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Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts in Deutschland

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Deutschland verfügt über ein gut funktionierendes Schiedsverfahrensrecht. Die Attraktivität des Schiedsstandorts Deutschland wird zukünftig durch eine behutsame Reform des 10. Buchs der Zivilprozessordnung (ZPO) weiter gesteigert. Die Bundes­regierung hat am 26.06.2024 den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts ­beschlossen, um das deutsche Schiedsverfahrensrecht ­weniger formal, transparenter, digitaler und internationaler zu gestalten (siehe hier). Die Reform des Schiedsverfahrensrechts steht im engen Zusammenhang mit dem sogenannten Justizstandort-Stärkungsgesetz, mit dem auch die staatliche Zivilgerichtsbarkeit durch die Einführung von Commercial Courts und der Gerichtssprache Englisch für große grenzüberschreitende Streitigkeiten fit gemacht werden soll. Der nachfolgende Beitrag fasst die Änderungen der Reform des Schiedsverfahrensrechts ­zusammen und kommentiert die wesentlichen Details des Regierungsentwurfs (RegE).

Wesentliche Neuerungen im Überblick

Im Regierungsentwurf wurden insbesondere die folgenden Neuerungen beschlossen:

  • Vollziehung von Eilmaßnahmen ausländischer Schiedsgerichte (§ 1025 Abs. 2 ZPO-RegE): Die bisher unklare Rechtslage zur Vollziehung vorläufiger und sichernder Maßnahmen ausländischer ­Schiedsgerichte wird geklärt und deren Vollziehung in Deutschland wird ermöglicht.
  • Formfreie Schiedsvereinbarungen zwischen Unternehmen (§ 1031 ZPO-RegE): Schiedsvereinbarungen zwischen Unternehmen können formfrei geschlossen werden. Das strenge Formerfordernis für Schieds­vereinbarungen mit Verbrauchern bleibt unangetastet.
  • Rechtskräftige Entscheidung über die Schiedsvereinbarung (§ 1032 Abs. 2 ZPO-RegE): Es wird klargestellt, dass das Gericht auf Antrag auch eine ausdrückliche Feststellung mit materieller Rechtskraft für den Bestand und die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung treffen kann.
  • Schiedsrichterbestellung in Mehrparteien­verfahren (§ 1035 Abs. 4 ZPO-RegE): Es werden dispositive ­gesetzliche Regelungen zur Bestellung von Schiedsrichtern in Mehrparteienverfahren geschaffen.
  • Negative Zuständigkeitsentscheidungen des Schiedsgerichts (§ 1040 Abs. 4 ZPO-RegE): Ein neuer Aufhebungsgrund für bislang nicht gerichtlich überprüfbare falsch-negative Zuständigkeitsentscheidungen des Schiedsgerichts wird eingeführt.
  • Vollziehbarerklärung schiedsrichterlicher Eilmaßnahmen (§ 1041 Abs. 2 ZPO-RegE): Die Gründe für die Versagung der Vollziehung von einstweiligen Maßnahmen des Schiedsgerichts werden konkretisiert. Insbesondere kann das Gericht die Vollziehung nur noch zurückweisen, wenn bestimmte Gründe vorliegen, ­darunter die Aufhebungsgründe von § 1059 Abs. 2 ZPO.
  • Mündliche Verhandlung per Videokonferenz (§ 1047 Abs. 2, 3 ZPO-RegE): Eine klarstellende, abdingbare Regelung wird eingeführt, wonach das Schiedsgericht in seinem Ermessen die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Form einer Videokonferenz anordnen kann.
  • Elektronischer Schiedsspruch (§ 1054 Abs. 1, 5 ZPO-RegE): Schiedssprüche können auch in Form eines elektronischen Dokuments erlassen werden, das die Namen der Schiedsrichter angibt und von ihnen qualifiziert elektronisch signiert ist. Die Parteien können auch nachträglich noch ein unterschriebenes Original des Schiedsspruchs verlangen.
  • Sondervotum (§ 1054a ZPO-RegE): Die Rechts­unsicherheit bei Sondervoten wird beseitigt und klargestellt, dass ein Schiedsrichter seine abweichende Meinung in einem Sondervotum niederlegen darf.
  • Veröffentlichung von Schiedssprüchen (§ 1054b ZPO-RegE): Mit Zustimmung der Parteien darf das Schiedsgericht den Schiedsspruch anonymisiert ver­öffentlichen. Die Zustimmung der Parteien gilt als ­erteilt, sofern sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Aufforderung widersprechen.
  • Restitutionsantrag (§ 1059a ZPO-RegE): Ähnlich der Restitutionsklage gegen Urteile (§ 580 ZPO) wird ein zusätzlicher Rechtsbehelf eingeführt, wonach Schiedssprüche nach Ablauf der Frist für einen Aufhebungsantrag aufgrund schwerwiegender Restitutionsgründe aufgehoben werden können.
  • Zuständigkeit für Commercial Courts in Schieds­sachen (§§ 1062 Abs. 5, 1063a, 1065 ZPO-RegE): ­Soweit die Länder Commercial Courts einrichten, können die Zuständigkeiten für Aufhebungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren sowie alle anderen Verfahren nach § 1062 Abs. 1 ZPO auf diese speziellen Spruchkörper übertragen werden.
  • Englischsprachige Dokumente (§ 1063b ZPO-RegE): Unabhängig von den Commercial Courts ist auch vor anderen Gerichten in Verfahren nach § 1062 Abs. 1 und 4 ZPO die Einreichung von Dokumenten in englischer Sprache ohne deutsche Übersetzung möglich.

Nicht in den Regierungsentwurf geschafft haben es andere Reformüberlegungen, wie z.B. die Einführung eines Eilschiedsrichters oder die Einführung einer Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für gerichtliche Unterstützungsmaßnahmen nach § 1050 ZPO, die noch in einem Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums andiskutiert wurden.

Stellungnahme zum Regierungsentwurf

25 Jahre nach der letzten Reform des Schiedsverfahrensrechts sieht der Regierungsentwurf nur punktuelle Änderungen vor, die überwiegend sehr positiv aufgenommen werden. Dennoch werden einzelne Reformgegenstände intensiv diskutiert:

Teilweise kritisch betrachtet wird insbesondere die ­geplante Formfreiheit von Schiedsvereinbarungen, an denen kein Verbraucher beteiligt ist. Bei mündlichen oder stillschweigenden Schiedsvereinbarungen bestünde erhebliche Rechtsunsicherheit und Streitpotential. Außerdem sei die internationale Vollstreckbarkeit gefährdet, da Art. II des Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (UNÜ) eine schriftliche Schiedsvereinbarung fordere. Andererseits wird auf die bestehende Formfreiheit bei Gerichtsstandsvereinbarungen sowie auf den Meistbegünstigungsgrundsatz in Art. VII UNÜ hingewiesen. Anders als frühere Entwurfsfassungen beseitigt der Regierungsentwurf nunmehr Unklarheiten bei Begrifflichkeiten und sieht vor, dass die derzeit geltenden Abs. 1 bis 3 von § 1031 ZPO aufgehoben werden. Auch die zunächst vorgesehene Möglichkeit, dass jede Partei eine Bestätigung in Textform über den Inhalt der Schiedsvereinbarung verlangen kann, entfällt. Die Vorschrift wird dadurch klarer und insbesondere für internationale Anwender verständlicher.

Für einen elektronischen Schiedsspruch reicht es nach dem Regierungsentwurf nunmehr aus, dass die Namen der Schiedsrichter irgendwo (nicht mehr zwingend „am Ende“) angegeben werden. In Erwiderung auf Bedenken hinsichtlich der internationalen Vollstreckbarkeit von elektronischen Schiedssprüchen führt der Regierungsentwurf eine Möglichkeit ein, dass die Parteien auch nach Abschluss des Schiedsverfahrens ein unterschriebenes Original des Schiedsspruchs in Schriftform verlangen können. In diesem Zusammenhang ist sinnvoll, dass Schiedsrichter gemäß § 1056 Abs. 3 ZPO-RegE für diese Funktion nach Erlass des elektronischen Schiedsspruchs weiterhin im Amt bleiben. Eine zeitlich unbegrenzte Pflicht von Schiedsrichtern, doch noch ein Original des Schiedsspruchs ausstellen zu müssen, kann aber zu praktischen Problemen führen, weshalb Parteien nicht allzu lange zuwarten sollten.

Die neu eingeführte Möglichkeit zur Stellung eines Restitutionsantrags wird im Regierungsentwurf deutlich klarer gefasst, da Verweise auf §§ 580, 581 ZPO vermieden und die Restitutionsgründe, die § 580 Nr. 2 bis 7 ZPO entsprechen, ausdrücklich genannt werden. Dies wird die Anwendung vor allem für ausländische Nutzer und Nutzerinnen vereinfachen. Der Regierungsentwurf trägt außerdem weiteren Bedenken Rechnung, indem er in § 1059a Abs. 2 und 3 ZPO-RegE zusätzliche Hürden für die Geltendmachung von Restitutionsgründen aufstellt, insbesondere dahingehend, dass die Restitutions­gründe nicht schon in früheren Verfahren hätten geltend ­gemacht werden können und die strafrechtlich relevanten Restitutionsgründe grundsätzlich eine rechtskräftige Verurteilung voraussetzen. Vor dem Hintergrund, dass das Vorliegen von Restitutionsgründen bereits vor der Neuregelung als Verstoß gegen die Ordre public im Rahmen von § 1059 ZPO geltend gemacht werden konnte, ist somit keine Erosion der Bestandskraft von Schiedssprüchen zu befürchten.

Die Zuständigkeit der Commercial Courts für alle in § 1062 Abs. 1 ZPO bezeichneten Anträge, in ­deren ­Zusammenhang Verfahren vollständig auf Englisch ­geführt werden können, sowie die Möglichkeit zur Vor­lage von englischsprachigen Dokumenten in allen ­gerichtlichen Verfahren nach dem 10. Buch der ZPO werden allseitig begrüßt und stellen einen erheblichen Vorteil für den Schiedsstandort Deutschland im internationalen Vergleich dar. Der Regierungsentwurf hat an diesen ­Reformvorhaben lediglich noch Verbesserungen im Detail vorgenommen, etwa dass alle in Bezug zu einem Schiedsverfahren stehenden englischsprachigen Dokumente ohne Übersetzung ins Deutsche vor Gericht vorgelegt werden können. Es bleibt zu hoffen, dass die Länder möglichst flächendeckend Commercial Courts einrichten und von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Zuständigkeit für die Verfahren nach § 1062 Abs. 1 ZPO auf einen Commercial Court zu übertragen. Eine einheitliche Zuständigkeit von Commercial Courts wäre nicht nur aus der Sicht internationaler Anwender sinnvoll. Es ist auch zu erwarten, dass Schiedsorte ohne einen Commercial Court im Vergleich zu Schiedsorten mit Zugang zu einem Commercial Court an Attraktivität einbüßen werden.

Fazit: Förderung von Transparenz, Digitalisierung und Internationalität

Die Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts kombiniert erfolgreich die bewährten Stärken der bestehenden Regelungen mit gezielten Klarstellungen und Neuerungen. Sie reduziert formale Hürden beim Abschluss von Schiedsvereinbarungen und bei der Vollziehbarkeit schiedsrichterlicher Eilmaßnahmen, fördert Transparenz durch die Veröffentlichung von Schiedssprüchen und unterstützt die Digitalisierung durch Videoverhandlungen und elektronische Schiedssprüche. Zudem wird das deutsche Schiedsverfahrensrecht internationaler, indem es die Verwendung englischsprachiger Dokumente und die Nutzung der englischen Sprache in Schiedssachen vor deutschen Gerichten erleichtert sowie die Verknüpfung zu den auf internationale Großverfahren spezialisierten Commercial Courts herstellt. Diese Reformen festigen Deutschlands Position als einen führenden und modernen Schiedsstandort im globalen Vergleich.

Hinweis der Redaktion:
Die Task Force „Schnelle und effiziente Justiz“ des Bundesverbands der Wirtschaftskanzleien in Deutschland (BWD) hat mit einem eigenen Positionspapier an dem Gesetzgebungsverfahren mitgewirkt. Einzelheiten finden Sie hier. (tw)

 

Autor

Dr. Roland Kläger Haver & Mailänder, Stuttgart Rechtsanwalt, Partner rk@haver-mailaender.de www.haver-mailaender.de

Dr. Roland Kläger
Haver & Mailänder, Stuttgart
Rechtsanwalt, Partner

rk@haver-mailaender.de
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