Als zuletzt im Juli 2025 der neue Commercial Court am Oberlandesgericht Frankfurt am Main seine Arbeit aufnahm, handelte es sich bereits um die siebte derartige Neugründung in Deutschland. Dabei ist den Bundesländern erst mit dem Inkrafttreten des Justizstandort-Stärkungsgesetzes am 01.04.2025 die Möglichkeit an die Hand gegeben worden, solche Spruchkörper für bestimmte große Wirtschaftsstreitigkeiten an Oberlandesgerichten oder einem Obersten Landesgericht einzurichten. Es ist damit festzustellen: Die Landesregierungen haben von der neuen Option zum Ausbau der Strukturen in der Zivilgerichtsbarkeit außerordentlich rasch und entschlossen Gebrauch gemacht.
Offensichtlich besteht ein hohes Interesse daran, der staatlichen Gerichtsbarkeit durch die Ergänzung der judiziellen Streitbeilegungsmöglichkeiten auch in jenen Rechtsgebieten wieder zu größerer Attraktivität zu verhelfen, in denen die Parteien zuletzt vermehrt die private Schiedsgerichtsbarkeit in Anspruch genommen haben. Diese Entwicklung ist nicht nur im Sinne eines in der Breite stark aufgestellten Justizstandorts, sondern auch im Interesse der Rechtsfortbildung zu begrüßen.
Ein Blick in die Länder zeigt auch: Unterschiedliche Wege können zum Ziel führen. Die Variantenvielfalt ist hoch und zeugt von dem Willen, die vom Bundesgesetzgeber vorgesehene Flexibilität der Länder durch verschiedene Modelle mit Leben zu füllen. Im Folgenden sollen die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten der bereits errichteten Commercial Courts beleuchtet werden. Die bereits ergriffenen Maßnahmen ebenso wie die Überlegungen in weiteren Ländern lassen auch in der nahen Zukunft eine dynamische Entwicklung der Commercial Courts erwarten. Gleiches gilt für die Commercial Chambers an den Landgerichten, die hier nicht im Vordergrund stehen sollen, die aber die Commercial Courts als Teil einer attraktiven Gesamtlösung für Wirtschaftsstreitigkeiten vielerorts ergänzen.
Commercial Courts in Deutschland: Vielfältige Angebote …
Die bereits errichteten Commercial Courts an den Oberlandesgerichten in Stuttgart, München, Bremen, Hamburg, Frankfurt am Main und Düsseldorf sowie am Kammergericht Berlin führen die Breite der Gestaltungsmöglichkeiten vor Augen, die den Ländern durch die neuen Regelungen des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG), insbesondere § 119b, eingeräumt wurden. Die Landesregierungen können insbesondere entscheiden, die Zuständigkeiten des Commercial Courts standortspezifisch auf ein eng zugeschnittenes Profil zuzuschneiden oder den Katalog möglicher Kompetenzen voll auszuschöpfen. Der Bundesgesetzgeber lässt die Einrichtung von Commercial Courts für folgende Streitigkeiten mit einem Streitwert ab 500.000 Euro zu:
- bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern mit Ausnahme von solchen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, des Urheberrechts sowie über Ansprüche nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb,
- Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Unternehmens oder von Anteilen an einem Unternehmen und
- Streitigkeiten zwischen einer Gesellschaft und den Mitgliedern ihres Leitungsorgans oder Aufsichtsrats.
Streitigkeiten über die Wirksamkeit oder Rechtmäßigkeit von Beschlüssen von Gesellschaftern oder Gesellschaftsorganen sowie andere Verfahren mit Erga-omnes-Wirkung sind aus dem Katalog der möglichen Kompetenzen bundesrechtlich ausgeschlossen.
Manchen Commercial Courts sind nun aus diesen Optionen ganz konkrete Sachmaterien zugeordnet worden, die oft auf die Stärken des jeweiligen Wirtschafts- und Justizstandorts ausgerichtet sind. So wird der Hanseatic Commercial Court Bremen neben Streitigkeiten zwischen Unternehmern über Ansprüche aus Fracht-, Speditions- und Lagergeschäften im Sinne des Vierten Buchs des Handelsgesetzbuchs sowie den im Fünften Buch des Handelsgesetzbuchs (Seehandel) geregelten Vertragstypen zum Beispiel auch über Streitigkeiten aus dem Bereich der zivilen Luftfahrt- und Weltraumtechnologie zu entscheiden haben. Die Einzelheiten ergeben sich – hier wie auch in den folgenden Fällen – aus dem jeweiligen Landesrecht.
Der Berliner Commercial Court hingegen ist für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern aus Bau- und Architektenverträgen sowie Ingenieurverträgen zuständig, soweit sie im Zusammenhang mit Bauleistungen stehen. In München schließlich liegt der Fokus neben den Streitigkeiten zwischen Gesellschaft und Mitgliedern des Leitungsorgans oder Aufsichtsrats auf Lieferkettenstreitigkeiten zwischen Unternehmern.
Demgegenüber gehen die Zuständigkeiten der Commercial Courts in Stuttgart, Frankfurt am Main und Düsseldorf vom bundesgesetzlichen Kompetenzkatalog aus, schränken aber insbesondere den Umfang der Zuständigkeit für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern auf bestimmte Sachmaterien ein: Stuttgart mit einer Spezialisierung auf gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, ebenso Düsseldorf, dort mit einer Ergänzung um Streitigkeiten aus bestimmten Verträgen im Zusammenhang mit Bauleistungen und aus Versicherungsvertragsverhältnissen, und Frankfurt am Main mit einem Fokus auf näher bezeichnete Handelssachen. Der Commercial Court in Hamburg schließlich schöpft den bundesgesetzlichen Rahmen vollständig aus, verwirklicht durch die sachgebietsbezogenen Zuweisungen im Geschäftsverteilungsplan aber gleichwohl eine Spezialisierung seiner beiden Senate.
… mit einheitlich attraktiven Verfahrensstandards
So vielfältig sich die Landschaft der Commercial Courts darstellt, so sehr verbindet alle neuen Spruchkörper vor allem zweierlei: ein schnelles, effizientes Verfahren und die besondere fachliche Spezialisierung auf große, auch internationale Wirtschaftsstreitigkeiten. Alle Commercial Courts entscheiden in der Besetzung dreier erfahrener Berufsrichterinnen und Berufsrichter. Sofern die Parteien sich hierauf geeinigt haben, wird das gesamte Verfahren in englischer Sprache geführt. Das bedeutet, dass nicht nur zum Beispiel englischsprachige Urkunden ohne Übersetzung in das Verfahren eingebracht und in der mündlichen Verhandlung in englischer Sprache vorgetragen werden können, sondern dass von der Klageschrift bis zu den schriftlichen Urteilsgründen sämtliche Schritte in englischer Sprache stattfinden. Ergänzende Regelungen der ZPO zur Beteiligung Dritter und zur Übersetzung einer vollstreckbaren Entscheidung in die deutsche Sprache stellen die Wahrung der Rechte weiterer Verfahrensbeteiligter und die zweifelsfreie Vollstreckbarkeit sicher.
Unabhängig von der gewählten Gerichtssprache übernimmt das Verfahren vor dem Commercial Court Instrumente, die bisher vor allem die Schiedsgerichtsbarkeit kennzeichneten: In einem Organisationstermin werden mit den Parteien so früh wie möglich Vereinbarungen über die Organisation und den Ablauf des Verfahrens getroffen, die eine zielgerichtete Durchführung des Prozesses gewährleisten. Auf übereinstimmenden Wunsch der Parteien ist zudem ein Wortprotokoll zu führen, das im Bedarfsfall auch mitlesbar sein kann, jeweils soweit dem keine tatsächlichen Gründe entgegenstehen. Damit ist immer dann eine genaue Protokollierung der Verhandlung gesichert, wenn es den Parteien auf den konkreten Wortlaut der Aussagen im Verfahren ankommt.
Gegen die Entscheidung des Commercial Courts steht den Parteien die Revision vor dem Bundesgerichtshof offen, ohne dass es hierfür einer Zulassung bedürfte. Damit wird einerseits die Überprüfbarkeit der Entscheidung durch das oberste Gericht der Zivilrechtspflege gewährleistet, diese andererseits aber im Sinne der Verfahrensbeschleunigung auf eine einzige Rechtsmittelinstanz begrenzt. Auf Antrag der Parteien kann der zuständige Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entscheiden, auch das Revisionsverfahren in englischer Sprache zu führen. Umgekehrt sind auch die Commercial Courts selbst Rechtsmittelinstanz, soweit der Landesverordnungsgeber dies vorsieht: Sie sind dann zuständig für die Berufung und die Beschwerde gegen Entscheidungen der Landgerichte, die den Bereich ihrer Zuständigkeit betreffen. Dies wird vor allem dort genutzt, wo am Landgericht eine Commercial Chamber eingerichtet ist und so ein integrierter – bei entsprechender Vereinbarung: englischsprachiger – Rechtszug für bestimmte Wirtschaftsstreitigkeiten entsteht. Die sachgebietsspezifische Spezialisierung des Commercial Courts wird auf diesem Wege noch umfänglicher gefördert.
Ausblick: Die Justiz bleibt in Bewegung
Noch bleibt abzuwarten, welche Erfahrungen die jungen Commercial Courts mit den neuen, einheitlichen Verfahrensvorschriften und den diversen Modellen ihrer Zuständigkeitsgestaltung sammeln werden. Erst das reale Prozessgeschehen wird zeigen, welche Innovationen unmittelbar auf Zuspruch stoßen und an welcher Stelle weitere Verbesserungen möglich scheinen. Es wird dann auch zu bewerten sein, ob länderübergreifende Kooperationen zur Schaffung gemeinsamer Commercial Courts, wie sie das Bundesrecht ermöglicht, ein Schritt zur weiteren Steigerung der Attraktivität des Justizstandorts für große Wirtschaftsstreitigkeiten sein können.
All dies wird im Rahmen der Evaluation des Justizstandort-Stärkungsgesetzes zu erörtern sein, die – um auf eine hinreichende Datengrundlage zurückgreifen zu können – frühestens fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes erfolgen soll. Bis zu diesem Zeitpunkt werden es Veränderungen an anderer Stelle sein, die bei weitem nicht nur die Commercial Courts betreffen: Mit den Verbesserungen, die der neue Pakt für den Rechtsstaat anstrebt – genannt seien hier nur die Reform der Prozessordnungen sowie die Bereitstellung von Bundesmitteln für die Schaffung zusätzlicher Stellen und die weitere Digitalisierung in der Justiz – wird das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wesentlich dazu beitragen, die gesamte Zivilgerichtsbarkeit weiter zu modernisieren und zu stärken.

