Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter und YouTube waren lange Zeit sehr tolerant, was den Umgang mit sogenannten „Fake News“ anging, und boten daher auch Verschwörungstheoretikern eine Plattform, um ihre Ansichten zu verbreiten. Aus deutscher Sicht waren sie nur zur Löschung von Beiträgen verpflichtet, die entweder Rechte Dritter (vor allem die Urheberrechte Dritter) verletzen oder aber eine bestimmte Straftat darstellen (vgl. den Katalog in § 1 Abs. 3 Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)).
Auch im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie wurden über die Social-Media-Plattformen zunächst viele Fehlinformationen verbreitet. Einige Plattformen, darunter YouTube, änderten daraufhin ihre Nutzungsbedingungen, verbaten auf diese Weise entsprechende Beiträge und drohten im Fall des Verstoßes mit der Löschung der Beiträge und/oder der Sperrung der betreffenden Benutzerkonten.
Von einer solchen Löschung betroffen waren auch drei Videos, die auf der Plattform YouTube unter dem Hashtag „#allesaufdentisch“ veröffentlicht wurden – und die jüngst Gegenstand von zwei einstweiligen Verfügungen des LG Köln wurden (LG Köln, Beschluss vom 11.10.2021, Az. 28 O 351/21, 28 O 350/21). Diese beiden Entscheidungen wurden bereits verschiedentlich besprochen. Bisher nicht besprochen wurde die Frage, ob das Löschen von User-Beiträgen durch die Social-Media-Plattformen mit § 14 UrhG vereinbar ist.
Löschen von User-Beiträgen als „andere Beeinträchtigung“ im Sinne von § 14 UrhG
Bei den gelöschten „#allesaufdentisch“-Videos handelt es sich um Filmwerke im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG, die auch über die nötige geistige Schöpfungshöhe im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG verfügen, so dass sie Werke darstellen. Tweets, Facebook-Posts oder sonstige Kommentare können, wenn sie denn die nötige Schöpfungshöhe erreichen, Sprachwerke im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG darstellen und daher ebenfalls urheberrechtliche Werke sein (vgl. zu Tweets LG Bielefeld MMR 2017, 641). Auch Instagram-Posts wird man regelmäßig den urheberrechtlichen Schutz als Lichtbildwerke im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG zusprechen. Dementsprechend hat der Urheber dieser Werke auch das Recht nach § 14 UrhG, „eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werks zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden“. Somit stellt sich die Frage, ob das Löschen der Videos durch YouTube eine „Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung“ des Werks darstellt.
Eine Entstellung liegt bei der Verschlechterung des Werks, der Veränderung des Werkcharakters, der Verzerrung oder Verfälschung der Grundauffassung des Werks oder – bei Bildern – der ästhetischen Aussage sowie der Verstümmelung, Sinnentstellung oder Änderung des Aussagegehaltes eines Werks durch Streichungen oder Zusätze vor (BGH GRUR 1982, 107, 109 f. – Kirchen-Innenraumgestaltung; GRUR 1986, 458, 459 – Oberammergauer Passionsspiele). Erforderlich ist mithin ein Eingriff in die Substanz des Werks (BGH GRUR 1982, 107, 109 – Kirchen-Innenraumgestaltung). Entscheidend ist dabei, dass das Werk an sich fortbesteht, also nicht gänzlich zerstört wird. Eine Entstellung läge demnach vor, wenn der Beitrag von der Plattform sinnentstellend verkürzt würde, indem YouTube beispielsweise die angeblich gegen die Richtlinien verstoßenden Szenen aus den Videos herausschneiden würde, das Video sonst aber abrufbar bliebe. Die vollständige Löschung stellt folglich keine Entstellung dar.
Im Zusammenhang mit körperlichen Werken, etwa Gemälden, wird in der vollständigen Zerstörung eines Werks nach mittlerweile wohl herrschender Meinung und Rechtsprechung eine „andere Beeinträchtigung“ im Sinne des § 14 UrhG gesehen. Schließlich wird mit der vollständigen Zerstörung sowohl das berechtigte Interesse des Urhebers beeinträchtigt, durch sein Werk weiter auf den kulturellen oder gesellschaftlichen Kommunikationsprozess einzuwirken, als auch das Band zwischen dem Urheber und seinem Werk nicht nur bloß entstellt, sondern vollständig durchtrennt (BGH GRUR 2019, 619 – Minigolfanlage). Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich bei dem zerstörten Werk um ein Unikat handelt, so dass eine Reproduktion nicht oder nur sehr schwer möglich ist.
Übertragen auf digitale Werke bedeutet dies, dass eine Löschung nur dann eine „andere Beeinträchtigung“ des urheberrechtlichen Werks darstellt, wenn damit das Werk an sich – und nicht bloß eine Kopie davon – zerstört wird. Bei den eingangs genannten gelöschten „#allesaufdentisch“-Videos wird man dies wohl verneinen, da bei dem Upload eines Videos auf die Videoplattform YouTube die Datei auf dem Computer des Uploaders verbleibt. Anders verhält sich dies aber regelmäßig beispielsweise bei Tweets, die gerade nicht lokal auf dem Computer, Smartphone oder Tablet des Nutzers gespeichert werden, sondern (grundsätzlich) nur auf dem Server von Twitter abgespeichert werden. Das Löschen des Tweets ist daher eine „andere Beeinträchtigung“.
„Eine Löschung von User-Beträgen durch Social-Media-Plattformen wäre nur dann urheberrechtlich zulässig, wenn der User auf sein Verbietungsrecht nach § 14 UrhG verzichtet. “
„Andere Beeinträchtigung“ bei signifikanter Beschränkung der Verbreitung des Werks?
Auch wenn das Werk, wie gezeigt, durch das Löschen nicht zerstört ist, weil sich das Original immer noch beispielsweise auf dem Computer des Uploaders befindet, bleibt die Frage, ob das Löschen von Videos durch YouTube nicht dennoch eine „andere Beeinträchtigung“ darstellt. Schließlich lädt der Uploader das Video bewusst bei YouTube hoch, um so sein Verbreitungsrecht auszunutzen. Wird nun das Video von YouTube gelöscht, ist die Verbreitung des Werks signifikant beschränkt.
Auch hier fehlt es im Hinblick auf digitale Werke bisher an einer Klärung durch die Gerichte, so dass wiederum Rückgriff auf die Rechtsprechung zu körperlichen Werken genommen werden muss. Das Löschen der Videos von YouTube ist dabei vergleichbar mit dem Verbringen eines Kunstwerks aus dem öffentlichen Raum in einen privaten Bauhof (OLG Schleswig ZUM 2006, 426, 427) oder dem (teilweisen) Übermalen eines Gemäldes (RGZ 79, 397, 402 – Felseneiland mit Sirenen): Auch hier bleibt das Werk zwar substantiell vorhanden, wird allerdings in seiner Verbreitung signifikant beschränkt. Das Reichsgericht sah darin eine Entstellung, das OLG Schleswig – in der irrigen Annahme, eine gänzliche Vernichtung sei zulässig und eine Verbringung konsequenterweise ein weniger intensiver Eingriff – lehnte einen Wiederherstellungsanspruch des Urhebers ab. Richtig ist aber, in der signifikanten Verbreitungsbeschränkung eine „andere Beeinträchtigung“ des Werks im Sinne des § 14 UrhG zu sehen.
Berücksichtigung des „digitalen Hausrechts“ der Social-Media-Plattform im Rahmen der Interessenabwägung?
§ 14 UrhG enthält aber kein umfassendes Verbot der „anderen Beeinträchtigung“ des Werks: Vielmehr handelt es sich bei diesem Verbot zunächst einmal um einen Unterlassungsanspruch des Urhebers („Der Urheber hat das Recht“), so dass es dem Urheber freisteht, ob er die „andere Beeinträchtigung“ verbieten möchte. Dies gibt der Social-Media-Plattform einen Handlungsspielraum: Sie kann in ihren Nutzungsbedingungen regeln, dass der User auf dieses Recht verzichtet. Jedoch ist erforderlich, dass der User genau informiert werden muss, wann sein Werk von der Plattform gelöscht werden kann. Eine pauschale Klausel, wie sie sich beispielsweise in dem Abschnitt „Entfernen von Inhalten durch YouTube“ in den Nutzungsbedingungen von YouTube findet, genügt den Anforderungen des § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BGB nicht.
Weiterhin kann der Urheber nach § 14 UrhG eine „andere Beeinträchtigung“ aber nur insoweit verbieten, als diese „geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden“. Erforderlich ist daher eine Abwägung zwischen dem Bestands- und Integritätsinteresse des Urhebers einerseits und den Nutzungs- und Gebrauchsinteressen des Werknutzers, hier vor allem der Social-Media-Plattformen, andererseits. Idealerweise sind die widerstreitenden Interessen miteinander in Einklang zu bringen. Auch wenn der Urheber kein Recht darauf hat, dass sein Werk nur so dargestellt wird, wie er es selbst sieht oder dargestellt wissen will (BVerfG GRUR 2001, 149, 151 – Germania 3), so fußt sein Interesse letztlich in der (vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos) gewährten Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, während das Interesse der Social-Media-Plattformen an der Unterbindung der Verbreitung von Falschinformationen vor allem auf dem (ebenfalls nicht schrankenlos gewährten) Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 14 Abs. 1 GG) basiert. Berücksichtigt man, dass bei der Löschung des User-Beitrags die Veröffentlichung des Werks vereitelt beziehungsweise das Werk zumindest beeinträchtigt wird, im Gegenzug aber bei einer Veröffentlichung eines „Fake News“-Beitrags auf einer Social-Media-Plattform die Auswirkungen für eben diese Plattform sehr überschaubar sind, wird man zu einer Unverhältnismäßigkeit der Löschung kommen. Der Plattform wäre es vielmehr möglich, Beiträge, die Fehlinformationen enthalten, als solche deutlich zu kennzeichnen. Damit wären sowohl die Interessen des Urhebers als auch die der Plattform ausreichend gewahrt.
Anders würde sich die Lage freilich darstellen, wenn die Plattform beispielsweise nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) zu einer Löschung verpflichtet wäre: Dann würde das Interesse der Plattform überwiegen.
Fazit
Eine Löschung von User-Beiträgen durch Social-Media-Plattformen wäre nur dann urheberrechtlich zulässig, wenn der User auf sein Verbietungsrecht nach § 14 UrhG verzichtet. Ein solcher Verzicht ist zwar in den Nutzungsbedingungen regelbar, erfordert aber mit Blick auf das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 BGB eine detaillierte Regelung, unter welchen Bedingungen ein Beitrag von der Plattform gelöscht werden kann. Die aktuellen YouTube-Nutzungsbedingungen genügen diesen Anforderungen nicht.
Die rechtswidrige Löschung begründet die allgemeinen zivilrechtlichen Ansprüche nach §§ 97 ff. UrhG.
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