Europäische Nachhaltigkeitsberichtsstandards: Brüssel beschreitet die nächste Phase

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Die europäischen Berichtsstandards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung nehmen mit Vehemenz Gestalt an. Mitte November letzten Jahres hatte die Europäische Kommission den ersten Satz von zwölf Entwürfen für sektoragnostische European Sustainability Reporting Standards (ESRS) von der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) erhalten. Derzeit unternimmt die Europäische Kommission letzte Schritte, um diese zwölf ESRS-Entwürfe bis Juni 2023 als delegierte Rechtsakte den unmittelbar betroffenen knapp 50.000 Unternehmen in der EU (davon etwa 15.000 Unternehmen in Deutschland) für ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung im Lagebericht verbindlich vorzugeben. Diese haben auf deren Grundlage für die gesamte Breite von ESG-Themen gestaffelt ab dem Geschäftsjahr 2024 zu berichten. Der straffe Zeitplan der zugrundeliegenden EU-Gesetzgebung – die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) – sieht jedoch ebenfalls vor, dass sich EFRAG nunmehr bereits parallel der Ausarbeitung erster branchenspezifischer ESRS widmen muss. Dabei werden über die kommenden Jahre für insgesamt etwa vierzig Sektoren branchenspezifische Standards zu erarbeiten und von der Europäischen Kommission wiederum als delegierte Rechtsakte anzunehmen sein.

Nächste Konsultationsphase bereits im zweiten Quartal 2023

Das EFRAG-Sekretariat hat zur Vorbereitung bereits im Herbst 2022 für zehn Branchen europaweite Workshops organisiert, in denen Branchenexperten die Ausrichtung der sektorspezifischen ESRS diskutieren durften. Diese teils öffentlichen Workshops ließen noch grundlegende konzeptionelle Unklarheiten erkennen, beginnend mit der sinnvollen Abgrenzung von Sektoren. Final werden derzeit etwa vierzig sektorspezifische ESRS erwartet, die in ihrer Gänze in spätestens drei Jahren vorliegen müssen.

Die ersten branchenspezifischen ESRS werden derzeit in den EFRAG-Fachgremien diskutiert. Diese umfassen Themen wie Mining, Oil & Gas, Agriculture sowie Road Transport. Noch nicht abschließend klar ist, ob auch Motor Vehicle Production bereits hierzu gehört. Die entsprechenden ESRS-Entwürfe werden nach der Planung der EFRAG im zweiten Quartal 2023 konsultiert werden. Die Konsultationsergebnisse sind von den EFRAG-Fachgremien einzuwerten, und die finalen ESRS-Entwürfe sollen der Europäischen Kommission im November 2023 übergeben werden. Die Kommission wird diese dann wiederum als delegierte Rechtsakte im Juni 2024 den von der CSRD betroffenen Unternehmen verpflichtend vorschreiben. Die weiteren sektorspezifischen ESRS folgen dann in zwei weiteren Jahreszyklen, die zeitlich die erste Erarbeitungsphase spiegeln werden.

Ergänzender Charakter branchenspezifischer Vorgaben

Es ist derzeit noch schwer einzuschätzen, wie umfangreich die Berichtsangaben nach den sektorspezifischen ESRS sein werden. Der Mining-Standard dient derzeit als Pilotprojekt, um die Ausgestaltung der sektorspezifischen ESRS zu erproben. Grundsätzlich haben sie ergänzenden Charakter und sollen die sektoragnostischen ESRS des Set 1 um sektorspezifische Besonderheiten erweitern. Teilweise können sie aber auch einzelne Berichtspflichten der sektoragnostischen Anforderungen, zum Beispiel beim Mining-Thema mit Blick auf die anzugebenden Kategorien der Scope-3-Treibhausgasemissionen, konkretisieren. Im Bereich der Social Standards, die – abgesehen von ESRS S1 – bislang kaum Leistungskennzahlen vorschreiben, können branchenbezogene Kennzahlen dazukommen. Hinsichtlich des Umfangs der Anforderungen hat die EFRAG zu bedenken gegeben, dass nach erster EFRAG-Erhebung in den zwölf sektoragnostischen ESRS bereits 400 stets verpflichtende und weitere etwa 700 Datenpunkte definiert werden, die je nach Wesentlichkeit für das Unternehmen zur Anwendung kommen können.

Orientierung an internationalen Branchenstandards

Neben der Abgrenzung der Sektoren steht insbesondere die Frage nach dem Umfang und Inhalt der sektorspezifischen Berichtspflichten im Raum. Bei der Auswahl der Themen der ersten Branchenstandards wird eine Orientierung an den diesbezüglichen Arbeiten der Global Reporting Initiative (GRI) deutlich. Mit den SASB-Standards steht unter dem Dach des International Sustainability Standards Boards (ISSB) ebenfalls bereits ein umfangreicher Satz von etwa 70 ausschließlich sektorspezifischen Standards zur Verfügung. Wegen des starken US-Bezugs der dort verwendeten Leistungsindikatoren sind diese derzeit noch vom ISSB zu internationalisieren, und diese Arbeiten können noch bis in das Jahr 2024 andauern.

DRSC sucht den Austausch mit den betroffenen Branchen

Das DRSC, das als großer nationaler Standardsetzer in allen EFRAG-Gremien deutsche Sichtweisen einbringt, ist bestrebt, praxisgerechte und bewältigbare Branchenstandards auf den Weg zu bringen. Kurz vor Weihnachten 2022 hatte das DRSC einen Brief an die EFRAG und an die Europäische Kommission versandt, der Empfehlungen zur Erarbeitung sektorspezifischer ESRS beinhaltet. Diese Empfehlungen betreffen die sachgerechte Abgrenzung der Sektoren, Fokussierung und Beschränkung der Berichtsanforderungen auf sachlich erforderliche Angaben sowie die Forderung zur Nutzung von und Kongruenz mit internationalen Standards. Derzeit organisiert das DRSC im deutschen Kontext Austausche mit den betroffenen Branchen, um zusätzliche Einblicke in die besonderen Berichtsthematiken der jeweiligen Branchen zu erhalten und in der Folge in die Erarbeitung der sektorspezifischen ­ESRS-Entwürfe einzubringen.

 

lanfermann@drsc.de

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