Anfang März befinden wir uns mitten in der Berichtssaison 2022. Die ersten Bilanzpressekonferenzen wie auch Hauptversammlungen haben stattgefunden, und es bietet sich an, die Diskussionen und Erkenntnisse rund um die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu reflektieren. Natürlich auch mit Blick auf potentielle Auswirkungen auf das bereits laufende Geschäftsjahr und viel mehr noch auf die sich weiter konkretisierenden Anforderungen aus der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und den zugehörigen European Sustainability Reporting Standards (ESRS). Prägende Beobachtung dabei: Die Diskussionen mögen bei Fragen zur Berichterstattung beginnen, bewegen sich aber im Laufe vieler Diskussionsverläufe sehr schnell in Richtung strategischer Managementfragestellungen.
Zuletzt durfte ich Ende 2021 einen Blick in die Zukunft der Nachhaltigkeitsberichterstattung werfen. Die damals fokussierten Themen rund um EU-Taxonomie, CSRD und Technologie bleiben auch in der Nachschau für 2022 und im Ausblick für 2023 relevante Fokusgebiete.
EU Sustainable Finance Taxonomie: Quo vadis?
Für viele Unternehmen stand die Weiterentwicklung der EU-Taxonomieberichterstattung im Fokus der Verantwortlichen. Nach einem gewissen „Einstiegsjahr“ im Geschäftsjahr 2021 führte insbesondere die geforderte detaillierte Auseinandersetzung mit den technischen Anforderungen im Rahmen der Analyse der Wirtschaftsaktivitäten zu umfangreicher Projektarbeit. Im Vergleich zur initialen Aufarbeitung für das Berichtsjahr 2021 war dabei zu beobachten, dass der Kreis der betroffenen Organisationseinheiten massiv erweitert werden musste. Konnte man im Jahr 2021 noch mit viel Pragmatismus in einer kleineren Führungsmannschaft aus ESG, Rechnungslegung und Controlling agieren, war für 2022 nahezu zwingend die Einbeziehung operativer Kollegen aus dem Kerngeschäft, der Infrastruktur und etwa dem Flottenmanagement erforderlich, um teilweise sehr technische Fragen überhaupt erst analysieren zu können. Die Begriffe „EU-Taxonomie“, „Umsatzerlöse“, „Capex“ und „Opex“ streuten sich über deutlich mehr Organisationseinheiten und Mitarbeiter. Auch wurden in diesem Jahr von ersten Unternehmen, die eigentlich (noch) nicht unter die Berichtspflicht fallen, freiwillige Taxonomieberichterstattungen veröffentlicht, da zum Beispiel von Investorenseite eine entsprechende Erwartungshaltung aufgebaut worden ist. Hintergrund ist hierbei die Offenlegung der sogenannten Green Asset Ratio im Zuge der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR). Es ist somit bereits ein Kaskadeneffekt zu erkennen, den wir schon aus dem Kontext der CSR-RUG-Berichterstattung kennen.
Auf fachlicher Ebene ist die Projektarbeit wesentlich auch durch die Klarstellungen in Form der bekannten FAQ-Papiere der EU-Kommission sowie die ergänzenden Ausarbeitungen und Veröffentlichungen von Gremien wie DRSC und IDW geprägt worden. Als Fokusthema der Saison rückten spätestens mit der Veröffentlichung der Platform on Sustainable Finance rund um die Bedeutung der „Minimum Safeguards“ die sozialen Anspekte in den Vordergrund. Als besonders herausfordernd stellte sich dabei, neben der Erkenntnis, dass entsprechende Themenstellungen in der Vergangenheit vielleicht doch noch nicht auf dem erforderlichen Reifegrad bearbeitet worden sind, die Frage der Umsetzung in der Lieferkette dar. Überwachung und Durchgriffsrechte auf direkte und indirekte Lieferanten bleiben organisatorische Herausforderungen.
Neben dieser tiefen fachlichen Auseinandersetzung konnte man dabei oftmals beobachten, dass Fragen im Hinblick auf eine prozessuale beziehungsweise auch systemtechnische Integration in 2022 nicht beantwortet worden sind. Dafür sind drei Hauptgründe zu nennen: So führt beispielsweise die hohe Komplexität der EU-Taxonomie-Anforderungen dazu, dass auch ganzheitliche Systemlösungen entsprechend umfangreich und kostenintensiv sind. Dazu ergänzend ist festzustellen, dass integrierte ERP-Lösungen mit tatsächlicher Verzahnung mit den bestehenden Datenmodellen auf dem Markt kaum zu finden sind. Und zu guter Letzt mussten viele Unternehmen auch für 2022 feststellen, dass das jeweilige Kerngeschäft entweder nur teilweise oder gar nicht abgebildet ist, so dass eine Business-Case-Analyse für die Einführung entsprechender Lösungen oftmals zu negativen Ergebnissen kommt.
Insbesondere die Frage zur Ausweitung der Taxonomiekriterien-Sets aus den angekündigten Umweltzielen 3 bis 6 zu nachhaltiger Nutzung von Wasserressourcen (3), Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft (4), Vermeidung von Verschmutzung (5) und Schutz von Ökosystemen und Biodiversität (6) wird für die Weiterentwicklung in der Praxis entscheidend sein. Erst über eine höhere Relevanz der EU-Taxonomie im Kerngeschäft der Unternehmen wird flächig deren Akzeptanz gestützt.
Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss
Die Aufsichtspflichten von Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung bleiben im Sinne des gesetzlichen Rahmens grundsätzlich unverändert. Eine weitere Betonung von Governance-Anforderungen erfolgte jedoch in der aktuellen Fassung des Deutschen Corporate Governance Kodex. Hier ist einerseits die Verantwortung des Vorstands mit Blick auf eine ganzheitliche Betrachtung von Risiken aus der Geschäftstätigkeit im Grundsatz 4 betont worden sowie, darauf aufbauend, mit der Empfehlung A.5 angeregt worden, eine entsprechende Darstellung zur Angemessenheit und Wirksamkeit des gesamten internen Kontrollsystems in den Lagebericht aufzunehmen. Eine besondere Betonung von Nachhaltigkeitsfragestellungen erfolgt darüber hinaus im Hinblick auf die Überwachungsaufgaben des Aufsichtsrats im Grundsatz 6: „Überwachung und Beratung umfassen insbesondere auch Nachhaltigkeitsfragen“.
Auch die CSRD mit den verpflichtenden ESRS legt zukünftig einen deutlich stärkeren Fokus auf eine vollständige Integration der ESG-Dimension in die Corporate Governance, die Geschäftsstrategie sowie die Unternehmenssteuerung und die dahinterliegenden Managementsysteme.
Dazu passend lässt sich in den Gesprächen und Diskussionen mit Mandatsträgern beobachten, dass neben der gemäß § 171 AktG geforderten Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung der Eigenanspruch, als Ansprechpartner und Sparringspartner für Management und Vorstand zu agieren, in den Vordergrund rückt. Das erfordert zunehmend eine tiefere fachliche Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Grundlagen wie auch mit der prozessualen Umsetzung in den Unternehmen. Dazu ist es zukünftig erforderlich, dass auch auf Ebene der Aufsichtsgremien verstärkt ESG-Kompetenz aufgebaut wird, um der gesetzlich geforderten Prüfungspflicht nachzukommen.
Gleichwohl ist eine verstärkte inhaltliche Auseinandersetzung zu beobachten. Diskussionen fokussieren zunehmend außer auf eine regulatorisch geforderte Berichterstattung auf strategische und operative Fragen. Beispielsweise wird über die Aussagekraft der EU-Taxonomie-Performance nachgedacht und darüber, wie diese perspektivisch gesteigert werden kann. Daraus werden sich möglicherweise interessante Entwicklungen zum Beispiel mit Blick auf die Diversifikation von Geschäftsmodellen ergeben. Sehr konkret wird insbesondere die Einflechtung von Zielvorgaben in die Managementvergütungssysteme diskutiert.
Steuerungssysteme und Unternehmensmanagement
Beginnend mit der Non-Financial Reporting Directive (in Deutschland CSR-RUG) hat ab 2017 eine Kehrtwende stattgefunden, die darauf abzielt, die ESG-Berichterstattung stärker wesentlichkeits- und steuerungsorientiert auszurichten. Mit der CSRD wird dies zukünftig deutlich forciert, und zudem wird eine Vollintegration der ESG-Dimension in die bestehende Unternehmenssteuerung angestrebt.
Vor diesem Hintergrund, aber auch in Anbetracht der Komplexität und Reichweite der regulatorischen Anforderungen, ist zu beobachten, dass das Management der ESG-Themen zunehmend breiter und integrierter erfolgt. Spätestens mit dem Inkrafttreten der EU-Taxonomie wird das Management nicht mehr allein durch Nachhaltigkeitsverantwortliche getrieben. Wir beobachten die Gründung von ESG-Steuerungskreisen, die fachbereichsübergreifend besetzt sind, um der Tragweite der Implementierungsanforderungen gerecht zu werden.
Auf Vorstandsebene wird die steigende Relevanz der ESG-Themen dadurch deutlich, dass immer mehr Unternehmen steuerungs- beziehungsweise vergütungsrelevante Leistungsindikatoren berichten.
Verstärkt wird dieser Trend durch eine tiefere operativ getriebene Verankerung: Abteilungen treiben selbst aktiv die Nachhaltigkeitstransformation und fordern damit aktiv Einblick in die relevanten KPIs.
Abschlussprüfung
Die bisher freiwillige und mit der CSRD verpflichtend werdende externe Prüfung kann die Aufsichtsgremien dabei unterstützen, ihrer eigenen Prüfungspflicht gemäß § 171 AktG nachzukommen. Viele Unternehmen machen bereits seit Jahren von der Option Gebrauch, diese Prüfung auf freiwilliger Basis zu beauftragen.
Laut CSRD wird zunächst die Prüfung mit begrenzter Sicherheit verpflichtend sein. Ab voraussichtlich 2028 wird dann die Prüfung mit hinreichender Sicherheit gefordert. Demnach müssen dann im selben Umfang wie bei der Finanzberichterstattung prüfungssichere Reportingstrukturen implementiert sein, um den Anforderungen der deutlich größeren Prüfungstiefe standhalten zu können.
Vor dem Hintergrund diskutieren bereits Aufsichtsräte, ob eine Prüfung mit hinreichender Prüfungssicherheit früher angestrebt werden sollte, um der zunehmenden Relevanz des Themas Rechnung zu tragen und die Prüfungssicherheit zu erhöhen.
Ausblick 2023: CSRD und ESRS
Durch die beginnend mit dem Geschäftsjahr 2024 schrittweise in Kraft tretende CSRD lässt sich bei vielen Unternehmen eine Übergangsphase beobachten. Wegen der weitreichenden Anforderungen beginnen die Unternehmen mit ersten rechtlichen Auswertungen und Gap-Analysen, um sich auf die kommende Regulierung vorzubereiten. Neue umfassende Materialitätsanalysen werden geplant, und die zukünftig verpflichtenden ESRS-Indikatoren werden mit der bestehenden Datenerhebung abgeglichen. Einzelne Unternehmen beginnen sogar schon in diesem Jahr damit, freiwillig ESRS-Berichtsangaben in ihr Reporting zu übernehmen.
Für bisher nicht berichtspflichtige Unternehmen ist die Hürde oftmals ungleich höher, da die Berichterstattung noch nicht an den CSR-RUG-Anforderungen, sondern an freiwilligen Rahmenwerken wie den GRI-Standards oder dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex ausgerichtet ist. Dazu kommt, dass Unternehmen mit bisher separater ESG-Berichterstattung diese zukünftig in den Geschäftsbericht integrieren müssen, was sich wiederum auf die zeitliche Taktung der Berichterstattung auswirkt.
Grundlage des ESG-Managements wird eine neu definierte und an den ESRS orientierte Materialitätsanalyse sein, die einerseits den Berichtsumfang deutlich erhöhen und ebenso die Steuerungsorientierung intensivieren wird.