EU-Initiative zur Schaffung eines neuen Zwangslizenzsystems für Patente

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Die Kommission hatte im letzten Jahr einen neuen Aktionsplan für geistiges Eigentum veröffentlicht, angeblich um Unternehmen dabei zu helfen, ihre Erfindungen und Schöpfungen optimal zu nutzen, und um sicherzustellen, dass die Wirtschaft und Gesellschaft in der EU davon profitieren.

In dem Aktionsplan wird vorgeschlagen, eine Reihe bestehender Instrumente zum Schutz des geistigen Eigentums zu aktualisieren und an das digitale Zeitalter anzupassen. So ist unter anderem vorgesehen, „ergänzende Schutzzertifikate“ für patentierte Arznei- und Pflanzenschutzmittel zu verbessern und den „Geschmacksmusterschutz in der EU“ zu modernisieren.

Unter dem Eindruck der Covid-19-Pandemie und der Diskussionen über die Verfügbarkeit von Vakzinen gegen das Virus wurde im Rahmen des Aktionsplans auch eine Reform des Zwangslizenzsystems für Patente angestoßen.

Aufforderung zur Stellungnahme durch die Kommission

Ende März dieses Jahres lancierte die Kommission einen Aufruf zur Stellungnahme („Call for Evidence“) zur geplanten Reform des Zwangslizenzsystems für Patente (Ref. Ares(2022)2413270 vom 31.03.2022). Die öffentliche Konsultationsphase ist nunmehr abgeschlossen und die Umsetzung des Vorschlags durch die Kommission ist für das erste Quartal 2023 geplant.

Es lohnt ein genaueres Studium des Aufrufs zur Einholung von Erkenntnissen der Kommission, um die Tragweite der geplanten Änderungen des Zwangslizenzsystems ermessen zu können.

Die Kommission erkennt, dass von allen Arten geistigen Eigentums Patente der Schlüssel zur Unterstützung der EU bei ihrer Arbeit zum Aufbau einer europäischen Gesundheitsunion und bei damit verbundenen Initiativen wie der neuen Europäischen Behörde für Gesundheitsnotfallvorsorge und -abwehr (HERA) und der Arzneimittelstrategie für Europa sind. Patente beeinflussen Investitionsentscheidungen in allen industriellen Ökosystemen, beispielsweise Entscheidungen über die Einführung grüner und digitaler Technologien. Nach Auffassung der Kommission sind sie daher eines der wichtigsten Instrumente im industriepolitischen Instrumentarium der EU. Trotz der strategischen Bedeutung von Patenten ist das EU-Patentrecht nach Auffassung der Kommission ziemlich fragmentiert. Ziel der Kommission ist eine „Neukalibrierung“ des EU-Patentrechts, um die digitale und grüne Transformation der EU zu unterstützen. Die bevorstehende Einführung des einheitlichen Patentsystems macht dies auch zu einem geeigneten Zeitpunkt, um über eine Verbesserung des EU-Patentrechts und die „Erleichterung des Zugangs zu kritischen Technologien“ nachzudenken.

Tatsächlich ist die Entscheidung über die Gewährung von Zwangslizenzen von der Zuständigkeit des neu geschaffenen EU-Patentgerichts ausgenommen. Die Entscheidung über die Gewährung von Zwangslizenzen an Patenten ist nationalen Gerichten vorbehalten, die gemäß den jeweiligen nationalen Vorschriften entscheiden. In Deutschland sind dies die §§13 und 24 PatG für klassische sowie Art. 101 und 102 AEUV für kartellrechtliche FRAND-Lizenzen. Daneben regelt die EU-Verordnung (EG) Nr. 816/2006 vom 17.05.2006 die Vergabe von Zwangslizenzen an Patente für die Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen für die Ausfuhr in Länder mit Problemen im Bereich der öffentlichen Gesundheit.
§13 PatG bestimmt, dass die Wirkung eines Patents insoweit nicht eintritt, als die Bundesregierung anordnet, dass die Erfindung im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt oder im Interesse der Sicherheit des Bundes benutzt werden soll. Der Patentinhaber hat Anspruch auf angemessene Vergütung gegen den Bund.

Gemäß §24 PatG kann einem Antragsteller die Benutzung einer patentgeschützten Erfindung gestattet werden, sofern das öffentliche Interesse die Erteilung einer Zwangslizenz gebietet und sich der Antragsteller erfolglos um eine Lizenz bemüht hat. Kostenschuldner für eine angemessene Vergütung ist in diesem Fall der Antragsteller.

Die Kommission plant nun im Rahmen der Ermächtigung durch Art. 31 und 31bis des TRIPS-Abkommens möglicherweise eine nicht unerhebliche Ausweitung der Möglichkeiten zur Gewährung von Zwangslizenzen. Generell wird angegeben, dass es der Initiative darum geht, den „grünen und den digitalen Wandel der EU zu fördern“, um eine „Verbesserung des EU-Patentrechts und die Erleichterung des Zugangs zu kritischen Technologien“ zu erreichen (so S. 1, Abs. 3). Als Ziele werden ausgegeben, in „Krisenzeiten“ konkret und gezielt auf harmonisierter Basis effektiv reagieren zu können. Dies betrifft allerdings nicht nur endemische oder pandemische Ereignisse, sondern explizit auch andere globale oder EU-weite Krisen (gesundheitlicher, ökologischer, nuklearer oder industrieller Natur), bei denen sich die EU auf die wirksamsten und relevantesten Technologien verlassen müsste, um sie zu überwinden. Ob angesichts der Zielsetzung der Erleichterung des Zugangs zu kritischen Technologien und Förderung des grünen und digitalen Wandels eine Beschränkung auf Krisen beabsichtigt ist, bleibt fraglich.

Ein weiteres Ziel scheint die Erleichterung und Vereinheitlichung der Anwendung der EU-Verordnung (EG) Nr. 816/2006 über die Vergabe von Zwangslizenzen an Patente für die Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen für die Ausfuhr in Länder mit Problemen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu sein, wobei die Kommission anmerkt, dass von ihr bisher noch kein Gebrauch gemacht wurde. Diese Verordnung sollte dahingehend überarbeitet werden, so dass sie ein wirksameres Verfahren im Einklang mit Artikel 31bis des TRIPS-Übereinkommens darstellt.

Kritik

Die Aufforderung zur Stellungnahme durch die Kommission ist hinsichtlich ihrer Tragweite noch unklar. Es scheint sich jedoch ein System abzuzeichnen, das EU-Behörden die Befugnis gibt, über die Vergabe von Zwangslizenzen oder die Aussetzung des Patentschutzes zu entscheiden. Wenn man bei gewerblichen Schutzrechten, insbesondere bei Patenten über „geistiges Eigentum“ spricht, so sind solche enteignungsähnlichen Maßnahmen nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt. Weitergehende Maßnahmen würden das Vertrauen in den Patentschutz untergraben und könnten Investitionen in Forschung und Entwicklung und damit auch den technischen Fortschritt hemmen. Es bleibt daher abzuwarten, wie weit die von der Kommission ins Auge gefassten Maßnahmen gehen.

 

janssen@uex.de

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