Interne Untersuchungen sind derzeit gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Ihre Rahmenbedingungen ergeben sich nur mittelbar und schemenhaft aus einer Reihe von Rechtsnormen und bleiben in vielen Aspekten umstritten. Gleichzeitig ist der (insbesondere haftungsrechtliche) Druck auf Unternehmen, schon bei geringsten Verdachtsfällen interne Untersuchungen durchzuführen, hoch und von der Politik gewollt. Dies ist auch eine Folge der stetig steigenden Anforderungen an Compliance-Management-Systeme, die Unternehmen dazu zwingen, Regelverstöße eigenständig zu identifizieren und aufzuklären. Infolgedessen sehen sich Unternehmen beziehungsweise die von diesen üblicherweise beauftragten Anwaltskanzleien zunehmend vor Aufgaben gestellt, die ursprünglich staatlichen Ermittlungsbehörden vorbehalten waren. Der gescheiterte Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz (VerSanG) zeigte zwar einen gesetzgeberischen Regelungsansatz, beschränkte sich jedoch darauf, Verstöße gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens lediglich mittelbar zu sanktionieren – nämlich erst bei der Bemessung der Unternehmensgeldbuße (§ 17 Abs. 1 Nr. 5 c) VerSanG-E). Eine solche Regelung greift zu kurz. Vielmehr bedarf es klarer gesetzlicher Vorgaben, die Unternehmen und deren Mitarbeitern im Rahmen interner Untersuchungen Rechtssicherheit bieten.
Thesen:
Beschlagnahmeschutz
Für Arbeitsprodukte aus internen Untersuchungen muss ein Beschlagnahmeschutz gelten.
Aussageverweigerungsrecht für Mitarbeiter
Das Aussageverweigerungsrecht für Mitarbeiter in internen Untersuchungen ist gesetzlich zu normieren. Es muss sichergestellt werden, dass zu befragende Mitarbeiter nicht gezwungen werden können, sich durch eigene Aussagen selbst zu belasten oder eine Kündigung zu riskieren.
Beweisverwertungsverbot für Aussagen im Rahmen interner Untersuchungen
Erkenntnisse aus Befragungen von Mitarbeitern im Rahmen von internen Untersuchungen müssen einem Beweisverwertungsverbot unterliegen. Dies gilt unabhängig davon, ob die interne Untersuchung der Aufklärung strafrechtlicher, ordnungswidrigkeitsrechtlicher oder sonstiger compliancerelevanter Sachverhalte dient.
Anwaltsbild: Klärung des anwaltlichen Rollenverständnisses
Die tatsächliche Verbreitung von internen Untersuchungen verschiedenen Zuschnitts gibt Anlass, das sich verändernde Anwaltsbild – weg vom reinen Interessenvertreter bis hin zum gänzlich unabhängigen Aufklärer mit einschlägigen strafrechtlichen Risiken – unter maßgeblicher Einbindung der Anwaltschaft einer gesetzgeberischen Überprüfung zuzuführen.
Begründungen
Beschlagnahmeschutz
Im Rahmen interner Untersuchungen werden durch die vom Unternehmen beauftragten Untersuchungsführer, meist Rechtsanwaltskanzleien, verschiedene Arbeitsprodukte erstellt. Diese Arbeitsprodukte sind auch und immer mehr für die Strafverfolgungsbehörden oder sonstige Aufsichtsbehörden von großem Interesse. Auch wenn ein Unternehmen interne Untersuchungen mit der Zielsetzung einleitet, mit den Ermittlungsbehörden möglicherweise später zu kooperieren, besteht dennoch ein Interesse, die Ergebnisse vor einem Zugriff durch diese zu schützen. Gesetzlich ist derzeit aber nur ein sehr eingeschränkter Beschlagnahmeschutz für diese Arbeitsprodukte gegeben, selbst wenn sie sich bei der Anwaltskanzlei befinden. Dies ist der Fall, wenn gegen das beauftragende Unternehmen bereits ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet oder aber die Nebenbeteiligung in einem Ermittlungsverfahren angeordnet wurde. Die Rechtsprechung erweitert diesen Schutz vor Beschlagnahme bei der untersuchenden Anwaltskanzlei, soweit das die interne Untersuchung beauftragende Unternehmen eine „beschuldigtenähnliche“ Stellung innehat. Dies führt insbesondere auch in Konzernstrukturen zu problematischen Ergebnissen, wenn die in der Regel die interne Untersuchung initiierende Konzernmutter nicht zwingend Gegenstand des Vorwurfs ist (vgl. „Jones-Day-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts).
Für vorbeugende und lediglich auf einer internen Verdachtslage beruhende Untersuchungen, zumal wenn Vorwürfe unterhalb der Schwelle des Strafrechts angesiedelt sind, bietet die derzeitige Rechtslage überhaupt keinen Durchsuchungsschutz, insbesondere auch nicht in Konzernstrukturen.
Ein umfassendes Beschlagnahmeverbot bei einer eine Untersuchung durchführenden Anwaltskanzlei ist jedoch allein sachgerecht, unabhängig davon, was der Gegenstand der konkreten Untersuchung ist.
Im Bereich der zu untersuchenden rein strafrechtlichen Vorwürfe unterscheidet sich die Situation aber nicht von der eines Verteidigers, der gegebenenfalls schon lange vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens eigene Ermittlungen anstellt, insbesondere mit Zeugen Kontakt aufnimmt, um diese vor der Hauptverhandlung selbst zu befragen. Das von der Rechtsprechung bestätigte Recht des Verteidigers, solche eigenen Ermittlungen vorzunehmen, ergibt sich als Ausfluss des dem Beschuldigten zustehenden Rechts auf ein faires Verfahren und dem Prinzip der Waffengleichheit. Die hierbei erzeugten Aufzeichnungen des Verteidigers über die Ermittlungen und auch die Vernehmungen unterliegen aber dem Beschlagnahmeschutz nach § 97 Abs. 1 StPO. Aber auch unterhalb der Schwelle strafrechtlicher Vorwürfe ist ein Beschlagnahmeverbot beim Untersuchungsführer allein sachgerecht. Denn am Anfang der Untersuchung ist nicht immer klar, ob zu diesen Verdachtsmomenten nicht auch strafrechtliche Vorwürfe hinzutreten (können). Eine Unterscheidung zwischen strafrechtlichen Vorwürfen und lediglich compliancerelevanten Sachverhalten ist daher für die Frage der Beschlagnahmefreiheit nicht maßgeblich und auch nicht praktikabel.
Eine Ausweitung des Beschlagnahmeschutzes auf Arbeitsergebnisse aller internen Untersuchungen würde – dies sei nur am Rande angemerkt – auch eine in anderen Ländern, zum Beispiel Österreich, völlig unbekannte Ungleichbehandlung von Strafverteidigern und Rechtsanwälten beseitigen.
Mitarbeiter werden – dies tritt ergänzend hinzu – in weitaus größerem Umfang durch eigene Aussagen an der Sachverhaltsaufklärung mitwirken, wenn ihnen die Beschlagnahmefreiheit der gewonnenen Informationen als bindend zugesichert werden kann. Eine vollständige Aufklärung wird daher in der Regel nur dann möglich sein, wenn alle Mitarbeiter – auch diejenigen, die zu Unrecht oder zu Recht ein eigenes Fehlverhalten befürchten – an der Aufklärung durch eine Aussage mitwirken, ohne das Risiko einer späteren Beschlagnahme durch staatliche Ermittlungsbehörden oder sonstige Aufsichtsbehörden befürchten zu müssen.
Die gesetzgeberische Umsetzung des Beschlagnahmeschutzes kann durch geringfügige gesetzgeberische Anpassungen in § 97 StPO effektiv umgesetzt werden. Hierzu weiterführende Formulierungsvorschläge hat die Task Force „Internal Investigations“ des BWD bereits erarbeitet.
Aussageverweigerungsrecht für Mitarbeiter
Derzeit fehlt eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zum Aussageverweigerungsrecht von Mitarbeitern bei internen Untersuchungen, was zu Rechtsunsicherheiten führt. Während einige Gerichte das Selbstbelastungsprivileg anerkennen, lehnen andere es ab. Befragte Mitarbeiter geraten so in eine unzumutbare Zwangslage: Sie müssen entweder aussagen, und riskieren eine Kündigung oder strafrechtliche Konsequenzen, oder schweigen, und setzen sich damit arbeitsrechtlichen Sanktionen aus. Mitarbeiter dürfen nicht schlechter gestellt werden als Beschuldigte in einem Strafverfahren, für die das Selbstbelastungsprivileg eindeutig anerkannt ist. Vergleichbare Schutzmechanismen bestehen bereits im Insolvenzrecht (vgl. § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO) und sollten auf interne Untersuchungen übertragen werden. Auch die Unternehmen hätten dann eine klare Handlungsanweisung, in welchen Fällen eine Aussagepflicht besteht und wann eine Aussageverweigerung zulässig ist. Damit ließen sich auch entsprechende Fehlinterpretationen und Relativierungen von Untersuchungsergebnissen vermeiden.
Beweisverwertungsverbot für Aussagen im Rahmen interner Untersuchungen
Begreift man Befragungen im Rahmen interner Untersuchungen als eine die staatliche Kontroll- oder Aufklärungsfunktion ersetzende oder ergänzende Maßnahme, so liegt es nahe, die dabei gewonnenen Erkenntnisse einem Beweisverwertungsverbot zu unterwerfen.
Das Erfordernis eines Beweisverwertungsverbots steht in einem gewissen Alternativverhältnis zu dem eines Zeugnisverweigerungsrechts. Würde ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht normiert, bestünde für Mitarbeiter bereits im Vorfeld ein effektiver Schutz vor Selbstbelastung, so dass ein späteres Verwertungsverbot an Bedeutung verlieren könnte.
Da interne Untersuchungen in der Praxis jedoch oft unter erheblichem Druck stattfinden und Mitarbeiter sich trotz eines theoretisch bestehenden Aussageverweigerungsrechts gezwungen fühlen könnten, Angaben zu machen, muss das Aussageverweigerungsrecht mit einer klaren Regelung zur Unverwertbarkeit unzulässiger Aussagen ergänzt werden.
Denkbar wäre insoweit ein Kombinationsmodell: zum einen ein Aussageverweigerungsrecht für Mitarbeiter in bestimmten Konstellationen, etwa wenn sie einer beschuldigtenähnlichen Stellung unterliegen; zum anderen ein ergänzendes Beweisverwertungsverbot, das sicherstellt, dass unzulässig erlangte Aussagen nicht verwertet werden können, wenn ein Aussageverweigerungsrecht nicht greift oder missachtet wurde. Eine derartige, fein justierte Kombination würde den größtmöglichen Schutz für Mitarbeiter gewährleisten, ohne die Aufklärungsinteressen von Unternehmen und Behörden allzu sehr zu konterkarieren.
Anwaltsbild: Klärung des anwaltlichen Rollenverständnisses
Interne Untersuchungen gehen mit einem tiefgreifenden Wandel der Rolle der Anwaltschaft einher. Während der Rechtsanwalt traditionell als Interessenvertreter agierte, übernimmt er im Rahmen solcher Untersuchungen zunehmend die Rolle eines unabhängigen Gutachters, der sogar gegenüber Behörden und der Öffentlichkeit Offenlegungspflichten unterliegen kann. Dieses erweiterte Rollenbild steht in einem Spannungsverhältnis zum anwaltlichen Berufsrecht, das vom Leitbild des Interessenvertreters und des Organs der Rechtspflege geprägt ist. Mit der neuen Funktion gehen zudem erhöhte strafrechtliche Risiken einher – exemplarisch etwa der Vorwurf der Strafvereitelung.
Aus Sicht des BWD ist daher ein enger Austausch zwischen Gesetzgeber und Anwaltschaft erforderlich, um durch klare gesetzgeberische Regelungen einerseits die notwendige Rechtssicherheit zu schaffen und andererseits den Herausforderungen des gewandelten Verständnisses des Anwalts als „Ermittler“ gerecht zu werden. Bei alledem wird immer auch die traditionelle Aufgabe des Anwalts als Interessenvertreter zu berücksichtigen sein.
Für die Task Force „Compliance & Internal Investigations“:



