Stand der Bemühungen zur globalen Standardisierung der Nachhaltigkeitsberichterstattung

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Komplex, verwirrend, intransparent. So lässt sich das aktuelle Angebot freiwilliger Standards und Rahmenwerke rund um ESG-Offenlegungen wohl am besten beschreiben. Als Unternehmen, Anleger oder Stakeholder bei all den unterschiedlichen Messrahmen, Vorgaben und Indizes durchzublicken ist schier unmöglich. Nur weltweit gültige und einheitliche Standards können Klarheit schaffen und eine vergleichbare Berichterstattung ermöglichen.

Globale Vergleichbarkeit erreichen

Seit November 2021 entwickelt das unabhängige, privatwirtschaftliche International Sustainability Standards Board (ISSB) solche Standards. Das Board mit Hauptsitz in Frankfurt am Main unterliegt der Aufsicht der IFRS-Stiftung (IFRS: International Financial Reporting Standards), ist neben dem IASB (International Accounting Standards Board) tätig und arbeitet eng mit diesem zusammen.

Die rund 14 Mitglieder kommen aus Europa, Amerika, Asien und Afrika. Das ISSB hat versprochen, die Dinge zu vereinfachen und eine umfassende globale Grundlage („global baseline“) für die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu schaffen, die dem Informationsbedarf der Investoren gerecht wird. Ende März 2022 legte es bereits zwei Entwürfe (Exposure Drafts) vor: Allgemeine Vorschriften für die Angabe nachhaltigkeitsbezogener Finanzinformationen (ED IFRS S1) und Klimabezogene Angaben (ED IFRS S2).

Erste Vorschläge vorgestellt

Gemäß den Entwürfen sollen in der Berichterstattung alle wesentlichen Informationen zu den nachhaltigkeitsbezogenen Chancen und Risiken angegeben werden. Kerninhalte sind Unternehmensführung, Strategie, Risikomanagement sowie Kennzahlen und Ziele. Aus den Angaben müssen die Zusammenhänge zwischen den nachhaltigkeitsbezogenen Chancen und Risiken hervorgehen, und sie sollen nachvollziehbar machen, wie diese mit den Angaben der allgemeinen Finanzberichterstattung verknüpft sind (Konnektivität). Unternehmen sollen zudem Informationen über wesentliche klimabezogene Chancen und Risiken offenlegen, die Auswirkungen auf Unternehmenswert, Strategie und Geschäftsmodell verdeutlichen – und wie das Unternehmen mit diesen Chancen und Risiken umgeht. Bis Ende Juli konnten Stellungnahmen eingereicht werden. Wir stellen nachfolgend unsere Haltung zu den ISSB-Entwürfen vor.

Wesentlichkeit

Nach dem Entwurf wäre eine Information wesentlich, wenn sie zur Beurteilung des Unternehmenswerts benötigt wird. Diesen definiert das ISSB als Gesamtwert eines Unternehmens, der sich aus Eigenkapital (Marktkapitalisierung) und Nettoverschuldung zusammensetzt. Möglicherweise wollen Unternehmen jedoch darüber hinausgehende Angaben machen – oder es werden solche von den Aufsichtsbehörden verlangt. Diese Angaben könnten über die für Anleger relevanten Informationen hinausgehen. Darum unterstützen wir die Zusammenarbeit des ISSB mit der Global Reporting Initiative (GRI), die der Wesentlichkeit eine breitere Perspektive einräumt. Unser Vorschlag: Alle Informationen, die über die „global baseline“ hinausgehen – inklusive Angaben aus der Einhaltung der GRI-Standards –, sollten als solche erkennbar sein. Das würde die Vergleichbarkeit der globalen Basisberichterstattung erleichtern und möglicherweise auch das Alignment mit den europäischen Standards (ESRS) transparent machen.

Unternehmenswert

Der Entwurf besagt explizit, dass die Auswirkungen auf den Unternehmenswert Grundlage der Wesentlichkeit sind. Wir empfehlen jedoch, dass der Unternehmenswert aus Sicht eines Marktteilnehmers bewertet werden sollte – also unter Verwendung von Fair-Value-Konzepten wie in IFRS 13 – Fair Value Measurement beschrieben. Wir empfehlen zudem die Anwendung eines „Management-ansatzes“. Das würde bedeuten, Risiken und Chancen zu identifizieren, anhand deren das Management strategische Entscheidungen trifft. Anschließend ist die Anwendung eines Fair-Value-Ansatzes unserer Meinung nach hilfreich für die Einschätzung dessen, was in Bezug auf diese Chancen und Risiken als „wesentlich“ zu berichten ist. So werden Boilerplates vermieden und der Fokus auf jene Informationen gelegt, die für das Management relevant sind.

Wichtige Kennzahlen und SASB-Branchenleitlinien

Zum Hintergrund: Die IFRS-Foundation hat sich dazu verpflichtet, den vom Sustainability Accounting Standards Board (SASB) verwendeten branchenspezifischen Ansatz in die ISSB-Standards zu integrieren. Die branchenspezifischen klimabezogenen Angabepflichten wurden von den SASB-Standards abgeleitet und sind in einem Anhang zum ED IFRS S2 enthalten. Für nicht-klimabezogene Themen wird vorgeschlagen, den SASB-Standards den Status von Umsetzungsleitlinien zu geben. Derzeit umfassen diese Standards 77 Branchenklassifizierungen in elf Sektoren. Unsere Meinung zu dieser Thematik: Die im fraglichen Entwurf vorgeschlagenen Leitlinien sind hilfreich als Ausgangspunkt für die Bewertung wichtiger Kennzahlen. Branchenklassifizierung und -metriken sind allerdings sehr detailliert ausgefallen. Außerdem gibt es unnötige Inkonsistenzen zwischen den Branchen. Darum sollte sich die Offenlegung wichtiger Kennzahlen auf Qualität statt Quantität der Metriken konzentrieren. Branchenübergreifende Kennzahlen, die für alle Unternehmen erforderlich sind, wären unter dem Aspekt „kritisch für die Offenlegung“ zu priorisieren. Wir schlagen vor, die SASB-Branchenleitlinien zunächst weiter zu verfeinern.

Interoperabilität der IFRS-Nachhaltigkeits- und Angabestandards

Um zu gewährleisten, dass die Angaben zu nachhaltigkeitsbezogenen Risiken und Chancen zusammenhängend statt repetitiv sind, plädieren wir für eine klare Verbindung zwischen dem allgemeinen Standard IFRS S1 und den thematischen Standards wie dem IFRS S2. Es sollte klarer sein, dass der ED IFRS S1 der Rahmen für alle IFRS-Nachhaltigkeitsstandards ist. Die thematischen Standards würden spezifische Anforderungen und Leitlinien für die wichtigsten Angaben zu Umwelt, Soziales und Unternehmensführung enthalten. Zum Beispiel wäre eine Verknüpfung zur Unternehmensführung erforderlich, wo in der Regel nicht nur spezifische Themen, sondern alle nachhaltigkeitsbezogenen Risiken und Chancen überwacht werden. In Sachen Resilienz schlagen wir eine Analyse vor, die alle nachhaltigkeitsbezogenen Risiken und Chancen umfasst.

Integration mit IFRS oder anderen GAAP

Wir empfehlen für die Standards einen klar formulierten Grundsatz. Dieser sollte detailliert beschreiben, für welche Themen oder Fragen berichtende Unternehmen die Leitlinien in IFRS (oder in gleichwertigen GAAP, Generally Accepted Accounting Principles) zu beachten haben, die nicht direkt in den IFRS Sustainability Disclosure Standards (IFRS SDS) behandelt werden (zum Beispiel nicht beherrschende Anteile, Änderungen der Anteile an Tochterunternehmen oder assoziierten Unternehmen). Wir ermutigen das ISSB auch, mit dem IASB am IFRS-Klimaprojekt zu arbeiten, um die Kohärenz zwischen den Anforderungen sicherzustellen.

Entsprechenserklärung

Derzeit enthält ED IFRS S1 eine Bestimmung, die es Unternehmen erlaubt, vom Standard verlangte Angaben zu unterlassen – nämlich dann, wenn lokale Gesetze oder Vorschriften einem Unternehmen die Angabe dieser Informationen verbieten. In diesem Fall dürften Unternehmen gleichwohl weiterhin sagen, dass sie die IFRS SDS vollständig einhalten. Ähnlich wie bei den IFRS sollten Unternehmen unseres Erachtens nach verpflichtet werden, eine ausdrückliche, uneingeschränkte Erklärung über die Einhaltung der Standards abzugeben. Wurden wesentliche Angaben unterlassen – aus welchem Grund auch immer –, sollte nur eine qualifizierte Entsprechenserklärung zulässig sein.

Prüfbarkeit

Der externen Prüfung nichtfinanzieller Informationen sind bestimmte Herausforderungen inhärent, die sich mit einem Berichtsstandard nicht allein bewältigen lassen. Um die Erwartungen von Investoren und anderen Interessengruppen zu erfüllen, müsste das Ziel eine Prüfung mit hinreichender Prüfungssicherheit („reasonable assurance“) für die Gesamtheit der Angaben eines Unternehmens zu wesentlichen nachhaltigkeitsbezogenen Risiken und Chancen sein. Dafür wäre die Zusammenarbeit zwischen Rechnungslegungs- und Prüfungsstandardsetzern, Erstellern und Praktikern hilfreich. Um diese zu fördern, könnten die Standards von den Unternehmen verlangen, Informationen über zugrunde liegende Beurteilungen und Annahmen offenzulegen, die bei der Bestimmung der Wesentlichkeit getroffen wurden. Auch wäre mehr Klarheit über spezifische Begriffe angebracht, die in den Standards verwendet werden.

Wie geht es nun weiter – gelingt das Alignment mit den europäischen Standards?

Im Oktober tagte das ISSB in Montreal, aktuell berät das Gremium zu den zwei oben genannten Entwürfen. Parallel zu den Entwicklungen auf globaler Ebene wird die Arbeitsgruppe der Europäischen Kommission (EFRAG) bis spätestens Ende November die überarbeiteten europäischen Standards (ESRS) veröffentlichen und an die Europäische Kommission übergeben – und im Gegensatz zu den ISSB-Standards sind diese für die europäischen Mitgliedstaaten ab 2024 verpflichtend anzuwenden. Derzeit wird viel darüber diskutiert, diese stärker an die ISSB-Standards anzunähern, und die Überarbeitung der europäischen Standards soll genau dem Gedanken eines solchen Alignments Rechnung tragen, zum Beispiel hinsichtlich der Struktur der Standards und Definitionen. Wie gut das gelingen wird, bleibt abzuwarten. Wünschenswert wäre dies auf jeden Fall – damit im Idealfall ein Nachhaltigkeitsbericht, der den europäischen Anforderungen folgt, auch gleichermaßen den globalen Standards entsprechen kann.

 

nicolette.behncke@pwc.com

hendrik.fink@pwc.com

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