Am 12.09.2025 hat der Ständige Ausschuss des 14. Nationalen Volkskongresses der Volksrepublik China (VR China) die Revision des chinesischen Schiedsgesetzes (Arbitration Law of the People’s Republic of China / 中华人民共和国仲裁法) verabschiedet. Das Gesetz (im Folgenden: Schiedsgesetz n.F.) tritt am 01.03.2026 in Kraft.
Die Novelle ist die umfassendste Reform des chinesischen Schiedsrechts seit seiner Einführung im Jahr 1994 und bringt zentrale Reformen, um das Schiedsrecht an internationale Standards heranzuführen, Verfahren effizienter zu gestalten und den Bedürfnissen grenzüberschreitender Streitigkeiten besser gerecht zu werden. Gleichzeitig geht die Novelle in einigen Punkten nicht ganz so weit, wie der im Jahr 2021 veröffentlichte Reformentwurf, über den bereits in Ausgabe 01/2022 dieses Online-Magazins berichtet worden ist (siehe hier).
Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über die wichtigsten Neuerungen der Novelle im Vergleich zur bisher geltenden Rechtslage und dem früheren Entwurf, insbesondere für Schiedsverfahren mit Auslandsbezug, und zeigt auf, welche Implikationen diese Änderungen für die Praxis haben.
Erweiterung des Anwendungsbereichs auslandsbezogener Schiedsverfahren
Das chinesische Schiedsgesetz enthält ein spezielles Kapitel mit Bestimmungen für auslandsbezogene Schiedsverfahren, das diese weiter an die internationale Schiedsgerichtspraxis anpasst. Art. 65 des derzeit geltenden Schiedsgesetzes definiert dabei auslandsbezogene Fälle als Streitigkeiten, die sich aus wirtschaftlichen, handelspolitischen, transportbezogenen oder Seerechtsangelegenheiten mit ausländischem Bezug ergeben. Art. 78 des Schiedsgesetzes n.F. erweitert diesen Anwendungsbereich und umfasst nun auch allgemein Streitigkeiten mit Auslandsbezug. Entsprechend zu anderen Gesetzen und deren Auslegung in der VR China dürften daher nunmehr auch Fälle umfasst sein, in denen eine Vertragspartei ein ausländischer Staatsangehöriger oder Einwohner ist, der Vertragsgegenstand oder die Vertragserfüllung im Ausland liegt oder der Vertrag im Ausland unterzeichnet oder gekündigt worden ist. Damit erweitert sich der Anwendungsbereich von Fällen mit Auslandsbezug, in denen die nachfolgend dargestellten, neuen Regelungen zum Schiedsort, zu Ad-hoc-Verfahren und zu ausländischen Institutionen greifen.
Gesetzliche Verankerung des Schiedsorts („Seat of Arbitration“)
Einer der zentralen Fortschritte der Reform ist die ausdrückliche gesetzliche Verankerung des Schiedsorts (seat of arbitration / 仲裁地) im neuen Art. 81 des Schiedgesetzes n.F. Während das bisherige Recht keinen klaren Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Schiedsorts bot und sich die „Nationalität“ eines Schiedsspruchs nicht nach dem Schiedsort, sondern nach dem Sitz der verwaltenden Schiedsinstitution richtete, wird künftig der Schiedsort ausschlaggebend sein. Haben die Parteien keinen Schiedsort vereinbart, wird dieser nach den Schiedsregeln bestimmt; sehen diese ebenfalls keine Regelung vor, kann das Schiedsgericht den Sitz unter Berücksichtigung der Umstände und einer effizienten Streitbeilegung selbst festlegen.
Damit folgt China nun für Verfahren mit Auslandsbezug weitgehend dem internationalen Territorialitätsprinzip. Hiernach bestimmt der Schiedsort die Nationalität des Schiedsspruchs, das anwendbare Verfahrensrecht und die gerichtliche Zuständigkeit für Aufhebung oder Unterstützung des Verfahrens. Nach bisheriger Rechtslage galt ein Schiedsspruch hingegen selbst dann als ausländisch, wenn der Schiedsort in der VR China lag, das Verfahren aber von einer ausländischen Institution administriert wurde. Er musste daher etwa nach dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vollstreckt werden. Dies ist nun nicht mehr notwendig und der Schiedsspruch kann als inländischer vollstreckt werden.
Für ausländische Parteien bedeutet diese Änderung mithin Erleichterungen in der Vollstreckung, bringt größere Rechtssicherheit und erleichtert die Anerkennung chinesischer Schiedssprüche im Ausland – umgekehrt aber auch deren Aufhebung in der VR China.
Behutsame Öffnung für Ad-hoc-Schiedsverfahren
Besonders aufmerksam ist die geplante Einführung von Ad-hoc-Schiedsverfahren verfolgt worden. Nach dem derzeitigen Schiedsgesetz sind Ad-hoc-Schiedsverfahren grundsätzlich nicht zulässig. Der Entwurf von 2021 hätte Ad-hoc-Schiedsverfahren hingegen in allen auslandsbezogenen Streitigkeiten erlaubt und damit eine bemerkenswerte Änderung der Gesetzeslage geschaffen. Auch Schiedsinstitutionen wie die CIETAC oder die SHIAC hatten in Erwartung dieser Gesetzesänderung bereits ihre Schiedsregeln zur Unterstützung von Ad-hoc-Verfahren angepasst. Der endgültige Gesetzestext erlaubt Ad-hoc-Schiedsverfahren nun tatsächlich – allerdings nur in engen Grenzen (vgl. Art. 82 Schiedsgesetz n.F.). Zulässig sind Ad-hoc-Verfahren ausschließlich in auslandsbezogenen Streitigkeiten in Seerechtsangelegenheiten und zwischen Unternehmen, die in Pilot-Free-Trade-Zonen oder im Freihandelshafen Hainan registriert sind, sowie in weiteren von der Regierung bestimmten Gebieten. Die Qualifikation der Schiedsrichter muss zudem strengeren gesetzlichen Anforderungen genügen, als noch im ersten Entwurf vorgesehen. Die unterstützende Funktion von staatlichen Gerichten ist ebenfalls eingeschränkt worden.
Die Endfassung bleibt mithin gegenüber der früheren Entwurfsfassung zurückhaltender und wahrt den Vorrang institutioneller Schiedsgerichtsbarkeit, öffnet jedoch die grundsätzliche Möglichkeit für Ad-hoc-Schiedsverfahren. Allerdings bleibt es in der aktuellen Novelle im Gegensatz zu der früheren Entwurfsfassung dabei, dass eine Schiedsvereinbarung zu ihrer Wirksamkeit nicht nur eine Willenserklärung zur Unterwerfung unter die Schiedsgerichtsbarkeit und den Gegenstand der Schiedsvereinbarung enthalten muss, sondern auch eine bestimmte Schiedsinstitution bezeichnen muss (Art. 27 Schiedsgesetz n.F.). Dieses Element ist bei der Vereinbarung eines Ad-hoc-Schiedsverfahrens nicht gegeben, so dass insoweit eine Rechtsunsicherheit bestehen bleibt.
Ebenfalls nur behutsame Öffnung für ausländische Schiedsinstitutionen
Das neue Recht gestattet in Art. 86 Abs. 2 Schiedsgesetz n.F. erstmals ausdrücklich, dass ausländische Schiedsinstitutionen Zweigstellen in China eröffnen – allerdings nur in bestimmten Sonderzonen (etwa Freihandelshafen Hainan, Pilot-Free-Trade-Zonen). Diese Niederlassungen dürfen Verfahren in auslandsbezogenen Fällen administrieren, müssen sich jedoch einem klaren Regulierungsrahmen und der staatlichen Aufsicht unterwerfen.
Für internationale Parteien entsteht so die Möglichkeit, Streitigkeiten in China unter der Administration vertrauter Institutionen (etwa SIAC, HKIAC oder ICC) auszutragen – ein Schritt, der die Attraktivität des Standorts stärkt, ohne die staatliche Kontrolle vollständig aufzugeben.
Der frühere Entwurf deutete in Art. 12 noch eine weitergehende Öffnung an: Eine Registrierung von Zweigstellen im gesamten Gebiet der VR China war hiernach möglich; die Endfassung beschränkt sich auf bestimmte Gebiete und koppelt die Tätigkeit an Genehmigungen.
Kompetenz-Kompetenz nur eingeschränkt
Die Reform verankert nun ausdrücklich den Gedanken der Kompetenz-Kompetenz: Das Schiedsgericht darf über seine eigene Zuständigkeit entscheiden, einschließlich über Einwände zur Gültigkeit der Schiedsvereinbarung. Art. 31 des Schiedsgesetzes n.F. ermächtigt das Schiedsgericht oder die Schiedsgerichtsinstitution, auf Antrag einer Partei über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden. Es sieht vor, dass die Parteien, wenn sie die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung bestreiten, eine Entscheidung der Schiedsgerichtsinstitution, des Schiedsgerichts oder des Volksgerichts beantragen können. Die Novelle sieht im Übrigen auch vor, dass eine Schiedsvereinbarung als gegeben gilt, wenn eine Partei das Bestehen einer Schiedsvereinbarung geltend macht und die andere Partei dies vor der ersten Verhandlung nicht bestreitet und das Schiedsgericht dies festgestellt und protokolliert hat. Beantragt eine Partei eine Entscheidung der Schiedsgerichtsinstitution oder des Schiedsgerichts, während die andere Partei eine Entscheidung des Volksgerichts beantragt, hat jedoch die Entscheidung des Volksgerichts Vorrang, so dass das Prinzip eingeschränkt bleibt.
Gesetzliche Anerkennung digitaler Schiedsverfahren
Erstmals erwähnt das Gesetz in Art. 11 n.F. digitale Schiedsverfahren und lässt diese ausdrücklich zu. Anhörungen, Beweiserhebungen und Verfahrenshandlungen können nun vollständig elektronisch durchgeführt werden – nicht nur, wenn Parteien dies ausdrücklich vereinbaren, sogar auch dann, wenn sie nicht ausdrücklich widersprechen. Damit wird die bereits in der Praxis verbreitete digitale Verfahrensführung rechtlich abgesichert. Für internationale Parteien mit Sitz in unterschiedlichen Jurisdiktionen ist dies ein wichtiger Schritt zur Effizienzsteigerung.
Mehr Effizienz durch neue Fristen
Das neue Gesetz sieht verkürzte Fristen für die Aufhebung von Schiedssprüchen vor. Die Frist zur Beantragung der Aufhebung wird künftig auf drei Monate (statt sechs Monate) begrenzt (Art. 72 n.F.).
Bewertung und Ausblick
Das neue chinesische Schiedsrecht bringt eine deutliche Annäherung an internationale Standards, bleibt aber konservativ in sensiblen Bereichen wie der Ad-hoc-Schiedsgerichtsbarkeit und der Rolle der Gerichte. Für die Praxis bedeutet das:
- Sorgfältige Vertragsgestaltung bleibt nach wie vor entscheidend – ebenso wie die strategisch und rechtlich sinnvolle Verfahrensführung im Streitfall.
- Wer die Flexibilität von Ad-hoc-Verfahren sucht, sollte dies sorgfältig prüfen und gestalten.
- Institutionelle Verfahren bieten weiterhin den sichersten Rahmen.
- Der Schiedsort gewinnt an Bedeutung und sollte ausdrücklich bestimmt werden.
- Digitale Verfahren eröffnen neue Effizienzpotentiale, erfordern aber technologische und datenschutzrechtliche Vorbereitung.
Wie sich die Reform in der Anwendung bewährt, wird maßgeblich von der gerichtlichen Praxis und der Umsetzung durch Schiedsinstitutionen abhängen. Klar ist: Die VR China setzt mit dieser Reform ein Signal für mehr Rechtsklarheit und Modernisierung – ohne ihre Kontrolle vollständig aufzugeben.
Autor

Katharina Klenk-Wernitzki, Dipl. Reg.-Wiss. (China)

