DisputeResolution ist eine Publikation der Produktfamilie Deutscher AnwaltSpiegel

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Problematisch, aber zulässig: Vorgerichtliche Vernehmung deutscher Zeugen

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Internationale Geschäftsbeziehungen sind in einer global vernetzten Welt nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Begleitet werden sie von grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten, die bereits auf prozessualer Ebene zahl­reiche Herausforderungen mit sich bringen. Eine besondere Hürde stellt die Beweisaufnahme im Ausland dar. Die Suche nach relevanten Beweismitteln erstreckt sich dann nicht nur auf den Staat, in dem der Prozess geführt wird, sondern geht über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus. Die Hoheitsrechte eines jeden Staates enden hingegen an dessen Grenzen. Als Konsequenz müssen Gerichte außerhalb ihrer Zuständigkeit die Behörde eines anderen Staates ersuchen, eine Beweisaufnahme vorzunehmen.

Der Beitrag befasst sich mit der Frage, ob und ggf. auf welche Weise eine vorgerichtliche Vernehmung („Deposition“) deutscher Zeugen im Rahmen US-amerikanischer „Pre-Trial Discovery“-Verfahren zulässig ist.

Hintergrund

Um die Übermittlung und Erledigung von Rechtshilfeersuchen bei der Erbringung von Beweismitteln zu erleichtern und die gegenseitige justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen, insbesondere zwischen „Civil Law“- und „Common Law“-Staaten, zu fördern, schlossen sich insgesamt 66 Staaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika, dem Haager ­Beweisaufnahmeübereinkommen (HBÜ) vom 18.03.1970 an. Beim HBÜ handelt es sich um einen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag, der es Gerichten oder Behörden der Vertragsstaaten in einem gewissen Umfang erlaubt, andere Vertragsstaaten um Rechtshilfe zu ersuchen. Eine ausdrückliche Regelung zur Erledigung ausländischer Rechtshilfe­ersuchen, die die Befragung eines deutschen Zeugen im Rahmen von „Pre-Trial Discovery“-Verfahren betreffen, enthält das HBÜ nicht. Artikel 23 HBÜ sieht – dem Wortlaut nach beschränkt auf den Urkundenbeweis – jedoch vor, dass ­jeder Vertragsstaat erklären kann, dass er Rechtshilfeersuchen nicht erledigt, „die ein Verfahren zum Gegenstand haben, das in den Ländern des ‚Common Law‘ unter der Bezeichnung ‚pre-trial discovery of documents‘ bekannt ist“. Die Einräumung dieses Erledigungsvorbehalts trägt den Bedenken der Vertragsstaaten hinsichtlich invasiver Ersuchen Rechnung, die auf die Ermittlung bisher unbekannter Tatsachen zum Zwecke der Präzisierung des Parteivorbringens gerichtet sind (Ausforschungsverbot).

Denn die eigentliche Sachverhaltsermittlung beginnt in einem US-amerikanischen Zivilprozess erst mit dem und durch das „Pre-Trial Discovery“-Verfahren. Im Rahmen dieses, dem eigentlichen Gerichtsverfahren vorgelagerten Verfahrens, sammeln die Parteien Fakten und Informationen, um ihre Ansprüche und ihre Verteidigung in dem sich anschließenden Gerichtsprozess darlegen zu können. Für das Verfahren vor einem Bundesgericht ist der Umfang des „Pre-Trial Discovery“ in Rule 26 (b) der Bundesverfahrensordnung (Federal Rules of Civil Procedure) geregelt. Danach kann eine Partei grundsätzlich nach allen Beweisen forschen, die relevant für den Rechtsstreit sind und nicht unter einen Privilegierungstatbestand fallen.

Neben einer Vielzahl weiterer Staaten machte auch Deutschland Gebrauch von der gemäß Artikel 23 eingeräumten Möglichkeit des Erledigungsvorbehalts. An die Stelle eines absoluten Vorbehalts ist am 01.07.2022 ein partikulärer Vorbehalt getreten. Hierdurch werden die Voraussetzungen für die Erledigung von Rechtshilfeersuchen im Sinne des Artikels 23 HBÜ normiert. Auf dieser Grundlage leistet die Bundesrepublik Deutschland auch Rechtshilfe für die „pre-trial discovery of documents“.

Zulässigkeit der Vernehmung eines deutschen Zeugen

In Ermangelung einer ausdrücklichen Regelung zur Erledigung ausländischer Rechtshilfeersuchen, die die Befragung eines deutschen Zeugen im Rahmen von „Pre-Trial Discovery“-Verfahren betreffen, wurde immer wieder die Frage aufgeworfen, ob die Regelung des Artikels 23 HBÜ auch auf diese Rechtshilfeersuchen übertragbar ist. Dem ­haben deutsche Gerichte wiederholt eine Absage erteilt, und zwar unter bestimmten Voraussetzungen auch dann, wenn das Rechtshilfeersuchen eine Zeugenvernehmung mit Fragen nach der Existenz und zu dem Inhalt bisher unbekannter Dokumente betrifft. Denn die Vernehmung eines Zeugen stellt auch in diesem Fall keine „pre-trial discovery of documents“ dar.

Die Vorbehaltsmöglichkeit in Artikel 23 HBÜ wird ­allein hinsichtlich des Beweismittels der Urkunde gewährt. ­Andere Formen der „Pre-Trial Discovery“, die nicht unter Artikel 23 HBÜ fallen, können auch nicht von vorn­herein unter Hinweis auf das deutsche Ausforschungsverbot ­gemäß Artikel 12 Abs. 1 lit. b) HBÜ abgelehnt werden. In der Rechtsprechung ist daher anerkannt, dass ein Ersuchen innerhalb einer „Pre-Trial Discovery“ jedenfalls dann nicht zu beanstanden ist, wenn es auf die Vernehmung ­eines Zeugen in Bezug auf den Inhalt spezifisch bezeichneter ­Urkunden gerichtet ist (BayObLG, Beschl. v. 06.11.2020 – 101 VA 130/20, BeckRS 2020, 31524 Rn. 6; OLG Karls­ruhe, Beschl. v. 13.12.2017 – 6 VA 12/17, WKRS 2017, 29067; OLG Celle, Beschl. v. 06.07.2007 – 16 VA 5/07, WKRS 2007, 35069 Rn. 23; OLG München, Beschl. v. 27.11.1980 – 9 VA 4/80, OLGZ 1981, 235, 239). Der Zeuge wird vor der Ausforschung von geheimen Informationen durch die Zeugenvernehmung über den Inhalt und die ­Umstände des Entstehens einer Urkunde ausreichend durch die Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechte des Artikels 11 HBÜ i.V.m. §§  383 Nr. 6, 384 Nr. 3 ZPO geschützt. Zusätzlich beschränken die Bestimmtheitsanforderungen an das ­Beweisthema gemäß Artikel 3 Abs. 1 lit. c), Abs. 2 lit. HBÜ die Möglichkeit der Ausforschung von Beweisen. Ohnehin besteht das Ausforschungsverbot nur zum Schutz des Beweisgegners, der grundsätzlich nicht verpflichtet ist, der beweisbelasteten Gegenpartei die Waffen zur Prozessführung bereitzustellen. Es gilt hingegen nicht im Interesse von Zeugen.

Durchführung der Zeugenvernehmung

Der Ablauf der „Deposition“ ist in den USA wesentlich ­anders ausgestaltet als bei der Erledigung des Rechts­hilfeersuchens in der Bundesrepublik. In dem amerikanischen vorgerichtlichen Beweisverfahren werden die Beweise ausschließlich von den Parteien und ihren Anwälten zusammengetragen. Die Beweisgewinnung erfolgt grundsätzlich also ohne Einschaltung des Gerichts. Während die „Deposition“ in den Vereinigten Staaten regelmäßig von dem Parteivertreter in dessen Kanzleiräumen durchgeführt wird, erfolgt sie in Deutschland gemäß Artikel 9 Abs. 1 HBÜ grundsätzlich durch den ersuchten deutschen Richter nach deutschem Verfahrensrecht. Zu berücksichtigen sind hierbei die besonderen Bestimmungen der §§ 127 ff. der Rechtshilfeordnung für Zivilsachen (ZRHO). Danach hat die Vernehmung stets durch einen Richter zu erfolgen, vgl. § 127 Abs. 3 ZRHO.

Die „Zentrale Behörde“, die jeder Vertragsstaat gemäß Artikel 2 HBÜ bestimmt, hat die Aufgabe, Rechtshilfeersuchen entgegenzunehmen und an das zuständige Rechtshilfe­gericht weiterzuleiten. Die Entscheidung über die Form der Beweisaufnahme ist in der Regel dem Rechtshilfegericht überlassen. Dies umfasst neben der Entscheidung darüber, ob die Zeugenvernehmung auf sämtliche der im Katalog vorgesehenen Fragen zu erstrecken ist, auch die Frage, ob ausländische Parteivertreter selbst Fragen an den Zeugen richten dürfen (vgl. § 397 ZPO). Gemäß Artikel 9 Abs. 2 HBÜ ist dem Antrag der ersuchenden Behörde, nach einer besonderen Form zu verfahren, dabei größtmöglicher Vorrang einzuräumen. Dies findet seine Grenze nur dort, wo die beantragte Form unmöglich oder mit nationalem Recht unvereinbar ist.

Fazit

Das „Pre-Trial Discovery“-Verfahren nach US-amerikanischem Recht unterscheidet sich wesentlich von der Beweisaufnahme im nationalen Zivilprozess. Ziel des vorprozessualen Beweisverfahrens ist es, den Parteien die Möglichkeit zu eröffnen, Fakten und Informationen zu sammeln, ­deren Beschaffung nicht oder nur schwer möglich ist. Die Zeugenvernehmung stellt hierbei ein gebräuchliches Beweismittel dar. Ihr kommt deshalb auch in Verfahren mit ­internationalem Bezug eine wesentliche Bedeutung zu. Die Vernehmung eines in Deutschland befindlichen Zeugen im Rahmen eines „Pre-Trial Discovery“-Verfahrens nach US-amerikanischem Recht ist insbesondere vor dem Hintergrund ihres zum Teil ausforschenden Charakters pro­blematisch. Gleichwohl wird die Erledigung eines entsprechenden Rechtshilfeersuchens von deutschen Gerichten als zulässig anerkannt, weil die tragenden Grundsätze des deutschen Verfahrensrechts und die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen durch die Anwendung deutschen Verfahrensrechts bei der Erledigung dieser Rechtshilfe­ersuche gewahrt werden.

 

Autor

Dr. Stephan Bausch, D.U. Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Köln Rechtsanwalt, Partner stephan.bausch@luther-lawfirm.com www.luther-lawfirm.com

Dr. Stephan Bausch, D.U.
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Köln
Rechtsanwalt, Partner

stephan.bausch@luther-lawfirm.com
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Autor

Chantal Schnitzler Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Köln Wissenschaftliche Mitarbeiterin Complex Disputes chantal.schnitzler@luther-lawfirm.com www.luther-lawfirm.com

Chantal Schnitzler
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Köln
Wissenschaftliche Mitarbeiterin Complex Disputes

chantal.schnitzler@luther-lawfirm.com
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