Sustainable Corporate Governance fehlt

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Der Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Koalition spricht sich im Zusammenhang mit einem Bekenntnis zur Förderung von gemeinwohlorientierten Unternehmen für eine neu zu schaffende Rechtsform für „Unternehmen mit gebundenem Vermögen“ aus. Auch auf diese Weise sollen gemeinwohlorientierte Unternehmen und soziale Innovationen stärker unterstützt werden. Leider verliert der Koalitionsvertrag auf der anderen Seite aber kein Wort zum Thema „Sustainable Corporate Governance“. Ein wichtiges Zukunftsthema des deutschen Gesellschaftsrechts wird somit im Koalitionsvertrag noch nicht adressiert.

Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist in besonderer Weise geeignet, Verwirrung zu stiften. Schnell wird „nachhaltig“ im Sinne von „langfristig“ mit einem materiell aufgeladenen Begriff von Nachhaltigkeit verwechselt, der auf wertvolle Ziele wie etwa auf Klimaschutz oder andere Gemeinwohlbelange bezogen ist.

Langfristigkeit ist in Wirklichkeit aber kein Wert an sich. Verhalten kann auch nachhaltig umweltzerstörend, nachhaltig frauenfeindlich oder nachhaltig rechtsextrem sein. Mit dem Begriff „Verantwortung“ ist das ähnlich. Verantwortung klingt zwar auf den ersten Blick gut. Auf den zweiten Blick hat Verantwortung aber nichts dem Wert des Objekts der Verantwortung zu tun. Man kann für das Glück seiner Mitmenschen verantwortlich sein – oder für deren Leid.

Bekenntnis zu „Unternehmen mit gebundenem Vermögen“

Derartige Begriffe eignen sich mit ihrem schillernden Bedeutungsgehalt sehr gut für Symbolpolitik, also für Initiativen, die gut klingen, aber im Kern wirkungslos sind. So geschehen im Koalitionsvertrag mit seinem Bekenntnis zu „Unternehmen mit gebundenem Vermögen“.

Mit der politischen Unterstützung der neuen Rechtsform hat eine Initiative von Familienunternehmern und Wissenschaftlern, die in der diese Rechtsform seit einiger Zeit propagierenden Stiftung für Verantwortungseigentum zusammengefunden haben, einen Erfolg errungen. Die Stiftung hat es sich zum Ziel gesetzt, das Verständnis von Familienunternehmen dahingehend weiterzuentwickeln, dass die langfristige Eigenständigkeit und Unternehmensverantwortung nicht mehr an eine Eigentümerfamilie, sondern an eine „Fähigkeiten- und Werteverwandtschaft“ geknüpft sein soll. Die Stiftungsinitiative hat es geschafft, die neue Rechtsform in einer diffusen Weise derart positiv mit den Begriffen „Gemeinwohl“, „Nachhaltigkeit“ und „Verantwortung“ zu verknüpfen, dass sie Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat.

Die neue Rechtsform war zunächst als „Verantwortungsgesellschaft“ bezeichnet worden. Das war mit dem Hinweis kritisiert worden, verantwortungsvolles Unternehmertum gebe es in vielen Rechtsformen, so dass die Bezeichnung einen unangemessenen Alleinstellungsanspruch verkörpere. Daher ist in einem von einer Arbeitsgruppe von Professoren vorgelegten ausformulierten Gesetzentwurf nun von einer „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen (GmbH-gebV)“ die Rede. Geschaffen werden soll eine Art treuhänderisches Unternehmertum, bei dem die treuhänderischen Unternehmer zwar die Leitungsmacht über ihr Unternehmen ausüben, aber keinen Zugriff auf den Unternehmensgewinn und gebundenes Vermögen haben.

Dauerhafte Vermögensbindung als Ziel

Ziel der dauerhaften Vermögensbindung soll vielmehr, so die Begründung des Gesetzentwurfs, die Erhaltung und nachhaltige Entwicklung des selbständigen Unternehmens „und seiner Werte“ über Generationen hinweg sein. Dabei sollen durch ein paar Federstriche im GmbH-Gesetz hochkomplexe Stiftungs- und Gesellschaftsrechtsstrukturen überflüssig gemacht werden, die gegenwärtig zur Erreichung ähnlicher Zwecke verwendet werden (etwa Robert Bosch Stiftung, Carl-Zeiss-Stiftung).
Die Regelungen des GmbH-Gesetzes sollen dahingehend angepasst werden, dass für die neue Gesellschaftsform eine dauerhafte Bindung des Gesellschaftsvermögens ermöglicht wird. Nach dem vorliegenden Entwurf haben Gesellschafter dann keinen Anspruch auf die Gewinne und das Vermögen der Gesellschaft. Im Fall der Auflösung der Gesellschaft und bei Ausscheiden eines Gesellschafters soll lediglich der Nominalbetrag der Einlage erstattet werden. Durch geeignete Regeln zur Corporate Governance soll sichergestellt werden, dass diese strikte Vermögensbindung nicht umgangen werden kann. So soll es unter anderem verboten sein, Gewinne etwa über stille Beteiligungen doch auf die Gesellschafterebene zu verlagern. Um den Erhalt der „Wertefamilie“ abzusichern, begrenzt der Gesetzentwurf den Kreis möglicher Gesellschafter, sieht die Vinkulierung der Anteile vor und ermöglicht den Gesellschaftern, die Vererblichkeit der Anteile auszuschließen.

Kein Siegel für wertvolles Unternehmertum

Insgesamt handelt es sich bei der neuen Gesellschaftsform – bei aller Rede von Verantwortung – jedoch tatsächlich um einen Etikettenschwindel. Mit Gemeinwohl hat die neue Gesellschaftsform nämlich zwingend nicht das Geringste zu tun. Sie soll nach dem Willen der Entwurfsverfasser sogar ausdrücklich kein „Siegel für wertvolles Unternehmertum“ darstellen. Vielmehr sollen die Gesellschafter der neuen GmbH-GebV vollständig frei sein, im Hinblick auf den Unternehmenszweck vollständige Gestaltungsfreiheit haben. In den Grenzen des allgemeinen Rechts sollen sie frei sein, jeden Zweck zu verfolgen, den sie wollen. So soll die Rechtsform offen sein für alle Arten von Unternehmen, „unabhängig davon, ob sie Suchmaschinen betreiben, Fenster bauen oder Schnürsenkel herstellen wollen“.

In Wirklichkeit handelt sich bei der GmbH mit gebundenem Vermögen, so zutreffend unlängst die Hengeler-Partner Georg Seyfarth und Thomas Austmann in der Börsenzeitung, um eine „fehlgeleitete Initiative für eine überflüssige Rechtsform“. Nicht nur sprechen ordnungspolitische Bedenken gegen das an den mittelalterlichen Fideikommiss des Adels erinnernde ewige Thesaurieren von Gewinnen. Auch besteht angesichts des Umstands, dass es den Gesellschaftern einer GmbH oder einer Personengesellschaft schon heute freisteht, sich auf eine langfristige Thesaurierung zu verständigen, und ihnen darüber hinaus, wenn es ihnen um Ewigkeit geht, die Stiftungslösung offensteht, in Wirklichkeit kaum ein echtes Bedürfnis nach einer neuen Rechtsform.

Konflikt zwischen Unternehmensinteresse und Gemeinwohl

Darüber hinaus kann die unscharfe Bezugnahme auf Verantwortung und Gemeinwohl im Zusammenhang mit der neuen Rechtsform in Wirklichkeit sogar negative Effekte haben, indem sie nämlich echten Handlungsbedarf zudecken hilft. Genau das ist möglicherweise im Koalitionsvertrag geschehen. Die wichtigste Zukunftsfrage im deutschen und im internationalen Gesellschaftsrecht ist die Klärung des möglichen Konflikts zwischen Gesellschafts- oder Unternehmensinteresse und Gemeinwohl. Den aber spricht der Koalitionsvertrag zumindest noch nicht an.

Die EU-Kommission ist da weiter. Sie widmet sich dem Konflikt zwischen Unternehmensinteresse und Gemeinwohl im Rahmen ihres gegenwärtigen Projekts der Vorbereitung einer „Sustainable Corporate Governance“-Richtlinie. Die Frage nach einer möglichen künftigen Pflicht zur Einbeziehung auch von Gemeinwohlbelangen im Rahmen der Corporate Governance war bereits Gegenstand der von der EU-Kommission angestoßenen „Study on directors‘ duties and sustainable corporate governance“ Mitte 2020. Darin wurde eine EU-weite Pflicht gefordert, nach der Unternehmenslenker die „interests of employees; interest of customers; interest of local and global environment; interest of society at large“ berücksichtigen sollten. In dem entsprechenden Beschluss des EU-Parlaments vom Dezember 2020 wird die EU-Kommission aufgefordert, eine Pflicht zu statuieren, die die Interessen aller relevanten Stakeholder, einschließlich „wider societal interests“, und nicht nur der shareholder einbezieht. Und im Rahmen der im Februar 2021 abgeschlossenen Konsultation der EU-Kommission wurde nach der Meinung zu genau einer solchen Pflicht gefragt.

Das Schweigen des Kolitionsvertrags zu Sustainable Corporate Governance ist nicht wirklich überraschend, weil weite Teile der deutschen Gesellschaftsrechtler den in Wirklichkeit insoweit bestehenden Zielkonflikt unter Hinweis auf die dem Gesellschaftsrecht zugrunde liegende interessenplurale Zielkonzeption ohnehin eher in Abrede stellen. Unternehmenslenker sollen, so die gängige Lesart, danach nicht allein dem Wohl der Anteilseigner verpflichtet sein, sondern unter anderem auch Gemeinwohlbelange berücksichtigen dürfen. Weitere staatliche Vorgaben scheinen da auf den ersten Blick leicht überflüssig.

Ertragsorientierung zwingt zur Vernachlässigung von Gemeinwohlbelangen

Der Hinweis auf die mögliche Berücksichtigung von gemeinwohlbezogenen Stakeholder-Interessen hat allerdings relativ kurze Beine. In Wirklichkeit zwingt nämlich das deutsche Gesellschaftsrecht Unternehmenslenker, bei unternehmerischen Ermessensentscheidungen im Endeffekt Gemeinwohlbelange zugunsten von Ertragsinteressen zu vernachlässigen. Nicht durch Gesetze, Verordnungen oder behördliche Anordnungen gebotene gemeinnützige Maßnahmen müssen sich im Unternehmen nach gängiger Lesart nämlich dadurch ökonomisch rechtfertigen lassen, dass sie, jedenfalls auf lange Sicht, die Gewinnaussichten und den Unternehmenswert steigern. Nur dann wird dem Unternehmensinteresse, dem Vorstände und Geschäftsführer verpflichtet sind, Rechnung getragen. Auf die Notwendigkeit einer ökonomischen Rechtfertigung für Ethik und Gemeinwohlwohlbemühungen im Bereich unternehmerischer Ermessensentscheidungen zu verzichten, erlaubt das geltende Recht hingegen nicht. Das Recht, nach eigenem Ermessen frei abzuwägen, ob und in welchem Umfang Unternehmenslenker Gemeinwohlbelange gewichten wollen, hat damit tatsächlich eine entscheidende Grenze. Eine solche Berücksichtigung ist vielmehr nur dann und insoweit sicher zulässig, als sich diese Berücksichtigung für die Gesellschaft mindestens langfristig wirtschaftlich lohnt.

Diese ausschließliche Bezugnahme auf das Unternehmensinteresse wirkt auf diese Weise leicht als rechtliche und faktische Bremse, sich gesamtgesellschaftlich wertvoll zu ver­halten, und zwingt geradezu zur Externalisierung von Kosten unternehmerischer Tätigkeit auf die Allgemeinheit. Der ­Interessenpluralismus des deutschen Gesellschaftsrechts ist daher bei Licht betrachtet ein Schönwetter-Interessenpluralismus.

Die Verantwortung, die die große Koalition im Zusammenhang mit Unternehmen in Wirklichkeit richtigerweise adressieren will, ist die Verantwortung von Unternehmern und Unternehmen gegenüber dem Gemeinwesen. In dieser Hinsicht aber liefern Unternehmen mit gebundenem Vermögen zumindest qua Rechtsform keine bessere Antwort als jede beliebige andere Unternehmensform. Die spannende Frage, auf die die neue Koalition vermutlich recht schnell eine Antwort wird finden müssen, ist vielmehr die von der EU gestellte nach einer grundsätzlichen Pflicht zur Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen im Rahmen unternehmerischer Entscheidungen, notfalls auch zu Lasten von langfristigen ökonomischen Interessen.

Machen wir uns nichts vor. In Wirklichkeit müssen vermutlich auch im deutschen Gesellschaftsrecht die Zeiten der Verabsolutierung des Unternehmensinteresses vorbei sein, wenn man es mit der Berücksichtigung von ESG-Belangen in der Wirtschaft ernst meint.

birkholz@lindenpartners.eu

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