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Aktuelle Ausgabe

Grenzüberschreitende ­Streitbeilegung nach dem Brexit

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Am 01.07.2025 ist das Haager Übereinkommen vom 02.07.2019 über die Anerkennung und Voll­streckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handels­sachen (HAVÜ) im Vereinigten Königreich (UK) in Kraft getreten. Für Unternehmen, die im Wirtschaftsverkehr zwischen dem UK und der Europäischen Union (EU) tätig sind, ist damit eine brexitbedingte Regelungslücke geschlossen worden. Der einheitliche Mechanismus verspricht Rechtssicherheit und eine zeit- und kosteneffiziente Durchsetzung von Gerichtsentscheidungen auf beiden Seiten des Ärmelkanals. Dieser Beitrag beleuchtet die zentralen Regelungen des HAVÜ, erläutert die Umsetzung des Übereinkommens im UK und Deutschland und zeigt, worauf Unternehmen achten sollten.


Was regelt das HAVÜ?


Das HAVÜ legt die Voraussetzungen fest, unter denen Gerichtsentscheidungen in Zivil- und Handelssachen eines Vertragsstaats in den anderen Vertragsstaaten des Übereinkommens anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden. Zu den Vertragsstaaten gehören neben UK und den Mitgliedstaaten der EU (mit Ausnahme von Dänemark) aktuell noch die Ukraine und Uruguay. Im Verhältnis zum UK gilt das HAVÜ nur für nach dem 01.07.2025 eingeleitete Verfahren.


Im Gegensatz zu der im UK vor dem Brexit geltenden Brüssel Ia-VO enthält das HAVÜ weder Vorschriften über die internationale Zuständigkeit noch Regelungen zur Koordination paralleler Gerichtsverfahren. Diese Aspekte richten sich im Rechtsverkehr zwischen EU und UK ­weiterhin nach dem jeweiligen nationalen Recht des ­angerufenen Gerichts.


Zusätzlich zum HAVÜ findet im Verhältnis zum UK das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsverein­barungen vom 30.06.2005 (HGÜ) Anwendung. Das HGÜ geht dem HAVÜ vor, wenn es um die grenzüberschreitende Durchsetzung von Entscheidungen eines ausschließlich prorogierten Gerichts geht. Haben Parteien hingegen keine, nur eine fakultative oder – wie in ­Finanzierungsverträgen üblich – eine asymmetrische Gerichtsstandsabrede getroffen, ist zwischen EU-Mitgliedstaaten und UK das HAVÜ zu beachten.


Welche Gerichtsentscheidungen profitieren vom HAVÜ?


Das HAVÜ erfasst Entscheidungen in Zivil- und Handels­sachen. Ausgenommen sind Angelegenheiten, in denen der Staat in Ausübung hoheitlicher Befugnisse handelt.
Das HAVÜ gilt für Entscheidungen in der Sache (Art. 1b). Dazu gehören insbesondere Gerichtsentscheidungen über Forderungen, die Erfüllung nicht-mone­tärer Verpflichtungen, Versäumnisurteile, Entscheidungen über Sammelklagen und Kostenbeschlüsse, die sich auf vom Übereinkommen erfasste Entscheidungen beziehen. Anwendbar ist das HAVÜ auch auf Voll­streckungsbescheide, die nach Zustellung eines Mahnbescheids mangels Reaktion des Antragsgegners erlassen werden, und auf einstweilige Leistungsverfügungen.


Das HAVÜ gilt hingegen nicht für rein verfahrensrechtliche Entscheidungen (zum Beispiel die Anordnung der Offenlegung von Dokumenten), Entscheidungen über die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils oder eines Schiedsspruchs sowie für Vollstreckungsanordnungen (zum Beispiel Forderungspfändungsbeschlüsse). Keine Entscheidungen im Sinne des HAVÜ sind einstweilige Maßnahmen zur Ver­mögenssicherung oder zum Erhalt des Status quo (Art. 3 Abs. 1b).


Voraussetzung für die Anwendung des HAVÜ ist, dass die Entscheidung im Ursprungsstaat wirksam und vollstreckbar ist (Art. 4 Abs. 3). Formelle Rechtskraft ist zwar nicht erforderlich. Wird eine Entscheidung im Ursprungsstaat gerichtlich nachgeprüft oder ist die Frist für ein ordent­liches Rechtsmittel nicht verstrichen, kann die Anerkennung oder Vollstreckung allerdings abgelehnt oder auf­geschoben werden (Art. 4 Abs. 4).


Das HAVÜ enthält in Art. 2 einen Katalog von Angelegenheiten, die aus dem Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgenommen sind. Zu den wichtigsten ­Ausschlüssen gehören:

  • Insolvenz, insolvenzrechtliche Vergleiche und ähn­liche Angelegenheiten (Art. 2 Abs. 1e): Darunter fallen Gerichts­entscheidungen über Rechte oder Pflichten aufgrund von Vorschriften, die sich speziell auf Insolvenzverfahren beziehen und nicht auf allgemeine zivil- oder handelsrechtliche Regelungen. Ein insolvenzrechtlicher Vergleich erfasst Vereinbarungen über die Sanierung von Unternehmen zur Verhinderung der Liquidation, die im Rahmen von besonderen Verfahren zwischen Schuldner und Gläubigern getroffen werden.
  • Geistiges Eigentum (Art. 2 Abs. 1m): Ausgeschlossen sind Angelegenheiten, die international oder national als geistiges Eigentum anerkannt sind bzw. gleichwertigen Schutz genießen. Hierzu gehören etwa Entscheidungen über die Gültigkeit und Eintragung von Rechten des geistigen Eigentums, den Bestand sowie die Verletzung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten. Unter das HAVÜ fallen Entscheidungen, die auf allgemeinem Vertragsrecht beruhen, wie etwa über die unzutreffende Ausweisung von Verkäufen unter Vertriebsverträgen oder über die Höhe von Lizenzgebühren unter Markenlizenzverträgen.
  • Kartellrechtliche Angelegenheiten mit Ausnahme von Entscheidungen über sogenannte Hardcore-Kartelle (Art. 2 Abs. 1p): Wettbewerbsrechtliche Angelegenheiten sind nur teilweise aus dem HAVÜ ausgeschlossen. In den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen Absprachen und abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Wettbewerbern, sofern sowohl das Verhalten als auch dessen Wirkung im Ursprungsstaat erfolgt sind. Ausgeschlossen sind insbesondere Verbote und Beschränkungen des einseitigen Verhaltens von Marktteilnehmern (z.B. wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung).
  • Schiedsgerichtsbarkeit und darauf bezogene staat­liche Verfahren (Art. 2 Abs. 3): Ausgenommen sind insbesondere Gerichtsentscheidungen über die Vollstreckbarerklärung und Aufhebung von Schiedssprüchen sowie Versäumnisurteile, in denen sich das staatliche Gericht mit einer bestehenden Schieds­vereinbarung nicht auseinandergesetzt hat. Hat sich der Beklagte am Verfahren vor dem Ursprungsgericht beteiligt, ohne die Schiedseinrede zu erheben, ist das HAVÜ auf die resultierende Gerichtsentscheidung ­anwendbar.


Die Ausschlüsse aus dem Anwendungsbereich des HAVÜ gelten nicht, wenn sich die ausgenommene Angelegenheit lediglich als Vorfrage oder als Einwendung in dem Verfahren stellt (Art. 2 Abs. 2).


Was ist für die Anerkennung und Vollstreckbar­erklärung nach dem HAVÜ erforderlich?


Die Durchsetzung einer Gerichtsentscheidung nach dem HAVÜ erfordert neben der Eröffnung des Anwendungsbereichs, dass einer der Zuständigkeitsgründe in Art. 5 vorliegt. Diese lassen sich in drei Kategorien aufteilen:

  • gewöhnlicher Aufenthalt des Beklagten beziehungsweise Niederlassung, aus deren Tätigkeit der Anspruch stammt, im Ursprungsstaat,
  • ausdrückliche Zustimmung des Beklagten zur Zuständigkeit des Gerichts im Ursprungsstaat oder rügelose Einlassung,
  • ausreichende Verknüpfung zwischen dem streitigen Anspruch und dem Ursprungsstaat.


Für die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung vorzulegen sind nach Art. 12:

  • beglaubigte Abschrift der Entscheidung, einschließlich Nachweis über Wirksamkeit und gegebenenfalls Vollstreckbarkeit der Entscheidung,
  • beglaubigte Übersetzung der Entscheidung und weiterer Nachweise in eine Amtssprache des ersuchten Vertragsstaats.


Der Prüfungsmaßstab im Verfahren auf Anerkennung und Vollstreckbarerklärung beschränkt sich auf folgende Fragen:

  • Ist der Anwendungsbereich eröffnet und liegt einer der Zuständigkeitsgründe in Art. 5 vor?
  • Greift einer der Versagungsgründe in Art. 7? Der übersichtliche Katalog in Art. 7 ist abschließend und eng auszulegen. Zu den Versagungsgründen gehören etwa die Verletzung rechtlichen Gehörs des Beklagten, der Verstoß gegen die öffentliche Ordnung und die Kollision mit einer anderen Gerichtsentscheidung. Eine inhalt­liche Überprüfung der Entscheidung ist ausdrücklich untersagt (Art. 4 Abs. 2).


Das Verfahren zur Anerkennung und Vollstreck­barerklärung richtet sich im Übrigen nach nationalem Recht:

  • In Deutschland gilt das AVAG (Gesetz über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen). Zuständig ist das Landgericht am Wohnsitz des Schuldners, andernfalls das am Ort der durchzuführenden Zwangsvollstreckung (§ 3). Das Verfahren ist grundsätzlich schriftlich und ohne Anhörung des Schuldners durchzuführen (§ 6). Bei Zulassung der Zwangsvollstreckung wird die Gerichtsentscheidung mit einer Vollstreckungsklausel versehen und die Verpflichtung ins Deutsche übersetzt.
  • Im UK ist der Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 (CJJA) maßgeblich. Zuständig sind die High Courts in England & Wales, Schottland oder Nordirland (§ 4C Art. 2). Eine mündliche Anhörung des Schuldners ist nicht vorgesehen (§ 4 Art. 4). Zudem gilt eine beglaubigte Kopie als echt, sofern keine Zweifel an der Echtheit bestehen (§ 11C Art. 1 [a]).


Folgen für Unternehmen


Das HAVÜ bietet für zahlreiche vertragliche und außervertragliche Streitigkeiten im B2B- und B2C-Verkehr zwischen der EU und UK Rechtssicherheit hinsichtlich des Rahmens für die grenzüberschreitende Durchsetzung von Gerichtsentscheidungen.


International tätige Unternehmen sollten folgende Besonderheiten beachten:

  • die erleichterte grenzüberschreitende Vollstreckung kann im Einzelfall als Druckmittel eingesetzt ­werden, um Schuldner zur Erfüllung ihrer Pflichten ohne ­zusätzliche Verfahrenskosten zu bewegen,
  • die Möglichkeit, gemäß § 110 Abs. 1 ZPO Prozess­kostensicherheit in deutschen Gerichtsverfahren zu verlangen, in denen der Kläger oder Antragsteller ­seinen Sitz im UK hat, besteht im Geltungsbereich des HAVÜ nicht,
  • stehen Parteien bei Vertragsschluss vor der Wahl ­zwischen einer asymmetrischen Gerichtsstands­vereinbarung und einer Schiedsabrede, sollten sie unter Berück­sichtigung des Anwendungsbereichs des HAVÜ sorgfältig abwägen, ob die staatliche Gerichtsbarkeit nicht eine zeit- und kosteneffizientere Lösung für künftige Streitigkeiten aus und im Zusammenhang mit dem Vertrag bietet. 

Autor

Dr. Evgenia Peiffer, CMS

Dr. Evgenia Peiffer

CMS Hasche Sigle, München
Rechtsanwältin, Counsel


evgenia.peiffer@cms-hs.com
www.cms.law


Autor

Gesa-Philippa Keller, CMS

Gesa-Philippa Keller, LL.M.

CMS Hasche Sigle, München
Wissenschaftliche Mitarbeiterin


gesa-philippa.keller@cms-hs.com
www.cms.law