OLG Düsseldorf betont in zwei Entscheidungen den generalpräventiven Charakter

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Der erst im Jahr 2008 in das Patentgesetz (PatG) aufgenommene Rückrufanspruch des § 140a Abs. 3 ist immer wieder Gegenstand von gerichtlichen Entscheidungen. Vom Gesetzgeber als konkrete Form der Folgenbeseitigung zur Bekämpfung der Produktpiraterie gedacht, hat die Vorschrift zusätzlich auch eine starke generalpräventive Sanktionswirkung: Mit dem Rückruf muss sich der Verletzer nicht nur seinen Abnehmern gegenüber selbst der Patentverletzung bezichtigen und diese zur Rückgabe von schutzrechtsverletzenden Erzeugnissen aufrufen, er sieht sich anschließend auch noch möglichen Schadensersatzansprüchen auf Grundlage des jeweiligen Vertragsverhältnisses mit den Abnehmern ausgesetzt. Regelmäßig müssen sich die Gerichte daher mit Fragen der Verhältnismäßigkeit oder Unzumutbarkeit des Rückrufs auseinandersetzen. In zwei Entscheidungen hat jetzt der 2. Zivilsenat des OLG Düsseldorf die Möglichkeiten des Verletzers, sich auf eine Unzumutbarkeit zu berufen, materiell und prozessual weiter eingeschränkt.

Zu den Voraussetzungen des Rückrufanspruchs
Allgemein ist Voraussetzung des Anspruchs auf Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen, dass die Ware das Unternehmen „in patentverletzender Weise“ verlassen hat. Nicht umfasst sind also Gegenstände, die vor Veröffentlichung der Patenterteilung vom Beklagten in Verkehr gebracht worden sind. Auch Ware, die nicht vom Inland, sondern vom patentfreien Ausland weiter im Ausland vertrieben wurde, hat das Unternehmen nicht in patentverletzender Weise verlassen, und kann daher nicht zurückgerufen werden. Der Verkauf vom Inland ins Ausland genügt hingegen, um den Rückrufanspruch auszulösen, da dies ein inländisches Inverkehrbringen darstellt.
Weiter muss sich der Gegenstand noch „in der nachgeordneten Vertriebskette“ und nicht bereits beim Endverbraucher befinden. Allerdings verlangt das Erfordernis der nachgeordneten Vertriebskette nicht, dass tatsächlich weitere Vertriebshandlungen konkret drohen. Der Rückrufanspruch dient nämlich gerade nicht, wie der Unterlassungsanspruch, der Verhinderung von weiteren Verletzungshandlungen, sondern ist als ein eigener Folgenbeseitigungsanspruch ausgestaltet. Dem Sinn und Zweck nach soll mit dem Rückruf der Markt von verletzenden Produkten bereinigt werden, damit für den Schutzrechtsinhaber eine neue Nachfrage nach geschützten Produkten geschaffen wird. Dieser Zweck wird nur erfüllt, wenn nicht auf konkret drohende Vertriebshandlungen, sondern auf die Entfernung der Ware aus allen Vertriebswegen, ob im In- oder Ausland, abgestellt wird. So genügt es beispielsweise, wenn eine Maschine bei einem Gewerbetreibenden zu Zwecken der Produktion genutzt wird, da nicht auszuschließen ist, dass ein späterer Vertrieb folgt.

Inhalt des Rückrufanspruchs
Ein Rückruf im Sinne von § 140a Abs. 3 PatG ist die ernsthafte Aufforderung an den Besitzer des patentverletzenden Erzeugnisses, dieses entweder nicht weiter zu vertreiben und zur Verfügung zu halten, oder, falls der Störungszustand dadurch nicht ausreichend beseitigt würde, das Erzeugnis freiwillig zurückzugeben. Ernsthaft ist die Aufforderung nur, wenn auch die Beweggründe für die Rückrufaktion geschildert werden: Der Verletzer muss den Besitzer auf die gerichtlich festgestellte Patentverletzung hinweisen, und auch die rechtlichen Folgen erläutern, die ein Weitervertrieb nach sich ziehen würde. Nicht verlangt ist hingegen ein Erfolg des Rückrufs.
Neben dem Rückruf sieht § 140a Abs. 3 PatG auch das endgültige Entfernen des patentverletzenden Gegenstands aus den Vertriebswegen vor. Je nach rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten kann verlangt werden, dass der Verletzer die Erzeugnisse wieder an sich nimmt oder dass deren Vernichtung beim Besitzer veranlasst wird. Im Gegensatz zum Rückrufanspruch sind hier gesteigerte Bemühungen erforderlich, es genügt nicht der Appell an die freiwillige Rückgabe: bestehende Rückforderungsansprüche müssen notfalls mit gerichtlicher Hilfe durchgesetzt werden.

Verhältnismäßigkeit
Ob Rückruf oder Entfernung aus den Vertriebswegen im Einzelfall oder sogar beides kumulativ gefordert werden kann, ergibt sich aus einer Gesamtabwägung der Umstände, wie beispielsweise Schwere des Schutzrechtseingriffs, Grad des Täterverschuldens oder Interesse des Verletzten am Rückruf oder der Entfernung aus den Vertriebswegen. Insbesondere darf die Maßnahme nicht unverhältnismäßig sein, wie § 140a Abs. IV PatG ausdrücklich normiert. Hierunter fallen beispielsweise Sachverhalte, in denen sich der Gegenstand im weit entfernten Ausland befindet. Hier wird die Wahrscheinlichkeit gering sein, dass der Weitervertrieb dieses Gegenstands im Inland erfolgt und damit den Vertrieb von eigenen patentgemäßen Gegenständen durch den Schutzrechtsinhaber verhindern würde. Von Unverhältnismäßigkeit ist auch auszugehen, wenn ein Bauteil in einer größeren Einheit verbaut ist und nur unter erheblichen wirtschaftlichen Einbußen entfernt werden kann, wie etwa bei einem Auto, das dann nicht mehr als Neuwagen verkauft werden kann.

Rückruf als Vorbereitung der Vernichtung
Ganz gleich, auf welchem Weg die patentverletzenden Erzeugnisse in die Verfügungsgewalt des Verletzers gelangen: Hat der Schutzrechtsinhaber auch gleichzeitig noch einen Vernichtungsanspruch nach § 140a Abs. 1 PatG geltend gemacht, so erstreckt sich dieser auch auf die Gegenstände, die erst im Nachhinein und als Folge des Rückrufs oder der Entfernung aus den Vertriebswegen in die Verfügungsgewalt des Beklagten gelangt sind.

Entscheidungen des OLG Düsseldorf
Mit zwei aktuellen Entscheidungen hat das OLG Düsseldorf den Rückrufanspruch als Mittel gegen Patentverletzer weiter gestärkt.
Gegenstand des Urteils vom 23.01.2020 (2 U 3/19) war die Frage, ob der Rückruf bei einem inzwischen abgelaufenen Klagepatent unverhältnismäßig sei. Das Gericht betonte, dass mit dem Rückruf kein bestimmter Erfolg geschuldet sei, sondern lediglich eine Handlung in Gestalt einer ernsthaften Aufforderung an den jeweiligen Besitzer, die patentverletzenden Erzeugnisse zurückzugeben. Eine derartige Aufforderung sei dem Beklagten nach zeitlich bedingtem Ablauf des Patentschutzes ebenso möglich wie zumutbar.
Im Sachverhalt, der dem Beschluss des OLG vom 25.11.2019 zugrunde lag, war der Beklagte zum Rückruf verurteilt worden und trat erst im Zwangsmittelverfahren der Vollstreckung des Rückrufs entgegen, und zwar mit dem Argument, dass der Rückruf unverhältnismäßig sei, da die Ware verderblich und nahezu ausgeschlossen sei, dass sie sich noch im Markt befände. Das Gericht stellte fest, dass sich der Beklagte mit diesem Vortrag letztlich auf den in § 140a Abs. 4 PatG normierten Ausschlusstatbestand berufe. Da es sich hierbei aber um eine materiell-rechtliche Einwendung handele, finde diese im Zwangsvollstreckungsverfahren keine Berücksichtigung. Der Beklagte hätte den Einwand der Unverhältnismäßigkeit daher im Erkenntnis-, und nicht erst im Vollstreckungsverfahren erheben müssen. Eine Unmöglichkeit sei aber sowieso nicht gegeben, da kein Erfolg, sondern lediglich die ernsthafte Aufforderung an den gewerblichen Besitzer geschuldet sei. Eine derartige Aufforderung sei selbst dann möglich, wenn sich keine patentverletzende Ware mehr in den Vertriebswegen befinde.

Fazit
Mit beiden Entscheidungen hebt das OLG Düsseldorf den generalpräventiven Charakter der Rückrufvorschriften hervor. Denn dass der ursprüngliche Zweck der Regelung, für den Schutzrechtsinhaber eine neue Nachfrage nach geschützten Produkten zu schaffen, nach Zeitablauf des Patents als Rechtfertigung für den Rückruf nicht mehr herangezogen werden kann, scheint nach dem Urteil des OLG nicht maßgeblich zu sein. Unerheblich ist weiter, dass eine Rückgabe der betreffenden Gegenstände (und deren Vernichtung) tatsächlich völlig ausgeschlossen und damit ein Erfolg des Rückrufs unmöglich ist. In solchen Fällen bewirkt der Rückruf im Ergebnis nicht mehr als die Mitteilung des Verletzers an seine Kunden, dass er Schutzrechte Dritter verletzt hat und gerichtlich zum Unterlassen verurteilt wurde. Dies dürfte für Fälle der Produktpiraterie regelmäßig angemessen sein. In Bereichen des Patentrechts, in denen aufgrund der technischen Komplexität die Patentverletzung nicht immer offensichtlich ist, kann im Einzelfall der Rückruf Fragen der Verhältnismäßigkeit aufwerfen. Diese sind auf Beklagtenseite unbedingt rechtzeitig im Hauptsacheverfahren und nicht erst im Vollstreckungsverfahren vorzubringen.

lauer@ampersand.del

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