Einführung
Wenn vor einigen Jahren noch davon gesprochen worden ist, dass sogenannte Klimaklagen ein neuartiges Phänomen aus den Vereinigten Staaten seien, hat diese Aussage ihre Gültigkeit verloren. Nicht nur das Bewusstsein für den Klimawandel ist in unserer Gesellschaft angekommen. Auch Klagen, die in einem Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen, sind längst fester Bestandteil der Jurisdiktion und Teil der öffentlichen Aufmerksamkeit, so beispielsweise die Klage des peruanischen Bauern Lliuya gegen die RWE AG, der „bahnbrechende“ Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts oder jüngst der „historische“ Sieg des Vereins KlimaSeniorinnen in der Klage unter anderem gegen die Schweiz auf Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
Jedoch sind Klimaklagen nicht gleich Klimaklagen. Innerhalb der Begrifflichkeit wird eine Kategorisierung anhand des jeweiligen Beklagten vorgenommen. Vertikale Klimaklagen meinen Verfahren, die sich gegen den Staat richten, während horizontale Klimaklagen Verfahren bezeichnen, in denen auf Beklagtenseite Unternehmen stehen. Innerhalb der horizontalen Klimaklagen gibt es eine weitere Grobunterscheidung: Eine Kategorie von Klagen betrifft solche, bei denen das Anspruchsziel der Kläger das Verhalten der Unternehmen in der Vergangenheit betrifft. In der zweiten Kategorie versuchen die Kläger durch das Verfahren das künftige Verhalten der beklagten Unternehmen zu beeinflussen.
Durften Unternehmen vor einigen Jahren noch davon ausgehen, von Klimaklagen mit nur geringer Wahrscheinlichkeit betroffen zu sein, ist spätestens zum jetzigen Zeitpunkt eine konkrete Risikovorsorge Pflicht. Der Gesetzgeber ist aufgrund seiner eigenen Verpflichtung durch das Pariser Abkommen zur Erfüllung des 1,5-Grad-Ziels unter Druck, denn die Maßnahmen des öffentlichen Klimaschutzrechts allein reichen nicht aus, die Erderwärmung zu stoppen. In der Folge setzt bereits der europäische Gesetzgeber auf eine umfassende Aktivierung der Unternehmen. Von diesen Verpflichtungen sind deutsche Unternehmen zu großen Teilen schon heute betroffen. Gleichwohl müssen Unternehmen davon ausgehen, dass sowohl der europäische als auch der nationale Gesetzgeber zusätzliche und weiterreichende Maßnahmen treffen werden. Das zeigt sich beispielsweise durch die EU-Taxonomie, die Green-Claims-Richtlinie, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) und nicht zuletzt im rechtswissenschaftlichen Diskurs.
Dieser Beitrag betrachtet die bereits gegenwärtigen horizontalen Klimaklagen in Deutschland, beleuchtet Verfahren, die als Vorbild für andere Klagen dienen (könnten) und endet mit einer Handlungsempfehlung für Unternehmen.
Gegenwärtige Verfahren vor deutschen Gerichten
LLiuya v. RWE AG
Die Klage des peruanischen Bergbauern Lliuya, der gegen die RWE AG als einen großen CO2-Emittenten Europas klagt, ist die erste horizontale Klimaklage vor einem deutschen Gericht. Hintergrund des Verfahrens ist, dass das klägerische Grundstück wegen des Abschmelzens der Gletscher in den Anden von einer Schlammlawine bedroht ist und der Kläger deshalb von der RWE AG die Zahlung eines Beitrags zu den notwendigen Schutzmaßnahmen fordert. Das erstinstanzliche Gericht wies die Klage insbesondere wegen des fehlenden Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs zwischen den Treibhausgasemissionen der RWE AG und den Auswirkungen des Klimawandels auf die Gletscherschmelze in den Anden ab. Das Berufungsgericht hat dagegen im Jahr 2022 eine Beweisaufnahme vor Ort durchgeführt, eine Entscheidung über die Sache steht bislang aber aus.
DUH v. BMW AG
Angefeuert von dem Erfolg des Shell-Urteils aus den Niederlanden, hat die Deutsche Umwelthilfe in Deutschland gegen nationale Automobilhersteller, unter anderem die BMW AG, Klage erhoben. Die Kläger verlangten von der BMW AG die Unterlassung der Herstellung von Verbrennermotoren ab 2030, weil der Ausstoß von Treibhausgasen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläger eingreife. Die Gerichte erster und zweiter Instanz haben dieser Argumentation eine Absage erteilt und die Klage abgewiesen. Gleichwohl bleibt abzuwarten, ob die Nichtzulassungsbeschwerden gegen die Entscheidungen Erfolg haben werden und wie eine dann gegebenenfalls folgende Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) aussehen könnte.
Wettbewerbszentrale v. Katjes Fassin GmbH & Co. KG
Ein Verfahren, das den Klimawandel jedenfalls mittelbar betrifft, ist der Rechtsstreit der Wettbewerbszentrale gegen die Katjes Fassin GmbH und Co. KG wegen Werbung mit dem Aufdruck „klimaneutral“ (siehe hierzu auch den Beitrag in Deutscher AnwaltSpiegel 15/2024). Unternehmen, die zu ihren Produkten oder zu ihrer Produktion Umweltschutzaussagen treffen, müssen streng prüfen, ob die genutzten Aussagen übertrieben, falsch oder irreführend sind. Das Gericht hat in dem Verfahren geurteilt, dass die Werbung mit einem mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff wie „klimaneutral“ regelmäßig nur dann zulässig sei, wenn in der Werbung selbst erläutert werde, welche konkrete Bedeutung diesem Begriff zukommt. In diesem Zuge stellt der BGH auch klar, dass die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität seien und daher nicht identisch beworben werden könnten. Nur wenn die Aussage „klimaneutral“ schon in der Werbung näher erläutert werde, könne eine Wettbewerbsverzerrung verhindert werden und ein Innovationswettbewerb um die nachhaltigste Leistung entstehen. Ohne weiterführende Erklärung könne der Begriff sowohl im Sinne einer Reduktion von CO2 im Produktionsprozess als auch im Sinne einer bloßen Kompensation verstanden werden. Der Verweis auf „climatepartner.com“ reiche zur Aufklärung nicht aus.
Zwischenfazit
Die Anspruchsrichtung der Klimaklagen ist vielfältig und zeigt, dass nicht nur Unternehmen betroffen sind, die selbst größere Mengen an Treibhausgasen emittieren, sondern auch Unternehmen verklagt werden, denen Treibhausgasemissionen nur mittelbar zugerechnet werden können. Klimaklagen sind hoch dynamisch, was besonders damit zusammenhängt, dass es wenige höchstgerichtliche Entscheidungen gibt, vor allem keine des BGH. Insofern ist der Prozessausgang in den einzelnen Verfahren schwer vorhersehbar. Es ist damit zu rechnen, dass Unternehmen künftig Risiken nicht nur hinsichtlich der dargestellten Konstellationen bewerten, sondern sich auch hinsichtlich anderer Anspruchsziele absichern müssen. Mit den Klagen sind zudem stets strategische Gesichtspunkte verbunden. Gewünscht ist eine Signalwirkung gegenüber anderen Unternehmen und Verbrauchern. Die Kläger möchten Aufmerksamkeit auf Defizite in der Klimaschutzplanung und auf große Treibhausgasemittenten lenken. Aus diesem Grund stehen die Verfahren unter erheblicher medialer Aufmerksamkeit und können unter Umständen die Reputation eines Unternehmens bedrohen. Besonders wichtig ist daher auch der Umgang mit der medialen Berichterstattung.
(Potentielle) Einflüsse durch andere Klimaklagen
Für Unternehmen sind nicht nur Entscheidungen nationaler Gerichte zu horizontalen Klimaklagen relevant, sondern auch Entscheidungen europäischer Gerichte sowie Entscheidungen, die das vertikale Verhältnis von Klägern und Beklagten betreffen. Dieser Umstand rührt daher, dass einige Problemstellungen, die sich aufgrund der naturwissenschaftlichen Wirkweisen des Klimawandels stellen, jede Klimaklage gleichermaßen betreffen. Die Gerichte beziehen in ihre Rechtsprechung daher regelmäßig auch Entscheidungen anderer Gerichte ein.
Der Klimabeschluss des BVerfG
Besondere Aufmerksamkeit verdient der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 2021. Das Gericht erklärte, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Verantwortung für künftige Generationen trage und zur Herstellung von Klimaneutralität verpflichtet sei und dass das vom Gesetzgeber geschaffene Klimaschutzgesetz anzupassen sei. In dem Urteil führt das Gericht auch aus, dass das „Drop in the ocean“-Argument, also die Behauptung, der eigene Beitrag sei global betrachtet zu gering, als dass dessen Wegfallen den Klimawandel stoppen würde, keinen Bestand hat. Das BVerfG stellt ausdrücklich klar, dass die Verpflichtung zur Reduktion von Treibhausgasemissionen alle betreffe, weil nur mit Blick auf das wechselseitige Vertrauen in die Reduktionsbemühungen der anderen Staaten die Klimaschutzziele aus dem Pariser Abkommen erreicht werden könnten. Bemerkenswert ist auch, dass das Gericht die Existenz eines CO2-Restbudgets anerkennt, weshalb bei Verzehr dieses Budgets nach derzeitigem Stand die künftige Freiheit dadurch irreversibel gefährdet werde. Grundsätzlich haben diese Ausführungen für Unternehmen Bedeutung, weil nicht auszuschließen ist, dass Zivilgerichte die Argumentation des Höchstgerichts übernehmen und jedenfalls das Argument der Schädigung durch die Weltgemeinschaft und der Unbedeutsamkeit des eigenen Beitrags nicht mehr gelten lassen. Ein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen Treibhausgasemissionen und Klimaschäden ließe sich jedenfalls nur schwer mit dem Argument verneinen, dass der Beitrag eines einzelnen Unternehmens global betrachtet zu gering sei. Der jeweilige Beitrag des einzelnen Unternehmens würde dann stärker gewichtet. Daneben könnten sich aus dem Bestehen eines CO2-Restbudgets Verkehrssicherungspflichten von Unternehmen ableiten lassen, das Budget nicht weiter aufzuzehren.
Milieudefensie et al. v. Royal Dutch Shell
Für viel Aufsehen hat außerdem das Shell-Urteil des Bezirksgerichts Den Haag gesorgt, als es ebenfalls den Budget-Ansatz des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) aufgegriffen und den Ölkonzern verurteilt hat, seine Emissionen bis 2030, verglichen mit 2019, um 45% zu reduzieren. Die Besonderheit ist dabei, dass das Unternehmen für seine gesamte Produktions- und Lieferkette in Anspruch genommen wird und deshalb Scope-1-Emissionen (Emissionen aus unternehmenseigenen Aktivitäten oder Quellen, die das Unternehmen direkt kontrolliert), Scope-2-Emissionen (Emissionen aus eingekaufter Energie wie Strom, Wasserdampf etc., die außerhalb der eigenen Systemgrenzen von Unternehmen erzeugt, aber von ihnen verbraucht werden) und Scope-3-Emissionen (Emissionen, die das Ergebnis von Aktivitäten aus Anlagen sind, die nicht im Besitz des Unternehmens sind oder von diesem kontrolliert werden, aber dessen Aktivitäten innerhalb der eigenen Wertschöpfungskette unmittelbar beeinflussen) reduzieren muss. Nach aktueller Gesetzeslage ist eine so weitreichende Haftung für Scope-2- und -3-Emissionen für deutsche Unternehmen nicht denkbar. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich die Rechtslage nach Umsetzung der CSDDD in Deutschland entwickeln wird. Die Richtlinie sieht einen weitreichenderen Anwendungsbereich vor als das derzeit geltende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und greift das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens auf. Gleichzeitig regelt die CSDDD eine zivilrechtliche Haftung, aufgrund deren Schadensersatzansprüche von Betroffenen geltend gemacht werden können. Betroffene Unternehmen müssen daher sicherstellen, dass das eigene Geschäftsmodell mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens in Einklang steht.
Verein KlimaSeniorinnen Schweiz v. Switzerland
Die nationalen Zivilgerichte haben in ihren letzten Entscheidungen eine Inanspruchnahme von Unternehmen aufgrund des Klimawandels vor allem aufgrund des fehlenden Kausalzusammenhangs abgelehnt und als Begründung oftmals die geringen Emissionsmengen der Beklagten im globalen Kontext angeführt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vertritt zum Ursache-Wirkungs-Zusammenhang in der Entscheidung KlimaSeniorinnen Schweiz u.a. gegen die Schweiz dagegen eine andere Linie. Das Gericht führt in der Entscheidung aus, dass der Kausalzusammenhang wegen der Globalität des Klimawandels zwangsweise schwächer und indirekter sei als bei lokalen Verursachern von schädlichen Verschmutzungen. Fragen des individuellen Opferstatus und der spezifische Inhalt einer staatlichen Verpflichtung könnten daher nicht auf der Grundlage einer strengen Conditio-sine-qua-non-Anforderung bestimmt werden. Das Gericht erklärt, dass deshalb der Ansatz für diese Fragen weiter angepasst und die Besonderheiten des Klimawandels berücksichtigt werden müssten. Auch wenn die Entscheidung des EGMR nicht direkt den Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen den Treibhausgasemissionen eines Unternehmens und den Folgen des Klimawandels betrifft, ist bemerkenswert, dass das Gericht die Auffassung vertritt, dass für die Ermittlung des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs nicht die bekannten Mechanismen herangezogen werden können, sondern die Umstände des Klimawandels berücksichtigt werden müssen.
Ausblick
Die bisherigen Entscheidungen der deutschen Gerichte zeigen, dass sie die Anspruchsgrundlagen eng auslegen und eine Verpflichtung der Unternehmen ablehnen. Im Kontrast dazu stehen die oben genannten Entscheidungen, die weitreichende Verpflichtungen von Unternehmen und Staaten angenommen haben und im Ergebnis eine neue Verantwortungsverteilung begründet haben. Dass die Entscheidungen wenigstens als Vorreiter für neue Klagen gegen Unternehmen dienen können, hat sich bereits durch die von dem Shell-Urteil motivierten Klagen gezeigt. In diesen Fällen haben betroffene Unternehmen einen erhöhten Verteidigungsaufwand und nicht zuletzt Sorge um ihre Reputation. Ebenfalls hat sich in der Entscheidung des BGH zur Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ gezeigt, dass nur dieses Gericht die Letztentscheidungskompetenz hat und die Urteile der Vorinstanzen aus diesem Grund mit Vorsicht zu genießen sind.
Die politisch motivierten Kläger verfügen über die Geduld und ausreichend Ressourcen, um mit ihren Anliegen den Instanzenzug auszuschöpfen, und lassen sich von Niederlagen in den unteren Instanzen nicht einschüchtern. Dies zeigt sich aktuell in den Verfahren gegen einige deutsche Automobilhersteller, in denen den Klägern sowohl von den Landgerichten als auch von den Oberlandesgerichten Absagen erteilt worden sind. Gleichzeitig wurde in keinem Verfahren die Revision zum BGH zugelassen. Hiergegen haben die Kläger Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BGH eingelegt und begründen die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Eine abschließende Entscheidung zur Verpflichtung der Unternehmen zu klimapositiverem Verhalten ist daher noch nicht ergangen.
Weil das gesamte Klimaschutzrecht durch weitere naturwissenschaftliche Erkenntnisse sowie durch die sich ändernde nationale und europäische Gesetzgebung in Bewegung ist, ist es für Unternehmen wichtig, die Herausforderungen mit Geschick anzugehen. Einerseits gilt es, Risiken, die sich aus nationaler und europäischer Gesetzgebung ergeben (wie beispielsweise durch die CSDDD) einzuschätzen und Mechanismen zur Abwehr zu entwickeln. Andererseits dürfen Risiken, die sich aus gerichtlichen Verfahren ergeben, nicht unterschätzt werden, da die Verfahren als Vorbilder für die Klagen von morgen fungieren können. Nicht zuletzt muss im Ernstfall eine umfängliche Verteidigungsstrategie entwickelt werden, die nicht nur die prozessuale, sondern auch die mediale Ebene umfasst.
Autor
Dr. Elisabeth Fischer
Oppenhoff, Frankfurt am Main
Rechtsanwältin, Associate


