Am 04.07.2024 hat der Bundestag das Justizstandortstärkungsgesetz verabschiedet. Mit dem geplanten Inkrafttreten des Gesetzes am 01.01.2025 werden die Bundesländer zur Errichtung der neuen „Commercial Courts“ ermächtigt. Diese neuen Spruchkammern sind Teil des Modernisierungsvorhabens des Gesetzgebers, das mit dem Ziel beschlossen wurde, die deutsche Zivilgerichtsbarkeit für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten attraktiver zu machen. Anleihen hat man bei der Schiedsgerichtsbarkeit genommen, der man mit der beabsichtigten Stärkung des Justizstandorts Deutschland mehr Konkurrenz machen will.
Vorbild Schiedsgerichtsbarkeit
Der Gesetzgeber bedient sich in dem zukünftig für die Commercial Courts geltenden Abschnitt der Zivilprozessordnung (ZPO), den §§ 610 ff. ZPO, ausdrücklich an „bekannten und bewährten“ Praktiken der Schiedsgerichtsbarkeit, darunter der Case-Management-Konferenz. Auch in den Verfahren vor den Commercial Courts wird es daher grundsätzlich immer einen frühestmöglichen sogenannten Organisationstermin der Parteien mit dem Gericht geben. In diesem Termin wird unter anderem der Sach- und Streitstoff systematisiert und der Verfahrensfahrplan abgestimmt. Der Gesetzgeber geht damit ausdrücklich über die bereits seit 2020 bestehende Möglichkeit der Strukturierung und Abschichtung im Rahmen der materiellen Prozessführung gemäß § 139 ZPO hinaus.
Auch in einer weiteren Hinsicht gehen die Rechte der Parteien vor dem Commercial Court zukünftig über „altbewährte“ Regelungen der ZPO hinaus. Anders als in § 160 ZPO, nach dem in das Protokoll nur die „wesentlichen Vorgänge der Verhandlung […] aufzunehmen“ sind, haben die Parteien vor dem Commercial Court die Möglichkeit, durch übereinstimmenden Antrag ein mitlesbares Wortprotokoll zu erhalten. Die Transkription des Protokolls erfolgt dann auch nicht, wie üblich, nachträglich, sondern simultan.
Englisch als „echte“ Verfahrenssprache
Wesentliches Element der Internationalisierung des Verfahrens vor dem Commercial Court dürfte jedoch die Möglichkeit sein, das Verfahren auf Antrag der Parteien in englischer Sprache zu führen. Hier sind gemäß § 184a Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) jedoch erst noch die Bundesländer am Zug, die ermächtigt sind, mit Rechtsverordnung zu bestimmen, dass die Verfahren vor dem jeweiligen Commercial Court in englischer Sprache geführt werden. Denkbar ist also auch, dass ausschließlich deutschsprachige Commercial Courts eingerichtet werden. Ist Englisch als Gerichtssprache bestimmt, findet, anders als vor den bereits existierenden Kammern für internationale Handelssachen, nicht nur die mündliche Verhandlung, sondern das gesamte Verfahren in englischer Sprache statt.
Die Gerichtssprache ist in dem jeweiligen Verfahren allerdings nur dann Englisch, wenn die Parteien dies ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart haben oder sich die beklagte Partei auf eine englischsprachige Klageerhebung rügelos einlässt. Besonderheit ist hier, dass der Gesetzgeber für ein rügeloses Einlassen nicht allein die fehlende Rüge ausreichen lässt, sondern die Klageerwiderung rügelos und unter korrespondierender Verwendung der englischen Sprache erfolgen muss.
Zuständigkeit der Commercial Courts
Überzeugen die vorgenannten Regelungen die Parteien, können diese die Zuständigkeit des Commercial Courts durch eine Gerichtsstandsvereinbarung nach den Maßgaben des § 38 ZPO begründen. Bestimmen die Parteien nichts anderes, so ist diese Zuständigkeit eine ausschließliche. Ohne vorausgegangene Vereinbarung wird es für die klagende Partei nicht ratsam sein, den Commercial Court unmittelbar anzurufen. Denn diese werden an den Oberlandesgerichten beziehungsweise den Obersten Landesgerichten eingerichtet. Lässt sich die beklagte Partei also nicht rügelos ein, wird die in erster Instanz vor dem Oberlandesgericht erhobene Klage sehr wahrscheinlich an das Landgericht verwiesen werden müssen oder wegen Unzulässigkeit abgewiesen werden.
Besteht Interesse an einem Verfahren vor dem Commercial Court, aber haben sich die Parteien vorab nicht auf dessen Zuständigkeit verständigt, ist der klagenden Partei, um das Risiko der Unzuständigkeit nicht tragen zu müssen, zu raten, die Klage vor dem Landgericht zu erheben. Einer Bindung an das Landgericht entgeht sie in diesem Fall dadurch, dass sie die Klage bereits mit dem Antrag auf Verweisung an den jeweiligen Commercial Court verbindet. Mit Zustimmung der beklagten Partei verweist das Landgericht das Verfahren dann an den Commercial Court. Die Verweisung ist auch auf Antrag der beklagten Partei möglich, wenn diese die Klageerwiderung ihrerseits mit entsprechendem Antrag verbindet. Aus prozessökonomischer Sicht ist es sinnvoll, dass die Zustimmung der jeweils anderen Partei stets nur innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist – zur Klageerwiderung oder Replik – möglich ist.
Sachlich zuständig sind die Commercial Courts im Übrigen für alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten mit Ausnahme des gewerblichen Rechtsschutzes, des Urheberrechts und der Ansprüche nach dem Gesetz über den unlauteren Wettbewerb, sofern ausschließlich Unternehmen beteiligt sind. Daneben besteht eine sachliche Zuständigkeit nur, wenn der Rechtsstreit im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Unternehmens oder von Anteilen an einem Unternehmen steht sowie bei Streitigkeiten zwischen Gesellschaft und Mitgliedern des Leistungsorgans oder Aufsichtsrats. Neben der bewusst weiten sachlichen Zuständigkeit der Commercial Courts hat sich der Gesetzgeber, um die Fallzahlen zu erhöhen, im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zudem dazu entschieden, die ursprünglich vorgesehene Streitwertgrenze von einer Million Euro im beschlossenen Gesetzesentwurf auf 500.000 Euro zu senken.
Daneben: Mehr Geheimhaltung
Mit dem Justizstandortstärkungsgesetz verbunden sind neben der Einführung der Commercial Courts weitere Neuerungen. Dies betrifft vor allem den Geheimnisschutz. Der Gesetzgeber hatte die bisherigen Möglichkeiten und Regelungen der §§ 172 Nr. 2, 173 Abs. 3 beziehungsweise § 74 Abs. 3 Satz 1 GVG selbst für unzureichend erachtet. Daher wird es künftig möglich sein, bereits vor der mündlichen Verhandlung Geheimnisschutz zu erlangen, indem das jeweilige Gericht auf Antrag einer Partei die streitgegenständlichen Informationen als geheimhaltungsbedürftig einstuft. Bei der Entscheidung über die Geheimhaltungsbedürftigkeit orientiert sich der neue § 273a ZPO an den Vorgaben des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen („Geheimnisschutzgesetz“). Ergeht eine Geheimhaltungsanordnung, ist es den anderen Verfahrensbeteiligten über die Dauer des Verfahrens hinaus untersagt, die geschützte Information zu nutzen oder offenzulegen, es sei denn, dass von dieser außerhalb des Verfahrens Kenntnis erlangt worden ist. Damit schließt der Gesetzgeber die selbst erkannte Lücke, dass die gegnerische Partei im Verfahren erlangte Informationen zu eigenen Zwecken nutzen konnte.
Justizreform auf den Weg gebracht – aber auch das Ziel erreicht?
Mit Inkrafttreten des Justizstandortstärkungsgesetzes zum 01.01.2025 ist der Weg für die lang diskutierte Einführung der Commercial Courts frei geworden. Im ersten Schritt sind nun die Bundesländer an der Reihe, die Ermächtigung zu deren Errichtung auch umzusetzen. Insofern haben einige Bundesländer bereits Interesse zeigt: Am konkretesten wird man aktuell in Hamburg, wo es am Oberlandesgericht einen Commercial Court mit drei Senaten mit jeweils nach betroffenem Rechtsgebiet spezialisierten Zuständigkeiten geben soll.
Ob die deutsche Zivilgerichtsbarkeit durch die Einführung der Commercial Courts tatsächlich international konkurrenzfähiger geworden ist, lässt sich daher wohl nicht allein an der Bewertung der oben beschriebenen Neuerungen festmachen. Dies wird sich wohl erst dann klar abzeichnen, wenn absehbar geworden ist, ob die Möglichkeit die jeweiligen Senate, so wie es Hamburg vormacht, auf Rechtsgebiete zu beschränken, tatsächlich zu der erhofften fachlichen Spezialisierung führen und wie diese von den ins Auge gefassten großen Wirtschaftsunternehmen aufgenommen wird. Bis es beispielsweise den Senat für kartellrechtliche Streitigkeiten an einem Commercial Court eines deutschen Oberlandesgerichts gibt, dürften noch einige Jahre vergehen. Ohnehin nicht vorangekommen ist man im Hinblick auf die eigentlich abschreckenden Faktoren: Die Vollstreckbarkeit deutscher Urteile oder das materielle Recht (Stichwort: AGB).
Autor
Eva Wieczorek
CMS Hasche Sigle, Frankfurt am Main
Rechtsanwältin, Associate


