Löhne unterhalb des Existenzminimums, Gesundheitsschäden durch Chemikalien und Pestizide oder auch die Verletzung des Rechts auf Wasser für lokale Bevölkerungen – die sozialen und ökologischen Belastungen durch internationale Wertschöpfungsketten haben bedenkliche Ausmaße angenommen. Im Zuge der Globalisierung sorgen vor allem die immer komplexer verschachtelten Lieferketten dafür, dass vielen Unternehmen der Einfluss ihrer Tätigkeiten auf Arbeitsbedingungen und Umwelt gar nicht mehr bewusst ist.
Um dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen, hat der Bundestag im Juni 2021 das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten verabschiedet. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ist gültig ab dem ersten Januar 2023 für Unternehmen mit 3.000 oder mehr inländischen Angestellten. Ab dem ersten Januar 2024 weitet der Gesetzgeber den Geltungsbereich auf Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitenden aus.
Betroffene Unternehmen müssen ihre Lieferketten und ihren eigenen Geschäftsbereich in diesem Zuge umfangreich auf etwaige Risiken prüfen sowie effektive Abhilfe- und Präventionsmaßnahmen für Umwelt- oder Menschenrechtsverstöße aufbauen – sowohl im eigenen Wirkungsbereich als auch bei direkten Partnern wie zum Beispiel Lieferanten oder Logistikdienstleistern. Auch die EU-Kommission hat im vergangenen Februar einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, „CSDDD-E“) vorgelegt, die mit den Anforderungen des LkSG vergleichbare Regelungen enthält.
Viele offene Fragen erschweren die Umsetzung
Unternehmen stehen nun vor der Herausforderung, Transparenz in ihren Kunden-, Dienstleister- und Lieferantennetzwerken zu schaffen sowie konkrete Sorgfaltspflichten aus der Gesetzgebung abzuleiten. Diese lässt zu Teilen noch einen gewissen Interpretationsspielraum offen, der die detaillierte Auslegung der Pflichten bisweilen erschweren kann.
So ist beispielsweise unklar, wie Unternehmen bei mittelbaren Lieferanten der Stufe 2, 3 oder 4 für die Einhaltung der Pflichten mitverantwortlich sind. Konkreter: Wie kann ein Automobilproduzent einer globalen Information zur Verletzung von Sorgfaltspflichten einem seiner n-stufigen Zulieferer zuordnen und dann anlassbezogen agieren? Nehmen wir einmal an, man kann hier eine „substantiierte Kenntnis” ableiten, so stellt sich wiederum die Frage, ob Unternehmen etwaige Verpflichtungen entlang der Kette durchsetzen können. Falls Unternehmen dazu in der Lage sind und damit gut organisierte Lieferantennetzwerke vorliegen, kann dies für die Unternehmen ein erheblicher Wettbewerbsvorteil sein. Zumindest in einige dieser Punkte konnte das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) mit einer im August veröffentlichten Handreichung etwas mehr Klarheit bringen.
Empfindliche Sanktionen bei Zuwiderhandlungen
Während hinsichtlich der Umsetzung noch viele Unklarheiten im Raum stehen, sind die Risiken bei Verstößen gegen das LkSG relativ eindeutig. Prinzipiell drohen bei Zuwiderhandlungen Bußgelder von bis zu 800.000 Euro. Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 400 Millionen Euro müssen im schlimmsten Fall sogar Strafzahlungen von 2% ihres globalen Umsatzes fürchten. Ab einem Bußgeld von 175.000 Euro können betroffene Unternehmen zudem bis zu drei Jahre von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden.
Neben den finanziellen Risiken drohen Unternehmen bei Sanktionen aber auch erhebliche Reputationsschäden, die sich negativ auf das gesamte Geschäft auswirken können. Wird beispielsweise öffentlich, dass ein Unternehmen die Verschmutzung der Umwelt oder Kinderarbeit billigend in Kauf nimmt, werden wichtige Geschäfts- und Kundenbeziehungen schnell auf die Probe gestellt. Kurz: Nachhaltige Lieferketten sind nicht zuletzt auch ein wichtiger Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen.
Risikoanalyse macht Defizite sichtbar
Um die Gefahr von Sanktionen oder anderer Schäden im Zusammenhang mit dem LkSG von vornherein zu minimieren, müssen Unternehmen im ersten Schritt potentielle Risiken sichtbar machen. Das erfolgt in der Regel über eine Lückenanalyse, bei der Unternehmen die Defizite zwischen den gesetzlichen Anforderungen und der gelebten Praxis identifizieren. Das können beispielsweise die Abbaubedingungen von Rohstoffen oder auch arbeitsschutzrechtliche Versäumnisse an Produktionsstandorten von Lieferanten und im eigenen Geschäftsbereich sein.
Gibt es Hinweise auf solche Risiken, müssen diese dokumentiert, priorisiert und über sogenannte Abhilfemaßnahmen adressiert werden. Kommt es beispielsweise an gewissen Produktionsstandorten vermehrt zu Arbeitsunfällen, können Sicherheitsschulungen eine solche Abhilfemaßnahme darstellen. Die Risikoanalyse ist daher ein zentraler Baustein für die Umsetzung der neuen Pflichten, erhöht die Transparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette und ermöglicht es, etwaige Gefahren gezielt anzugehen.
Neue Wechselwirkungen zwischen Geschäftsbetrieb und Compliance
Neben der initialen Analyse der Lieferkettenrisiken sowie dem Aufbau von Präventions- und Abhilfemaßnahmen müssen Unternehmen die neuen Anforderungen auch langfristig in feste Strukturen überführen. Dafür braucht es nicht nur neue Prozesse und Technologien, sondern auch veränderte Verantwortlichkeiten. Während beispielsweise das Thema Menschenrechte in der Vergangenheit primär Angelegenheit der Personal- oder Complianceabteilung war, gibt es mit dem neuen Gesetz plötzlich starke Bezugspunkte zu bisher nicht betroffenen Unternehmensbereichen.
So müssen in Zukunft etwa der Einkauf und das daran angeschlossene Lieferantenmanagement verstärkt in Complianceprozesse einbezogen werden, um stringente und messbare Ergebnisse zu gewährleisten. Das Gleiche gilt für Vertrieb und Logistik, wo es in Zusammenhang mit dem LkSG ebenfalls verstärkte Schnittmengen mit regulatorischen Fragen rund um die Lieferkette geben wird. Diese Wechselwirkungen gilt es nun zu orchestrieren.
Gemeinsam Verantwortung übernehmen
Die Auseinandersetzung mit potentiellen Risiken in der Lieferkette stellt aber nicht nur einen Mehraufwand für Unternehmen dar, sondern eröffnet vor allem in Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Lieferanten auch wertvolle Chancen. So geht es weniger darum, risikobehaftete Partner einfach auszusortieren, sondern positive Entwicklungen anzustoßen und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Die Lieferantenentwicklung ist dafür ein zentraler Hebel. Gerade für kleinere Betriebe mit begrenzten Ressourcen können Unternehmen im Zuge von elaborierten Supplier-Programmen wichtige Hilfestellung leisten und Partnerschaften so auf ein neues Level mit stärkerer gesellschaftlicher Verantwortung heben.
Dementsprechend bietet es sich an, etablierte Ansätze bei der Umsetzung der neuen Anforderungen zu teilen, damit Zulieferer diese nicht von Grund auf neu entwickeln müssen. Schulungsmaßnahmen oder Unterstützung bei der Risikoanalyse können diese Betriebe ebenfalls stark entlasten und potentielle Unsicherheiten in der eigenen Risikoanalyse gezielt reduzieren. Daher sollten Unternehmen einen Abbruch von Geschäftsbeziehungen lediglich als letztes Mittel in Betracht ziehen.
Obwohl der initiale Aufwand für den Aufbau der erforderlichen Compliance- und Risikomanagementsysteme hoch erscheint, zahlen sich Umstrukturierungen in Vorbereitung auf das LkSG langfristig aus. Kunden und Partner werden zukünftig bevorzugt mit Unternehmen zusammenarbeiten, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind und die soziale wie ökologische Missstände aus eigenem Antrieb heraus angehen. Das Gleiche gilt für hart umkämpfte Fachkräfte, die sich ihre Arbeitgeber ebenfalls immer stärker nach entsprechenden Kriterien aussuchen. Nicht zuletzt zahlen ökologisch und sozial nachhaltige Lieferketten langfristig auf die Resilienz ein, stärken die Zusammenarbeit mit bestehenden Lieferanten und fördern das Geschäft.