Kapitalmarktrechtliche Pflichten und Börsennotierung bleiben unberührt

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Ein Blick auf die Börsenhandelsplätze offenbart so manche Überraschung. Noch viele Jahre nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Emittenten werden Wertpapiere wie beispielsweise die der Arcandor AG oder der Philipp Holzmann AG an deutschen Börsen gehandelt; teilweise mit erheblichen Kursschwankungen.

Geschuldet ist dies dem Umstand, dass ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Emittentin die grundlegende Bewertung kapitalmarktrechtlicher Erwägungen kaum verändert.
Aus wirtschaftlichen Erwägungen kann es im Einzelfall von Interesse sein, die Zulassung zum geregelten Markt zu erhalten, anstatt diese – insbesondere auch wegen der damit verbundenen Kosten – zu beenden.

Einleitung

Börsennotierte Gesellschaften, deren Wertpapiere zum Handel am geregelten Markt zugelassen sind, unterstehen einer besonderen kapitalmarktrechtlichen Aufsicht. Neben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistung (BaFin) sind es die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR), die Frankfurter Wertpapierbörse/Deutsche Börse AG oder andere Handelsplätze in Deutschland, die an verschiedenen Aspekten einer solchen Aufsicht beteiligt sind. Daher ändert sich zunächst auch nichts, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Aktiengesellschaft eröffnet wird und damit ein Auflösungsgrund im Sinne des § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG vorliegt. Jedoch ergeben sich im Einzelnen einige Besonderheiten.

Dieser Artikel betrachtet die Auswirkungen eines Insolvenzverfahrens auf die Publizitätspflichten der Emittentin und die Pflichten aus der Börsenzulassung, insbesondere:

  • Art. 14 MAR1 – Verbot von Insidergeschäften
  • Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen
  • § 42 BörsG in Verbindung mit § 51 BörsO – Veröffentlichungspflichten

Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Aktiengesellschaft ist ein Auflösungsgrund im Sinne des § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG.

Doch sind weder die Wertpapiere der Emittentin der Insolvenzmasse gemäß § 35 InsO zuzurechnen, noch wird der Sach- oder Insolvenzverwalter durch seine Bestellung zum Organ der Emittentin. Vorstand und Aufsichtsrat bleiben weiterhin im Amt und üben ihre gesetzlichen Befugnisse bezüglich des nicht vom Insolvenzbeschlag betroffenen Vermögens aus.sup>2

Kapitalmarktrechtliche Pflichten der Emittentin

Art. 14 MAR – Verbot von Insidergeschäften
Ein Insidergeschäft gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 1 MAR liegt vor, „wenn eine Person über eine Insiderinformation verfügt und unter Nutzung derselben […] Finanzinstrumente, auf die sich die Information bezieht, erwirbt oder veräußert.“

Als Insiderinformationen gelten nach Art. 7 Abs. 1 MAR „nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen, und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser oder damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen […].“
Art. 14 MAR zielt auf die Vermeidung eines durch Ausnutzung von Insiderwissen erlangten ungerechtfertigten Sondervorteils ab.

Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen
Art. 17 Abs. 1 MAR verlangt die zeitnahe Veröffentlichung von Insiderinformationen. Im Ergebnis sind dies eingetretene und zukünftige Umstände bzw. Ereignisse, wenn die entsprechenden Informationen spezifisch genug sind, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung auf den Kurs der Finanzinstrumente zuzulassen. Zukünftige Umstände sind dann ausreichend präzise, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass diese in Zukunft eintreten werden.3

Pflichten aus der Börsenzulassung
Die Emittentin treffen aus § 42 BörsG in Verbindung mit §§ 51–53 BörsO eine Reihe von Veröffentlichungspflichten. So muss die Emittentin veröffentlichen:

  • Jahresfinanzbericht – § 51 BörsO (§ 114 Abs. 2–3 WpHG)
  • Konzernabschluss und Konzernlagebericht – § 51 BörsO (§ 117 WpHG)
  • Halbjahresfinanzbericht – § 52 BörsO (§ 115 Abs. 2–4 WpHG/§ 117 Nr. 2 WpHG)
  • Quartalsmitteilung – § 53 BörsO

Mit diesen Informationen ermöglicht die Emittentin einer unbestimmten Anzahl von Personen vertiefte Einblicke in die wirtschaftlichen Zusammenhänge, so wird ein Insiderhandel vermieden und somit ein bestmöglicher Anlegerschutz durchgesetzt. Im Ergebnis bilden sich somit auf Grundlage der Daten realistische Börsenpreise.4

Adressat der Pflichten

Der Insolvenzverwalter erhält mit Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer börsennotierten Emittentin die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. Der mittlerweile anerkannten Amtstheorie5 folgend, übt der Insolvenzverwalter ein privates Amts- und Rechtspflegeamt aus, das nicht zur Vertretung der Schuldnerin herangezogen werden kann.

Wenngleich § 155 InsO zur handels- und steuerrechtlichen Führung von Büchern und zur Aufstellung von Jahresabschlüssen verpflichtet, so lässt sich eine vergleichbare Norm in Bezug auf die kapitalmarktrechtlichen Pflichten nicht erkennen. Die Wertpapiere stellen anders als Bücher und Unterlagen auch keinen Bestandteil der Insolvenzmasse dar. Der Insolvenzverwalter ist daher nicht Adressat kapitalmarktrechtlicher Pflichten. Diese verbleiben vielmehr bei den Organen der Emittentin.

Delisting vs. Widerruf von Amts wegen

Kapitalmarktrechtliche Pflichten stehen jedoch in einem engen inhaltlichen Zusammenhang zur Börsennotierung der Emittentin. BörsG und InsO enthalten keine besonderen Regelungen zur Frage, inwiefern die Börsennotierung durch Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Emittentin beeinflusst werden soll.

Am regulierten Markt zugelassene Aktiengesellschaften können daher im Sinne des § 39 Abs. 2 ff. BörsG auf eigenen Antrag hin oder aufgrund des Widerrufs der Zulassung von Amts wegen im Sinne des § 39 Abs. 1 BörsG aus dem regulierten Markt genommen werden.

Ein eigener Antrag auf Widerruf der Zulassung stellt einen Eingriff in die durch Art. 14 GG geschützten Rechte der Aktionäre dar. Solch ein Antrag beinhaltet gemäß § 39 BörsG ein Kaufangebot an alle Aktionäre, welches den Interessen der Aktionäre Rechnung trägt. Ein entsprechender Antrag ist daher nur umsetzbar, wenn das Kaufpreisangebot nicht mit den Grundsätzen des Insolvenzverfahrens gemäß § 1 InsO kollidiert. Darüber hinaus kommt insbesondere der Widerruf der Zulassung von Amts wegen in Betracht. Hierzu muss „ein ordnungsgemäßer Börsenhandel auf Dauer nicht mehr gewährleistet [sein] […] oder der Emittent seine Pflichten aus der Zulassung auch nach einer angemessenen Frist nicht [erfüllen]“ können. Gleiches gilt aus § 25 Abs. 1 BörsG in Verbindung mit § 59 Abs. 1 BörsO zur Frage der Aussetzung und Einstellung des Handels mit den Wertpapieren.

Sofern die Adressaten kapitalmarktrechtlicher Pflichten (Vorstand) mit dem Fortschreiten des Insolvenzverfahrens für die Geschäftsleitung der Börse nicht mehr erreichbar sind, ist regelmäßig davon auszugehen, dass ein ordnungsgemäßer Handel mit den Wertpapieren der insolventen Emittentin nicht mehr gewährleistet ist. In solchen Fällen ist ein Widerruf der Zulassung von Amts wegen regelmäßig zu erwarten.

Zusammenfassung

Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer börsennotierten Schuldnerin berührt weder die kapitalmarktrechlichen Pflichten der Schuldnerin noch deren Börsennotierung. Der Gesetzgeber hat sich bewusst gegen eine anderslautende Regelung im Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), der Insolvenzordnung (InsO), dem Börsengesetz (BörsG) oder anderen einschlägigen Gesetzen entschieden. Ein Delisting und die damit verbundene Vereinfachung kapitalmarktrechtlicher Pflichten kann nur durch einen eigenen Antrag der Schuldnerin oder einen Widerruf der Börsenzulassung von Amts wegen erreicht werden. Aufgrund der mit einem Delisting einhergehenden Eingriffe in die Rechte der Aktionäre sind die Hürden jedoch vergleichsweise hoch.

 

c.enkler@brinkmann-partner.de

a.park@brinkmann-partner.de

 

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1 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission.
2 vgl. BGH, Beschluss vom 26.11.2019 – II ZB 21/17).
3 vgl. EuGH, Urteil vom 28.06.2012 – C-19/11.
4 vgl. BVerwG, Urteil vom 13.04.2005 – 6 C 4/04.
5 anstelle aller: BGH, Urteil vom 14.04.1987 – IX ZR 260/86.

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