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BGH bejaht Kartellschadensersatz auch für geleaste Lkw

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Am 05.12.2023 hat der Kartellsenat des Bundes­gerichtshofs (BGH) ein weiteres wegweisendes Urteil in Sachen Kartellschadensersatz gefällt, das den Anspruch auf Ersatz kartellbedingter Schäden auch für Leasingnehmer und Mietkäufer von Lastkraft­wagen festlegt. Die Entscheidung erging im Fall einer ­Klage gegen die (ehemalige) Daimler AG, die 2016 zusammen mit anderen Herstellern wegen kartellrechtswidriger Absprachen von der Europäischen Kommission ­belangt worden ist und ein Bußgeld in Höhe von rund einer Milliarde Euro zu zahlen hatte.

Sachverhalt

Die Klägerin, ein mittelständisches Unternehmen im Baustoffhandel, hatte von 2005 bis 2012 zwölf Lastkraftwagen auf Grundlage von Leasing- und Mietkaufverträgen der Daimler AG und verbundener Hersteller genutzt. Im ­Jahr 2011 nahm die Kommission aufgrund einer Anzeige von MAN unangekündigte Nachprüfungen (Dawn Raids) in den Geschäftsräumen der Kartellanten vor. Im Juli 2016 einigten sich die fünf Lkw-Hersteller MAN, Volvo/­Renault, Daimler, Iveco und DAF mit der Kommission auf Bußgeldzahlungen in Höhe von rund 2,93 Milliarden Euro. MAN wurde ein Bußgeld in Höhe von 1,2 Milliarden Euro aufgrund der Kronzeugenregelung erlassen, da MAN das Kartell bei der Kommission angezeigt hatte. Auf die Beklagte, die Daimler AG, entfiel ein Bußgeld in Höhe von rund 1 Milliarde Euro.

Ein sechster Hersteller, Scania, wollte im Rahmen der Kartelluntersuchung nicht mit der Kommission kooperieren. Scania ist sodann im September 2017 von der Kommission mit rund 880 Millionen Euro bebußt worden. Eine Klage Scanias gegen den Bußgeldbescheid hat das Gericht der Europäischen Union (EuG) im Februar 2022 abgewiesen und den Bußgeldbescheid bestätigt. Das EuG stellte fest, dass die Kommission weder die Unschuldsvermutung verletzt noch andere von Scania bemängelte Fehler begangen habe.

Die Kommission und nun auch das EuG stellten fest, dass die Hersteller gegen EU-Wettbewerbsrecht verstoßen hätten, unter Zugrundelegung folgender Vorwürfe:

  • Koordinierung der Bruttolistenpreise für mittel­schwere und schwere Lastkraftwagen im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Unter dem Bruttolistenpreis ist der Herstellerpreis ab Werk zu verstehen. Diese Brutto­listenpreise dienen als Grundlage für die Preisbildung in der Lkw-Industrie. Für den Endpreis, den der Käufer schließlich für einen Lkw zahlt, werden diese Brutto­listenpreise an nationale und lokale Gegebenheiten ­angepasst.
  • Absprache des Zeitplans für die Einführung von Emissionssenkungstechnologien für mittlere und schwere Lastkraftwagen in Reaktion auf die zunehmend strengeren europäischen Emissionsnormen (von Euro III bis zur derzeit gültigen Abgasnorm Euro VI)
  • Weitergabe der Kosten für die Emissionssenkungstechnologien, deren Einführung zur Einhaltung der zunehmend strengeren europäischen Emissionsnormen (von Euro III bis zur derzeit gültigen Abgasnorm Euro VI) erforderlich war, an die Kunden

Die Klägerin forderte vor dem Landgericht Magdeburg Schadensersatz in Höhe von 51.683,51 Euro, was das Landgericht durch Urteil vom 08.01.2020 (7 O 302/18) abgewiesen hat. Das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg hatte dagegen mit Urteil vom 30.07.2021 (7 Kart 2/20) einen Schadensersatz aus elf der zwölf Leasing- und Mietkaufverträge dem Grunde nach bejaht.

In der Berufung erkannte das OLG Naumburg die Klage für elf Verträge zwischen 2005 und 2011 als gerechtfertigt an, während es die Klage für einen 2012 geschlossenen Vertrag abwies. Die Beklagte legte Revision ein, unterstützt von weiteren Kartellanten als Streithelferinnen.

Das streitgegenständliche Geschäft der Daimler AG befindet sich seit 2021 in der Daimler Truck Holding AG; diese Gesellschaft entstand mit Wirkung zum 01.12.2021 durch Abspaltung der Daimler Truck AG von der Daimler AG.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Mit dem Urteil vom 05.12.2023 hat der BGH die ­Revision der Daimler AG abgewiesen und das Berufungsurteil ­bestätigt, indem er einen vorsätzlichen Verstoß gegen das EU-Wettbewerbsrecht und das deutsche Kartellrecht feststellte. Die Bindung an die Feststellungen im Kommissionsbeschluss und die Beteiligung der Beklagten an der Koordinierung der Bruttolistenpreise sind bestätigt ­worden.

Die Feststellungen der Kommission zum Verstoß gegen das Kartellverbot nach Art. 101 AEUV sind nach § 33 Abs. 4 GWB 2005 bindend. Dabei ist es unerheblich, ob die Wettbewerbsverletzung durch ein reguläres Bußgeldverfahren oder durch Vergleichsverhandlungen festgestellt worden ist. Dies könne, so bereits im Urteil des BGH vom 23.09.2020 (KZR 35/19) entschieden, durch die Lkw-Hersteller nicht widerlegt werden.

Das wettbewerbsbeschränkende Verhalten ist als schadensbegründend anerkannt worden, da die Klägerin Leasing- und Mietkaufverträge über betroffene Lastkraft­wagen abgeschlossen hatte. Die Klägerin erlitt aufgrund der Kartellabsprachen mit hoher Wahrscheinlichkeit ­einen Schaden. Erfahrungsgemäß liegen die durch ­Kartelle erzielten Preise über denen ohne wettbewerbs­beschränkende Absprachen.

Auch insoweit entschied der BGH bereits durch Urteil vom 23.09.2020 (KZR 35/19), dass Kartellabsprachen in aller Regel höhere Preise zur Folge haben. Sind von einem Kartell mit hoher Marktabdeckung über einen längeren Zeitraum Preise abgestimmt worden, ist anzunehmen, dass diese in der Regel höher liegen als ohne wettbewerbsbeschränkendes Kartell – auch dann, wenn nur die Listenpreise und nicht die Transaktionspreise vereinbart worden sind. Eine Schadenskausalität nach § 33 Satz 1 GWB 1999, § 33 Abs. 3, Abs. 1 GWB 2005 und § 823 Abs. 2 BGB sei damit anzunehmen.

Festgestellt worden ist nunmehr, dass dies auch für die von Leasingnehmern oder Mietkäufern an Finanzierungsgesellschaften zu zahlenden Entgelte gelte, wenn die Verträge auf die vollständige Deckung des Anschaffungspreises abzielen. Angesichts der Dauer, der Schwere und der Marktabdeckung des Kartells gewann der Erfahrungssatz an Gewicht. Die Beklagte Daimler AG konnte zudem ihre Behauptung nicht überzeugend erklären, warum die Preiskoordinierung wirkungslos geblieben sei.

Fazit

Es ist zu begrüßen, dass der BGH mit seinen Segel­anweisungen nach und nach mehr Klarheit in die relativ komplexen Verfahren des Kartellschadensersatzes bringt. Auch das BGH-Urteil vom 05.12.2023 trägt dazu bei. Das Urteil wird weitreichende Auswirkungen auf die Möglichkeit von Leasingnehmern und Mietkäufern haben, Schadensersatz wegen kartellbedingter Preiserhöhungen zu fordern. Das Urteil beruht auf einer klaren Rechtsprechung bezüglich des Kartellverstoßes der Beklagten und hebt die Erfahrungssätze hervor, die die Schadensbegründung für die Klägerin stützen. Der Fall wird nun an das Landgericht Magdeburg zur Feststellung der genauen Schadenshöhe zurückverwiesen. Angesichts der Dauer eines solchen Verfahrens sind auch die laufenden Zinsen zu bedenken, was zudem den Vergleichsdruck seitens der Kartellanten sicherlich erhöhen wird.

 

Autor

Dr. Sebastian Jungermann ARNECKE SIBETH DABELSTEIN, Frankfurt am Main Rechtsanwalt, Partner sebastian.jungermann@asd-law.com www.asd-law.com

Dr. Sebastian Jungermann
ARNECKE SIBETH DABELSTEIN, Frankfurt am Main
Rechtsanwalt, Partner

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