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No-Poach-Agreements kartellrechtlich auf dem Prüfstand

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Die aus den USA stammende Praxis, Kartellabsprachen auf dem Arbeitsmarkt zu verfolgen, hat mittlerweile auch in der Europäischen Union Fuß gefasst. Die Europäische Kommission hat mit einem Beschluss vom 02.06.2025 (AT.40795) erstmals No-Poach-Agreements mit Bußgeldern geahndet. Kurz danach verhängte auch die französische Kartellbehörde (Autorité de la concurrence – Adlc) hohe Bußgelder wegen illegaler Abwerbeverbote (Adlc, Beschluss Nr. 25-D-03 vom 11.06.2025). Diese Verfahren zeigen: Unternehmen können sich nicht durch kartellrechtswidrige Abwerbeverbote vor dem Verlust qualifizierter Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen schützen und so den „War for Talents“ gewinnen, ohne sich dem Wettbewerb zu stellen.

Was ist unter No-Poach-Agreements zu verstehen?

No-Poach-Agreements sind Vereinbarungen, in denen Unternehmen vereinbaren, keine Mitarbeiter einer anderen Partei anzuwerben („Non-Solicitation“) oder einzustellen („No hire“). Solche Absprachen können sowohl in Verträgen als auch informell in Form sogenannter Gentlemen’s Agreements getroffen werden. Kartellbehörden stehen solchen Absprachen kritisch gegenüber, da sie die Wahlmöglichkeit der Mitarbeiter und damit den Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte einschränken. Abwerbeverbote können sich daher negativ auf deren Gehälter, Arbeitsbedingungen und Entwicklungschancen auswirken und die effiziente Zuweisung produktiver Mitarbeiter in produktiven Unternehmen verhindern. Dies kann sich wiederum nachteilig auf den Outputmarkt auswirken, etwa durch weniger Innovation, und letztlich auch den Verbrauchern schaden. Daher stufen Kartellbehörden No-Poach-Agreements in der Regel – ebenso wie Wage-Fixing-Agreements, also Absprachen über Gehälter und sonstige Vergütungen oder Leistungen – als schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen ein. Sie sind nur in bestimmten Konstellationen gerechtfertigt, z.B. zum Schutz erworbener Vermögenswerte beim Unternehmenskauf oder bei Auftragsverhältnissen (siehe dazu weiter unten).

Wie die EU-Kommission No-Poach-Agreements ahndet

In der vergangenen Dekade sind Arbeitsmärkte zunehmend in den Fokus der Kartellbehörden gerückt. Nachdem mehrere nationale Kartellbehörden No-Poach-Agreements zum Teil im Rahmen umfassender wettbewerbswidriger Praktiken sanktioniert haben (siehe z.B. Frankreich, Litauen und Portugal), hat die Europäische Kommission im Jahr 2024 sogenannte Leitlinien veröffentlicht. Diese sollen zum einen als Warnung gegenüber Unternehmen dienen und andererseits den nationalen Kartellbehörden eine Orientierung bei der Bewertung von Abwerbeverboten nach Art. 101 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bieten. Denn No-Poach-Agreements werden meist von den nationalen Kartellbehörden geprüft, da Arbeitsmärkte in der Regel national abgegrenzt sind.

Umso interessanter ist daher der Beschluss der Europäischen Kommission im Fall der Essenslieferdienste Delivery Hero und Glovo, in dem die Behörde erstmals Abwerbeverbote sanktioniert hat. Delivery Hero hatte im Rahmen seiner Minderheitsbeteiligung an Glovo „Shareholders’ Agreements“ abgeschlossen, die gegenseitige No-Hire-Klauseln für Führungskräfte ohne zeitliche oder räumliche Beschränkung enthielten.

Nachdem Glovo versuchte hatte, andere Mitarbeiter von Delivery Hero abzuwerben, einigten sich die Parteien zusätzlich auf ein generelles Abwerbeverbot für die gesamte Belegschaft in Form eines Non-Solicitation-Agreements.

Die Europäische Kommission entschied im Einklang mit ihren Leitlinien, dass sowohl die Abwerbeverbote in den Shareholders’ Agreements als auch das generelle Abwerbeverbot als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen einzustufen sind. Das bedeutet, dass die Kommission deren Auswirkungen auf den Markt nicht prüfen muss. Es war daher irrelevant, ob die Parteien qualifiziertes Personal auch von Drittunternehmen hätten abwerben können.

Die Abwerbeverbote wurden nicht isoliert betrachtet, sondern gemeinsam mit weiteren wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen, wie dem Austausch sensibler Informationen und der Aufteilung räumlicher Märkte, geprüft. Die Gesamtsumme der verhängten Bußgelder beläuft sich auf beachtliche 329 Millionen Euro.

Es bleibt allerdings abzuwarten, ob No-Poach-Agreements auch künftig noch pauschal als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen qualifiziert werden können. In einem laufenden Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH, C‑133/24) zu Abwerbeverboten zwischen portugiesischen Fußballvereinen hat der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen die Auffassung vertreten, dass solche Absprachen nicht als bezweckte Beschränkungen einzustufen sind, wenn ihr tatsächlicher Zweck darin besteht, Fairness und Integrität des durch die Pandemie beeinträchtigten sportlichen Wettbewerbs zu gewährleisten.

Zoom auf Frankreich: Eine Stand-alone-Sanktionierung von Abwerbeverboten

Nur wenige Tage nach der Brüsseler Entscheidung erging der erste Beschluss der französischen Kartellbehörde ausschließlich zu Abwerbeverboten. In einem Kronzeugenverfahren verhängte sie ein Bußgeld in Höhe von rund 30 Millionen Euro gegen Unternehmen aus den Bereichen Ingenieurwesen, Technologieberatung und IT-Dienstleistungen, die No-Poach-Agreements als Gentlemen’s Agreements abgeschlossen hatten. Die Behörde schloss sich der Rechtsauffassung der Europäischen Kommission an und entschied, dass No-Poach-Agreements bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen darstellen. Entscheidend war, dass die betroffenen Mitarbeiter für das reibungslose Funktionieren des Unternehmens unverzichtbar waren und aufgrund ihrer strategischen Position einen zentralen Wettbewerbsfaktor zwischen den Unternehmen darstellten.

Erstmals befasste sich die Autorité auch mit Abwerbeverboten, wie sie typischerweise in Subunternehmerverhältnissen vereinbart werden. Diese Klauseln wurden jedoch nicht als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen gewertet, da sie nur bestimmte, für die Auftragserfüllung relevante Mitarbeiter betrafen und zeitlich begrenzt waren.

Praxisempfehlungen für Unternehmen

Aus der Praxis der Europäischen Kommission und der französischen Kartellbehörde lassen sich folgende Leitplanken ableiten:

  • Unternehmen sollten besonders vorsichtig sein, wenn Personal einen zentralen Wettbewerbsfaktor darstellt. Darauf können ein hoher Anteil der Personalkosten an den Gesamtausgaben, Fachkräftemangel oder eine hohe Personalfluktuation hinweisen.
  • Wettbewerb um Personal besteht nicht zwingend nur innerhalb derselben Branche/Industrie. Auch Unternehmen, die auf unterschiedlichen Produkt- oder Dienstleistungsmärkten aktiv sind, können trotzdem im Wettbewerb um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen.
  • Wenn Abwerbeverbote vereinbart werden, müssen sie stets auf einen konkreten Anlass bezogen und für dessen Durchführung objektiv erforderlich sein. Gerechtfertigt sind Abwerbeverbote z.B. im Zusammenhang mit Unternehmenskäufen, Kooperationen oder Auftragsverhältnissen. Im Zweifel sollte Rechtsrat eingeholt werden.
  • Abwerbeverbote sollten den Kreis der Betroffenen präzise und möglichst eng fassen und nur für einen begrenzten Zeitraum gelten.
  • Eine im Abwerbeverbot vorgesehene Entschädigung sollte nicht so hoch sein, dass sie eine abschreckende Wirkung entfaltet, damit eine punktuelle Abwerbung weiterhin möglich bleibt.
  • Abwerbeverbote sollten stets das „letzte Mittel“ sein: Unternehmen müssen prüfen, ob der Zweck nicht auch durch weniger wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen erreicht werden kann, z.B. durch Mindestbeschäftigungsdauer oder anteilige Rückzahlung von Ausbildungskosten.

Abwerbeverbote, die im Zusammenhang mit einem konkreten Projekt (z.B. einem Unternehmenskauf, einer Kooperation oder einem Auftragsverhältnis) vereinbart werden, können als erforderliche „Nebenabrede“ kartellrechtlich zulässig sein. Hierbei ist Folgendes zu beachten:

  • Abwerbeverbote müssen für die Transaktion beziehungsweise den Vertrag objektiv notwendig und verhältnismäßig sein (z.B. zum Schutz von eingebrachtem Know-how bei Entwicklungskooperationen oder zum Schutz der erworbenen Vermögenswerte bei Unternehmenskäufen). Die Bewertung ist im Einzelfall zu treffen. Im Zweifel sollte Rechtsrat eingeholt werden.
  • Abwerbeverbote müssen auch zeitlich und räumlich auf das Erforderliche beschränkt sein. Auch hier ist die Bewertung im Einzelfall maßgeblich.
  • Abwerbeverbote, die darauf abzielen, den Wert der Interessen von Investoren zu schützen, sollten nicht auf Gegenseitigkeit beruhen und für alle Käufer gleichermaßen gelten.

Ausblick

Unternehmen sollten sich darauf einstellen, dass der Arbeitsmarkt künftig noch stärker in den Fokus der Kartellbehörden rücken wird, sei es im Kontext der Fusionskontrolle oder bei Kartellabsprachen.

No-Poach-Agreements werden zunehmend isoliert geprüft und sanktioniert: Nach mehreren Entscheidungen der portugiesischen Kartellbehörde (siehe die Pressemitteilungen vom 19.02.2025, 04.04.2024 und 25.01.2024) und dem französischen Beschluss hat auch die slowakische Kartellbehörde ein (wenn auch symbolisches) Bußgeld gegen einen Verband verhängt, der Abwerbeverbote zwischen seinen Mitgliedern forciert hatte. Ende 2024 hat zudem die Europäische Kommission Durchsuchungen im Bereich des Rechenzentrumsbaus wegen des Verdachts auf No-Poach-Agreements durchgeführt. Auf nationaler Ebene sind derzeit u.a. Verfahren vor der belgischen, polnischen, portugiesischen und rumänischen Kartellbehörde anhängig.

Es dürfte daher nur eine Frage der Zeit sein, bis auch das Bundeskartellamt in diesem Bereich tätig wird. Auf der letzten Arbeitstagung der Studienvereinigung Kartellrecht in Bonn im Dezember 2024 erklärte der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, dass diese Thematik auch für das Amt von zentraler Bedeutung sei. Bereits 2016 hatte das Bundeskartellamt ein Bußgeld im Bereich der Personalmärkte wegen eines Informationsaustauschs über Personalkostensätze verhängt (siehe die Pressemitteilung).

Die Praxis zeigt: Abwerbeverbote sind nicht per se verboten, werden aber nur unter engen Voraussetzungen toleriert. Um das Bußgeldrisiko zu minimieren, sollten Unternehmen jede personalbezogene Vereinbarung mit anderen Unternehmen sorgfältig kartellrechtlich prüfen und ihre kartellrechtlichen Compliance-Management-Systeme auf Arbeitsmarktfragen ausweiten. 

Autor

Dr. Daniel Dohrn Oppenhoff, Köln Partner, Rechtsanwalt

Dr. Daniel Dohrn

Oppenhoff, Köln
Partner, Rechtsanwalt


daniel.dohrn@oppenhoff.eu
www.oppenhoff.eu


Autor

Dr. Agnès Reinhold Oppenhoff, Köln Avocate (Frankreich), Associate

Dr. Agnès Reinhold

Oppenhoff, Köln
Avocate (Frankreich), Associate


agnes.reinhold@oppenhoff.eu
www.oppenhoff.eu