Aktuelle Ausgabe

Aktuelle Entwicklungen im EU-Beihilfe- und -Vergaberecht

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Von Dr. Alexander Hübner, Rechtsanwalt, Haver & Mailänder, Stuttgart

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Gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV dürfen staatliche Begünstigungen bestimmter Unternehmen, also staatliche Beihilfen im Sinne des EU-Beihilferegimes, wegen der Unvereinbarkeit mit dem Binnenmarkt nicht gewährt werden, wenn eine Wettbewerbsbeeinträchtigung droht und der zwischenstaatliche Handel betroffen ist.

Seit dem Urteil des EuGH in der Sache „Altmark Trans“ aus dem Jahr 2003 ist allerdings geklärt, dass es sich um keine Beihilfe handelt, wenn der Staat nur einen Ausgleich gewährt für den Nachteil, den das begünstigte Unternehmen dadurch erleidet, dass es im Allgemein­interesse liegende Aufgaben erfüllt, die unter Marktbedingungen nicht zu erfüllen wären. Die Rede ist von so unterschiedlichen Dienstleistungen wie Rettungs- und Pflegediensten, öffentlicher Personenbeförderung, bestimmten Dienstleistungen der Flug- und Seeverkehrshäfen, bestimmten Krankenhausleistungen, dem sozialen Wohnungsbau, aber auch Postdiensten und dem Breitbandausbau, um nur die bekanntesten zu nennen.

Der DAWI-Leitfaden 2013 der Kommission
Die Abgrenzung zwischen der wettbewerbsbeeinträchtigenden Begünstigung bestimmter Unternehmen und dem reinen Ausgleich von Nachteilen, die das Unternehmen wegen der Erfüllung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben erleidet, ist Gegenstand lebhafter aktueller gesetzgeberischer und erläuternder Tätigkeit der Kommission. In ihrem (bisher nur auf Englisch vorliegenden) Leitfaden vom 15.02.2013 beantwortet die Kommission 237 Fragen zur Anwendung des EU-Beihilferechts und des EU-Vergaberechts auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse („DAWI“). Der im Jahr 2010 erstmals von der Kommission herausgegebene Leitfaden musste überarbeitet werden, um ihn an die neuen EU-Behilfevorschriften für DAWI anzupassen, die die Kommission bis April 2012 als sogenanntes „Almunia“-Paket verabschiedet hat (dazu Hübner, Deutscher AnwaltSpiegel 12/2012, S. 13ff.).

Die Kommission hält in ihrem Leitfaden fest, dass öffentliche Auftraggeber den Kreis der Teilnehmer an einem Verfahren zur Vergabe eines Auftrags über die Erbringung von DAWI nicht auf Non-Profit-Organisationen beschränken können. Denn unter den Wirtschaftsteilnehmern, für die der Markt um öffentliche Aufträge in der EU insgesamt geöffnet werden soll, gibt es auf Gewinnerzielung abzielende Marktteilnehmer und Non-Profit-Organisationen, zwischen denen das EU-Recht im Hinblick auf den Marktzugang nicht unterscheidet. Ein Verfahren etwa über die Vergabe von Rettungsdienstleistungen darf daher nicht auf Non-Profit-Organisationen beschränkt durchgeführt werden, sondern muss auch kommerziellen Anbietern offenstehen. Verstößt der öffentliche Auftraggeber gegen diese vergaberechtliche Regel, kann die Auftragsvergabe von dem übergangenen kommerziellen Anbieter angegriffen und verhindert werden.

Nur ausnahmsweise, so führt die Kommission unter zutreffender Berufung auf die „Sodemare“-Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 17.06.1997, C-70/95, Rdnr. 32) in ihrem Leitfaden weiter aus, kann der nationale Gesetzgeber berechtigt sein, andere Interessenten als Non-Profit-Organisationen vom Vergabeverfahren auszuschließen – dies allerdings nur dann, wenn der Ausschluss erforderlich im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist.

Der DAWI-Unionsrahmen 2012
Unabhängig von einer vergaberechtlichen Nachprüfung auf Initiative eines kommerziellen Wettbewerbers kann der Verstoß gegen das Vergaberecht im beschriebenen Beispiel außerdem dazu führen, dass der an das mit den Rettungsdienstleistungen beauftragte Unternehmen gezahlte Ausgleich eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe ist. Hierauf weist der Leitfaden der Kommission im Anschluss an den sogenannten Unionsrahmen der Kommission für staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen hin, den die Kommission im Januar 2012 als Teil des „Almunia“-Pakets veröffentlicht hat.

Der DAWI-Beschluss 2011 der Kommission
Die beihilferechtliche Brisanz eines Verstoßes gegen das Vergaberecht wird sich unter den Voraussetzungen, die die Kommission in ihrem DAWI-Beschluss vom 12.12.2011 aufgestellt hat, häufig relativieren. Danach sind Ausgleichsleistungen für die Erbringung von DAWI bis zu einer Wertgrenze, die die Kommission bei 15 Millionen Euro pro Jahr zieht, unter den weiteren Voraussetzungen des DAWI-Beschlusses mit dem Binnenmarkt vereinbar.

Kommissionsvorschlag zur Änderung der Beihilfe-Verfahrensverordnung
Die Kommission beabsichtigt mit einem Vorschlag vom 05.12.2012 zur Änderung der Verfahrensverordnung für EU-Beihilfen eine erhöhte Wirksamkeit der Beihilfekontrolle. Die Kommission zielt auf eine zügige Bearbeitung unbegründeter Beschwerden, um mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen. Derzeit gibt es keine Formanforderungen für die Einreichung einer Beihilfebeschwerde etwa eines Wettbewerbers des Unternehmens, dem eine rechtswidrige Beihilfe gewährt worden sein soll.

Beschwerdeführer, die eine rechtswidrige Beihilfe an einen Wettbewerber vermuten, sollen der Kommission zukünftig ein Mindestmaß an Angaben übermitteln und insbesondere den Nachweis führen müssen, dass sie ein berechtigtes, eigenes Interesse an der Beschwerde haben.

Kommissionsvorschlag zur weiteren Freistellung bestimmter Gruppen von Beihilfen
Die Kommission hat in einem weiteren Verordnungsvorschlag vom 05.12.2012 ihr Konzept vorgestellt, wie sie sich durch eine Erweiterung der bereits gesetzlich geregelten Gruppen von Beihilfen, die von der Pflicht zur Anmeldung bei der Kommission befreit sind, in ihrer Beihilfekontrolle auf Fälle mit besonders spürbaren Auswirkungen auf den Binnenmarkt konzentrieren will.

Nach dem Kommissionsvorschlag sollen beispielsweise Innovationsbeihilfen, also Beihilfen für Prozess- und Betriebsinnovation im Dienstleistungssektor und für Innovationscluster, von der Anmeldepflicht befreit werden. Neben zahlreichen weiteren Gruppen von Beihilfen sollen auch Beihilfen für den Amateursport und für bestimmte Arten von Breitbandinfrastruktur nicht mehr anmeldepflichtig sein.

Zusammenfassung
Der Wettbewerb um die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) nimmt nicht nur zwischen dem Staat auf der einen und Unternehmen auf der anderen Seite zu. Auch auf Anbieterseite wächst der Wettbewerbsdruck zwischen Non-Profit-Organisationen und kommerziell tätigen Unternehmen. Neue Gesetzgebung und Mitteilungen der Kommission regeln und beleuchten das wettbewerbliche Gefechtsfeld in beihilfe- und vergaberechtlicher Hinsicht. Mit zwei aktuellen Legislativvorschlägen beabsichtigt die Kommission, die ihr obliegende Beihilfekontrolle auf Fälle erheblicher Beeinträchtigungen des Binnenmarktes zu konzentrieren.

Kontakt: ah@haver-mailaender.de