Die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex hat am 21.01.2022 den Entwurf des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) 2022 beschlossen und darin Änderungen des Kodex vorgeschlagen. Im Mittelpunkt der Änderungsvorschläge stehen zum einen die „Berücksichtigung der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit bei der Leitung und Überwachung börsennotierter Unternehmen“ sowie zum anderen die Anpassung an die jüngsten Änderungen des Aktiengesetzes durch das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) und das Zweite Führungspositionen-Gesetz (FüPoG II). Nachfolgend werden die auf das Thema Nachhaltigkeit bezogenen Änderungsvorschläge und deren Begründung anhand der veröffentlichten Unterlagen näher beschrieben.
Leitlinien für die Unternehmensführung
Zusammenfassend hat der Kommissionsvorsitzende Prof. Dr. Rolf Nonnenmacher darauf hingewiesen, dass es die Aufgabe der Unternehmensführung sei, „die wirtschaftlichen Erfordernisse und die ökologischen und sozialen Folgen der Unternehmenstätigkeit auszutarieren“. Die Regierungskommission betont bereits seit langer Zeit die interessenpluralistische Zielkonzeption des deutschen Aktiengesetzes. In der Begründung weist sie daher darauf hin, dass der DCGK in den seit 2009 geltenden Fassungen der Präambel vorsieht, dass Vorstand und Aufsichtsrat „im Einklang mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, der Belegschaft und der sonstigen mit dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) für den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige Wertschöpfung zu sorgen [haben] (Unternehmensinteresse)“. Nach Grundsatz 1 des DCGK hat der Vorstand das Unternehmen in dem so definierten Unternehmensinteresse zu leiten.
Seit der Kodexreform 2020 wird die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen in Absatz 2 der Präambel des DCGK wie folgt besonders thematisiert:
„Die Gesellschaft und ihre Organe haben sich in ihrem Handeln der Rolle des Unternehmens in der Gesellschaft und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst zu sein. Sozial- und Umweltfaktoren beeinflussen den Unternehmenserfolg. Im Interesse des Unternehmens stellen Vorstand und Aufsichtsrat sicher, dass die potenziellen Auswirkungen dieser Faktoren auf die Unternehmensstrategie und operative Entscheidungen erkannt und adressiert werden.“
Nachjustieren: Gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen
Diese Aussage zur gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmen bedarf nach Auffassung der Regierungskommission nunmehr der Nachjustierung. Zur Begründung führt die Regierungskommission an, dass „die Erwartungen an die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsfaktoren bei der Unternehmensführung wesentlich konkreter geworden“ seien. Hinzu kämen erweiterte Berichtspflichten nach der (bevorstehenden) Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Absatz 2 der Präambel soll daher nach den Vorschlägen der Regierungskommission künftig wie folgt lauten:
„Die Gesellschaft und ihre Organe haben sich in ihrem Handeln der Rolle des Unternehmens in der Gesellschaft und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst zu sein. Sozial- und Umweltfaktoren beeinflussen den Unternehmenserfolg und die Tätigkeiten des Unternehmens haben Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Vorstand und Aufsichtsrat berücksichtigen dies bei der Führung und Überwachung des Unternehmens.“
Im Einzelnen heißt das: Satz 1 bleibt unverändert. In Satz 2 soll ausdrücklich das Anliegen ergänzt werden, dass die Unternehmen nicht nur die „Outside-in-Perspektive“, sondern auch die „Inside-out-Perspektive“ berücksichtigen. Die Regierungskommission folgt damit dem sogenannten Prinzip der doppelten Maßgeblichkeit („Double Materiality“), das insbesondere dem Entwurf der geänderten EU-Richtlinie zur nichtfinanziellen Berichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive) zugrunde liegt. Dieses Prinzip wiederum beruht auf der simplen Erkenntnis, dass Unternehmen von Nachhaltigkeitsaspekten einerseits betroffen sind (Outside-in-Perspektive), andererseits mit ihrer Tätigkeit aber auch Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsaspekte generieren (Inside-out-Perspektive).
Nachhaltigkeit und Unternehmensstrategie
Die Bedeutung der Nachhaltigkeitsaspekte für die Unternehmensstrategie, die seit 2020 in Absatz 2 Satz 2 der Präambel ausdrücklich angesprochen ist, soll künftig in einer neuen Empfehlung A.1 angesprochen werden. Nach Auffassung der Regierungskommission verlangt die interessenpluralistische Zielkonzeption des Aktiengesetzes von der Unternehmensführung, „die Interessen und Erwartungen der Aktionäre und der weiteren Stakeholder einschließlich der Gesellschaft zu verstehen und zum Ausgleich zu bringen und darauf aufbauend Nachhaltigkeit in der Geschäftsstrategie zu verankern“. Die Empfehlung A.1 soll daher wie folgt lauten:
„Der Vorstand soll die mit den Sozial- und Umweltfaktoren verbundenen Risiken und Chancen für das Unternehmen sowie die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit systematisch identifizieren und bewerten. Die Unternehmensstrategie soll Auskunft darüber geben, wie die wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Ziele in einem ausgewogenen Verhältnis umzusetzen sind. Die Unternehmensplanung soll finanzielle und nachhaltigkeitsbezogene Ziele enthalten.“
Durch die Überführung in eine Empfehlung bringt die Regierungskommission zum Ausdruck, für wie bedeutsam sie die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Auswirkungen hält. Denn von den Empfehlungen des Deutschen Global Compact Netzwerks (DCGN) können börsennotierte Gesellschaften und Gesellschaften mit Kapitalmarktzugang zwar abweichen. Vorstand und Aufsichtsrat der jeweiligen Gesellschaft sind aber gemäß § 161 AktG verpflichtet, dies jährlich offenzulegen und die Abweichungen zu begründen („Comply-or-Explain“-Prinzip). Das bedeutet konkret: Wenn eine Gesellschaft zum Beispiel die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit entgegen der vorgeschlagenen neuen Empfehlung A.1 nicht systematisch identifiziert und bewertet, müssten Vorstand und Aufsichtsrat erläutern, warum dies nicht erfolgt.
Bedeutung des Risikomanagements steigt
In der Begründung zu der vorgeschlagenen neuen Empfehlung A.1 äußert sich die Regierungskommission auch dazu, dass die ökologischen und sozialen Auswirkungen nach den Methoden des Risikomanagements erfasst werden sollen:
„Empfehlung A.1 konkretisiert den Stakeholder-Ansatz, indem sowohl die Auswirkungen der Nachhaltigkeitsfaktoren auf das Unternehmen als auch die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit nach den Methoden des Risikomanagements erfasst werden sollen. Die Unternehmensstrategie soll den Ausgleich von Ökonomie, Ökologie und Sozialem darstellen, was wiederum seinen Niederschlag in der Unternehmensplanung findet. Dies entspricht ausweislich der Nachhaltigkeitsberichterstattung vieler Unternehmen der gelebten best practice.“
Hand in Hand mit der vorgeschlagenen neuen Empfehlung A.1 geht vor diesem Hintergrund konsequent die ebenfalls neu vorgeschlagene Empfehlung A.3, die wie folgt lautet:
„Das interne Kontroll- und Risikomanagementsystem soll auf finanzielle und nachhaltigkeitsbezogene Belange ausgerichtet sein. Dies soll die Prozesse und Systeme zur Erfassung und Verarbeitung nachhaltigkeitsbezogener Daten mit einschließen.“
In der Begründung bringt die Regierungskommission die Hintergründe dieser neuen Empfehlung zutreffend auf den Punkt:
„Eine wirksame Umsetzung der Unternehmensstrategie erfordert eine entsprechend umfassende Unternehmenssteuerung und Erfolgskontrolle. Auch können die Berichtsanforderungen der CSRD ohne solche systemseitigen Voraussetzungen nicht erfüllt werden.“
Rolle des Aufsichtsrats
Schließlich möchte die Regierungskommission die beiden vorbezeichneten, den Vorstand betreffenden neuen Empfehlungen auch auf den Aufsichtsrat übertragen und schlägt hierzu die folgende neue Empfehlung A.6 vor:
„Der Aufsichtsrat soll insbesondere überwachen,
- wie die ökologische und soziale Nachhaltigkeit bei der strategischen Ausrichtung des Unternehmens und deren Umsetzung berücksichtigt wird,
- dass strategische und operative Pläne finanzielle und nachhaltigkeitsbezogene Ziele umfassen,
- dass das interne Kontroll- und Risikomanagementsystem auch auf nachhaltigkeitsbezogene Belange ausgerichtet ist.“
Die Regierungskommission betont damit die Verantwortung auch des Aufsichtsrats für ökologische und soziale Aspekte und deren Auswirkung auf die Unternehmensstrategie. Wenn eine börsennotierte Gesellschaft bzw. eine Gesellschaft mit Kapitalmarktzugang die neuen Empfehlungen A.3 und/oder A.6 nicht beachten sollte, wäre dies ebenfalls jährlich offenzulegen und zu begründen.
Fazit
Mit ihren neuen Vorschlägen zu ökologischen und sozialen Aspekten der Unternehmenstätigkeit schreitet die Regierungskommission auf ihrem Weg zur Integration ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit in das Corporate-Governance-System weiter fort. Das ist nicht nur für börsennotierte Gesellschaften und Gesellschaften mit Kapitalmarktzugang relevant. Denn nach der Vorstellung der Regierungskommission mögen die Empfehlungen und Anregungen des Kodex auch anderen Unternehmen zur Orientierung dienen. Die aktuellen Vorschläge der Regierungskommission sind ein weiterer Beleg für unsere in der ersten Ausgabe von Sustain-ableValue vor einem Jahr vertretene These „Sustainability ist Chefsache! Warum Nachhaltigkeit in jedem Fall auf den Tisch der Geschäftsleitung gehört“ (siehe dazu hier).
Der Kodexentwurf sowie eine Begründung zu den vorgeschlagenen Änderungen finden sich hier. Bis zum 11.03.2022 bestand die Gelegenheit, sich an der Konsultation zu den vorgeschlagenen Änderungen zu beteiligen.
Über die vorgeschlagenen Änderungen des DCGK hinaus ist künftig mit weiteren Maßnahmen zur regulatorischen Verankerung von Sustainable Corporate Governance zu rechnen. Nach mehrfacher Verschiebung hat die EU-Kommission am 23.02.2022 ihren Vorschlag für eine Richtlinie über die unternehmerische Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit vorgelegt (Corporate Sustainability Due Diligence Directive). Damit soll der Weg zu einer EU-weiten harmonisierten Lieferkettengesetzgebung mit menschenrechts- und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten für Unternehmen eröffnet werden. Darüber hinaus schlägt die EU-Kommission die EU-weite Umsetzung expliziter nationaler Regelungen vor, denen zufolge die Direktoren der erfassten EU-Unternehmen bei der Erfüllung ihrer Pflicht, im besten Interesse des Unternehmens zu handeln, die Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf die Menschenrechte, den Klimawandel und die Umwelt berücksichtigen müssen.
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