Einleitung
Die blaue Legal-Tech-Reihe bei C.H. Beck hat Zuwachs bekommen: Mit Dr. Frank Remmertz, Fachanwalt für IT-Recht und Gewerblichen Rechtsschutz, Vorsitzender der AG Rechtsdienstleistungsgesetz bei der BRAK und Mitherausgeber der Zeitschrift RDi (Recht Digital), steht ein profunder Kenner der Legal-Tech-Szene als Herausgeber des Werks „Legal Tech-Strategien für Rechtsanwälte“ zur Verfügung. Und nicht nur als Herausgeber, Dr. Remmertz hat mehr als 100 Seiten des über 300 Seiten starken Werks selbst bearbeitet.
Im Vorwort heißt es: „Die Anwaltschaft ist aufgerufen, die Veränderungen durch die Digitalisierung anzunehmen und selbst durch eigene Legal-Tech-Strategien zu gestalten, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben“. Dieses Rechtshandbuch leistet umfassende Hilfestellung. Im Untertitel wird auf die Bereiche Berufsrecht, Kooperation und Haftung hingewiesen.
Dr. Remmertz hat namhafte Autoren und Autorinnen für die einzelnen Aspekte gewonnen:
Dr. Susanne Reinemann, Redakteurin NJW, 2020 ausgezeichnet als „Women of Legal Tech“, gibt einen Überblick über den Ist-Zustand und einen Ausblick auf mögliche Zukunftsszenarien.
Dr. Susanne Offermann-Burckart, langjährige Hauptgeschäftsführerin der Rechtsanwaltskammer, stellt die Möglichkeiten und die Aussicht auf Öffnungen nach anwaltlichem Berufsrecht dar: „… um zu verhindern, dass der „Normalanwalt“ eines Tages einen ehrenvollen, aber unausweichlichen Tod stirbt“. Neben dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) als Pflichtprogramm empfiehlt Dr. Offermann-Burckart, ein IT-Sicherheitskonzept für die Kanzlei zu entwickeln, befasst sich mit dem Cloud-Computing und den gravierenden Rechtsfolgen von Verstößen gegen § 43e BRAO. Ein Mustertext zur „Verschwiegenheitsverpflichtung“ und der „Befugnis zur Heranziehung weiterer Personen“ rundet ihren Beitrag ab.
Dr. Alexander Siegmund, Mitglied im Ausschuss Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), elektronischer Rechtsverkehr beziehungsweise jetzt beA-Anwenderbeirat sowie im Arbeitskreis Legal Tech der Bundesrechtsanwaltskammer, befasst sich mit dem elektronischen Rechtsverkehr (ERV) und dem beA. Das höchste Risiko sei der fehlerhafte Umgang mit der Technik durch den Anwender. Dies führe bis zur Unwirksamkeit des Dokuments. Dr. Siegmund weist darauf hin, dass der ERV großes Potential für Legal-Tech biete und in den Workflow der Kanzlei eingebunden werden müsse. Da der ERV ab 01.01.2022 umgesetzt werden muss, sollte eine Legal-Tech-Strategie, die auch den forensischen Bereich betrifft, den ERV einschließen.
Mit Legal-Tech und der unterschiedlichen Rechtsprechung zum Vergütungsrecht befasst sich Dr. Tanja Nitschke, Geschäftsführerin der BRAK und Chefredakteurin von BRAK-Mitteilungen und -Magazin. Neben den Möglichkeiten und Grenzen von Vergütungs- und Erfolgshonorarvereinbarungen stellt sie steuerliche, haftungs- und versicherungsrechtliche Fragen dar.
Behandelte Rechtsgebiete im Einzelnen
Gemeinsam mit Dr. Remmertz informiert Syndikusanwalt Stephan Kopp, langjähriger Hauptgeschäftsführer der RAK München, über Möglichkeiten und Grenzen nach anwaltlichem Gesellschaftsrecht. Er beleuchtet die Vor- und Nachteile der Berufsausübungsgesellschaften (BAGs) für Legal-Tech-Strategien und auch die Reform zum anwaltlichen Gesellschaftsrecht, bei der eine Erweiterung der Sozietätsfähigkeit auf IT-Spezialisten und andere Legal-Tech-Akteure in einer BAG diskutiert wird.
Dr. Astrid Auer-Reinsdorff, Fachanwältin für IT-Recht, langjährige Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft IT im DAV, Redaktionsleiterin des Berliner Anwaltsblattes und Schatzmeisterin des Berliner Anwaltsvereins, stellt die datenschutzrechtlichen Anforderungen dar. Insbesondere gebe es datenschutzrechtlich andere Rahmenbedingungen für einen anwaltlichen Legal-Tech-Anwender als für einen nichtanwaltlichen Legal-Tech-Dienstleister. Dr. Auer-Reinsdorff liefert direkt Muster für das VVT („Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten“), zur Mitarbeiterverpflichtung und zur „Verschwiegenheitsverpflichtung Auftragsverarbeiter“ mit.
Rechtsanwältin Antje Jungk, leitende Justitiarin Allianz Versicherung, befasst sich mit den haftungs- und versicherungsrechtlichen Aspekten: „Wer zukunftsgerichtet neue Wege gehen will, mag keine Bedenkenträger. … Es erstaunt daher nicht, dass in den zahlreichen bisherigen Publikationen zum Thema Legal Tech von der Haftung kaum die Rede ist.“ Neben der Haftung der unterschiedlichen Formen der BAG befasst sich auch Jungk mit dem beA: „In der Praxis häufiger wird der Fall einer Fristversäumung darauf zurückzuführen sein, dass bei der aktiven beA-Nutzung etwas schief geht. … Die Vielfalt möglicher Fehler wird sich in den Wiedereinsetzungsentscheidungen der nächsten Jahre zeigen.“ Weiterhin geht sie auf Pflichtversicherung und weitere Versicherungsmöglichkeiten ein.
Rechtsanwalt Tilman Winkler, Geschäftsführer der RAK Freiburg, schildert die Sanktionen, die drohen, angefangen von der Nichtabgabe des elektronischen Empfangsbekenntnisses bis zu Verstößen gegen die §§ 43e und 43a BRAO im digitalen Umfeld der Kanzleiarbeit. Diese seien geeignet, hohe Schadensersatzforderungen und Bußgelder auszulösen. Als Ultima Ratio komme der Ausschluss aus der Anwaltschaft in Betracht.
Dr. Kai Greve, Fachanwalt für Steuerrecht und Partner bei Taylor Wessing, behandelt die steuerrechtlichen Aspekte bei Legal-Tech. Er geht darauf ein, dass der Einsatz von Legal-Tech in Anwaltskanzleien steuerliche Konsequenzen haben kann, dies aber nicht für alle Produkte, die unter der Bezeichnung Legal-Tech verstanden werden, gelte. Dr. Greve erwartet, dass im Rahmen von steuerlichen Betriebsprüfungen dem Einsatz von Legal-Tech-Produkten steigende Aufmerksamkeit geschenkt werde, weil sich hier für die Prüfer die Chance zur Generierung von Mehrsteuern biete. Er zeigt die Konsequenzen für die Einzelkanzlei und weitere BAGs auf, die dazu führen können, dass keine anwaltliche Tätigkeit mehr vorliegt.
Dr. Frank Remmertz führt die Leser und Leserinnen mit sehr praktischen Beispielen durch die Vorgaben des anwaltlichen Werberechts und gibt Hinweise zu einer erfolgreichen Legal-Tech-Strategie. Vertriebsformen im digitalen Umfeld gehören ebenso dazu wie Chatbots, Smart Contracts und die Unterscheidung, wann der Einsatz von Legal-Tech-Tools zu einer Gewerblichkeit führt. Auch für die Zusammenarbeit mit Legal-Tech-Akteuren zeigt Dr. Remmertz vielfältige Möglichkeiten auf. Gemeinsam mit Kopp (vgl. dort) wird auch das anwaltliche Gesellschaftsrecht beleuchtet. Zum Schluss wagt er einen Ausblick zum Reformbedarf, nachdem noch 2017 rund 44% der befragten Anwaltschaft Befürchtungen hatten, durch Legal-Tech-Anbieter vom Markt verdrängt zu werden.
Fazit
Das Buch „Legal Tech-Strategien für Rechtsanwälte“ richtet sich an die gesamte Anwaltschaft, ob als Einzelanwalt, in Großkanzleien oder in Unternehmen tätig. Und auch nichtanwaltliche Legal-Tech-Anbieter und -Investoren werden wertvolle Informationen finden. Die Autoren wollen zu berufsrechtlichen Diskussionen anregen und einen Beitrag zu möglichen Reformen anstoßen. Zukünftig werden der elektronische Rechtsverkehr und das beA zum Alltag jeder Anwaltskanzlei gehören. Mit der Digitalisierung kommen Legal-Tech-Tools für die eigene Nutzung oder als Service für Mandanten in Betracht. Man sollte Legal-Tech als Chance und nicht als Bedrohung für die Anwaltschaft ansehen. Dazu liefert das Werk eine Fülle von Anregungen.