Einleitung
Aktuell liegt dem Deutschen Bundestag ein weiterer vorläufiger Entwurf (Drucksache 19/25821 vom 13.01.2021) des „Zweiten Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts“ (2. PatMoG) vor. In diesem Entwurf wird unter anderem im Patent- und Gebrauchsmusterrecht eine Klarstellung der Regelung des Unterlassungsanspruchs bei Verletzung von Patenten oder Gebrauchsmustern vorgeschlagen. Es soll im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung sichergestellt werden, dass die nach geltendem Recht bereits bestehende Möglichkeit, Verhältnismäßigkeitserwägungen beim Unterlassungsanspruch zu berücksichtigen, auch in der gerichtlichen Praxis als Korrektiv hinreichend zum Tragen kommt.
Ausgangssituation
Grundsätzlich gewährt ein Patent seinem Inhaber ein Ausschließlichkeitsrecht, das es ihm ermöglicht, sich gegen Dritte, die den geschützten Gegenstand unbefugt nutzen, mit einem Unterlassungsanspruch nach § 139 PatG zur Wehr zu setzen. Aufgrund der Schlagkraft des bisherigen „automatischen“ Unterlassungsanspruchs – bei gleichzeitig eher überschaubaren Verfahrenskosten und einer recht kurzen Verfahrensdauer – hat sich Deutschland zu einem beliebten Standort für Patentverletzungsklagen entwickelt. Nicht selten wird die aktuelle Rechtslage von sogenannten „Patenttrollen“ (Unternehmen, deren Geschäftsmodell lediglich darin besteht, Patente zu erwerben, um sie anschließend durch Lizenzierung zu verwerten) genutzt, um durch Patentverletzungsklagen vor deutschen Zivilgerichten hohe Lizenzgebühren zu erzwingen, da bereits bei Verletzung eines kleinen technischen Details ein Herstellungs- und Verkaufsverbot für das ganze Produkt droht. Zunehmend führen aber auch Unternehmen, beispielsweise aus dem Mobilfunksektor oder der Automobilbranche („Connected Car Disputes“), gegenseitige Patentverletzungsklagen, um die Markteinführung von Konkurrenzprodukten zu unterbinden oder zu verzögern. Über den Rechtsbestand eines Klagepatents wird getrennt vom Verletzungsverfahren entschieden, wobei sich Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht allgemein durch eine wesentlich längere Verfahrensdauer auszeichnen; mit der Folge, dass am Ende des erstinstanzlichen Verletzungsverfahrens die Frage des Rechtsbestands des Klagepatents lange unklar bleibt. Daher stand in der Praxis immer wieder die Frage im Raum, inwieweit sich der meist sehr weitreichende Unterlassungsanspruch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (siehe hierzu auch „Wärmetauscher“-Entscheidung des BGH – Urteil vom 10.05.2016 – X ZR 114/13) vereinbaren lässt, wenn einerseits der Rechtsbestand des Klagepatents unklar ist und anderseits die Bedeutung des Gegenstands des Klagepatents im Verhältnis zum betroffenen Produkt eher gering ist.
Lösungsansätze
Zur Lösung der obigen Problematik schlägt das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) vor, an § 139 Abs. 1 PatG folgende Sätze anzufügen:
„Der Anspruch ist ausgeschlossen, soweit die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde. In diesem Fall kann der Verletzte einen Ausgleich in Geld verlangen, soweit dies angemessen erscheint. Der Schadensersatzanspruch nach Absatz 2 bleibt hiervon unberührt.“
Dem § 24 Abs. 1 GbmG sollen die gleichen Sätze angefügt werden.
In den vorausgegangenen Diskussionen wurde immer wieder bemängelt, dass die geplante Neuregelung aufgrund ihres Ausnahmecharakters in der Praxis weitgehend bedeutungslos bleiben dürfte. Andererseits wurde kritisiert, dass die angedachte Prüfung der Verhältnismäßigkeit weit über die „Wärmetauscher“-Entscheidung hinausgehen würde, nach der die Einräumung einer Aufbrauchfrist im Patentverletzungsprozess nur dann in Betracht kommt, wenn die sofortige Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs des Patentinhabers auch unter Berücksichtigung seiner Interessen aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls gegenüber dem Verletzer eine unverhältnismäßige, durch das Ausschließlichkeitsrecht und die regelmäßigen Folgen seiner Durchsetzung nicht gerechtfertigte Härte darstellte und daher treuwidrig wäre.
Derzeit kann man nicht einschätzen, ob die Umsetzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wirklich zu einer Entwertung des Patentrechts führen wird, da auch nach Neuregelung von § 139 PatG immer noch ein starker Unterlassungsanspruch vorhanden ist und die angedachten Einschränkungen lediglich auf Ausnahmefälle beschränkt sein sollen. Ferner ist es die Aufgabe des Verletzers, überzeugende Gründe für die ausnahmsweise Einschränkung des Unterlassungsanspruchs vorzulegen. Von Bedeutung sein dürfte aber, ob der Patentinhaber die fraglichen Produkte selbst herstellt oder ob es lediglich um die Lizenzierung eines Patents auf Basis übertrieben hoher Lizenzgebühren geht. Außerdem wird zu prüfen sein, ob es sich bei dem geschützten Gegenstand lediglich um eine nicht wesentliche Komponente eines komplexen Produkts handelt. Schließlich könnte sich die Frage stellen, ob seitens des Verletzers zumutbare Vorkehrungen zum Vermeiden einer Patentverletzung getroffen wurden, zum Beispiel FTO-Recherchen (Freedom-to-Operate).
In dem vorläufigen Entwurf werden zwecks Verbesserung der Synchronisierung von Verletzungsverfahren und Nichtigkeitsverfahren auch Ergänzungen des § 83 Abs. 1 PatG vorgeschlagen, durch die eine sechsmonatige Sollfrist für den Erlass des Hinweisbeschlusses durch das Bundespatentgericht im Nichtigkeitsverfahren eingeführt werden soll. Insbesondere sollen nach Satz 1 die folgenden Sätze eingefügt werden:
„Dieser Hinweis soll innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung der Klage erfolgen. Ist eine Patentstreitsache anhängig, soll der Hinweis auch dem anderen Gericht von Amts wegen übermittelt werden. Das Patentgericht kann den Parteien zur Vorbereitung des Hinweises nach Satz 1 eine Frist für eine abschließende schriftliche Stellungnahme setzen. Setzt das Patentgericht keine Frist, darf der Hinweis nicht vor Ablauf der Frist nach § 82 Absatz 3 Satz 2 und 3 erfolgen. Stellungnahmen der Parteien, die nach Fristablauf eingehen, muss das Patentgericht für den Hinweis nicht berücksichtigen.“
Ferner soll in § 82 PatG der geltende Absatz 3 durch die folgenden Absätze 3 und 4 ersetzt werden:
„(3) Widerspricht der Beklagte rechtzeitig, so teilt das Patentgericht dem Kläger den Widerspruch mit. Der Beklagte kann den Widerspruch innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Klage begründen. Der Vorsitzende kann auf Antrag die Frist um bis zu einem Monat verlängern, wenn der Beklagte hierfür erhebliche Gründe darlegt. Diese sind glaubhaft zu machen. § 81 Absatz 5 Satz 3 gilt entsprechend, soweit sich die betreffenden Informationen nicht schon aus der Klageschrift ergeben.
(4) Der Vorsitzende bestimmt einen möglichst frühen Termin zur mündlichen Verhandlung. Mit Zustimmung der Parteien kann von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Absatz 2 bleibt unberührt.“
Fazit
In welchem Umfang die vorgeschlagenen Änderungen des § 139 PatG von den Zivilgerichten umgesetzt werden, inwieweit es also in der Praxis zu einer stärkeren Beachtung der Verhältnismäßigkeit kommt, ist aktuell nicht einschätzbar, da sich an der bestehenden Rechtslage eigentlich nichts Wesentliches ändert (siehe BGH-Rechtsprechung „Wärmetauscher“). Die ergänzenden Regelungen zu §§ 82 und 83 PatG könnten aber, sofern eine personelle Aufstockung des Bundespatentgerichts erfolgt und gleichzeitig gewährleistet wird, dass der qualifizierte Hinweis inhaltlich ausreichend fundiert ist, zu einer merklichen Verbesserung der Synchronisierung von Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren führen; mit dem Ergebnis, dass Befürchtungen hinsichtlich einer möglichen Schwächung des geltenden Unterlassungsanspruchs an Brisanz verlieren würden.