Das Problem: Tech-Monopole
Kürzlich äußerte BSI-Präsidentin Claudia Plattner, dass digitale Souveränität für Deutschland vorläufig unerreichbar sei – zu groß sei die technologische Abhängigkeit von Soft- und Hardware aus dem Ausland. Dafür erntete sie in einem offenen Brief der Open Source Business Alliance (OSBA) erheblichen Widerspruch (siehe hier). In der aktuellen Debatte jedoch übersehen beide Seiten einen wichtigen gemeinsamen und grundlegenden Nenner: die Beendigung der technologischen Erpressbarkeit durch Tech-Monopolisten, die jahrzehntelang deutsche Kunden an sich gebunden und auf diese Weise gezielt zunächst auf dem Software- und nachfolgend auf dem Cloudmarkt einen freien Wettbewerb behindert haben. Die beim Aufspalten eines solchen Monopols entstehende Wahlfreiheit würde Vorteile mit sich bringen, die weit über die abstrakte Forderung nach digitaler Souveränität hinausgehen: Dazu gehören geringere Kosten, bessere Cybersicherheit, mehr Wettbewerb und damit letzten Endes ein erfolgversprechenderes Umfeld, in dem Unternehmen und Organisationen ihre digitalen Infrastrukturen frei nach ihrem Willen gestalten können, ohne sich von einem einzelnen Anbieter strukturell abhängig zu machen.
Aktuelle Entwicklungen: Es ist was los im Staate Dänemark
Aktuelle Entwicklungen: Es ist was los im Staate Dänemark
Umso mehr zu begrüßen ist deshalb auch der jüngste Vorstoß des neuen Bundesministeriums für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS), den bisher umfassenden Einsatz von Microsoft-Produkten in der Bundesverwaltung nicht nur zu überprüfen, sondern auch kritisch zu hinterfragen und entsprechende Ausstiegsoptionen aufzuzeigen (siehe hier). Eine ganz ähnliche Richtung schlägt das Land Schleswig-Holstein ein, indem es Büroanwendungen von Microsoft – und damit im Regelfall gleichzeitig auch den Zwang, dessen Cloud zu verwenden – strategisch aus dem Produktivbetrieb in der Verwaltung verbannt (siehe hier). Doch auch international zeigen sich mittlerweile ähnliche Entwicklungen: Wo man jahrzehntelang auf die Technik weitestgehend eines einzelnen Anbieters vertraut hat, bahnt sich ein gravierender Wechsel in der digitalen Verwaltungsinfrastruktur an, denn diese ist nicht nur wichtig, sondern gar systemkritisch. So kündigte beispielsweise Dänemark im Sommer dieses Jahres an, in den kommenden Monaten komplett auf Microsoft-Software zu verzichten – und das im Rekordtempo, denn bis zum Herbst dieses Jahres schon solle das komplette dänische Digitalministerium „von Microsoft befreit sein“ (siehe hier).
Und in der Tat erfolgt der globale Umstieg auf IT-Alternativen jenseits der großen Monopole mit System. Richtigerweise betont daher die dänische Digitalministerin auch, dass es nicht um Microsoft allein geht, sondern man generell deutlich zu abhängig von einigen wenigen Anbietern sei – der Softwarekonzern aus Redmond ist in dieser Debatte aber nicht selten der primäre Stein des Anstoßes, weil die Abhängigkeiten hier im Vergleich mit anderen Anbietern noch deutlich massiver ausgeprägt sind. Denn nicht umsonst wird festgestellt, dass das Betriebssystem und die Office-Software in Deutschland private und dienstliche Endgeräte gleichermaßen dominieren. Doch nicht nur das: Über die Cloud versucht Microsoft gezielt, neue User an seine Produkte zu binden, indem diese über das Angebot eines kompletten Ökosystems in einem „goldenen Käfig“ gefangen werden, der mit der Integration nicht nur von Produktivitätssoftware in die Cloud, sondern mittlerweile auch der künstlichen Intelligenz immer massiver wird (siehe hier) – im Ergebnis eine toxische Mischung.
Ein digitalsouveränes Deutschland …
Aber es geht hier nicht allein um wettbewerbsrechtliche Fragen, sondern auch um Fragen der Cybersicherheit und der unfairen Preisgestaltung: Denn wo einmal ein Monopol besteht, wird dieses in aller Regel auch zum eigenen Vorteil ausgenutzt. Nicht anders ist das auch bei Microsoft, indem der Konzern seinen Kunden kaum Einblicke in seine technische Infrastruktur unterhalb der Benutzeroberfläche gewährt, keine nennenswerten Mitspracherechte bei der Produktplanung und Systemgestaltung möglich sind und letztlich eine viel zu geringe Verhandlungsmacht bei der Preisgestaltung besteht – weil man sich eben jahrelang auch um eine Alternative nicht ernsthaft bemüht hatte. Genau diesen Missstand prangert letztlich auch die OSBA in ihrem offenen Brief an BSI-Präsidentin Claudia Plattner vom 26.08.2025 an, indem festgestellt wird, dass es sehr wohl möglich sei, ein digitalsouveränes Deutschland aufzubauen – man muss es eben nur wollen, indem man gezielt bestehende Monopole aufbricht und Deutschland dadurch erst wieder digital handlungsfähig macht (siehe hier).
… gibt es nicht zum Nulltarif
Definitiv behauptet niemand, dass ein solcher Schritt einfach oder gar kostenneutral wäre – im Endeffekt gewinnen wir mit einem Ausschluss von Microsoft aus der öffentlichen Verwaltung in Deutschland aber deutlich mehr, als wir verlieren könnten. Denn in einem Zeitalter, in dem es immer mehr auch um die Vertrauenswürdigkeit von Technologien und Herstellern geht, hat Microsoft in den letzten Monaten und Jahren schon mehrfach sehr deutlich gezeigt, dass ebenjene Vertrauenswürdigkeit nicht vorhanden ist, so zuletzt in diesem Jahr mit der kritischen Sharepoint-Sicherheitslücke mit erheblichen Folgen für die Sicherheit und Vertraulichkeit von sensiblen Daten, von der deutsche Unternehmen, Behörden und Bildungseinrichtungen im europaweiten Vergleich am stärksten betroffen gewesen sind, wie noch Anfang August berichtet wurde (siehe hier).
Doch gerade aufgrund der in den vergangenen Jahrzehnten aufgebauten erheblichen Abhängigkeiten von einem einzelnen Softwareanbieter ist es jetzt umso wichtiger, den Umstieg nicht überstürzt anzugehen, sondern mit System zu planen. Denn gerade die öffentliche Hand ist es, die hier mit gutem Beispiel vorangehen müsste, weil die staatliche Beschaffungspolitik nicht nur nationalen Vorbildcharakter hat, sondern weil gerade vom Bund eine signifikante Hebelwirkung ausgeht, die sich bei einer Abkehr von Microsoft-Software und -Cloud auch in den einzelnen Bundesländern deutlich bemerkbar machen dürfte. Nicht ohne Grund ist der Deutschland-Stack – auch „D-Stack“ genannt – eines der zentralen Flaggschiffvorhaben des BMDS, das bis zum Jahr 2028 abgeschlossen sein soll. Das Ziel: der Aufbau eines „strategischen Plattformkernsystems“, das zukünftig als Basis für die gemeinsame digitale Infrastruktur dient und von der öffentlichen Hand und privaten Anbietern gleichermaßen betrieben und weiterentwickelt wird, um ein lebendiges Ökosystem für digitale Lösungen zu schaffen (siehe hier). Der D-Stack soll am Ende eine einheitliche IT-Infrastruktur zur Verfügung stellen, die sich aus Basiskomponenten wie Cloud- und IT-Diensten, Fachplattformen und Schnittstellen mit Fokus auf Cybersicherheit und damit Datenvertraulichkeit zusammensetzt, um die IT-Infrastruktur zu konsolidieren, Standards zu setzen, Anwendungen zu verbessern und Ressourcen zu sparen (siehe hier). Letztlich kann ein solch ambitioniertes Projekt aber nur dann gelingen, wenn man in Sachen Verwaltungsdigitalisierung nicht von einem einzelnen Anbieter abhängig ist, sondern wenn ein freies Ökosystem mit einer realen Wahl- und Entscheidungsfreiheit auf dem Software- und Cloudmarkt vorhanden ist.
Digitale Innovation durch digitale Wahlfreiheit
Die Vorteile eines solchen Multi-Cloud-Systems liegen auf der Hand. So könnten öffentliche Einrichtungen und Unternehmen die für sie passendsten Dienste und Plattformen darin aussuchen, ohne von einem einzelnen Anbieter abhängig zu sein. Überdies können spezifische Anforderungen besser erfüllt und die Betriebskosten gesenkt werden, indem reale Verhandlungsspielräume nutzbar sind. Doch nicht nur das: Mit der Reduzierung der Abhängigkeit von einem einzelnen Anbieter ist im Regelfall ebenso eine erhöhte Zuverlässigkeit und Ausfallsicherheit verbunden, denn durch die Verteilung des Workloads optimalerweise über verschiedene Cloudumgebungen hinweg wird zugleich eine bessere Redundanz geschaffen (siehe hier).
Zu lange haben wir uns in Deutschland in Sachen Software und Cloud mit Microsoft auf einen einzelnen Anbieter verlassen, der dies über Jahre hinweg auch gründlich ausgenutzt hat. Nun aber ist die Zeit für den Wechsel gekommen – und bei einer Betrachtung der Gesamtumstände ist ein solcher Wechsel nicht nur notwendiger, sondern auch günstiger denn je. Das Aufbrechen von Monopolen und der Aufbau von realer digitaler Wahlfreiheit zwischen den verschiedenen Alternativen im Cloud- und Softwareumfeld sichert Deutschlands digitale Innovation und Souveränität nicht nur jetzt, sondern, als nachhaltige strategische Investition verstanden, auch in Zukunft.
Autor

Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker
dennis.kipker@cyberintelligence.institute
www.cyberintelligence.institute


