CyberSecurityQuarterly ist eine Publikation der Produktfamilie Deutscher AnwaltSpiegel

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Unterwegs zur digitalen Souveränität

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Innerhalb kürzester Zeit hat sich die künstliche Intelligenz (KI) von einem Nischenthema der Informatik zur zentralen Schlüsseltechnologie der Digitalisierung entwickelt – mit einer Dynamik, die inzwischen sogar von der Politik mit derjenigen der industriellen Revolution gleichgesetzt wird. In Anbetracht hunderttausender Angriffe auf Unternehmen und Institutionen vornehmlich der kritischen Infrastruktur durch staatliche oder private Akteure im Rahmen hybrider Kriegsführung und organisierter Kriminalität erweist sich die Cybersicherheit als Grundvoraussetzung für eine verantwortungsvolle und resiliente Digitalisierung. Beide Themenfelder, KI und Cybersicherheit, sind eng miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Mit automatisierten Angriffen, Deep Fakes und Desinformationskampagnen vervielfacht KI zwar bereits vorhandene Risiken, bietet aber zugleich Chancen zur Erkennung und Bekämpfung von Cyberkriminalität.

Wie kann künstliche Intelligenz verantwortungsvoll und sicher eingesetzt werden? Welche politischen und technologischen Rahmenbedingungen benötigt eine resiliente digitale Gesellschaft? Welche Funktion müssen Politik, Industrie und Forschung übernehmen, damit Deutschland wieder eine wirtschaftliche und technologische Führungsrolle übernimmt? Diese Fragen standen im Zentrum der Konferenz „KI und Cybersecurity“ des Zukunftsforums Cybernation Deutschland, die am 23.09.2025 vom Nationalen Forschungszentrum für angewandte Cybersicherheit ATHENE in Kooperation mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und Hessian.AI, dem Hessischen Zentrum für Künstliche Intelligenz, in Frankfurt am Main veranstaltet wurde.

Vertrauen als Wettbewerbsvorteil

In ihrer Begrüßung und Einleitung betonte Prof. Dr. Haya Schulmann, Professorin im Fachbereich Informatik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Mitglied im Direktorium von ATHENE, dass es einer gemeinsamen nationalen und europäischen Anstrengung bedürfe, um die Wettbewerbsfähigkeit, aber auch den verlässlichen und verantwortungsvollen Umgang mit der künstlichen Intelligenz gegenüber der Vorherrschaft durch China und die USA zu behaupten. Während China eine staatlich koordinierte KI-Strategie mit klaren Zielvorgaben verfolgt, um mit massiven Investitionen 90% seiner Wirtschaftssektoren innerhalb von fünf Jahren mit KI-Anwendungen zu durchdringen, setzen die USA auf marktgetriebene Innovationen mit dem Fokus auf nationale Sicherheitsinteressen. Dabei verzichtet die Trump-Administration auf eine vermeintliche „ideologische Voreingenommenheit“ und drängt auf Deregulierung, um Innovationen voranzutreiben. Dagegen vertreten Deutschland und Europa einen wertebasierten Ansatz, der Vertrauen, Sicherheit und ethische Standards in den Mittelpunkt stellt. Nur wenn es gelingt, regulatorische Kompetenz in einen global nachgefragten Wettbewerbsvorteil zu verwandeln, kann Europa seine Position zwischen den KI-Supermächten behaupten und ausbauen. Die Voraussetzungen für eine strategische Souveränität seien nicht zuletzt durch die Exzellenzinitiativen der Forschungszentren für KI und Cybersicherheit und die Kooperationen der Universitäten Darmstadts, Frankfurts und des Saarlands gegeben.

Die langjährige erfolgreiche Zusammenarbeit nicht nur in Wissenschaft und Forschung, sondern auch als Impulsgeber für Wirtschaft und Politik unterstrichen Prof. Dr. Michael Waidner, Direktor von ATHENE, Professor an der Technischen Universität Darmstadt und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Sichere Informationstechnologie), Prof. Dr. Antonio Krüger, CEO des DFKI und Professor an der Universität des Saarlandes, und Prof. Dr. Peter Pelz, Vizepräsident für Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Infrastruktur an der Technischen Universität Darmstadt, in ihren Grußworten. Maßgeblich sei dabei jedoch, dass die Gestaltung eines zukünftigen digitalen Ökosystems die besten Initiativen miteinander verbindet und die besten Köpfe miteinander vernetzt. Eine wirksame Cybersicherheitsforschung könne nicht mit „Schmalspur-KI“ betrieben werden, und renommierte KI-Institutionen werden nicht mit „Schmalspur-Cybersecurity“ erfolgreich sein, lautet der Anspruch. Sowohl Wissenschaft als auch die regelbasierte Demokratie, in der wir leben und die es gegen Angriffe von innen und außen zu verteidigen gilt, basieren auf Vertrauen, das auch mit Hilfe solcher interdisziplinären Tagungen zurückgewonnen werden muss.

KI-Strategie für Deutschland und Europa

In seiner Keynote „The Future of Computing in the Age of AI – An Opportunity for Europe“ betonte Prof. Dr. Carsten Binnig, Professor an der TU Darmstadt, Abteilungsleiter DFKI und Gründungsmitglied von Hessian.AI, die neuartigen Herausforderungen durch die KI, die im Unterschied zu bisherigen Softwaremodellen nicht mehr auf einem fixen Set von Regeln und Parametern beruhen. Binnigs Position basiert auf dem Konzept der „Reasonable Artificial Intelligence“ (RAI), das er als Antwort auf die Schwächen aktueller KI-Systeme entwickelt hat. Darin sieht er eine einzigartige Gelegenheit für eine neue Generation von KI, die dezentral trainiert wird, sich kontinuierlich verbessert und ein abstraktes Wissen über die Welt aufbaut. Er argumentiert, dass in einer Welt, in der technologische Abhängigkeiten zunehmend geopolitische Spannungen verstärken, die Entwicklung einer souveränen künstlichen Intelligenz von entscheidender Bedeutung sei.

Im anschließenden Panel, das von Michael Waidner moderiert wurde, diskutierten Helga Schmidt, Korrespondentin für Europapolitik und NATO sowie Leiterin des ARD-Studios Brüssel (Hörfunk), Lucas Schmitz, Mitglied des Hessischen Landtags und Sprecher der CDU-Fraktion für Wissenschaft und Kunst, und Maximilian Sachse, Wirtschaftsredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, über die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, die für eine solche Entwicklung erforderlich sind. Dabei führten die beiden Medienvertreter ins Feld, dass es unbedingt geboten sei, Kleinteiligkeit zu vermeiden – sowohl was die Forschungstätigkeit betrifft als auch mit Blick auf die bisherige Förderungspraxis, die allzu oft als Instrument föderaler Regionalentwicklung zum Einsatz kommt. Für die Politik ist der kontinuierliche Austausch mit Wissenschaft und Wirtschaft entscheidend, um an den richtigen Stellschrauben zu drehen. Dabei bedürfe es eines „guten Lobbyismus“, der neben harten Fakten auch ein positives Framing betreibt. Deutschland muss die digitale Souveränität anstreben, um unabhängiger von internationalen Tech-Konzernen wie Microsoft zu werden und die eigene kritische Infrastruktur besser zu schützen. Doch bestehe die größte Schwäche des Standorts im Mangel an Risikokapital, um deutsche und europäische KI-Start-ups und Digitalchampions zu fördern, wodurch das Land bei internationalen Investitionen deutlich zurückfällt.

KI-Infrastruktur und domainspezifische Anwendungen

Die KI-Infrastruktur in Deutschland und Europa befindet sich in einer dynamischen Ausbauphase. Mit gezielten Initiativen zu Souveränität und starken Netzwerkstrukturen soll die Grundlage für die Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit europäischer KI-Anwendungen geschaffen werden. Laut dem „Aktionsplan für den KI-Kontinent“ der EU-Kommission sollen europaweit bis zu 19 KI-Fabriken entstehen und die Kapazität der Rechenzentren in fünf bis sieben Jahren verdreifacht werden.

In seiner Keynote hob Prof. Dr. Dr. Thomas Lippert, Direktor des Jülich Supercomputing Centre am Forschungszentrum Jülich, die strategische Rolle des neuen Exascale-Supercomputers JUPITER hervor. Die „JUPITER AI Factory“ wird als europäisches Leuchtturmprojekt zum KI-Infrastrukturausbau positioniert. Sie ist zentrale Anlaufstelle für Forschung und Industrie und soll besonders deutschen und europäischen Start-ups sowie KMU bei Entwicklung, Skalierung und Training leistungsstarker, datenschutzkonformer KI-Modelle helfen – unter anderem in Gesundheit, Energie, öffentlichem Sektor und Finanzen. Mit einer Trillion Rechenoperationen pro Sekunde übertrifft JUPITER alle vorherigen Systeme und markiert für Lippert einen Paradigmenwechsel.

Anschließend unterstrich Peter van Burgel, CEO von AMS-IX, einem der größten Internetknotenpunkte der Welt, die Bedeutung offener und flexibler Netzwerkstrukturen für KI-Cluster und den sicheren Betrieb großer Datenmengen. Er sprach sich für die Stärkung europäischer und nationaler Cloudinfrastrukturen aus, um Datenschutz, digitale Souveränität und zuverlässige Datenflüsse sicherzustellen.

Auf dem von Antonio Krüger moderierten Panel „Domainspezifische KI-Anwendungen“ diskutierten Dirk Backofen, Leiter Digital Identity Business bei T-Systems, Robert Jozic, Geschäftsleiter der Schwarz Digital GmbH & Co. KG, Dr. Kai Martius, CTO der secunet Security Networks AG, und Fred-Mario Silberbach, Gruppenleiter und Head of Subdivision Cybercrime – Strategie und Service beim BKA, wie künstliche Intelligenz in verschiedenen Branchen, darunter Telekommunikation, Handel, IT-Sicherheit und Strafverfolgung, jeweils spezialisierte Lösungen erfordert, um die Anforderungen und Risiken der jeweiligen Domäne zu berücksichtigen. An praktischen Beispielen ging es unter anderem um Sicherheitsfragen bei der digitalen Identitätsprüfung, die Entwicklung eigener europäischer Grundlagenmodelle und deren Training mit den bereits vorhandenen Datenschätzen.

Roadmap für die Cybernation Deutschland

Der Höhepunkt der Veranstaltung war der zu Beginn angekündigte Plan zur konkreten Umsetzung der verschiedenen Initiativen, der von Michael Waidner präsentiert und gemeinsam mit Antonio Krüger, Haya Schulmann und Prof. Dr. Kristian Kersting, Professor an der Technischen Universität Darmstadt, Gründungsmitglied und Co-Direktor von Hessian.AI sowie Leiter des Forschungsbereichs Grundlagen der Systemischen KI (SAINT) am DFKI diskutiert wurde (siehe dazu auch das Strategiepapier für eine nationale KI-Infrastruktur). Um nicht dauerhaft von amerikanischen und chinesischen Anbietern abhängig zu bleiben, muss Deutschland eine nationale KI-Infrastruktur mit eigenen, konkurrenzfähigen Basismodellen entwickeln. Denn im Ausland entwickelte Sprachmodelle können bewusst oder unbewusst fremde Wertevorstellungen in deutsche Verwaltungsprozesse, Bildungssysteme oder die Justiz einbringen. Dafür seien jedoch enorme Investitionen und zentralisierte Entscheidungsstrukturen erforderlich: Vorgeschlagen wurde die Gründung einer eigenständigen deutschen KI-Agentur mit einem wissenschaftsgeleiteten KI-Gremium als Aufsichtsrat. Diese Struktur soll über große Freiheitsgrade bei Planungsverfahren, Beschaffungswesen und Gehaltsstrukturen sowie über ein für mehrere Jahre gesichertes Budget verfügen.

Dass Cybersicherheit und Resilienz von Anfang an beim Aufbau und Betrieb der KI-Infrastruktur berücksichtigt werden müssen, bekräftigte auch die abschließende Keynote. Roman Poseck, Hessischer Minister des Innern, für Sicherheit und Heimatschutz, ging einmal mehr auf die gegenwärtig angespannte Sicherheitslage ein und skizzierte die Vorreiterrolle Hessens bei der Kriminalitätsbekämpfung. So habe die Modernisierung des hessischen Polizeirechts Ende 2024 die rechtlichen Grundlagen für eine KI-gestützte Videoanalyse geschaffen. Gegen datenschutz- und verfassungsrechtliche Einwände verteidigte Poseck den Einsatz der Ermittlungsplattform „HessenData“, die auf der US-amerikanischen Palantir-Software basiert, mit den Erfolgen bei der Aufklärung und Verhinderung terroristischer Straftaten. Da es absolute Sicherheit auch im digitalen Raum nicht geben könne, setzt Poseck auf die Stärkung resilienter Strukturen und auf rechtsstaatliche Kontrolle.

Die Veranstaltung mache deutlich, dass Deutschland mit der richtigen Strategie bis 2030 zu den führenden KI-Nationen aufsteigen könne, was jedoch nur durch massive Investitionen, klare Governancestrukturen und die enge Verzahnung von Forschung, Wirtschaft und Politik möglich sei. 

Autor

Dr. Thomas R. Wolf F.A.Z. BUSINESS MEDIA GmbH, Frankfurt am Main Redakteur Rechtspublikationen

Dr. Thomas R. Wolf

F.A.Z. Business Media GmbH, Frankfurt am Main
Redakteur Rechtspublikationen


thomas.wolf@faz-bm.de
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