Am 01.04.2025 ist das Justizstandort-Stärkungsgesetz in Kraft getreten, das es den Ländern erlaubt, bei den Oberlandesgerichten „Commercial Courts“ und bei den Landgerichten „Commercial Chambers“ (auf die im Folgenden nicht weiter eingegangen wird) einzurichten. Zum Start dieser bemerkenswerten Reform im Bereich des deutschen Zivilprozessrechts haben bereits einige Länder von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.
Doch was sind Commercial Courts, und ist die Vereinbarung ihrer Zuständigkeit sinnvoll? Insbesondere diesen Fragen widmet sich dieser Beitrag.
Was sind Commercial Courts?
Die Commercial Courts sind Spezialsenate in Zivilsachen, die bei den Oberlandesgerichten der jeweiligen Länder eingerichtet werden bzw. bereits wurden. Anders als sonst entscheiden in diesen Verfahren die Mitglieder des Commercial Courts (Richter am Oberlandesgericht) erstinstanzlich über die jeweiligen Streitigkeiten. Eine Berufung gegen diese Entscheidung findet sodann, anders als bei Verfahren vor den Landgerichten, nicht statt. Stattdessen gibt es die (zulassungsfreie) Möglichkeit der Revision zum Bundesgerichtshof (BGH). Über die Commercial Courts wird man daher zukünftig leichter zum BGH kommen als bisher.
Commercial Courts können dabei gemäß § 119b GVG nur bei kumulativem Vorliegen der folgenden Voraussetzungen direkt angerufen werden:
- Der Streitwert der Streitigkeit beträgt mindestens 500.000 Euro.
- Es handelt sich um (a) eine zivilrechtliche Streitigkeit zwischen Unternehmern (§ 14 BGB, z.B. Lieferstreitigkeiten oder Handelsvertreterstreitigkeiten), ausgenommen solche auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, Urheberrechts und des UWG; oder (b) Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Erwerb von Unternehmen oder Unternehmensanteilen oder (c) Streitigkeiten zwischen einer Gesellschaft und ihren Organmitgliedern, insbesondere Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern.
- Es besteht eine Vereinbarung über die Zuständigkeit eines Commercial Courts zwischen den Parteien, oder es wurde rügelos vor dem Commercial Court verhandelt.
Commercial Courts im Überblick
Wichtig: Die meisten Länder haben sich bislang entschieden, die Commercial Courts nur für bestimmte Sachgebiete einzurichten:
- KG Berlin: Streitigkeiten mit Beschränkung des § 119b Abs. 1 Satz 1 GVG auf Bau- und Architektenverträge sowie Ingenieurverträge, soweit sie im Zusammenhang mit Bauleistungen stehen, vgl. § 1 Abs. 1 CCVO Berlin.
- OLG Bremen: Streitigkeiten mit Beschränkung des § 119b Abs. 1 Satz 1 GVG insbesondere auf Ansprüche aus Fracht-, Speditions- oder Lagergeschäften im Sinne des Vierten und Fünften Buchs des HGB sowie Streitigkeiten in den Bereichen Luft- und Raumfahrttechnologien und Wasserstoff, vgl. § 1 Abs. 2 BremCCVO.
- OLG Düsseldorf: Streitigkeiten mit Beschränkung des § 119b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GVG auf Bau- und Architektenverträge, Ingenieurverträge, soweit sie im Zusammenhang mit Bauleistungen stehen, (punktuell) Versicherungsvertragsverhältnisse und gesellschaftsrechtliche Angelegenheiten, vgl. § 1 Abs. 2 Commercial-Court- und Commercial-Chambers-Verordnung NRW.
- OLG Frankfurt am Main (in Planung): Voraussichtlich Streitigkeiten ohne Beschränkungen auf bestimmte Sachgebiete innerhalb der Grenzen des § 119b Abs. 1 Satz 1. und 2 GVG.
- OLG Hamburg: Streitigkeiten ohne Beschränkungen auf bestimmte Sachgebiete innerhalb der Grenzen des § 119b Abs. 1 Satz 1. und 2 GVG, vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 ComCourtV HA.
- OLG München (in Planung): Voraussichtlich Streitigkeiten mit Beschränkung des § 119b Abs. 1 Satz 1 GVG auf Streitigkeiten in einer Lieferkette sowie bestimmte gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, vgl. Pressemitteilung der Bayerischen Staatskanzlei, S. 6.
- OLG Stuttgart: Streitigkeiten mit Beschränkung des § 119b Abs. 1 S 1 Nr. 1 GVG auf das Gebiet des Gesellschaftsrechts, vgl. Art. 1 § 7 Abs. 2 Verordnung des Justizministeriums zur Änderung der Zuständigkeitsverordnung Justiz.
- Weitere Standorte in Planung: OLG Celle, OLG Dresden
Besonderheiten der Commercial Courts
Die wichtigsten Besonderheiten der Verfahren vor den Commercial Courts im Vergleich zu den erstinstanzlichen Verfahren vor den Landgerichten dürften die Folgenden sein:
Verfahren kann in englischer Sprache geführt werden
Im Gegensatz zu den regulären Kammern der Landgerichte ist es vor einem Commercial Court gemäß § 184a GVG möglich (aber nicht zwingend), das Verfahren in englischer Sprache zu führen. Dadurch entfallen Übersetzungskosten, und insbesondere internationale Parteien können dem Verfahren einfacher folgen und vom Gericht persönlich angehört werden.
Grundsätzlich hohe Qualität der Entscheidungen
Die Entscheidungen der Commercial Courts versprechen ein hohes fachliches Niveau, da sie von den erfahrenen Richtern der Oberlandesgerichte getroffen werden. Innerhalb der Commercial Courts wird zudem durch Spezialisierungen der Kammermitglieder sichergestellt, dass die erforderliche Expertise für wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten vorhanden ist. Zudem entscheidet der Commercial Court jeweils als Spruchgremium. Eine Übertragung auf die Vorsitzende oder den Vorsitzenden ist nicht vorgesehen (§ 610 Abs. 1 ZPO).
Wortlautprotokoll, Court-Reporter
Nach § 613 ZPO ist auf übereinstimmenden Antrag der Parteien das Protokoll als ein mitlesbares Wortlautprotokoll zu führen. Das kann nach § 613 Abs. 2 ZPO auch durch „gerichtsfremde Personen“ erfolgen, also insbesondere durch spezialisierte Court-Reporter, wie sie in Schiedsgerichtsverfahren eingesetzt werden. Das Gesetz sieht allerdings die Einschränkung vor, dass dem keine tatsächlichen Gründe entgegenstehen dürfen, etwa wenn keine geeignete Person auffindbar ist. Erfahrungen aus der Schiedsgerichtsbarkeit zeigen, dass erfahrene Court-Reporter ein knappes (und auch teures) Gut sind.
Zulassungsfreie Revision zum BGH
Ein wesentlicher Vorteil besteht darin, dass – anders als bei erstinstanzlichen Verfahren vor den Landgerichten – stets die Revision zum Bundesgerichtshof offensteht (§ 614 ZPO). Dies ermöglicht es insbesondere bei strategischen Streitigkeiten, frühzeitig eine höchstrichterliche Entscheidung herbeizuführen.
Potentiell höhere Effizienz (Zeit- und Kostenersparnis)
Ziel der verfahrensrechtlichen Neuerungen ist zudem, das Verfahren effizienter zu gestalten und Kosten zu reduzieren. So kann der übliche Instanzenzug über drei Ebenen (LG – OLG – BGH) durch die direkte Anrufung des Commercial Courts als Eingangsinstanz (OLG – BGH) verkürzt werden, was im Einzelfall eine spürbare Ersparnis an Zeit und Kosten bewirken kann.
Darüber hinaus ist in § 612 ZPO vorgesehen, dass zu Beginn des Verfahrens grundsätzlich ein sogenannter Organisationstermin stattfindet. In diesem Termin soll der Ablauf des Verfahrens mit Blick auf eine möglichst zügige Durchführung abgestimmt werden – insbesondere durch Festlegung von Schriftsatzfristen und eines Verhandlungstermins. Dieses Vorgehen orientiert sich an der Praxis von Schiedsverfahren („Verfahrenskonferenz“) und hat sich dort als effizient erwiesen.
Kosten
Gegenüber Verfahren vor den Landgerichten sind die Gerichtsgebühren etwas höher: In der ersten Instanz vor einem Commercial Court fällt eine zusätzliche 1,0 Wertgebühr an. In den meisten Fällen dürfte dieser Umstand jedoch finanziell nicht entscheidend sein.
Prorogation in AGB?
Die Zuständigkeit der Commercial Courts wird praktisch vor allem in AGB vereinbart werden. Auch diese Gerichtsstandsklauseln in AGB sind inhaltlich an § 307 Abs. 1 BGB zu messen (MüKoZPO/Jungmann, 7. Aufl. 2025, ZPO § 38 Rn. 76 f., beck-online). Gerichtsstandsklauseln sind hierbei grundsätzlich dann nicht unangemessen benachteiligend, wenn sie einen räumlichen Bezug zu mindestens einer der Parteien oder einen sonstigen sachlich gerechtfertigten Grund für die Wahl des Gerichtsstands erkennen lassen (MüKoZPO/Jungmann, 7. Aufl. 2025, ZPO § 38 Rn. 86, beck-online; sehr großzügig LG Bielefeld MDR 1977, 672; restriktiv hingegen AG München NJW-RR 1987, 241). Vor dem Hintergrund der objektiven Vorteile von Commercial Courts und der gesetzgeberischen Intention wird die Vereinbarung des Commercial Courts am Sitz des Verwenders in AGB nicht unangemessen benachteiligend sein (vgl. Musielak/Voit/Wittschier, 22. Aufl. 2025, GVG § 119b, Rn. 6; BT-Drs. 20/8649, 26). Problematisch könnten allerdings klauselmäßige Gerichtsstandsklauseln sein, die die Zuständigkeit eines Commercial Courts außerhalb des OLG-Bezirks am Sitz des Verwenders bestimmen. Wenn der Commercial Court am Sitz des Verwenders keine entsprechende Spezialisierung für die Streitigkeit aufweist oder generell für derartige Streitigkeiten nicht errichtet wurde, dürfte allerdings viel für die Wirksamkeit solcher Klauseln sprechen.
Fazit: Vorteile von staatlicher Justiz und Schiedsgerichtsbarkeit vereint
Die Einführung der Commercial Courts wird zur Stärkung der Attraktivität der staatlichen Gerichtsbarkeit beitragen. Sie vereinen in gewissem Maße Vorteile der staatlichen Justiz und der Schiedsgerichtsbarkeit. Dennoch werden sie Letztere nicht verdrängen, sondern ergänzen. Im Hinblick auf die internationale Vollstreckbarkeit bleibt die Schiedsgerichtsbarkeit (außerhalb der EU) überlegen: 172 Vertragsstaaten haben sich im New Yorker Übereinkommen von 1958 staatsvertraglich verpflichtet, ausländische Schiedssprüche ohne vollständige inhaltliche Überprüfung anzuerkennen und zu vollstrecken.
Entscheidet man sich für die Zuständigkeit deutscher Gerichte, erscheint es angesichts der spezifischen Vorteile der Commercial Courts grundsätzlich ratsam, bestehende Gerichtsstandsvereinbarungen in Verträgen entsprechend anzupassen. Dabei kann es sinnvoll sein, gestaffelte Regelungen vorzusehen, die der streitwertabhängigen Zuständigkeit Rechnung tragen – etwa durch eine allgemeine Zuständigkeit der Gerichte am Sitz einer Partei und zusätzlich, ab einem Streitwert von 500.000 Euro sowie bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen, die ausdrückliche Zuständigkeit eines bestimmten, namentlich benannten Commercial Courts.



