Der EuGH präzisiert die Anforderungen an asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen in Verträgen: Sie bleiben zumindest dann zulässig, wenn sie hinreichend bestimmt sind und sich auf Gerichte innerhalb der EU oder der Staaten des Lugano-Übereinkommens (LugÜ) beziehen. Bestehende Verträge sowie Vertragsmuster, welche eine solche Klausel enthalten, sollten auf möglichen Anpassungsbedarf geprüft werden.
In den europäischen Jurisdiktionen bestand bislang Uneinigkeit darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen als wirksam angesehen werden. Nun hat sich der EuGH mit Urteil vom 27.02.2025 (Az. C 537/23) mit der Zulässigkeit asymmetrischer Gerichtsstandsvereinbarungen auseinandergesetzt. Für deren Wirksamkeit kommt es maßgeblich auf die konkrete Ausgestaltung an.
Was versteht man unter einer asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarung?
Von einer asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarung spricht man, wenn die Parteien einen ausschließlichen Gerichtsstand vereinbaren, einer Partei jedoch zusätzlich das Recht eingeräumt wird, wahlweise an einem abweichenden Gericht zu klagen. Solche Klauseln finden sich häufig in grenzüberschreitenden Transaktionen, insbesondere im Bereich von Finanzierungen. Diese einseitige Wahlmöglichkeit verschafft der verhandlungsstärkeren Partei deutlich mehr Flexibilität: Im Streitfall kann sie das Gericht wählen, bei dem die Erfolgsaussichten am größten erscheinen, und dadurch ihre Vollstreckungsmöglichkeiten erheblich stärken. Trotz ihrer großen Beliebtheit in der Praxis sind asymmetrische Klauseln in der Rechtsprechung der Gerichte europäischer Mitgliedstaaten umstritten.
Ablehnung in Frankreich, Zustimmung in Deutschland und Italien
Insbesondere der französische Cour de Cassation äußerte Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit asymmetrischer Gerichtsstandsvereinbarungen, da die strukturelle Ungleichbehandlung der Parteien innerhalb eines Vertragsverhältnisses ausgeglichen werden müsse. In mehreren Verfahren ist daher entweder ein Verstoß gegen das französische nationale Recht oder gegen Art. 23 Brüssel-I-VO [VO (EG) 44/2001] beziehungsweise Art. 23 des Lugano-Übereinkommens 2007 (LuGÜ) angenommen worden. Keine Bedenken wiederum hatte Italien: Der Corte Suprema di Cassazione hat asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen als wirksam erachtet. Und auch der BGH wendet auf asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen die Brüssel-Ia-VO [VO (EU) 1215/2012] an, ohne die Zulässigkeit solcher Klauseln in Frage zu stellen. Diese uneinheitliche Handhabung durch die Gerichte der Mitgliedstaaten, insbesondere im Hinblick auf die Brüssel-Ia-Verordnung, führte zu Unsicherheiten hinsichtlich der Wirksamkeit asymmetrischer Gerichtsstandsvereinbarungen.
Zustimmung mit Einschränkungen durch den EuGH
Der Entscheidung des EuGH ging ein Verfahren vor französischen Gerichten voraus, das nach Vorlage an den EuGH ausgesetzt worden ist. Die französische Gesellschaft Agora SARL („Agora“), die von ihren Auftraggebern wegen mangelhafter Werkleistungen vor dem Tribunal de grande instance de Rennes verklagt worden war, erhob vor demselben Gericht Klage gegen die ebenfalls von den Auftraggebern mitverklagte italienische Gesellschaft Società Italiana Lastre SpA („SIL“). SIL hatte Agora Verkleidungspaneele geliefert. Im zugrundeliegenden Vertrag war eine Gerichtsstandsvereinbarung mit folgendem Wortlaut enthalten: „Das Gericht Brescia (Italien) ist für jeden Rechtsstreit zuständig, der aus oder in Zusammenhang mit dem vorliegenden Vertrag entsteht. (SIL) behält sich die Möglichkeit vor, gegen den Käufer vor einem anderen zuständigen Gericht in Italien oder im Ausland vorzugehen.“
Unter Berufung auf diese Klausel bestritt SIL die internationale Zuständigkeit der französischen Gerichte. Zuständig sei das Gericht in Brescia. Während die Instanzgerichte diese Zuständigkeitsrüge zurückwiesen, setzte der letztinstanzlich mit der Sache befasste Cour de Cassation das Verfahren aus und legte dem EuGH drei Fragen zur Auslegung von Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens vor. Kern dieser Vorlage war die Frage nach der Wirksamkeit und Vereinbarkeit einer asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarung mit der Brüssel Ia-VO.
Dem auf die Vorlage folgenden Urteil des EuGH lassen sich zwei zentrale Aussagen entnehmen:
Erstens stellte der EuGH klar, dass die Wirksamkeit asymmetrischer Gerichtsstandsvereinbarungen nicht nach nationalem Recht, sondern nach autonomen Kriterien des Art. 25 Abs. 1 der Brüssel Ia-VO zu beurteilen sei. Der Verweis in Art. 25 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz der Verordnung in das materielle Recht eines Mitgliedstaats sei dabei tendenziell eng auszulegen.
Zweitens präzisierte der EuGH, dass die Asymmetrie einer Gerichtsstandsvereinbarung im Hinblick auf die Brüssel-Ia-VO nicht automatisch deren Unwirksamkeit bedeute. Vielmehr müsse die Vereinbarung hinreichend bestimmt sein und dem Genauigkeitserfordernis des Art. 25 der Brüssel Ia-VO genügen. Zudem dürfe sie nicht gegen den in der Verordnung vorgesehenen Schutz für Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen verstoßen. Das Erfordernis der Genauigkeit sieht der EuGH zumindest dann als gewahrt an, wenn der privilegierten Partei lediglich die Möglichkeit eingeräumt wird, bestimmte Gerichte eines Mitgliedstaats oder eines Vertragsstaats des LugÜ sowie darüber hinaus weitere zuständige Gerichte unter Verweis auf die Zuständigkeitsregeln der Brüssel-Ia-VO oder des LugÜ anzurufen. Eine Grenze zieht der EuGH jedoch bei der Formulierung „ein anderes zuständiges Gericht […] im Ausland“, da in diesem Fall auch Gerichte von Drittstaaten gemeint sein könnten. Eine solche Formulierung würde die durch die Brüssel Ia-VO verfolgten Ziele der Vorhersehbarkeit, Transparenz und Rechtssicherheit gefährden. Denn in einem solchen Fall könnte das zuständige Gericht nicht mehr verlässlich anhand von Unionsrecht bestimmt werden, da die Bezeichnung möglicherweise von den internationalen Privatrechtsvorschriften von Drittländern abhängig wäre. Ein solcher Rutsch in das IPR von Drittstaaten würde das Risiko von Kompetenzkonflikten erheblich erhöhen.
Aus dem Urteil des EuGH lassen sich folgende Schlüsse ziehen:
- Legt die Gerichtsstandsvereinbarung eine ausschließliche Zuständigkeit in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem Vertragsstaat des LugÜ fest, ist ein zusätzliches asymmetrisches Recht eines Vertragspartners weiterhin zulässig, sofern sich dieses auf ein nach der Brüssel-Ia-VO oder dem LugÜ zuständiges Gericht bezieht.
- Legt die Gerichtsstandsvereinbarung hingegen eine ausschließliche Zuständigkeit in einem Drittstaat fest, findet die Brüssel Ia-VO keine Anwendung. Art. 25 Brüssel-Ia-VO erfasst solche Konstellationen nicht. Die Zulässigkeit einer solchen Gerichtsstandsvereinbarung bestimmt sich dann – mangels völkerrechtlicher Regelungen – aus Sicht eines deutschen Gerichts nach den §§ 38, 40 ZPO.
Ausblick
Nach der Entscheidung des EuGH empfiehlt es sich, asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen bei bestehenden Verträgen auf mögliche Verstöße gegen die Rechtsprechung des EuGH zu überprüfen. Insbesondere, da ein solcher Verstoß potentiell zur Unwirksamkeit der gesamten Klausel führen kann. Wird die gesamte Gerichtsstandsvereinbarung aufgrund der Unwirksamkeit des asymmetrischen Teils wegen eines Verstoßes gegen das Genauigkeitserfordernis für unwirksam erklärt, bestimmt sich die Zuständigkeit des Gerichts anschließend nach den gesetzlichen Zuständigkeitsregeln. Da die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen von ihrem Wortlaut, dem Sitz der Parteien, dem Belegungsort der betroffenen Vermögensgegenstände und den sonstigen Beteiligten am Verfahren abhängig ist, sind auch weiterhin Konstellationen denkbar, welche durch die Entscheidung des EuGH nicht direkt geregelt werden. So bleibt beispielsweise offen, ob das Genauigkeitserfordernis auch durch Benennung anderer objektiver Kriterien gewahrt werden könnte. Es bleibt zu hoffen, dass die verbliebenen Unsicherheiten – insbesondere mit Blick auf Art. 25 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz Brüssel-Ia-VO – durch weitere Entscheidungen des EuGH in Zukunft ausgeräumt werden, um auch weiterhin standfeste Gerichtsstandsvereinbarungen in Verträgen zu ermöglichen.



