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Aktuelle Ausgabe

Aus aktuellem Anlass: Durchsuchung von Kanzleiräumen

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Die Durchsuchung der Kanzlei durch Polizei und Staatsanwaltschaft gehört mitunter zu den ­unangenehmeren Momenten einer anwaltlichen Karriere, wechselt man doch unversehens von der Rolle des Beraters zum Betroffenen und findet sich schlimmstenfalls gemeinsam mit dem Mandanten auf der Anklagebank wieder. Aber auch wenn die Rechtsanwäl­tinnen und Rechtsanwälte der betroffenen Kanzlei selbst nicht Beschuldigte des Verfahrens sind, die Durchsuchung also nur zum Auffinden von Beweismitteln dient, ist der ­Imageschaden allein aufgrund der Durchsuchung oftmals gravierend.


Dass die Durchsuchung von Kanzleien sich stets im ver­fassungsrechtlich sensiblen Bereich bewegt, ist spätestens seit der Jones-Day-Entscheidung (BVerfG, Beschluss vom 27.06.2018 – 2 BvR 1405/17 u.a.) im Zuge des Abgas­skandals allgemein bekannt, und jüngst hat sich das Bundes­verfassungsgericht erneut zu dieser Thematik ­ge­äußert. Das ist ein passender Anlass, sich einmal mit den Leitlinien der Rechtsprechung zu diesen Themen zu ­befassen. Denn gerade vorwiegend im Wirtschaftsrecht tätige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gehen oftmals intuitiv von einer „safe harbor“-ähnlichen Stellung ihrer Kanzlei aus, die sich in der Realität aber weder aus der Strafprozessordnung (StPO) noch der verfassungsgericht­lichen Rechtsprechung ergibt.


BVerfG, Beschluss vom 21.07.2025 – 1 BvR 398/24


Der Entscheidung lag Folgendes zugrunde: Ein Rechts­anwalt (RA) hatte gegen eine ehemalige Mandantin (M) wegen streitiger Honorarforderungen Klage erhoben, diese hatte daraufhin gegen den Rechtsanwalt Strafanzeige wegen versuchten Betrugs erstattet. Die Staatsanwaltschaft ermittelte zunächst gegen den RA, stellte das Verfahren aber ­alsbald mangels Tatverdachts ein. Daraufhin erhob M Beschwerde und legte eine E-Mail der Adoptivtochter und ehemaligen Bürokraft des RA vor, in der diese behauptete, dass sie gehört habe, wie der RA die unberechtigte ­Geltendmachung der Honorarforderung besprochen habe. In der Folgezeit ist die Bürokraft in dem zivilgerichtlichen Verfahren und später auch von der Polizei als Zeugin gehört worden. Bei der Polizei hat sie ebenfalls belastende Angaben gemacht, aber einen anderen Ablauf als in der E-Mail geschildert. Die Akten des Zivilverfahrens zogen die ­Strafverfolgungsbehörden nicht bei. Daraufhin erließ das Amtsgericht einen Durchsuchungsbeschluss für die Kanzlei des RA, und diese fand auch statt. Eine Beschwerde beim Landgericht gegen den Durchsuchungsbeschluss blieb erfolglos. Hiergegen legte der RA Verfassungsbeschwerde ein.


Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde aus prozessualen Gründen als unzulässig erachtet und nicht zur Entscheidung angenommen, diese allerdings zum Anlass genommen, erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Durchsuchungsbeschlusses zu äußern und an die besonderen Anforderungen bei der Durchsuchung von Rechtsanwaltskanzleien zu erinnern: Der besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern gebiete bei der Anordnung der Durchsuchung die besonders sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der ­Verhältnismäßigkeit. Denn Ermittlungsmaßnahmen gegen Rechtsanwälte in der räumlichen Sphäre ihrer Kanzlei ­würden stets die Gefahr bergen, dass geschützte Daten von Nichtbeschuldigten, insbesondere den Mandanten des Rechtsanwalts, den Ermittlungsbehörden bekannt würden, obwohl die Betroffenen ihre Geheimnisse in der Anwaltskanzlei gerade sicher wähnen dürften. Dies berühre die Grundrechte der Mandanten; darüber hinaus liege der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege. Diese Belange verlangten eine besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit der Zwangsmaßnahme sogar dann, wenn der Rechtsanwalt selbst Beschuldigter in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren sei.


Weil es sich bei dem vorgeworfenen versuchten Betrug letztlich auch um keine schwerwiegende Straftat handele, hätten die Strafverfolgungsbehörden hier zunächst ver­suchen müssen, den Sachverhalt mit milderen Mitteln – beispielsweise der Beiziehung der Akten des Zivilverfahrens – weiter aufzuklären, bevor eine eingriffsintensive Durchsuchung der Kanzlei zulässig sei.


Grundsätzliche Anforderungen an die Durchsuchung einer Kanzlei


Für die Einordnung der Entscheidung ist es zunächst ­hilfreich, sich noch einmal die Voraussetzungen für die Durchsuchung einer Kanzlei überhaupt in Erinnerung zu rufen. Dabei ist grundlegend danach zu unterscheiden, ob der Rechtsanwalt selbst Beschuldigter ist (dann: § 102 StPO) oder ob er Nichtbeschuldigter ist und es allein um das Auffinden von Beweismitteln geht (dann: § 103 StPO).


Die Durchsuchung beim beschuldigten Rechtsanwalt


Für die Anordnung einer Durchsuchung nach § 102 StPO muss ein Anfangsverdacht bezüglich eines strafbaren Verhaltens des Rechtsanwalts vorliegen, und es muss zu vermuten sein, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln führt. Zudem muss die Durchsuchung wie alle strafprozessualen Zwangsmaßnahmen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen.


Für die Anordnung einer Durchsuchung reicht ein ein­facher Anfangsverdacht aus, wobei die Schwelle hier denkbar niedrig ist: Ein Anfangsverdacht liegt vor, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vor­liegen. Nur bloße Vermutungen oder rein theoretische Möglichkeiten einer Straftatbegehung reichen allerdings nicht aus.


Der Anfangsverdacht muss sich auf ein strafbares Verhalten eines der Rechtsanwälte der Kanzlei richten. Typische Beschuldigungen gegen Anwälte aus Wirtschaftskanzleien sind Betrug durch unzutreffenden Sachverhaltsvortrag in Zivilverfahren oder Beilhilfe zu Taten des Mandanten, ­beispielsweise zur Steuerhinterziehung oder bei Insolvenzdelikten. Eine solche Beihilfestrafbarkeit kommt zum Beispiel bei der Erstellung von sogenannten Gefälligkeits­gutachten in Betracht. Dass dies kein theoretisches Problem ist, hat kürzlich die Bestätigung der Verurteilung eines ehemaligen Partners einer Großkanzlei zu einer mehrjährigen Haftstrafe wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Beratung in Cum-Ex-Verfahren gezeigt (BGH, Beschluss vom 07.07.2025 – 1 StR 484/24). Zwar dürfe ein Anwalt auch Mindermeinungen vertreten, aber die Grenzen zur Beihilfe werde überschritten, wenn der Anwalt seinem Gutachten bewusst einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde lege oder beachtliche Gegenauffassungen ­verschweige.


Als weitere Voraussetzung für die Durchsuchung muss zu vermuten sein, dass in den durchsuchten Räumlichkeiten Beweismittel zu finden sind. An einer solchen Vermutung fehlt es aber beispielsweise, wenn die gesuchten Gegenstände von vornherein nicht als Beweismittel in Betracht kommen, weil sie einem Beweisverwertungsverbot unterliegen. In der Praxis ist vielfach der Irrtum anzutreffen, dass anwaltliche Handakten grundsätzlich beschlagnahmefrei sind und daher einem besonderen Schutz unterliegen. Zwar besteht ein solcher Schutz nach § 97 StPO in bestimmten Konstellationen, allerdings findet § 97 StPO keine Anwendung, wenn sich das Verfahren gegen den Rechtsanwalt selbst richtet (BGH, Urteil vom 27.03.2009 – 2 StR 302/08). Daher können Handakten in Ermittlungsverfahren gegen Rechtsanwälte grundsätzlich beschlagnahmt werden, so dass ihr Auffinden ein zulässiges Ziel einer Kanzleidurchsuchung darstellt.


Soweit diese beiden Voraussetzungen gegeben sind, muss die Durchsuchung auch verhältnismäßig sein. Hier gelten dann die oben dargelegten Anforderungen des BVerfG.


Die Durchsuchung beim nichtbeschuldigten ­Rechtsanwalt


Besteht kein Anfangsverdacht gegen den Rechtsanwalt selbst, kommt immer noch eine Durchsuchung nach § 103 StPO in Betracht: In dieser Konstellation richtet sich der Anfangsverdacht oftmals gegen den Mandanten, ohne dass der Anwalt an dessen Tat beteiligt ist. Eine Durchsuchung setzt hier dann nur voraus, dass Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich bestimmte Beweismittel in den Räumlichkeiten befinden.


In diesen Fällen ist aber § 97 StPO zu beachten. Besteht das Mandatsverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem beschuldigten Mandanten, unterfallen die zugehörigen Unterlagen regelmäßig dem Beschlagnahmeverbot. Hier gelten aber Rückausnahmen: Begründen Tatsachen den Verdacht, dass der Rechtsanwalt an der Tat oder an einer Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist, entfällt das Beschlagnahmeverbot. Gleiches gilt, wenn es sich um Gegenstände handelt, die durch eine Straftat hervorgebracht oder zur Begehung einer Straftat gebraucht oder bestimmt sind (vgl. zu einer solchen Kon­stellation: LG Hamburg, Beschluss vom 28.07.2025 – 608 KLs 5/25). Ebenso greift § 97 StPO nicht ein, wenn sich die Ermittlungen gegen Unternehmensmitarbeiter richten, das Mandatsverhältnis aber zu dem Unternehmen besteht und dem Unternehmen nicht mindestens eine beschuldigten­ähnliche Stellung zukommt (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 27.06.2018 – 2 BvR 1405/17 u.a.).


Auch bei der Durchsuchung nach § 103 StPO ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Dies gilt besonders mit Blick auf den Schutz von weiteren Mandanten der durchsuchten Kanzlei, die in überhaupt keinem Zusammenhang mit dem Verfahren stehen. Daher wird in diesen Konstellationen in der Praxis regelmäßig in Durch­suchungsbeschlüssen angeordnet, dass die Durchsuchung durch Herausgabe der gesuchten Beweismittel abgewendet werden kann (sogenannte Abwendungsbefugnis).


Fazit


In der Sache bietet die Entscheidung des BVerfG nichts Neues, sondern referiert lediglich noch einmal muster­gültig die bekannten Anforderungen an die Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei. Die Entscheidung ist aber dennoch von Bedeutung, weil gerade die Verhältnismäßigkeitsprüfung in der Praxis oftmals sehr floskelhaft erfolgt und Ermittlungsbehörden wenig Sensibilität an den Tag legen, wenn es um die Durchsuchung von Kanzleien geht. Betroffene Kanzleien sollten daher immer in Erwägung ­ziehen, gegen einen Durchsuchungsbeschluss rechtlich vorzugehen. Alles andere könnte ein Kunstfehler sein. In jedem Fall ist die Entscheidung eins: nämlich ein Wake-up-Call für Ermittlungsbehörden für die Grenzen zulässiger Ermittlungsarbeit.

Autor

Markus Hartung

Markus Hartung

Gründer und Senior Fellow am Bucerius Center on the Legal Profession
Mitglied des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, Berlin


markushartung@me.com
www.markushartung.com


Autor

Raoul Beth, Kanzlei Beth, Berlin

Raoul Beth

Kanzlei Beth, Berlin
Rechtsanwalt, Richter am Anwaltsgericht Berlin


beth@kanzlei-beth.de
www.kanzlei-beth.de