Fazit
In Anbetracht der fortschreitenden Digitalisierung und der bereits bestehenden Verpflichtung für professionelle Anwender, digitale, sichere Übermittlungswege zu nutzen, erscheint es nur konsequent, auch der Bevölkerung entsprechende Möglichkeiten einzuräumen.
Daher begrüßt der BWD das Vorhaben der Bundesregierung, den Zugang zum Recht für die Bevölkerung zu verbessern und das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Justiz zu stärken. Allerdings begegnet der jetzige Referentenentwurf in Teilen auch Bedenken.
Der Entwurf beschreibt die Anforderungen an ein einfaches, nutzerfreundliches, barrierefreies und digitales Gerichtsverfahren. Gerade mit Blick auf die Behandlung niedrigschwelliger Streitwerte wird er zur erheblichen Entlastung der Amtsgerichte beitragen. Viele Verfahren werden sich künftig strukturierter und effizienter erledigen lassen.
Der BWD empfiehlt jedoch, einzelne Punkte zu überarbeiten und sicherzustellen, dass das neue Verfahren das Ansehen der Justiz in der Öffentlichkeit stärkt.
Begründung
Die Durchführung von Online-Verfahren hat sich in anderen Ländern, wie beispielsweise Kanada, bereits seit vielen Jahren bewährt. In dortigen Online-Dispute-Resolution-Verfahren erfolgt die Schlichtung von Rechtsstreitigkeiten durch pensionierte Richterinnen und Richter, aber auch durch erfahrene Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, wie es in der Schiedsgerichtsbarkeit bereits in Deutschland praktiziert wird. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass bis zum Jahr 2030 etwa ein Drittel der derzeit aktiven Richterinnen und Richter in den Ruhestand gehen werden, während an den Universitäten nicht genügend Nachwuchs in den juristischen Fakultäten ausgebildet wird, ist die Initiative der Bundesregierung ein wichtiger und zeitgemäßer Schritt, jedenfalls bei der Einführung und Durchführung von Online-Verfahren.
Insbesondere Zahlungsklagen vor den Amtsgerichten, welche derzeit die Streitwertschwelle von 5.000 Euro, geplant 8.000 Euro, nicht überschreiten, eignen sich für die Durchführung im Rahmen der Online-Verfahren. Bürgerinnen und Bürger können hier ihre Geldforderungen mit oder ohne anwaltliche Unterstützung durch nutzerfreundliche und vereinfachte Systeme geltend machen und voraussichtlich deutlich schneller als derzeit gewohnt durchsetzen.
Legal-Tech-Unternehmen dürften ihre bereits entwickelten Produkte zur Unterstützung der rechtsuchenden Öffentlichkeit erproben. Anwaltliche Hilfe wird auch zukünftig gefragt bleiben, um schwierige Konstellationen zu beraten.
Erprobung bei der Einführung von Online-Verfahren
Der Erprobungszeitraum von zehn Jahren erscheint nur auf den ersten Blick sehr lang. Die vorgesehene regelmäßige Evaluierung (§ 1132 ZPO-E) wird Korrekturen ermöglichen, wo dies erforderlich sein mag.
Die Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs hat deutlich gemacht, dass die Einführung digitaler Kommunikationssysteme einen gewissen Zeitraum in Anspruch nimmt. Des Weiteren können erst nach einer gewissen Testphase verlässliche Werte gesammelt werden, die eine Beurteilung ermöglichen.
Unter Berücksichtigung des mit der Einführung verbundenen hohen Verwaltungsaufwands erachtet der BWD einen Zeitraum von zehn Jahren nicht nur für angemessen, sondern auch für erforderlich.
Für die Erprobung hält die Bundesregierung eine Beteiligung der Länder für nicht erforderlich. Tatsächlich dürfte die Einführung digitaler Eingabesysteme durch den Bundesgesetzgeber einen mittelbaren Eingriff in die Ausstattung der Gerichte darstellen, mithin in die Kompetenz der Länder. Die im Gesetzesentwurf vorgesehene Öffnungsklausel, welche den Ländern die Möglichkeit einräumt, selbst zu entscheiden, ob und wann sie an der Erprobung teilnehmen wollen, ist entscheidend. Am Ende sollte die Umsetzung idealerweise zeitgleich in allen Ländern erfolgen.
Nichtberücksichtigung der Prozesskostenhilfe bei Online-Verfahren
Die Bundesregierung möchte die Bürgerinnen und Bürger ermuntern, die ihnen zustehenden Rechte einzufordern. Vor diesem Hintergrund erscheint die fehlende Einbeziehung der Prozesskostenhilfeoption erstaunlich. Durch die erforderliche Einzahlung der Gerichtskosten durch die Forderungsinhaber sollen unernste Forderungen und Missbrauch vermieden werden können. Ohne dies ausdrücklich zu erwähnen, scheint dieser Feldversuch nicht auf eine Forderungsverfolgung unter Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe (PKH) angelegt zu sein. Der BWD regt an, diesen Punkt noch einmal zu überdenken. Gelingt die Einbeziehung der PKH nicht, könnte die für alle Bürgerinnen und Bürger beabsichtigte Beschleunigung der Rechtsverfolgung gefährdet sein. Gerade die erfolgversprechenden Forderungen der besonders bedürftigen Bürgerinnen und Bürger sollten von der digitalen Beschleunigung profitieren.
Der Umgang mit Prozesskostenhilfeverfahren bedarf einer ausdrücklichen Regelung (insbesondere zur Datenverarbeitung), zumal die Online-Verfahren insbesondere für Bürgerinnen und Bürger konzipiert werden, um deren Ansprüche vor den Amtsgerichten einfach und nutzerfreundlich geltend machen zu können.
Der BWD regt daher an, dass die Prozesskostenhilfeverfahren entweder ausdrücklich, aber auch mit überzeugender Begründung aus dem Anwendungsbereich der Online-Verfahren ausgeschlossen oder aber explizite Regelungen hierzu aufgenommen werden.
Erleichterungen bei den Identifizierungs- und Authentifizierungsmitteln und eine mögliche Formabsenkung bei Online-Verfahren
Gem. § 1124 Abs. 1 Satz 2 ZPO-E besteht die Möglichkeit, die Klageeinreichung auf zwei unterschiedlichen Wegen zu vollziehen.
Die Übermittlung kann auf einem sicheren Übertragungsweg gem. § 130a Abs. 4 ZPO oder mittels einer Kommunikationsplattform gem. § 1130 ZPO-E erfolgen. In Bezug auf § 1130 ZPO-E besteht erneut die Möglichkeit, zwischen einer Eingabe und einer Übermittlung zu wählen. Ferner ist eine Kombination der beiden Alternativen zu einem späteren Zeitpunkt zulässig, wobei die Klageeinreichung über die Postfächer und für das weitere Verfahren die neuen Kommunikationsplattformen zu nutzen sind.
Der BWD vertritt die Auffassung, dass ein angemessenes Maß an Identifizierung auch künftig sowohl bei der Einreichung neuer Klagen als auch im Nachgang erforderlich ist. Eine derart weitgehende Herabsetzung der Anforderungen wie im Entwurf wird entschieden abgelehnt. Die Ermöglichung einer formwirksamen Einreichung von Dokumenten unter Verzicht auf die Anforderungen nach § 130a Abs. 3 und 4 ZPO oder unter Verzicht auf einen Schriftformersatz nach § 1130 Abs. 1 und 2 ZPO-E geht zu weit.
Die Zugänglichkeit zum Recht für Bürgerinnen und Bürger darf nicht zu Lasten des berechtigten Schutzes der Beklagten gehen.
Die Voraussetzung, dass eine Zustellung der Klage erst erfolgt, wenn anfallende Gebühren des Verfahrens im Allgemeinen nach § 12 Abs. 1 Satz 1 GKG eingezahlt sind, mag zwar einem Identitätsmissbrauch vorbeugen. Dennoch besteht das Risiko, dass die Klageeinreichung in überstürzter Weise erfolgt, wenn die Anforderungen an eine Identifizierung immer weiter herabgesetzt werden. Darüber hinaus muss der Möglichkeit der Erhebung von Klagen in fremden Namen vorgebeugt werden. Ein solcher Missbrauch kann zwar auch bei schriftlicher Einreichung von Klagen nicht ausgeschlossen werden, dürfte aber einer höheren Hemmschwelle unterliegen als bei elektronischer Kommunikation.
Auch im Rahmen von Online-Verfahren muss die erforderliche Ernsthaftigkeit gewahrt bleiben. Eine lediglich mögliche nachträgliche Identifizierung bei Zweifeln an der Identität könnte gegebenenfalls zu einer Mehrbelastung der Gerichte führen, zumal nicht klar ist, wann tatsächlich an einer Identität gezweifelt werden muss.
Wichtig ist vor allem, dass die erfolglosen Kläger die Kosten ihrer Klage in vollem Umfang übernehmen müssen, also auch die berechtigten und nachgewiesenen Kosten der Beklagten. Das Kostenfestsetzungsverfahren gegen die erfolglosen Kläger darf nicht beschränkt werden.
Daher erachtet der BWD die Möglichkeit für außerordentlich sinnvoll, beispielsweise bereits bestehende OZG-Nutzerkonten in die Konzeption einzubeziehen.
Einführung von Kommunikationsplattformen
Die Einführung von Kommunikationsplattformen, welche unter anderem eine kollaborative Zusammenarbeit an Dokumenten ermöglichen, ist als sinnvoll zu erachten. Diese Plattformen erleichtern auch den Arbeitsalltag der Anwälte.
Befürchtung einer schleichenden Aufweichung des Beibringungsgrundsatzes durch Verfahrenserleichterungen
Die Online-Verfahren sehen in den §§ 1124 ff. ZPO-E erhebliche Erleichterungen im Verfahren an sich vor.
§ 1126 Abs. 1 ZPO-E eröffnet die Möglichkeit, in Abweichung von § 128 ZPO auch ohne mündliche Verhandlung zu einer Entscheidung zu gelangen. Diese Beschleunigungsmöglichkeit wird ebenso wie die Ausweitung von Videoverhandlungen begrüßt.
Die Regelung des § 1126 Abs. 5 ZPO-E wird vom BWD jedoch kritisch bewertet.
Der Kläger ist verpflichtet, die zum Erfolg seiner Ansprüche erforderlichen Tatsachen vorzutragen und die Beweismittel vorzulegen.
Der BWD lehnt eine schleichende, an den Amtsermittlungsgrundsatz erinnernde Aufklärungspflicht durch das Gericht ab. Richter sollen nicht ermitteln, ob und ggf. wie die Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger alternativ zum Erfolg geführt werden können. Der rechtsuchende Bürger sollte in diesen Fällen stets auf das Angebot der Anwaltschaft zurückgreifen. Die Schaffung einer Erwartung, dass die Richter den allgemeinen Hinweisen der Kläger nachgehen und eigene Ermittlungen anstellen, steht mit wichtigen Prinzipien des Zivilprozesses, insbesondere dem Beibringungsgrundsatz, im Widerspruch. Im Übrigen besteht die Gefahr, dass die richterliche Ermittlungspflicht den beabsichtigten zeitlichen Effekt schnellerer Verfahren aufhebt.
Schließlich ist die Grenzziehung (erkennbar über die Möglichkeit, Hinweise nach § 139 ZPO zu geben, hinaus) problematisch. Welcher Aufwand ist dem Richter noch zuzumuten, wenn es beispielsweise um Auskünfte aus ausländischen Registern, Website-Recherchen und anderes mehr geht? Welche Rechtspflichten ergeben sich für das Gericht, deren Nichtbeachtung durch die benachteiligte Partei beanstandet werden können? Die Einbeziehung allgemein zugänglicher Recherchequellen schließt prima facie das gesamte Internet ein, zumal selbst kostenpflichtige Angebote nicht ausgenommen sein sollen.
Schließlich drohen die Aufgabe der Neutralität der Richterschaft und das Risiko einer erheblich steigenden Zahl von Befangenheitsbeschwerden, wenn die Fürsorglichkeit zugunsten des Anspruchstellers zukünftig zu den gesetzlichen Pflichten der Richter zählte.
Der BWD empfiehlt nachdrücklich, die bewährten Grenzen des § 139 ZPO nicht aufzuweichen.
In diesem Kontext sei erneut auf die bestehende Regelungslücke bezüglich des Umgangs mit Anträgen auf Prozesskostenhilfe hingewiesen. Es drohen zusätzliche Beschwerden, falls die Gerichte nicht nur die Erfolgsaussichten prüfen, sondern dabei auch weitere öffentlich zugängliche Informationen recherchieren und einbeziehen müssten. Kurzum: Die Rollenverteilung der Unterstützung der Kläger und die neutrale Prüfung seiner Ansprüche sollten nicht vermischt werden. Erfahrene Richter empfehlen den Antragstellern in solchen Fällen in der Praxis häufig, doch einmal zu überlegen, ob die weitere Verfolgung der Ansprüche nicht erfolgreicher sein könnte, wenn kundige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sie unterstützen.
Telefonische Befragung von Zeugen
Die im § 1127 ZPO-E vorgesehene Möglichkeit der telefonischen Befragung von Zeugen lehnt der BWD ab.
Die Glaubwürdigkeit eines Zeugen, der nur telefonisch wahrgenommen wird, ist kaum zu prüfen. Daher sollte der in aller Regel bestehenden Option eines Videocalls, in dem nicht nur die Aussage, sondern auch die Mimik des Zeugen in Bild und Ton beobachtet werden kann, der Vorzug gegeben werden. Die Belehrung des Zeugen, die Möglichkeit, die Identität des Zeugen mit überzeugender Sicherheit festzustellen und dessen Glaubwürdigkeit umfassend beurteilen zu können, sind hohe Rechtsgüter, die nicht preisgegeben werden sollten.
Die mit der Möglichkeit der Videovernehmung gem. § 128a ZPO einhergehenden Erleichterungen sind als ausreichend zu beurteilen.
Veröffentlichung von ergangenen Urteilen und Beschlüssen
Die Verpflichtung zur Veröffentlichung von im Online-Verfahren ergangenen Urteilen und Beschlüssen gemäß § 1128 Abs. 3 ZPO-E begegnet keinen Bedenken. Durch diese Verpflichtung werden zahlreiche neue Informationen in Large Language Models eingepflegt werden können. Auch wird eine weitere Vereinheitlichung der Rechtsprechung erreicht werden.
Anwendung auf Massenverfahren
Auch eine Nutzungspflicht bei Massenverfahren erscheint sinnvoll und stellt insbesondere für Gerichte ein Mittel dar, diese Streitigkeiten künftig effizient und strukturiert zu bewältigen.
Erarbeitet von der Task Force „Schnelle und effiziente Justiz“ des BWD unter der Leitung von Dr. Simon Kubiak (Bach Langheid Dallmayr).
