Qualität, Kosten, Dauer: Diese drei wesentlichen Faktoren erfolgreicher Streitbeilegung gelten für gerichtliche wie außergerichtliche Verfahren. Zu großen Teilen erklären sie auch laut einer Studie des Bundesministeriums der Justiz aus dem Jahr 2023 die dramatisch rückläufigen Eingangszahlen in Zivilverfahren vor Amts- und Landgerichten, teilweise bis zu 50% über die letzten Dekaden hinweg (siehe hier). Sinkendes Vertrauen in Effizienz und Qualität der deutschen Justiz rückt die Optionen alternativer Streitbeilegung in den Fokus der Unternehmen. Auch die Selbstverwaltung der gewerblichen Wirtschaft ist gefordert, um Wirtschaftskonflikte zugleich effizienter und transparenter zu lösen.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) bietet gemeinsam mit den 79 Industrie- und Handelskammern (IHKs) in Deutschland sowie den Auslandshandelskammern (AHKs) an über 150 Standorten in 93 Ländern nun auch selbst im Rahmen des neu gegründeten Schiedsgerichtshofs (SGH) innovative Verfahren zur Streitbeilegung an. Eindeutige und effiziente Verfahren sowie eine moderne digitale Plattform bieten den Unternehmen aller Größenordnungen eine verlässliche Alternative zu herkömmlichen Gerichtsverfahren.
Reaktion auf die Verankerung der alternativen Streitbeilegung im IHKG
Mit der Gründung des Schiedsgerichtshofs und der Aufnahme der operativen Tätigkeit Ende 2024 reagiert die DIHK einerseits auf den Bundesgesetzgeber, der 2021 in der Novelle des IHK-Gesetzes (IHKG) die alternative Konfliktlösung bei Wirtschaftskonflikten neu als zentrale Aufgabe der IHKs verankert und der DIHK ausdrücklich die Kompetenz übertragen hat, einen „Schiedsgerichtshof“ zu gründen und zu unterhalten. Der ausdrückliche Auftrag ist, alternative Konfliktlösungsverfahren zu stärken und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Justiz- und Streitbeilegungsstandort zu steigern. Diese Ergänzung des IHKG reiht sich in weitere Gesetzesinitiativen der letzten Jahre zum Rechtsstandort ein, darunter das Mediationsgesetz, das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, das kürzlich verabschiedete Gesetz zur Stärkung des Justizstandortes durch die Einführung von Commercial Courts und Englisch als Gerichtssprache sowie schließlich der Entwurf zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts. Auch wenn diese Einzelmaßnahmen noch nicht alle gänzlich kohärent sind, so verfolgen sie doch das richtige Ziel, Deutschland als „Streitbeilegungsstandort“ zu stärken.
Erfahrung: ADR als Tradition der Selbstverwaltung der Wirtschaft
Alternative Streitbeilegung (Alternative Dispute Resolution, ADR) ist für die IHKs andererseits keineswegs eine neue Aufgabe, sondern sie ist tief in der Tradition des Handels und der Wirtschaft verankert. Jahr für Jahr unterstützen die IHKs in Deutschland und die AHKs weltweit die außergerichtliche Streitbeilegung für Unternehmen – in Hunderten, wenn nicht Tausenden von Fällen. Sie bieten in diesem Bereich ein breites Spektrum an Dienstleistungen an, darunter Mediation, Schlichtung, Einigungsstellen für Wettbewerbsstreitigkeiten sowie auch die klassische Schiedsgerichtsbarkeit. Hinzu kommen nicht zuletzt unabhängige Schiedsgutachten von öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen – insbesondere im Bereich der technischen Expertise. Schon heute liegt das Sachverständigenwesen größtenteils bei der IHK-Organisation. Häufig, aber wenig in der Öffentlichkeit bekannt, sind IHKs auch informell vielfach in Verhandlungen vor Ort eingebunden, um Geschäftskonflikte zu lösen. Die Gründung des SGH durch die IHK-Organisation setzt somit eine lange Traditionslinie fort. Schließlich war es auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, der 1992 unter seinem Dach den von ihm verwalteten Deutschen Ausschuss für Schiedsgerichtswesen in die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) einbrachte. Die Sichtbarkeit und die Interessen der von den IHKs vertretenen Unternehmen sind über die Zeit in den Hintergrund geraten. Ein neues Element des Schiedsgerichtshofs bei der DIHK besteht darin, dass die IHKs erstmals ihre vielen Dienstleistungen zur alternativen Streitbeilegung unter einem einheitlichen Dach bündeln, sichtbar machen und den Unternehmen zur Verfügung stellen werden; zugleich wird an einer zentralen Einrichtung die Administration von Schiedsverfahren für Unternehmen national und international angeboten.
Attraktive Alternative auch für kleine und mittelständische Unternehmen
Zur Förderung Deutschlands als Schiedsstandort arbeitet die DIHK außer mit dem BMJ auch mit der DIS zusammen. Der Markt für Schiedsverfahren soll und wird insgesamt wachsen, der konsequente Ausbau einer vielfältigen und modernen Schiedsinfrastruktur ist für die Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität des Standorts entscheidend. Mit der Option von Commercial Courts gelang ein kleiner Schritt zur Stärkung des Standorts für Wirtschaftsstreitigkeiten, wenngleich erst ab einer Streitwertgrenze von 500.000 Euro und für absehbar sehr wenige Fälle. Auch die Schiedsgerichtsbarkeit hat sich bislang stark aus Kostengründen auf größere Unternehmen und Verfahren fokussiert, was sich an den Statistiken über Fallzahlen und Streitwerte ablesen lässt. Ein Verfahren vor dem ICC in Paris lohnt sich bekanntlich erst ab noch viel höheren Streitwerten. Der Schiedsgerichtshof schafft daher Angebote, die auch für kleine und mittelständische Unternehmen sowie für Streitwerte mittlerer Größe attraktiv sind. Nur durch eine stärkere Einbindung dieser Unternehmen und ihrer Konflikte kann die außergerichtliche Streitbeilegung in Deutschland insgesamt weiter gestärkt und als effektive Alternative zum gerichtlichen Verfahren etabliert werden. Denn Schiedsgerichte und staatliche Gerichte ergänzen sich.
Digitaler Prozess für ein effizientes Verfahrensmanagement
Das Herzstück des SGH bildet eine digitale Plattform, die den gesamten Prozess – vom Schiedsantrag bis hin zur Abrechnung – mit dem Angebot maximaler Effizienz für die Parteien verbindet. Die Digitalisierung vereinfacht und beschleunigt den Prozess. Die benutzerfreundliche Plattform ist rund um die Uhr von jedem Ort der Welt zugänglich. Die Einreichung von Schriftstücken in Papierform gehört beim SGH der Vergangenheit an. Als Option wird der SGH auch ein sogenanntes Basisdokument vorhalten, das vom Schiedsgericht als Instrument zur Strukturierung des Prozessstoffs, zur Verfahrensbeschleunigung und zur Kollaboration der Parteien genutzt werden kann. Die Plattform entspricht bereits heute dem, was die Reformkommission für den Zivilprozess jüngst als Langfristziel für die staatliche Justiz identifiziert hat.
Schnelligkeit, Effizienz und Flexibilität
Das Schiedsverfahren selbst folgt bekannten und bewährten Strukturen. Es wird durch den SGH administriert, sofern die Parteien nicht eine vom SGH akkreditierte IHK oder AHK als administrierende Stelle wählen (derzeit unter anderem die Handelskammer Hamburg). Durch den selbstverständlichen Einsatz von Videoverhandlungen und ein vergleichsweise straffes Fristen- und Verfahrensmanagement ermöglicht der SGH eine zügige Entscheidungsfindung innerhalb von nur zwölf Monaten nach der Bestellung des Schiedsgerichts. Zu Beginn des Verfahrens wird ein strukturiertes Case-Management-Meeting abgehalten, bei dem alle wesentlichen Verfahrensdetails klar festgelegt werden, um eine maßgeschneiderte Prozessgestaltung zu gewährleisten. Das Schiedsgericht hat dabei die Möglichkeit, den Umfang des Vortrags zu optimieren und gezielt Maßnahmen zur Strukturierung des Verfahrens zu ergreifen. Der SGH sorgt zudem dafür, dass der Zeitplan strikt eingehalten wird, um einen reibungslosen und schnellen Ablauf sicherzustellen. Im Rahmen eines sogenannten Fast-Track-Verfahrens sind Entscheidungen sogar innerhalb von sechs Monaten möglich.
Flexible Besetzung des Schiedsgerichts
Die Entscheidung über den Streitfall wird beim SGH von einem Schiedsgericht getroffen, das speziell für den jeweiligen Fall eingesetzt wird. Bei einem Streitwert bis 250.000 Euro sorgt ein erfahrener Einzelschiedsrichter für eine schnelle und kosteneffiziente Lösung. Bei höheren Streitwerten tritt ein Dreierschiedsgericht in Aktion, wobei die Parteien selbstverständlich die Freiheit haben, ihre Schiedsrichter selbst auszuwählen und deren jeweils einschlägige Fachkompetenz für den Streitgegenstand sicherzustellen. Der Vorsitzende wird dabei von den Beisitzern benannt. Sollte keine Einigung über die Besetzung erzielt werden, sorgt der SGH für eine Ersatzbenennung. Besonders bei technisch anspruchsvollen Sachverhalten oder Wertermittlungen können die Parteien auch auf die Expertise öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger als Beisitzer zurückgreifen – eine wertvolle Unterstützung, um präzise und fundierte Entscheidungen zu treffen.
Über die Webseite www.schiedsgerichtshof.de kann das Schiedsverfahren eingeleitet werden. Informationen zum Ablauf des Verfahrens und Hilfestellungen sind ebenfalls auf der Webseite verfügbar. Dort finden die Unternehmen neben Musterschiedsklauseln auch Tools wie den Konfliktnavigator zur Auswahl der passenden Streitbeilegungsmethode sowie einen Kostenrechner, mit dem die genauen Kosten der SGH-Verfahren ermittelt werden können. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen werden so Hürden und Hemmschwellen abgebaut.
Zukünftige Integration von KI, Legal Tech und Prozessfinanzierung
Die IHK-Organisation hat mit dem Schiedsgerichtshof ihre Aktivitäten im Bereich der alternativen Streitbeilegung gebündelt, ein verlässliches, schnelles, digitales und kostengünstiges Schiedsangebot geschaffen und ihre vielfältigen ADR-Angebote für Unternehmen sichtbar gemacht. Neue Optionen in der Wirtschaftsmediation werden derzeit erarbeitet. Weitere zukunftsweisende Themen sind die Integration künstlicher Intelligenz, innovativer Legal-Tech-Ansätze und der Prozessfinanzierung in die Konfliktlösung: Die Unternehmen in den IHKs fordern entsprechende Lösungen bereits deutlich ein und sind wie bislang eng eingebunden in die Entstehung und die Entwicklung der Angebote. Der Schiedsgerichtshof hat so das Potential, die Streitbeilegung in Deutschland aus Sicht der Nachfrager zu modernisieren und in Zusammenarbeit mit der Anwaltschaft und der Justiz auch den modernen Zivilprozess mitzugestalten.


