Nachhaltiger Wirtschaftsfaktor Gleisanschluss
In Anbetracht von Energiekrise, hohen Kraftstoff- und Personalkosten sowie einer maroden Autobahninfrastruktur wird der Ruf nach Lösungen immer lauter. Gleichzeitig wächst das Bestreben, den Güterverkehr verstärkt auf die Schiene zu verlagern, um Emissionen zu senken. Ein eigener Gleisanschluss gewinnt für Industrieunternehmen wieder an Bedeutung und kann einen wertvollen Wettbewerbsvorteil bieten. Zuletzt sorgte die sogenannte „Gleisanschluss-Charta“ für Aufmerksamkeit: eine Initiative, mit der sich 57 Verbände und Organisationen für die Stärkung und Förderung von Gleisanschlüssen im deutschen Schienennetz einsetzen.
Da die Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene auf der politischen Agenda steht, werden bereits seit 20 Jahren entsprechende Förderprogramme aufgelegt. Seit dem 01.03.2021 werden Infrastrukturkosten für Neu- und Ausbau oder Reaktivierung von Gleisanschlüssen vom Bundesverkehrsministerium (BMDV) für fünf Jahre in der Regel bis zu 50%, unter Umständen sogar bis zu 80%, mit öffentlichen Mitteln gefördert. Angesichts der Tatsache, dass ähnliche Förderprogramme in der Vergangenheit nur mäßigen Erfolg hatten, ist allerdings zu vermuten, dass die Vorteile eines Gleisanschlusses und die rechtlichen Grundlagen noch nicht im Bewusstsein der unternehmerischen Entscheidungsträger präsent sind – und das, obwohl das Gütertransportaufkommen stetig weiter zunimmt. Denn die Verlagerung auf die Schiene ist insbesondere attraktiv für langlaufende und schwere Transporte: Sperrige und/oder schwere Güter können nur mit Ausnahmegenehmigungen auf der Straße transportiert werden und machen Begleitfahrzeuge mit entsprechendem Personaleinsatz erforderlich.
Im Vergleich zum Straßenverkehr ereignen sich zudem im Schienenverkehr 42-mal weniger Gefahrgutunfälle. Güter auf der Schiene statt auf der Straße sparen außerdem CO2 und belasten die Umwelt deutlich weniger. Der Schienengüterverkehr verfügt bereits heute über einen hohen Anteil an Elektromobilität und ist sehr energieeffizient. Mit solchen umweltpolitischen Faktoren müssen sich Unternehmen zunehmend auseinandersetzen, da die CO2-Bilanz in den gewachsenen Reportingpflichten eine immer größere Rolle spielt. Dies ist nicht zuletzt für Finanzinvestoren von Interesse, denn durch die Einhaltung besonderer Nachhaltigkeitskriterien können Finanzprodukte eine Klassifizierung nach Artikel 9 der EU-Offenlegungsverordnung erhalten und als „dunkelgrüne Fonds“ eine große Zielgruppe von klimasensiblen Investoren erreichen.
Angesichts solcher Überlegungen möchte dieser Beitrag einen kurzen Einblick in die rechtlichen Möglichkeiten der Unternehmen geben.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Begriff der Eisenbahn
Nach § 2 Abs. 1 AEG (Allgemeines Eisenbahngesetz) sind Eisenbahnen öffentliche Einrichtungen oder privatrechtlich organisierte Unternehmen, die Eisenbahnverkehrsdienste erbringen (Eisenbahnverkehrsunternehmen) oder eine Eisenbahninfrastruktur betreiben (Eisenbahninfrastrukturunternehmen). Verkehrsdienste sind dabei nach § 2 Abs. 2 Satz 1 AEG unter anderem der Schienengüterverkehr. Der Schienenwegebetreiber ist hierzulande insbesondere die DB InfraGO AG, die unter anderem aus der ehemaligen DB Netz AG hervorgegangen ist. Werksbahnen sind nach § 2 Abs. 8 AEG Eisenbahninfrastrukturen, die ausschließlich zur Nutzung für den eigenen Güterverkehr betrieben werden. Werksbahnen sind nach § 3 Abs. 3 AEG nichtöffentliche Eisenbahnen und bedürfen nach § 6 Abs. 1 AEG keiner Unternehmensgenehmigung.
Zugangsrecht zum Schienennetz
Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 AEG hat jede Eisenbahn den angrenzenden Eisenbahnen mit Sitz in Deutschland den Anschluss an ihre Eisenbahninfrastruktur unter billiger Regelung der Bedingungen zu gewähren. Damit haben alle Berechtigten einen Anspruch auf diskriminierungsfreien Zugang zum gesamten nationalen Schienennetz inklusive seiner zur Abwicklung des Personen- beziehungsweise Gütertransports erforderlichen technischen und betrieblichen Anlagen und Leistungen. Die anschlussgewährende Eisenbahn muss die dafür erforderliche Anschlusseinrichtung an der von ihr betriebenen Eisenbahninfrastruktur errichten und betreiben. Davon abweichende Vertragsbedingungen sind nach § 13 Abs. 3 Satz 1 AEG unwirksam. Inhaltlich verpflichtet die Norm insbesondere die Infrastrukturbetreiber, also die Betreiber von Schienenwegen und Serviceeinrichtungen.
Das verpflichtete Eisenbahninfrastrukturunternehmen hat keine rechtliche Möglichkeit, den von dem berechtigten Unternehmen geforderten Anschluss abzulehnen, selbst wenn die Kosten die wirtschaftlichen Vorteile deutlich übersteigen oder der Zugang zur Eisenbahninfrastruktur des Anschließers wirtschaftlich wertlos oder sogar ausgeschlossen ist (Kontrahierungszwang).
Nach § 13 Abs. 5 AEG hat auch eine Werksbahn einer angrenzenden Eisenbahn für deren eigenen Güterverkehr den Anschluss an ihre Eisenbahninfrastruktur unter billiger Regelung der Bedingungen und Kosten zu gestatten. Durch dieses Zugangsrecht wird sichergestellt, dass auch den in der Praxis häufigen sogenannten „Hinterliegern“ oder „Nebenanschließern“, die – anders als die sogenannten „Hauptanschließer“ – keine eigene direkte Anbindungsmöglichkeit an das öffentliche Schienennetz haben, eine Verlagerung von Verkehren auf die Schiene ermöglicht wird.
Der Gleisanschlussvertrag/Infrastrukturanschlussvertrag
Die technischen und rechtlichen Inhalte des Gleisanschlusses werden im Rahmen eines privatrechtlichen Gleisanschlussvertrags bzw. Infrastrukturanschlussvertrags (IAV) geregelt.
Die Errichtung der technischen Übergangsmöglichkeit umfasst in der Praxis in der Regel den Einbau einer Weiche in das Netz des anderen Betreibers, die Errichtung des anschließenden Zuführungsgleises zur Infrastruktur des Anschließers sowie meist auch die Anpassung der Software oder Technik im Stellwerk. Regelmäßig nimmt der zum Anschluss verpflichtete Betreiber den Einbau der Weiche vor. Er ist allerdings nicht dazu verpflichtet, eine schon vorhandene Infrastruktur für den Anschließer umzurüsten.
Die mit dem Gleisanschluss verbundenen Kosten stellen vor allem bei kleineren bis mittelständischen Anschlussbahnen mit geringem Güterverkehrsaufkommen ein entscheidendes Kriterium für und wider die Neuerrichtung beziehungsweise Aufrechterhaltung eines Gleisanschlusses dar. Nutzungsabhängige Kosten für den Gütertransport selbst, die nicht mit der Herstellung oder Reaktivierung des Anschlusses verbunden sind (wie die Einpreisung von Trassengebühren, Transportkosten etc.), werden nachfolgend außer Acht gelassen.
Die Kostenaufteilung ist gesetzlich klar geregelt und 2021 zugunsten der Anschließer – und damit der Unternehmen – novelliert worden:
Nach § 13 Abs. 2 AEG tragen der Anschließer und die anschlussgewährende Eisenbahn die Kosten für Neubau, Ausbau, Ersatz und Rückbau der erforderlichen Anschlusseinrichtung (einmalige Kosten) zu gleichen Teilen. Die laufenden Kosten der Anschlusseinrichtung, insbesondere für Betrieb, Wartung und Instandhaltung, trägt dagegen die anschlussgewährende Eisenbahn nach § 13 Abs. 2 Satz 2 AEG allein. Abweichende Vertragsbedingungen sind nach § 13 Abs. 3 Satz 2 AEG zum Nachteil des Anschließers unwirksam. Weitere Kosten des Anschließers sind nach § 13 Abs. 2 Satz 3 AEG insbesondere die Kosten der von ihm selbst betriebenen Infrastruktur, also Instandhaltungs- und Erneuerungskosten etc. Sollen diese Kosten durch die oben beschriebenen öffentlichen Mittel gefördert werden, bietet es sich an, den IAV unter der aufschiebenden Bedingung der Förderungsbewilligung abzuschließen. Voraussetzung für den Erhalt einer Gleisanschlussförderung des BMDV ist unter anderem, dass das Vorhaben vor Erlass des Zuwendungsbescheids noch nicht begonnen worden ist.
Je nach Sachverhaltskonstellation werden dem Anschließer zuletzt auch ganze Anlagen nebst zugehörigen Grundstücksflächen vermietet, für die dann ein Nutzungsentgelt zu zahlen ist.
Regelmäßig sind auch Bestimmungen zur Betriebsführung Bestandteil des IAV. Geregelt wird, auf welche Weise und von wem der Gleisanschluss befahren werden darf und welche Informationen für eine planmäßige und sichere Verkehrs- und Betriebsabwicklung notwendig sind. Hierzu gehört auch die festgelegte Vorgehensweise bei Unfällen im Gleisanschlussbereich.
Vertraglich geregelt werden meist auch Zustimmungserfordernisse des Schienenwegebetreibers bei baulichen Änderungen. Weiterhin werden in der Regel Rückbaupflichten des Anschließers nach Beendigung der Nutzung vereinbart. Die Kosten für den Rückbau der Anschlusseinrichtung werden nach § 13 Abs. 2 Satz 1 AEG ebenfalls geteilt; auch hierbei handelt es sich um einmalige Kosten. Eigene Anlagen hat der Anschließer dagegen auf eigene Kosten zurückzubauen.
Bei Uneinigkeit über die Anschlussbedingungen entscheidet nach § 13 Abs. 4 AEG das Eisenbahnbundesamt, wenn eine Eisenbahn des Bundes beteiligt ist, in übrigen Fällen die Landesbehörde. Das Eisenbahnbundesamt darf auch zum Beispiel auf Grundlage des § 13 Abs. 2 AEG über den Kostengrund und die Kostenhöhe entscheiden.
Ergebnis und Ausblick
Die – vielfach unbekannte – Rechtslage stellt sich als für das anschlussbegehrende Unternehmen sehr positiv dar. Unternehmen, die einen Neuanschluss oder eine Reaktivierung von Gleisanlagen erwägen, können hier entsprechend selbstbewusst gegenüber den Schienenwegebetreibern auftreten.
Durch das Zusammenwirken eines günstigen Rechtsumfeldes, großzügiger Fördermöglichkeiten und eines positiven Einflusses auf die CO2-Bilanz dürfte die Prüfung von Investitionen in Gleisanschlüsse für viele Unternehmen eine lohnenswerte Strategie für eine nachhaltige Ausrichtung ihrer Infrastruktur darstellen.
Autor
Dr. Ann Margret Herzhoff, LL.M.
Oppenhoff, Köln
Rechtsanwältin, Associate
Autor
Marvin Rochner
Oppenhoff, Köln
Rechtsanwalt, Partner
marvin.rochner@oppenhoff.eu
www.oppenhoff.eu



