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Die Stuttgarter Musterklausel

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Der Commercial Court Baden-Württemberg bietet als bisher einziger Spruchkörper dieser Art in Deutschland eine Musterklausel zur Vereinbarung der Zuständigkeit des Commercial Courts Baden-Württemberg an. Dieser Beitrag bespricht die Stuttgarter Musterklausel und ordnet sie in das System der neugeschaffenen Commercial Courts ein.

Die Einführung von Commercial Courts in Deutschland

Mit dem am 01.04.2025 in Kraft getretenen Justizstandortstärkungsgesetz verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, Deutschland als attraktiven Gerichtsstand für komplexe, internationale Wirtschaftsstreitigkeiten zu positionieren. Kern des Gesetzesvorhabens ist der neu eingeführte § 119b Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Dadurch werden die Länder ermächtigt, Commercial Courts bei den Oberlandesgerichten einzurichten. Die Commercial Courts sind Senate bei den Oberlandesgerichten, die in erster Instanz über bestimmte Wirtschaftsstreitigkeiten ab einem Streitwert von 500.000 Euro entscheiden. Die Begründung der Zuständigkeit eines Commercial Courts verlangt eine ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Parteien oder zumindest ein rügeloses Einlassen. In Ergänzung zu den Commercial Courts können die Länder an den Landgerichten sogenannte Commercial Chambers einrichten (§ 184a Gerichtsverfassungsgesetz – GVG). Die Zuständigkeit der Commercial Chambers kann sich auf mehrere Landgerichtsbezirke erstrecken und ist insbesondere für Wirtschaftsstreitigkeiten gedacht, die die Streitwertgrenze von 500.000 Euro nicht erreichen.

Die bisherige Ausgestaltung der Commercial Courts in den einzelnen Bundesländern variiert jedoch stark. Die Zuständigkeit mancher Commercial Courts ist auf bestimmte Sachgebiete beschränkt, andere nutzen die Zuständigkeit von § 119b GVG voll aus. Erhebliche regionale Unterschiede gibt es bei den Commercial Chambers, die nicht in allen Bundesländern vorgesehen sind, deren sachliche Zuständigkeit teilweise von der Spezialisierung des darüberstehenden Commercial Courts abweicht und bei denen auch nicht immer gewährleistet ist, dass Rechtsmittel gegen die Entscheidung einer Commercial Chamber bei einem Commercial Court landen. Während diese Uneinheitlichkeit Kritik erfährt, wird das Stuttgarter Modell als positives Beispiel hervorgehoben (vgl. zum Beispiel Peter Bert, Realitätscheck Commercial Courts, beck-aktuell vom 22.04.2025, siehe hier).

Das Stuttgarter Modell basiert insbesondere auf einer klaren Spezialisierung des Commercial Courts auf gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, Organstreitigkeiten und Post-M&A-Verfahren. Begleitend dazu wurden Commercial Chambers (eine Zivilkammer und zwei Handelskammern) am Landgericht Stuttgart eingerichtet, die aufgrund einer Zuständigkeitskonzentration für die gleichen Streitigkeiten im gesamten OLG-Bezirk Stuttgart zuständig sind und deren Entscheidungen in der Berufung vom Commercial Court überprüft werden. Aus Nutzersicht besonders erfreulich ist, dass der Commercial Court Baden-Württemberg ein Muster für eine Gerichtsstandsvereinbarung in deutscher und englischer Sprache zur Verfügung stellt, das im Folgenden näher betrachtet werden soll.

Die Stuttgarter Musterklausel im Detail

Ziffer 1: Gerichtsstandsvereinbarung

Ziffer 1 der Musterklausel beinhaltet zunächst eine klassische Gerichtsstandsvereinbarung gemäß § 38 Zivilprozessordnung (ZPO) zur Vereinbarung eines ausschließlichen internationalen und örtlichen Gerichtsstands in Stuttgart. Diese Gerichtsstandsvereinbarung wird den übrigen Klauseln vorangestellt, um die internationale und örtliche Zuständigkeit in Stuttgart zu begründen. Zur Vereinbarung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Commercial Courts reicht eine solche allgemeine Prorogation aber noch nicht aus, da § 119b Abs. 2 GVG eine Vereinbarung über die Zuständigkeit speziell des Commercial Courts erfordert. Außerdem ist zu bedenken, dass insbesondere an M&A-Fällen oder Organstreitigkeiten Verbraucher beteiligt sein können und ihnen die kaufmännische Prorogation nach § 38 Abs. 1 ZPO verwehrt ist. Nach § 119b Abs. 1 Nr. 2 und 3 GVG sollen aber auch solche Streitigkeiten den Commercial Courts insgesamt zugewiesen werden können.

Ziffer 2: Erstinstanzliche Zuständigkeit

Ziffer 2 enthält deshalb zusätzlich eine Vereinbarung der ausschließlichen erstinstanzlichen Zuständigkeit des Commercial Courts Baden-Württemberg, sofern die Streitigkeit in eines der in § 7 Abs. 2 Zuständigkeitsverordnung Justiz Baden-Württemberg (ZuVoJu BW) spezifizierten Sachgebiete fällt und die in § 119b Abs. 1 GVG genannte Streitwertschwelle erreicht. § 7 Abs. 2 ZuVoJu BW gestaltet die Zuständigkeitsermächtigung von § 119b Abs. 1 GVG aus und begründet die Zuständigkeit des Commercial Courts für (1) bürgerliche Streitigkeiten zwischen Unternehmern auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts, (2) Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Erwerb von mindestens 3% der Anteile an einem Unternehmen und (3) Streitigkeiten zwischen einer Gesellschaft und ihren Organen. Dabei wird davon ausgegangen, dass eine Vereinbarung über die Zuständigkeit des Commercial Courts nach § 119b Abs. 2 GVG unabhängig von den Voraussetzungen von § 38 ZPO zulässig ist, also insbesondere auch Verbrauchern offensteht.

Da sowohl der Zuschnitt an Zuständigkeiten in § 7 Abs. 2 ZuVoJu BW als auch die aktuelle Streitwertgrenze von 500.000 Euro geändert werden können, nimmt die Musterklausel auf die jeweils gültige Fassung der entsprechenden Normen Bezug. Eine Klauselgestaltung mit einer statischen Verweisung wäre ebenso denkbar.

Ziffer 3: Auffangzuständigkeit der Commercial Chambers

Ziffer 3 regelt die Auffangzuständigkeit der Commercial Chambers am Landgericht (LG) Stuttgart, soweit die Streitigkeit in die erwähnten Sachgebiete von § 7 Abs. 2 ZuVoJu BW fällt, aber die Streitwertgrenze nicht erreicht wird. Die Klausel ist sprachlich als Bekräftigung der Einigkeit der Parteien im Hinblick auf die Zuständigkeit der Commercial Chambers ausgestaltet, weil die Zuständigkeit einzelner Spruchkörper grundsätzlich nicht prorogationsfähig ist. Die Klausel stellt deshalb auch klar, dass sich die funktionelle Zuständigkeit der Commercial Chambers nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen richtet.

Letztlich ergibt sich die Zuständigkeit der Commercial Chambers also nicht aus dieser Ziffer 3, sondern aus der allgemeinen Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart oder der Gerichtsstandsvereinbarung in Ziffer 1. Eine Parteivereinbarung ist für die Zuständigkeit der Commercial Chambers nicht erforderlich. Unabhängig davon erscheint eine klarstellende Klausel zur Zuständigkeit der Commercial Chambers, wie in der Musterklausel vorgeschlagen, dennoch hilfreich.

Erwähnenswert ist, dass eine Commercial Chamber selbst dann zur Entscheidung des Streits berufen sein kann, wenn die Streitigkeit außerhalb der in § 7 Abs. 2 ZuVoJu BW geregelten Sachgebiete des Commercial Courts angesiedelt ist. Nach dem aktuellen Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Stuttgart sind die entsprechenden Kammern im LG-Bezirk Stuttgart auch für sonstiges Gesellschaftsrecht (unter anderem Beschlussmängelstreitigkeiten), Handelsgeschäfte mit Streitwert über eine Million Euro und als Handelskammer für Spruchverfahren sowie besondere Verfahren nach dem Aktiengesetz, GmbH-Gesetz und Umwandlungsgesetz zuständig. Dadurch wird eine breite Auffangzuständigkeit der Commercial Chambers für verwandte Wirtschaftsstreitigkeiten gewährleistet.

Gefährdet erscheint die Auffangzuständigkeit der Commercial Chambers Stuttgart aber in bestimmten Situationen mit Verbraucherbeteiligung, in denen zwar ein Sachgebiet nach § 7 Abs. 2 ZuVoJu BW einschlägig ist, die Streitwertgrenze zum Commercial Court aber nicht erreicht wird und nach den allgemeinen Regeln keine örtliche Zuständigkeit im OLG-Bezirk Stuttgart begründet werden kann. In diesen Fällen scheitert die Prorogation nach Ziffer 1 bzw. § 38 Abs. 1 ZPO an der fehlenden Kaufmannseigenschaft einer Partei, so dass das Landgericht Stuttgart trotz Zuständigkeitskonzentration zugunsten der Commercial Chambers für den gesamten OLG-Bezirk nicht örtlich zuständig wäre. Abhilfe schaffen könnte allerdings ein rügeloses Einlassen oder eine nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO.

Ziffer 4: Verfahrenssprache

Ziffer 4 schlägt zwei Regelungsvarianten für Deutsch oder Englisch als Verfahrenssprache vor. Beide Varianten sind mit dem praktisch sinnvollen Zusatz verbunden, dass die Parteien auf die Übersetzung von Dokumenten in der jeweils anderen Sprache verzichten. Trotz des weiten Wortlauts der Klausel ist eine vollständige Verfahrensführung auf Englisch nur dann gewährleistet, wenn der Spruchkörper als Commercial Court oder Commercial Chamber im Sinne von § 184a Abs. 1 GVG tätig ist (also zum Beispiel nicht am Landgericht in Sachgebieten außerhalb von § 119b Abs. 1 GVG in Verbindung mit §§ 7, 7a ZuVoJu BW oder am Bundesgerichtshof).

Ziffer 5: Verfahrensanträge

Nach Ziffer 5 der Musterklausel verpflichten sich die Parteien zur Stellung erforderlicher Verfahrensanträge zur Umsetzung der vorgesehenen Zuständigkeit und Verfahrensführung. Ob aus dieser allgemeinen Verpflichtungsklausel etwa die Pflicht eines Verbrauchers zur rügelosen Einlassung auf die Zuständigkeit einer Commercial Chamber bei andernfalls nicht bestehender örtlicher Zuständigkeit sowie eine etwaige sekundäre Kostentragungspflicht bei Verletzung dieser Pflicht abgeleitet werden können, ist zumindest diskutabel. Denkbarer Gegenstand entsprechender Verfahrensanträge könnten außerdem Parteianträge zum Geheimnisschutz (§ 273a ZPO), im Zusammenhang mit der Durchführung des Organisationstermins (§ 612 ZPO) oder zur Bereitstellung eines Wortprotokolls (§ 613 ZPO) sein. Sollten die Parteien bereits vor Streitentstehung auf bestimmte Punkte besonderen Wert legen, empfiehlt sich eine ergänzende ausdrückliche Vereinbarung dazu bereits im Vertrag.

Fazit: Serviceorientierung als neues Selbstverständnis

Mit der Errichtung der Commercial Courts hat sich in Teilen der Justiz ein erfreulicher Sinneswandel hin zu einer Serviceorientierung vollzogen. Die Bereitstellung einer Musterklausel ist Ausdruck dieses neuen Selbstverständnisses und entspricht der üblichen Praxis von Schiedsinstitutionen und vielen ausländischen Commercial Courts. Selbst bei anwaltlich gut vertretenen Parteien bietet eine neutrale Musterklausel in der Verhandlungssituation einen deutlichen Mehrwert, weil sie die Akzeptanz einer entsprechenden Gerichtsstandsvereinbarung fördert. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der derzeit unterschiedlichen Ausgestaltung der Commercial Courts und Commercial Chambers in den einzelnen Bundesländern, die eine erhebliche Unsicherheit bei der Abgrenzung der Zuständigkeiten der jeweils in Betracht kommenden Spruchkörper mit sich bringt. Mit der Stuttgarter Musterklausel wird ein niedrigschwelliger Zugang zum Commercial Court Baden-Württemberg gewährleistet, der dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen deutschen Commercial Courts verbuchen kann.

Hinweis der Redaktion:
Die Stuttgarter Musterklausel finden Sie hier in deutscher und in englischer Fassung. (tw) 

Autor

Dr. Roland Kläger Haver & Mailänder, Stuttgart Rechtsanwalt, Partner

Dr. Roland Kläger

Haver & Mailänder, Stuttgart
Rechtsanwalt, Partner


rk@haver-mailaender.de
www.haver-mailaender.de