Steuerliche Begünstigung für unternehmerisches Vermögen
Die unentgeltliche Übertragung unternehmerischen Vermögens zu Lebzeiten oder von Todes wegen ist unter bestimmten Voraussetzungen und vorbehaltlich der Beachtung nachlaufender Halte- und Lohnsummenfristen von der Erb- und Schenkungsteuer befreit. Der sachliche Anwendungsbereich der Steuerbefreiung umfasst unter anderem das inländische Betriebsvermögen von Einzelunternehmen oder von gewerblichen bzw. gewerblich geprägten Personengesellschaften sowie Anteile an Kapitalgesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung im EU/EWR-Raum.
Für geschenktes und vererbtes Unternehmensvermögen, das nicht aus schädlichem Verwaltungsvermögen wie etwa Bankguthaben, Forderungen, Wertpapieren, fremdvermieteten Grundstücken oder Edelmetallen besteht, sieht das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) im Grundsatz eine 85%ige Befreiung von der Schenkung- bzw. Erbschaftsteuer vor. Die Übertragung von schädlichem Verwaltungsvermögen ist dagegen stets voll steuerpflichtig, soweit kein persönlicher Freibetrag existiert. Diese sogenannte Regelverschonung wird seitens der Finanzverwaltung von Amts wegen berücksichtigt, wenn der Wert des vom Schenker/Erblasser innerhalb von zehn Jahren auf den jeweils Begünstigten übertragenen unternehmerischen Vermögens (ohne schädliches Verwaltungsvermögen) 26 Millionen Euro nicht übersteigt.
Anstelle der Regelverschonung gewährt die Finanzverwaltung unter gesteigerten Voraussetzungen – vor allem darf der Anteil des schädlichen Verwaltungsvermögens am Gesamtwert des übertragenen Unternehmensvermögens höchstens 20% betragen – und auf gesonderten Antrag die sogenannte Vollverschonung. Diese führt zu einer vollständigen Befreiung des übertragenen Unternehmensvermögens von der Schenkung- beziehungsweise Erbschaftsteuer, wenn der Wert des vom Schenker/Erblasser innerhalb von zehn Jahren auf den jeweils Begünstigten übertragenen Unternehmensvermögens (ohne schädliches Verwaltungsvermögen) 26 Millionen Euro nicht übersteigt. Im Unternehmensvermögen enthaltenes schädliches Verwaltungsvermögen ist wiederum stets voll steuerpflichtig, soweit kein persönlicher Freibetrag existiert.
Grundvoraussetzung für die Anwendung sowohl der Regel- als auch der Vollverschonung ist allerdings das erfolgreiche Durchlaufen des sogenannten 90%-Einstiegstests, den der Gesetzgeber aufgrund der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG vom 17.12.2014, 1 BvL 21/12) mit der Erbschaftsteuerreform 2016 eingeführt hat. Damit das im Grundsatz begünstigungsfähige Unternehmensvermögen tatsächlich von der Schenkung- beziehungsweise Erbschaftsteuer befreit wird, muss der Wert des schädlichen Verwaltungsvermögens weniger als 90% des Gesamtwerts des Unternehmens ausmachen.
Berücksichtigung betrieblicher Schulden im Rahmen des 90%-Einstiegstests
Die Berücksichtigung betrieblicher Schulden im Rahmen des 90%-Einstiegstests ist umstritten. Die Finanzverwaltung vertritt in den Erbschaftsteuerrichtlinien die Rechtsauffassung, dass der 90%-Einstiegstest auf Grundlage einer Bruttobetrachtung durchzuführen ist (R E 13b.10 Satz 3 f. ErbStR 2019). Danach wird das Verwaltungsvermögen ohne Verrechnung mit unternehmerisch veranlassten Schulden in das Verhältnis zum Gesamtwert des Unternehmens gestellt. Sofern dieses Bruttoverwaltungsvermögen 90% oder mehr des Gesamtwerts des Unternehmens ausmacht, entfallen die steuerlichen Begünstigungen für das gesamte übertragene unternehmerische Vermögen (sogenannte Fallbeilwirkung).
Diese Ansicht der Finanzverwaltung wird in der Fachliteratur mitunter stark kritisiert, weil sie zumindest im Ergebnis auch unstreitig operativ tätige Unternehmen mit wenig Sachanlagevermögen bzw. hoher Umlaufintensität und einem hohen Fremdkapitalanteil allein aufgrund ihres Geschäftsmodells benachteiligt (vgl. zur Kritik etwa Geck, in: Kapp/Ebeling, ErbStG, 93. Lfg., § 13b Rn. 74). Der folgende Beispielfall verdeutlicht die Problematik:
A ist Alleingesellschafter der A-GmbH und beabsichtigt eine Schenkung sämtlicher von ihm gehaltener Geschäftsanteile an seinen Sohn S. Der im vereinfachten Ertragswertverfahren ermittelte Wert der zu übertragenden Geschäftsanteile soll am geplanten Übertragungsstichtag 50.000 Euro betragen und größer sein als der Substanzwert.
Die Bilanz der A-GmbH stellt sich vereinfacht wie folgt dar (siehe Abb. 1):
Nach Auffassung der Finanzverwaltung würde der 90%-Einstiegstest nach § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG nicht bestanden, weil die Quote des Bruttoverwaltungsvermögens im Verhältnis zum Unternehmenswert 110% ([40.000 + 15.000] / 50.000 Euro) und damit nicht weniger als 90% beträgt. Die Übertragung der Geschäftsanteile an der A-GmbH wäre insgesamt nicht begünstigt. Wird das Verwaltungsvermögen für die Zwecke des 90%-Einstiegstests hingegen unter Verrechnung mit betrieblichen Schulden bestimmt, beträgt die Quote des Verwaltungsvermögens im Verhältnis zum Unternehmenswert 0% ([40.000 + 15.000 – 55.000] / 50.000 Euro) und der 90%-Einstiegstest würde bestanden.
Wie das Beispiel zeigt, erschwert die Rechtsanwendung durch die Finanzverwaltung die Umsetzung von Unternehmensnachfolgen. Aus dem Markt bekannt sind beispielsweise Fälle, in denen Unternehmern mit einem hohen Forderungs- und Barbestand bei gleichzeitig hoher Schuldenquote infolge einer verweigerten Schuldenverrechnung sämtliche steuerlichen Begünstigungen verwehrt wurden, obwohl bei unterstellter Schuldenverrechnung ein derart niedriger Bestand an Verwaltungsvermögen vorlag, dass sogar die gesteigerten gesetzlichen Voraussetzungen der Vollverschonung von der Schenkung- bzw. Erbschaftsteuer erfüllt worden wären. Erschwerend kommt hinzu, dass die Schenkung- bzw. Erbschaftsteuer als Stichtagssteuer ausgestaltet ist und der Bestand des Verwaltungsvermögens zum Stichtag entweder nur mit Restunsicherheiten prognostizierbar oder – im Erbfall – schlicht unplanbar ist. Bis zum Stichtag eintretende operative Geschäftsvorfälle (zum Beispiel außergewöhnlich hohe Warenverkäufe, Valutierung von Darlehen) können folglich gravierende steuerliche Nachteile für die Beteiligten verursachen, woraus die Notwendigkeit einer taggenauen Überwachung etwa von Zahlungseingängen folgt.
Entscheidung des BFH
In seinem Urteil vom 13.09.2023 (II R 49/21) ist der Bundesfinanzhof (BFH) der Auffassung der Finanzverwaltung entgegengetreten und hat den Abzug betrieblich veranlasster Schulden zumindest für Handelsunternehmen, die im Hauptzweck gewerblich tätig sind (§ 15 Abs. 1 Satz 1 EStG), auch im Rahmen des 90%-Einstiegstests zugelassen. Dem Wortlaut des Gesetzes (§ 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG) könne zwar entnommen werden, dass eine Schuldenverrechnung nicht stattfinden soll. Der Wortlaut der Vorschrift sei jedoch nicht frei von Widersprüchen. Unter Berücksichtigung von Systematik, Telos und Entstehungsgeschichte der Norm sei zudem jedenfalls bei Unternehmen, die nach ihrem Hauptzweck einer originär gewerblichen Tätigkeit nachgehen und bei denen keine Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Inanspruchnahme der steuerlichen Begünstigungen vorliegen, eine Schuldenverrechnung zuzulassen.
Praxisfolgen
Die Entscheidung des BFH ist zu begrüßen. Ein bestandener 90%-Einstiegstest führt für sich genommen zwar noch nicht zu einer vollständigen Befreiung des zu übertragenden unternehmerischen Vermögens von der Schenkung- bzw. Erbschaftsteuer. Vielmehr ist weiterhin eine detaillierte Analyse unter Berücksichtigung des zu ermittelnden Werts des Betriebsvermögens, der (jungen) Finanzmittel, des (jungen) Verwaltungsvermögens und der betrieblichen Schulden erforderlich. Insbesondere für Unternehmen mit vergleichsweise wenig Sachanlagevermögen, einer hohen Umlaufintensität (zum Beispiel Dienstleistungsunternehmen) oder einer hohen Fremdkapitalquote schafft die Entscheidung jedoch zusätzliche Optionen für die Gestaltung der vorweggenommenen Erbfolge.
Der Sachverhalt betraf ein Unternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft. Die durch den BFH aufgestellten Grundsätze dürften für Personengesellschaften und Einzelunternehmen entsprechend gelten. Offen bleibt, wie die „Hauptzweckprüfung“ im Detail zu erfolgen hat. Insoweit werden sich mitunter komplexe Abgrenzungsfragen stellen, vor allem bei Unternehmen mit einem vielfältigen Unternehmenszweck wie etwa einer teils gewerblichen und teils vermögensverwaltenden Betätigung oder in Konzernstrukturen mit vermögensverwaltenden Tochtergesellschaften.
Sofern bei Handelsunternehmen die Befreiung von der Schenkung- bzw. Erbschaftsteuer aufgrund eines nicht bestandenen 90%-Einstiegstests durch die Finanzverwaltung versagt wurde, ist zu prüfen, ob es zweckmäßig ist, den Erbschaft- beziehungsweise Schenkungsteuerbescheid mit einem Hinweis auf die ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung anzufechten. Abzuwarten bleibt schließlich, ob die Entscheidung des BFH von der Finanzverwaltung über den Einzelfall hinaus angewendet und – falls dem so sein sollte – ob die Finanzverwaltung eine Stellungnahme zum Anwendungsbereich und zu weiteren Einzelheiten der Hauptzweckprüfung veröffentlichen wird.
Autor
Michael Tommaso
Noerr, Berlin
Rechtsanwalt, Steuerberater, Partner

