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Sozialplangestaltung und Altersrente

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Von Hans-Christian Ackermann, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, ­Düsseldorf
und Bettina Partzsch, LL.M., Rechtsanwältin, Luther Rechtsanwalts­gesellschaft mbH, Düsseldorf

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In einem noch unveröffentlichten Urteil entschied das BAG kürzlich (Urteil vom 26.03.2013 – Az. 1 AZR 813/11), dass bei der Bemessung einer Sozialplanabfindung berücksichtigt werden darf, wenn Arbeitnehmer eine vorgezogene gesetzliche Altersrente beziehen können.

Sachverhalt
Die Beklagte schloss im Jahr 2010 einige ihrer Standorte in Deutschland, darunter auch den Betrieb, bei dem der Kläger beschäftigt war. Nach dem mit dem Betriebsrat vereinbarten Sozialplan berechnete sich die Abfindung unter anderem nach folgender Standardformel: Summe Lebensalter x Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsentgelt geteilt durch Divisor 55. Beschäftigte nach Vollendung des 58. Lebensjahrs sollten nach diesem Sozialplan lediglich einen Abfindungsbetrag erhalten, der sich auf einen Ausgleich in Höhe von 85% des pauschalierten Nettoentgelts unter Anrechnung des Arbeitslosengelds bis zum frühestmöglichen Eintritt in die gesetzliche Altersrente beschränkte. Entsprechend dieser Regelung wurde dem damals 62-jährigen Kläger eine Abfindung in Höhe von 4.974,62 Euro gezahlt. Seine Betriebszugehörigkeit blieb bei der Berechnung unberücksichtigt.
Der Kläger hielt den Systemwechsel bei der Berechnung der Abfindung für rentennahe Beschäftigte für eine unzulässige Altersdiskriminierung und verlangte eine weitere Abfindung in Höhe von 234.246,87 Euro nach der Standardformel. Erstinstanzlich blieb die Klage ohne Erfolg.

Entscheidung der Vorinstanz LAG Düsseldorf vom 16.09.2011
Auf die Berufung des Klägers wurden das Urteil durch das LAG Düsseldorf teilweise abgeändert und dem Kläger eine weitere Abfindungszahlung in Höhe von 39.217,95 Euro zugesprochen.

Nach Ansicht des LAG Düsseldorf war die Regelung des Sozialplans, die eine Begrenzung auf die Zeit bis zum frühestmöglichen Eintritt in die gesetzliche Rente vorsah, unwirksam. Sie verstoße gegen § 75 Abs. 1 BetrVG, da sie eine Diskriminierung wegen des Alters beinhalte. Diese Ungleichbehandlung sei auch nicht durch die Sonderregelung des § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG gedeckt. Das LAG Düsseldorf vertrat die Auffassung, dass die Begrenzung der Abfindungsberechnung auf die Zeit bis zum frühestmöglichen Rentenbezug jedenfalls angesichts des sonst erheblichen Sozialplanvolumens nicht angemessen sei. Ein Abstellen auf den regulären Rentenbeginn hätte zur Vermeidung einer unangemessenen Begünstigung älterer Arbeitnehmer genügt. Demgegenüber sei das Abstellen auf den frühestmöglichen Rentenbezug eine unverhältnismäßige Belastung älterer Arbeitnehmer

Diese Unwirksamkeit habe jedoch nicht die Unwirksamkeit der gesamten Regelung der Abfindungsberechnung für Beschäftigte nach Vollendung des 58. Lebensjahrs zur Folge. Der Sozialplan könne ohne eine Begrenzung der Abfindungsberechnung auf den frühestmöglichen Eintritt in die gesetzliche Rente aufrechterhalten werden. Bei Streichung der Silbe „frühest“ bliebe eine in sich geschlossene, sinnvolle Regelung bestehen.

Demgegenüber hat das LAG München (Urteil vom 08.02.2011 – Az. 7 Sa 887/10) in einem ähnlich gelagerten Fall für Arbeitnehmerinnen eine Begrenzung der Abfindungs- bzw. Ruhestandsberechnung, bezogen auf den frühestmöglichen Rentenantritt, unter Berufung auf frühere BAG-Entscheidungen für zulässig erachtet. In dem diesbezüglich ebenfalls anhängigen Revisionsverfahren vor dem BAG (Az. 1 AZR 393/11) haben sich die Parteien inzwischen jedoch verglichen.
Entscheidung des BAG vom 26.03.2013

Der Kläger unterlag jedoch letztinstanzlich vor dem BAG. Denn: Der Erste Senat hält auch das Abstellen auf den Bezug von vorgezogener Altersrente für angemessen. Die an das Lebensalter anknüpfende Berechnung der Abfindung sei nach § 10 Satz 3 Nr. 6 Alt. 2 AGG und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG zulässig. Gerade im Hinblick auf die Überbrückungsfunktion einer Sozialplanabfindung sei es nicht zu beanstanden, wenn die Betriebsparteien bei rentennahen Arbeitnehmern nur die bis zum vorzeitigen Renteneintritt entstehenden wirtschaftlichen Nachteile nach einer darauf bezogenen Berechnungsformel ausglichen.
Der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz und das Verbot der Altersdiskriminierung werden dadurch nach Auffassung des BAG nicht verletzt.

Anmerkungen
Nach § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG können die Betriebsparteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung vorsehen, in der sie die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters berücksichtigen, oder auch Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausschließen, weil diese, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld I, rentenberechtigt sind.
Bereits in der Vergangenheit hatte sich das BAG mehrfach mit der Frage der Altersdifferenzierung, insbesondere der Unterscheidung von „rentennahen“ und „rentenfernen“ Beschäftigten, in Sozialplänen auseinandergesetzt. In seiner Entscheidung vom 26.05.2009 (Az. 1 AZR 198/08) stellte das BAG fest, dass Sozialplanleistungen für rentenberechtigte Arbeitnehmer durch einen derartigen „Systemwechsel“ bei deren Berechnung reduziert oder ganz ausgeschlossen werden dürfen. Mit Urteil vom 23.03.2010 (Az. 1 AZR 832/08) hatte das BAG ergänzend klargestellt, dass die Vorschrift des § 10 Satz 3 Nr. 6 Alt. 2 AGG über ihren Wortlaut hinaus gleichermaßen anwendbar sei, wenn die betroffenen Arbeitnehmer eine Abfindung erhalten, die so bemessen ist, dass sie die wirtschaftlichen Nachteile ausgleichen kann, welche die Arbeitnehmer in der Zeit nach der Erfüllung ihres Arbeitslosengeldanspruchs bis zum frühestmöglichen Bezug einer (gekürzten) Altersrente erleiden. Das vom BAG angeführte Hauptargument hierfür ist, dass Sozialplanleistungen eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion zukommt und diese gerade kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste darstellen.
Der EuGH hat sich in der sogenannten „Andersen“-Entscheidung vom 12.10.2010 (C 499/08) in Bezug auf eine dänische gesetzliche Abfindungsregelung mit der Auslegung von Art. 6 Abs.1 der Richtlinie 2000/78/EG beschäftigt und entschieden, dass der mit einer gesetzlichen Regelung mittelbar verbundene Zwang zur Inanspruchnahme von vorgezogenem Altersruhegeld die älteren Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt. Mit der vorliegenden Entscheidung führt das BAG seine bisherige Rechtsprechung jedoch fort und verdeutlicht damit, dass die vorgenannte EuGH-Entscheidung in dieser Hinsicht keinen Rechtsprechungswandel herbeigeführt hat. Die durch die EuGH-Entscheidung kurzfristig aufgetretene Rechtsunsicherheit bezüglich der Gestaltung von Sozialplänen dürfte hiermit wieder beseitigt sein.

Die Urteilsgründe des BAG waren bei Redaktionsschluss noch nicht veröffentlicht. Interessant wird es daher insbesondere sein, wie das BAG begründet, dass es – im Gegensatz zur Vorinstanz – die Berücksichtigung des frühestmöglichen Renteneintritts bei der Berechnung der Sozialplanabfindung trotz von den Arbeitnehmern in Kauf zu nehmender Rentenkürzungen für angemessen hält und inwieweit es sich mit dem vorgenannten EuGH-Urteil auseinandersetzt.

Fazit
Arbeitgeber mit vielen rentennahen Beschäftigten mit hohen Betriebszugehörigkeitszeiten sollten daher beim Abschluss von Sozialplänen zur Kostenreduzierung für rentennahe Jahrgänge eine abweichende Abfindungsregelung vorsehen und dabei lediglich die Zeit bis zum frühestmöglichen Rentenbeginn zugrunde legen.

Hinweis der Redaktion: Hans-Christian Ackermann ist Mitherausgeber des Praxishandbuchs „Business Law in Germany“. Mehr Informationen dazu finden Sie HIER (tw)

Kontakt: hans-christian.ackermann@luther-lawfirm.com und bettina.partzsch@luther-lawfirm.com