Fit für den „Warenkauf 4.0“!?

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Besser spät als nie: Mit etwas Verzögerung hat der europäische Gesetzgeber auf die fortschreitende Digitalisierung reagiert und eine „Strategie für den digitalen Binnenmarkt“ entwickelt. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Strategie ist die Warenkaufrichtlinie (WKRL). Ziel der WKRL ist, neben der obligatorischen Förderung von Binnenmarkt und Verbraucherschutz, für mehr Nachhaltigkeit im Warenverkehr zu sorgen. Die Mitgliedsstaaten müssen die WKRL bis zum 21.07.2021 umsetzen und ab dem 01.01.2022 verbindlich anwenden.
Das BMJV geht bei der Umsetzung mit gutem Beispiel voran und veröffentlichte bereits Ende vergangenen Jahres einen Referentenentwurf. Das Kaufrecht unterzieht sich also einem Facelift – ist es damit fit für den „Warenkauf 4.0“, oder erweisen sich die Neuerungen als digitales Feigenblatt?

Objektivierung des Sachmangels
Bisher galt als Faustregel: Ein Mangel liegt vor, wenn die Kaufsache von der vereinbarten Beschaffenheit abweicht. Objektive Kriterien spielten nur eine untergeordnete Rolle. Mit der Umsetzung der WKRL wird an diesem Grundsatz gerüttelt. Neben den subjektiven Vorstellungen der Parteien rücken objektive Elemente in den Vordergrund. Dazu zählen beispielsweise die im Geschäftsverkehr üblichen Eigenschaften der Sache und Montageanforderungen.
Als zusätzliches Kriterium für die Beurteilung eines Sachmangels sieht der Entwurf die Haltbarkeit der Sache vor. Nach der Begründung des Referentenentwurfs soll dieses Kriterium aber nicht zu einer Art gesetzlicher Haltbarkeitsgarantie gegenüber Verbrauchern führen.
Auf B2B-Verträge hat die Neuausrichtung des Sachmangelbegriffs keine wesentlichen Auswirkungen. Zwischen Unternehmern bleiben abweichende Beschaffenheitsvereinbarungen möglich. Anders beim Verbrauchsgüterkauf: Hier wird eine abweichende Vereinbarung nur dann möglich sein, wenn der Verbraucher gesondert informiert wird und ausdrücklich zugestimmt hat. Auch werden § 442 BGB und somit der Ausschluss der Gewährleistungsrechte bei Mangelkenntnis gegenüber Verbrauchen nicht mehr gelten.

Rücktritt bald häufiger ohne Fristsetzung?
Um vom Kaufvertrag zurücktreten zu können, musste der Verbraucher dem Verkäufer bisher eine angemessene Frist zur Nacherfüllung setzen. Eine solche aktive Fristsetzung des Verbrauchers ist nicht mehr notwendig: Für den Rücktritt genügt, dass eine angemessene Frist abgelaufen ist, ohne dass der Verbraucher diese Frist ausdrücklich erklärt, sofern eine vorherige Fristsetzung nicht ohnehin nach den bisherigen Grundsätzen entbehrlich war.
Die Kosten der Rückabwicklung bei Verbrauchsgüterkäufen soll künftig der Unternehmer tragen. Ähnlich wie im Widerrufsrecht endet das Zurückbehaltungsrecht des Unternehmers hinsichtlich des Kaufpreises dann, wenn der Käufer die Rücksendung der Kaufsache nachweist.

Neue Pflichten für Sachen mit digitalen Elementen
Im B2C-Bereich sieht der Referentenentwurf neue Regelungen für Kaufverträge über „Sachen mit digitalen Elementen“ vor: Darunter sind beispielsweise Smart-TVs oder Smart-Watches zu verstehen. Hierbei neu ist, dass der Verkäufer Aktualisierungen bereitstellen muss. Kommt er seiner Update-Pflicht nicht nach, ist die Sache mangelhaft.
Diese Pflicht soll über einen Zeitraum gelten, in dem der Verbraucher dies aufgrund der Art und des Zwecks und der digitalen Elemente sowie unter Berücksichtigung der Umstände und der Art des Vertrags erwarten kann. Als Kriterien für die Bestimmung dieses Zeitraums nennt der Referentenentwurf Werbeaussagen des Verkäufers, die zur Herstellung verwendeten Materialien sowie den Kaufpreis. Trotz dieser Kriterien dürfte es in der Praxis schwierig sein, konkrete Zeiträume zu bestimmen.

Für einen Sachmangel, der auf dem Fehlen einer Aktualisierung beruht, haftet der Unternehmer nicht immer. Der Verbraucher ist selbst verantwortlich, wenn er Aktualisierungen nicht oder nicht sachgemäß installiert – solange der Unternehmer ihn über die Folgen der fehlenden Installation informiert.
Die gleichen Pflichten gelten für B2C-Verträge, wenn nach deren Inhalt die Bereitstellung der digitalen Inhalte dauerhaft erfolgen soll. Der Unternehmer muss sicherstellen, dass die digitalen Elemente während des Bereitstellungszeitraums, mindestens aber für einen Zeitraum von zwei Jahren, sachmangelfrei sind.
Verjährung ohne Grenzen?
Auch für Sachen mit digitalen Elementen soll grundsätzlich die gesetzliche Verjährungsfrist von zwei Jahren, beginnend mit Übergabe, gelten. Wenn Unternehmer und Verbraucher einen darüberhinausgehenden Bereitstellungszeitraum vereinbart haben, endet die Verjährung erst nach Ablauf dieses Bereitstellungszeitraums. Eine längere Verjährung für Waren mit digitalen Elementen kann dann gelten, wenn der Verbraucher nach Art des Vertrags Aktualisierungen noch nach Ablauf von zwei Jahren erwarten kann.
Für alle B2C-Verträge sieht der Referentenentwurf Folgendes vor: Die Verjährung für einen Mangel, der sich innerhalb der Verjährungsfrist zeigt, soll nicht vor Ablauf von zwei Monaten ab dem Zeitpunkt eintreten, in dem sich der Mangel erstmals gezeigt hat. Diese Ablaufhemmung soll sicherstellen, dass Verbraucher ihre Gewährleistungsrechte effektiv geltend machen können. Von einer Verjährung ohne Grenzen kann aber keine Rede sein.

Verbraucherschutz ist Trumpf
Die bisher geltende Beweislastumkehr bei B2C-Verträgen von sechs Monaten wird auf ein Jahr verlängert werden. Für Sachen mit digitalen Elementen, bei denen eine dauerhafte Bereitstellung der digitalen Elemente im Kaufvertrag vereinbart ist, soll die gesetzliche Vermutung sogar noch länger gelten. Tritt der Mangel während des Bereitstellungszeitraums oder innerhalb von zwei Jahren ab Ablieferung der Sache auf, wird vermutet, dass das digitale Element während des Bereitstellungszeitraums mangelhaft war.
Eine Garantieerklärung muss dem Verbraucher künftig auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung gestellt werden, beispielsweise per E-Mail. Aus der Garantieerklärung muss dabei eindeutig hervorgehen, dass die Garantie die zusätzlich geltenden Gewährleistungsrechte unberührt lässt und die Inanspruchnahme unentgeltlich ist.

Unternehmen sollten jetzt handeln
Vor dem Hintergrund der geplanten Änderungen werden Unternehmen ihre Verträge und Allgemeinen Geschäftsbedingungen überarbeiten müssen. Auch in Bezug auf die neuen Informations- und Aktualisierungspflichten sollte sichergestellt werden, dass die internen Prozesse überprüft und angepasst werden.
Wesentliche Veränderungen des aktuellen Gesetzentwurfs der Bundesregierung sind nicht zu erwarten. Unternehmen sollten daher möglichst schnell die ab Anfang nächsten Jahres verbindlich geltenden Neuregelungen praktisch umsetzen. Andernfalls drohen kostenpflichtige Abmahnungen durch Wettbewerber und Verbraucherverbände.
Ob die neuen Vorschriften tatsächlich für mehr Nachhaltigkeit sorgen und das Kaufrecht fit für den „Warenkauf 4.0“ machen, bleibt abzuwarten. Das Facelift führt in jedem Fall zu mehr Rechtssicherheit durch unionsweit einheitliche Rahmenbedingungen für Warenkäufe.

phillip.bubinger@cms-hs.com

arne.schmieke@cms-hs.com

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