatliche Unterstützung kann jedoch niemals eine praktikable Option sein. Es muss deshalb von Anfang an eine Ausstiegsstrategie geben und eine entsprechende Kommunikation sowohl von Seiten der Regierung als auch des Unternehmens berücksichtigt und geplant werden. So können alle Stakeholder gezielt informiert und rechtzeitig über individuelle Auswirkungen unterrichtet werden. Das aktuelle Beispiel Lufthansa zeigt, wie Kommunikation sowohl auf unternehmerischer Ebene als auch auf staatlicher Seite Erfolg haben kann. Der Staat hat mit seiner Hilfe sogar Geld verdient, und das Unternehmen hat sich erfolgreich am Markt behauptet.
Eine adäquate, an die einzelnen Zielgruppen angepasste Kommunikation zu Beginn der staatlichen Unterstützung, während ihrer Dauer sowie beim Ausstieg ist somit kritisch für den Gesamterfolg der Maßnahmen.
stephanie.prager@deekeling-arndt.com