Die Große BRAO-Reform ist da

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Am 25.06.2021 hat der Bundesrat mehrere wichtige Gesetze für die Anwaltschaft bestätigt. Nun können die Große Reform der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO-Reform) sowie das sogenannte Legal-Tech-Gesetz und das Gesetz zur Reform des notariellen Berufsrechts in Kraft treten. Das Berufsrecht wird damit unter Berücksichtigung wichtiger Entscheidungen des BVerfG auf Stand gebracht.

Einführung
Fast wäre es doch noch schiefgegangen. Obwohl sich der Bundestag Anfang Juni 2021 mit wirklich sehr großer Mehrheit für die BRAO-Reform ausgesprochen hatte, drohte die Reform im Bundesrat zu scheitern. Dem rheinland-pfälzischen Justizminister passte die ganze Sache nicht. Sein Kalkül ging dahin, die Sache in den Vermittlungsausschuss zu bringen, im sicheren Bewusstsein, dass in dieser Legislaturperiode keine Sitzung des Vermittlungsausschusses mehr stattfinden und die ganze Reform dann dem Grundsatz der Diskontinuität anheimfallen würde, mit anderen Worten: Die Reform wäre damit erledigt gewesen. Seine Suche nach weiteren Kapalken blieb aber ohne Erfolg. Die Länder Berlin, Bremen und Thüringen (in diesen Ländern ist Die Linke an der Regierung beteiligt) enthielten sich. Verhindern konnten sie die Reform aber nicht mehr: Der Bundesrat beschloss mehrheitlich, nicht den Vermittlungsausschuss anzurufen.
Man versagt sich besser alle Bemerkungen über Demokratie­verständnis und Föderalismus und schaut nach vorne. Wenn nicht der Bundespräsident noch auf ein verfassungsrechtliches Problem stoßen sollte, das bisher noch niemand bemerkt hat, kann das Gesetz im August verkündet und ein Jahr später, im September 2022, in Kraft treten. Die anderen Gesetze (Legal-Tech-Gesetz und Reform des notariellen Berufsrechts) treten im Herbst in Kraft.

Rückblick
Die BRAO stammt im Wesentlichen aus den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Sie regelte die Berufstätigkeit des einzelnen Anwalts. Berufspflichten von Anwaltssozietäten gab es nicht. Die Tätigkeit ausländischer Kanzleien in Deutschland war nur mittelbar geregelt, eine Aufsicht über solche Kanzleien gab es nicht. Zentrale Fragen wie Tätigkeitsverbote wegen Interessenkonflikten waren in der BRAO nur rudimentär geregelt. Reformversuche gab es immer, aber insgesamt erwies sich die Anwaltschaft als veränderungsunwillig – nun ja, nicht „die Anwaltschaft“ als solche, sondern insbesondere die Bundesrechtsanwaltskammer, die sich, wenn auch ohne demokratisch legitimiertes berufspolitisches Mandat, seit Jahren gegen jede Reform gesperrt hatte. Veränderungen im Berufsrecht gab es nur durch Entscheidungen des BVerfG und gelegentlich des BGH. In den Jahren 2014 und 2016 hatte das BVerfG wesentliche Vorschriften des anwaltsspezifischen Gesellschaftsrechts für verfassungswidrig erklärt, und es lagen weitere Verfassungsbeschwerden beim BVerfG, deren Ergebnis nach Maßgabe der 2014er und 2016er Entscheidungen abzusehen war. Die BRAO wurde als Ruine oder Abbruchhaus des anwaltlichen Berufsrechts bezeichnet. Das ist alles auch im Deutschen AnwaltSpiegel beschrieben worden [Hartung, Great Expectations – Bemerkungen zur Großen BRAO-Reform, Deutscher AnwaltSpiegel 25/2020 vom 09.12.2020 siehe hier – dies bezog sich auf den Referentenentwurf des Ministeriums]; Hartung, Prof. P. und die Anwaltschaft, Deutscher AnwaltSpiegel 20/2020 vom 30.9.2020, (siehe hier).

Was bringt die Reform?
Aber das ist nun alles Geschichte. Die Reform ist verabschiedet und schafft ein Regelwerk, das sich in das Spannungsfeld zwischen Organstellung der Anwaltschaft, unternehmerischer Freiheit und verfassungs- sowie unions­rechtlichen Anforderungen einfügt. Der Gesetzgeber hat dabei zahlreiche Anforderungen aus Literatur und Rechtsprechung berücksichtigt. So setzt die BRAO jetzt nur noch den berufsrechtlichen Rahmen, den anwaltliche Berufsausübungsgesellschaften berücksichtigen müssen, und verzichtet auf ein „eigenes“ Gesellschaftsrecht (das sich ohnehin als brüchig und, bezogen auf die Anwalts-Aktiengesellschaft, als schlicht inexistent erwiesen hatte). Auch die GmbH & Co. KG wird zulässig und bietet Anwaltsgesellschaften erstmals eine haftungsbeschränkte Personengesellschaft, ähnlich der englischen LLP. ­Berufsausübungsgesellschaften unterliegen als solche dem Berufsrecht und müssen speziellen Complianceanforderungen genügen. Von Ausnahmen abgesehen bedürfen sie der Zulassung. Damit verbunden ist eine stärkere Transparenz als bisher, denn künftig wird man im Internet erkennen, wer zu welcher Kanzlei gehört. Auch ausländische Kanzleien können unter bestimmten Voraussetzungen in Deutschland zugelassen werden, was sehr zur Rechtssicherheit beitragen wird. Dazu regelt das Gesetz ausdrücklich die Rechtsdienstleistungsbefugnis und die Postulationsfähigkeit der Anwaltsgesellschaften; bisher war das nur für die Anwalts-GmbH und die Partnerschaft geregelt, nicht aber für die Anwaltssozietät, immerhin die am weitesten verbreitete Organisationsform der anwaltlichen Zusammenarbeit.
Auch die Zusammenarbeitsmöglichkeiten werden erweitert, Stichwort interprofessionelle Zusammenarbeit. Die derzeitige Rechtslage (§ 59a Abs. 1 BRAO) war bereits durch das BVerfG als teilnichtig erklärt worden
(siehe hier). Jetzt dürfen Anwälte sich mit Angehörigen der freien Berufe zusammenschließen. Das erlaubt Dienstleistungsangebote, auf die Mandanten seit langem warten – mit Architekten, Ingenieuren, Sachverständigen, Unternehmensberatern usw.
Hinzu kommt eine Neuregelung der Tätigkeitsverbote aufgrund von Interessenkonflikten in § 43a und § 45 BRAO. Im Wesentlichen werden Zweifelsfragen geklärt, Stichworte: Sozietätswechsler, Sozietätserstreckung, Vortätigkeit von Referendaren und wissenschaftlichen Mitarbeitern und so weiter. Gerade bei den Tätigkeitsverboten, die bei den Rechtsanwaltskammern die am häufigsten vorkommenden Aufsichtsthemen darstellen, musste man sich im Wesentlichen in Literatur und Rechtsprechung orientieren, um zu wissen, ob man tätig werden darf, weil die BRAO in ihrer jetzigen Form im Wesentlichen aus Zweifelsfragen und Lücken besteht. Diese Neuregelung ist mindestens so wichtig wie die Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts.

Hier ist nicht der Platz, um alle Änderungen der Reform vorzustellen – aber dazu gibt es sehr eingehende Darstellungen zum Beispiel im Anwaltsblatt Online (siehe hier).

Die Rolle des BMJV
Die Reform war nicht unumstritten. Sie ging auf den Deutschen Anwaltverein (DAV) und den von ihm beauftragten Gutachter Prof. Dr. Martin Henssler zurück. Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hatte erhebliche Bauchschmerzen hinsichtlich der interprofessionellen Zusammenarbeit, aber auch mit Vorschriften zur Transparenz (wegen der erheblichen Mehrarbeit für die Kammern) und insbesondere mit der Neuregelung der Stimmengewichte der regionalen Kammern in der BRAK-Hauptversammlung. Bisher hat dort jede Kammer eine Stimme, unabhängig von der Zahl der in den Kammern zusammengeschlossenen Anwälte. Das ist eine sehr befremdliche Regelung, die längst nicht mehr erklärt werden konnte. Die Neuregelung sieht eine Staffelung je nach Größe der Kammer vor, was eigentlich selbstverständlich ist. Dennoch war die BRAK dagegen.
Das Besondere an der BRAO-Reform (und an der zeitgleich verabschiedeten Neuregelung zu Erfolgshonoraren und Inkassogesellschaften) ist, dass das BMJV schon mit den Referentenentwürfen sehr eigenständige Vorschläge unterbreitet und vorangetrieben hatte, obwohl entweder nur die BRAK oder auch der DAV an mehreren Stellen entschieden protestiert hatten. Diese Widerstände waren häufig berufsbildbezogen und zielten auf den Schutz der traditionellen Anwaltschaft ab, während das BMJV die Perspektive von Mandanten und Verbrauchern einnahm und auf Basis der Rechtsprechung des BVerfG die Neugestaltung vorantrieb. Dabei war das BMJV im Gesetzgebungsprozess gesprächsbereit und offen für sachliche Kritik an einzelnen Passagen, und eine Reihe der geplanten Regelungen ist im Lauf des Verfahrens geändert worden. Aber das BMJV saß im Driver’s Seat, und für die organisierte Anwaltschaft war es eine durchaus neue Erfahrung, ohne Vetorecht nicht einmal auf dem Beifahrersitz sitzen zu dürfen. Das BMJV hatte in allen Reformvorhaben der laufenden Legislaturperiode ein eigenständiges Profil entwickelt und bewiesen, dass Rechtspolitik auch gegen maulende Verbände möglich ist, wenn an der Spitze ein entscheidungsfreudiger Minister oder eine entscheidungsfreudige Ministerin steht, die im verfassungsrechtlichen Rahmen ein klares Konzept verfolgt (wozu auch gehört, Gesetzgebungswünsche aus verfassungsrechtlichen Bedenken heraus nicht zu unterstützen, Stichwort Aufhebung des Grundsatzes „ne bis in idem“). Das könnte sich als Blaupause für künftige Regierungen erweisen.

Nachtrag
Zum Thema Reform der Stimmengewichte der regionalen Kammern in der BRAK-Hauptversammlung: In Rheinland-Pfalz gibt es zwei Rechtsanwaltskammern, nämlich eine in Koblenz mit 3.276 Mitgliedern und eine in Zweibrücken mit 1.359 Mitgliedern. Das liegt daran, dass Kammern am Sitz der jeweiligen Oberlandesgerichte gebildet werden, § 60 Abs. 1 BRAO. Auch in Hessen gibt es zwei Rechtsanwaltskammern, nämlich eine Frankfurt am Main mit 19.549 Mitgliedern und eine in Kassel mit 1.729 Mitgliedern (in Kassel gab es bis 1945 ein OLG, heute nicht mehr, aber manche Dinge währen ewig). Die Rechtsanwaltskammer München hat 22.482 Mitglieder (Stand Januar 2021). Nach dem jetzigen Rechtszustand hat jede dieser Kammern eine Stimme in der Hauptversammlung. Dafür gibt es keine sachlichen Gründe. Nach dem neuen § 190 Abs. 1 BRAO zählt die Stimme einer Kammer mit bis zu 3.000 Mitgliedern zweifach (das wären Zwei­brücken und Kassel), mit bis zu 5.000 Mitgliedern dreifach (das wäre Koblenz), bis zu 20.000 Mitgliedern achtfach (Frankfurt am Main) und mit mehr als 20.000 Mitgliedern neunfach (München). Einfache Mehrheit reicht, aber wenn sich 17 Kammern zusammentun, können sie eine Sperrminorität bilden. Besser als der jetzt noch geltende Zustand ist das allemal.

markushartung@icloud.com

Hinweis der Redaktion: Den Reformprozess hat Markus Hartung seit vielen Jahren als Mitglied (und bis 2019 als Vorsitzender) des Berufsrechtsausschusses des DAV aktiv begleitet und war in den beiden Anhörungen im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zur BRAO-Reform und zum Legal-Tech-Gesetz als Sachverständiger geladen. Der Beitrag gibt seine persönliche Auffassung wieder. (tw)

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