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Amnestie­vereinbarungen bei internen Untersuchungen

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Was sind Amnestievereinbarungen?

Bei der Aufarbeitung interner Compliancevorfälle stehen Unternehmen vor der Herausforderung, einen angemessenen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen – namentlich dem Interesse des Unternehmens an der lückenlosen Sachverhaltsaufklärung und dem Schutz seiner Reputation auf der einen und der Wahrung der Mitarbeiterrechte auf der anderen Seite – zu finden.

Trotz fortschrittlicher Technologien bleibt die Befragung von Mitarbeitern im Zuge interner Untersuchungen nach wie vor eine zentrale Erkenntnisquelle. Wenig verwunderlich, hält sich das Interesse derjenigen Mitarbeiter in Grenzen, die selbst im Fokus der Untersuchung stehen, aktiv an der Sachverhaltsaufklärung und damit möglicherweise an der eigenen Überführung mitzuwirken. Um diesen Mitarbeitern einen Anreiz zu bieten, Informationen über begangene Rechtsverstöße offenzulegen, haben sich in der Praxis ­Amnestievereinbarungen bewährt. Gemeint ist damit die Zusage des Unternehmens gegenüber einzelnen Beschäftigten, von bestimmten Sanktionen abzusehen oder Verpflichtungen zu übernehmen, wenn diese im Gegenzug einen ­wesentlichen Beitrag zur Sachverhaltsaufklärung leisten.

Der Abschluss einer solchen Amnestievereinbarung kann durchaus dazu beitragen, die „Mauer des Schweigens“ zu durchbrechen und dem Unternehmen eine weitere Sach­verhaltsaufklärung ermöglichen. Vor Abschluss einer solchen Vereinbarung sollten sich Unternehmensverantwortliche und insbesondere Mitarbeiter von Compliance- und Auditabteilungen allerdings sorgfältig mit den Voraussetzungen, den Vor- und Nachteilen sowie den (Rechts )Folgen ­einer Amnestievereinbarung auseinandersetzen. Einen ersten Überblick verschafft der folgende Beitrag.

Weshalb es sich lohnen kann, dem (vermeintlichen) Täter die Hand zu reichen

Die Vereinbarung einer Amnestie bietet mehrere Vorteile. Der naheliegendste dürfte die Möglichkeit sein, den mutmaßlich in den Vorfall involvierten Mitarbeiter zum Reden zu bringen (Stichwort: „Mauer des Schweigens“). Denn ein (vermeintlicher) Täter, der durch seine Kooperation nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren hat, wird sich gut überlegen, ob er sich im Zuge der Untersuchung öffnet. Was sollte ihn auch dazu bewegen, das Unternehmen bei der Sachverhaltsaufklärung zu unterstützen, wenn er im Gegenzug mit arbeitsrechtlichen Sanktionen und – nach Weiterleitung der Untersuchungsergebnisse durch das Unternehmen – gegebenenfalls mit der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens rechnen muss? Um den Mitarbeiter hier „abzuholen“, bietet sich ein Entgegenkommen des Unternehmens in Gestalt einer Amnestievereinbarung an. Denn je mehr die eigene, mitunter selbstbelastende Einlassung auch dem (vermeintlichen) Täter selbst nutzt, desto höher wird seine Kooperationsbereitschaft sein. Eine Amnestievereinbarung kann die Sachverhaltsaufklärung darüber hinaus erheblich erleichtern und beschleunigen: Leistet der (vermeintliche) Täter einen effektiven Aufklärungsbeitrag, kann der Untersuchungsaufwand erheblich reduziert werden, und es bedarf mitunter keiner oder weniger Mitarbeiterinterviews oder (zeit- und ressourcen-)aufwendiger Sichtung von Datenquellen. Schließlich erleichtert ein besserer Informationsstand eine enge Zusammenarbeit mit den Behörden. Ermitteln diese (auch) gegen das Unternehmen, wird sich eine umfassende Kooperation in den meisten Fällen auf eine etwaig zu verhängende Geldbuße positiv auswirken. Im Ergebnis kann sich der gegenüber dem (vermeintlichen) Täter durch die Amnestievereinbarung gesetzte Anreiz damit finanziell in zweierlei Hinsicht lohnen: Einerseits lassen sich die (oft hohen) Kosten interner Untersuchungen niedrig halten, andererseits wird die umfassende Kooperation in behördlichen Verfahren regelmäßig mit einem „Sanktionsrabatt“ honoriert.

Welche Nachteile die Amnestievereinbarung nach sich ziehen kann

Wieso also nicht jede interne Untersuchung „vermeiden“, ­indem man den (vermeintlichen) Täter mit maximalen ­Zugeständnissen zum Reden bringt? Ganz so einfach ist es leider nicht. Denn eine Amnestievereinbarung kann durchaus auch Nachteile mit sich bringen, die im Einzelfall sorgfältig gegen die Vorteile abzuwägen sind.

Zum einen kann die Vereinbarung einer Amnestie weitreichende rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Mitunter kann sie für die Unternehmensorgane – je nach Ausgestaltung – zivil- oder gar strafrechtliche Folgen haben. Zum ­anderen besteht die Gefahr, dass eine Amnestievereinbarung die Compliancekultur des Unternehmens langfristig schwächt: Erweckt das Vorgehen den Eindruck, dass Fehlverhalten ohne ernsthafte Konsequenzen bleibt, wirkt sich dies negativ auf die Abschreckungswirkung von Sanktionsandrohungen aus und kann in der Folge zu einer Zunahme von Verstößen führen. Dementsprechend sollten Amnestievereinbarungen nicht um jeden Preis gewährt werden.

Wann sich die Vereinbarung einer Amnestie anbietet

Ob sich eine Amnestievereinbarung am Ende für das ­Unternehmen lohnt, kommt auf den Einzelfall an und ist eine unternehmerische Ermessensentscheidung. Maßgeblich ist, dass diese Entscheidung im besten Interesse des Unternehmens getroffen wird. Sinnvoll kann die Vereinbarung einer Amnestie etwa in folgenden Fällen sein:

  • Unklare Sachverhalte: Wenn es schwierig ist, Verantwortlichkeiten eindeutig zuzuordnen, kann eine Amnestie­vereinbarung zu einer Aufklärung beitragen, wo diese sonst nicht möglich wäre.
  • Komplexe Fälle, insbesondere bei Auslandsbezug: Die Komplexität und die denkbaren Unsicherheiten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten können es notwendig ­machen, in besonderem Maße auf die Kooperation der ­Beteiligten zu setzen.
  • Vermeintliches Handeln zum Wohle der Gesellschaft: In den Vorfall involvierte Mitarbeiter, die davon ausgingen, zum vermeintlichen Vorteil des Unternehmens zu handeln, sind mangels Unrechtsbewusstseins eher bereit, ihre Handlungen offenzulegen und zu einer Aufklärung beizutragen, wenn ihnen dafür ein Entgegenkommen im Hinblick auf drohende arbeitsrechtliche Sanktionen zugesagt wird.

Auch in diesen Fällen bedarf es allerdings stets einer sorgfältigen Abwägung zwischen dem Aufklärungsinteresse einerseits und dem Sanktions- und Regressbedürfnis andererseits.

In welchen Bereichen das Unternehmen dem Mitarbeiter die Hand reichen kann

Bei der Ausgestaltung der Amnestieregelung ist das ­Unternehmen im Grundsatz recht frei und kann je nach Schwere des Vergehens, Aufklärungsbedarf und weiteren Faktoren einzelfallabhängig entscheiden, wie weit es dem (vermeintlichen) Täter entgegenkommen möchte. In Betracht kommen neben dem Verzicht auf arbeitsrechtliche Konsequenzen, der Geltendmachung von Schadensersatz­ansprüchen oder Stellung von Strafanzeigen auch die Übernahme von Rechtsbeistandskosten oder Geldstrafen. Einzelne Beschränkungen sind in der Praxis allerdings zwingend zu beachten:

  • Mit Blick auf den Verzicht auf arbeitsrechtliche Konsequenzen ist das Unternehmen weitestgehend frei. Lediglich die Zusage, keine außerordentliche Kündigung zu erklären, kann unzulässig sein, wenn sie „ins Blaue hinein“ abgegeben wird, ohne dass das Unternehmen entsprechende Anhaltspunkte hat.
  • Da aufklärungsrelevante Pflichtverletzungen nicht selten erhebliche (Vermögens-)Schäden verursachen und Schadensersatzansprüche des Unternehmens begründen können, bietet sich ggf. die Zusage an, von der Geltendmachung zivilrechtlicher (Schadensersatz-)Ansprüche abzusehen und unternehmensseitig die Kosten der gegen den Mitarbeiter verhängten Geldstrafen, -auflagen oder bußen zu übernehmen. Fraglos wird eine solche Zusage die Kooperationsbereitschaft des Mitarbeiters erhöhen, kann indes gleichsam denkbar „unangenehme“ Rechtsfolgen für die Unternehmensorgane nach sich ziehen. Durch eine zu großzügige Gewährung von Amnestiesummen machen sie sich gegenüber dem eigenen Unternehmen schadensersatzpflichtig. Hinzu tritt das Risiko einer möglichen ­Untreuestrafbarkeit gemäß § 266 StGB. Um diesen Risiken angemessen zu begegnen, ist eine sorgfältige Abwägung (und Dokumentation!) sämtlicher Vor- und Nachteile ­einer Amnestie unabdingbar.
  • Anders stellt sich die Lage bei der Zusage der Übernahme von Strafverteidigerkosten dar. Eine solche Vereinbarung wird zumeist an die Bedingung geknüpft, dass keine Verurteilung aufgrund einer vorsätzlichen Straftat ergeht. Bei entsprechender Ausgestaltung sind derartige Übernahmevereinbarungen in der Regel unproblematisch.
    Auch kann das Unternehmen dem Mitarbeiter die ­Zusage erteilen, von der Erstattung einer Strafanzeige und der Stellung eines Strafantrags abzusehen. Ist hin­gegen ­bereits ein Ermittlungsverfahren anhängig, kann die ­Zusage, die Strafverfolgungsbehörden über den Aufklärungsbeitrag des Mitarbeiters zu informieren, ebenfalls ­einen effektiven Anreiz zur „Selbstöffnung“ darstellen. Denn eine entsprechende Mitteilung wirkt sich regelmäßig positiv auf die Strafzumessung aus.

Fazit: Amnestievereinbarungen sind kein Allheilmittel, sondern Mittel zum Zweck

Auch im Hinblick auf Amnestievereinbarungen gilt: Es ­verbieten sich schematische Lösungen. Es wäre daher falsch, sie bei Durchführung interner Untersuchungen stets als ­„Allheilmittel“ einzusetzen. Stößt das Unternehmen im Zuge der Untersuchung allerdings auf erhebliche Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsaufklärung, zum Beispiel bei unklaren Sachverhalten oder komplexen Konstellationen mit Auslandsbezug, kann eine Amnestievereinbarung ein sinnvolles Mittel (zum Zweck) sein, eine hinreichende Sachverhaltsaufklärung zu ermöglichen und zugleich die Kosten der Untersuchung gering zu halten. Unter Berücksichtigung der dargestellten Restriktionen und nach sorgfältiger Abwägung sämtlicher Vor- und Nachteile kann die Amnestievereinbarung dann ein wertvolles Instrument darstellen, auch um langfristige Schäden zu vermeiden sowie die Integrität und Transparenz innerhalb des Unternehmens zu stärken.

Autor

Cristina Hajek Gross, LL.M. Eur.
Freshfields, Frankfurt am Main 
Rechtsanwältin, Associate

cristina.hajekgross@freshfields.com
www.freshfields.com

Cristina Hajek Gross, LL.M. Eur.
Freshfields, Frankfurt am Main
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cristina.hajekgross@freshfields.com
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Autor

Felix Mayer
Freshfields, München
Rechtsanwalt, Associate 

felix.mayer@freshfields.com
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Felix Mayer
Freshfields, München
Rechtsanwalt, Associate

elix.mayer@freshfields.com
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Autor

Joshua Pawel, LL.M.
PARK | Wirtschaftsstrafrecht, Dortmund
Rechtsanwalt, Zertifizierter Compliance Officer, Associate

pawel@park-wstr.de
www.park-wirtschaftsstrafrecht.de

Joshua Pawel, LL.M.
PARK | Wirtschaftsstrafrecht, Dortmund
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