Ergänzende Bemerkungen zum Beitrag „Eintragungsfähigkeit von Marken“

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Einleitung

In ihrem Beitrag „Eintragungsfähigkeit von Marken – Im Blickpunkt: Prüfungsmaßstab bei Verstoß gegen die öffentliche Ordnung oder gute Sitten“ (veröffentlicht in Intellectual Property, Ausgabe 3, 25.08.2021: hier) beleuchten Diana Lipecka und Detlef von Ahsen das schwierige Gebiet des Markenrechts, das sich mit der rechtlichen Frage beschäftigt, inwieweit Marken, die gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstoßen, eintragungsfähig sind oder aber beanstandet und zurückgewiesen werden müssen.

Die Autoren weisen zu Recht auf die Notwendigkeit einer weltweiten Harmonisierung hin, die innerhalb der Europäischen Union durch die Markenrichtlinie und die Unionsmarkenverordnung rechtlich vorgegeben, in der Praxis jedoch noch nicht immer vollständig umgesetzt wurde. Deshalb kann die Frage, ob eine Marken gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstößt, nach wie vor von den verschiedenen nationalen Markenämtern der Mitgliedstaaten der EU, dem Amt der Europäischen Union für Geistiges Eigentum (EUIPO) und nationalen wie europäischen Gerichten unterschiedlich beurteilt werden, was zu einer gewissen Unsicherheit bei der Subsumtion der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 Abs. 1 Buchst. f EU-Markenrichtline führt. In diesem Zusammenhang ist aber zu berücksichtigen, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem „Fack Ju Göhte“-Urteil vom 27.02.2020 (C-240/18)1 in Randnummer 39 ausgeführt hat, dass „die Werte und Normen, die sich im Laufe der Zeit entwickeln und von Ort zu Ort unterschiedlich sein können, anhand des gesellschaftlichen Konsenses bestimmt werden müssen, der innerhalb dieser Gesellschaft zum Zeitpunkt der Beurteilung vorherrscht. Hierfür ist der gesellschaftliche Kontext angemessen zu berücksichtigen, wozu gegebenenfalls diesen kennzeichnende kulturelle, religiöse oder philosophische Unterschiede gehören, um so objektiv beurteilen zu können, was diese Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt für moralisch hinnehmbar hält.“

Die Autoren mahnen dennoch zu Recht eine Harmonisierung durch eine größtmögliche Objektivität an, die durch die Aufnahme klarerer und konkreterer Definitionen der Tatbestandsmerkmale der öffentlichen Ordnung und guten Sitten oder durch die Entwicklung objektiver Standards für die Anwendung dieser geschehen könnte.

Harmonisierung des Markenrechts

Die Frage der Harmonisierung des Markenrechts in diesem Bereich ist für die Praxis in der Tat sehr relevant. Es gibt zwar bereits eine Fülle von Entscheidungen der nationalen Markenämter der EU, des EUIPO und seiner Beschwerdekammer, des Europäischen Gerichts, des EuGH sowie nationaler Gerichte aller Instanzen. Dennoch ist es richtig, dass das Thema einer weiteren Harmonisierung bedarf, um sicherzustellen, dass die diesbezüglichen Vorschriften der EU-Markenrichtlinie, die über die nationalen Markengesetze Teil des nationalen Markenrechts und über die Unionsmarkenverordnung Teil des EU-Markenrechts sind, kohärent von den verschiedenen nationalen EU-Markenämtern und dem EUIPO angewendet werden.

Klare Vorgabe des EU-Gesetzgebers

Der EU-Gesetzgeber hat in Artikel 152 der Unionsmarkenverordnung (UMV) ausdrücklich klargestellt, dass sich das EUIPO und die nationalen Ämter bei den Verfahren und Instrumentarien im Bereich von Marken und Geschmacksmustern besser aufeinander abstimmen sollen. Diese Zusammenarbeit umfasst insbesondere die Entwicklung gemeinsamer Prüfstandards (Art. 152 Abs. 1 Buchst. a UMV) sowie die Festlegung gemeinsamer Standards und Verfahren, um die Interoperabilität von Verfahren und Systemen in der gesamten Union sicherzustellen und ihre Kohärenz, Effizienz und Leistungsfähigkeit zu verbessern (Art. 152 Abs. 1 Buchst. d UMV).

Für die praktische Umsetzung dieser Zusammenarbeit wurde das Netzwerk der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPN)2 ins Leben gerufen. Es führt die nationalen und Markenämter der EU, das EUIPO, internationale Partner und Nutzer des Amts zusammen, um ein stärkeres Netzwerk für geistiges Eigentum in der EU aufzubauen. Die Zusammenarbeit mit den nationalen Markenämtern der EU ist nunmehr eine zentrale Aufgabe des Amts. Sie spiegelt den zweigliedrigen Charakter der europäischen Marken- und Geschmacksmustersysteme wider, der durch die Koexistenz von EU- und nationalen/regionalen Schutztiteln und deren Komplementarität gekennzeichnet ist.

Entwicklung Gemeinsamer Praktiken

Bis 2025 werden acht Europäische Kooperationsprojekte3 auf den Weg gebracht. Jedes Projekt wird von einer Arbeitsgruppe unterstützt, die aus Sachverständigen der nationaler Markenämter der EU, Nutzern und gegebenenfalls Sachverständigen internationaler Organisationen besteht. In jedem Kooperationsprojekt werden mehrere Gemeinsame Praktiken (GP) zu verschiedenen Bereichen entwickelt, die deren Harmonisierung weiterbringen und verfestigen.

Bei dem Europäischen Kooperationsprojekt Nr. 4 liegt der Schwerpunkt auf der Förderung der Entwicklung gemeinschaftlicher Prüfkriterien und -verfahren in Zusammenarbeit mit nationalen und regionalen Ämtern für geistiges Eigentum in der EU, darunter die Mitteilungen zur Gemeinsamen Praxis GP8, GP9, GP10, GP11 und GP12. Drei der Mitteilungen zur Gemeinsamen Praxis sprechen Bereiche der Markenpraxis an: GP8 behandelt die Benutzung einer Marke in einer Form, die von der eingetragenen Marke abweicht; GP9 behandelt die Unterscheidungskraft von dreidimensionalen Marken, die andere Elemente enthalten, wenn die Form nicht unterscheidungskräftig ist, und GP11 legt den Schwerpunkt auf neue Markenformen, nämlich Multimedia-, Hör-, Bewegungs- und Hologrammmarken. Im Bereich der Geschmacksmuster behandelt GP10 die Kriterien zur Beurteilung der Offenbarung von Geschmacksmustern im Internet. GP12 ist die erste Angleichungsinitiative im Verfahrensbereich und legt ihren Schwerpunkt auf die akzeptablen Anforderungen an die Einreichung, Strukturierung und das Format von Beweismitteln vor den Beschwerdegremien sowie für die Behandlung vertraulicher Nachweise bei Beschwerdeentscheidungen4.

Der Verwaltungsrat des EUIPO mit Sitz in Alicante, Spanien, hat am 05.05.2021 durch schriftliches Verfahren beschlossen, im Rahmen des Europäischen Kooperationsprojekts Nr. 4 „Konvergenz der Verfahren“ eine weitere, nämlich die Gemeinsame Praxis Nr. 14 ins Leben zu rufen, die sich zum Ziel gesetzt hat, eine gemeinsame Praxis in Bezug auf die Prüfung von Marken, die gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstoßen, zu erarbeiten5.

In der neuen Gemeinsamen Praxis Nr. 14 werden ab September 2021 die nationalen Markenämter der EU und das EUIPO zusammen mit den Nutzervereinigungen ein gemeinsames Verständnis in Bezug auf die Tatbestandsmerkmale der öffentlichen Ordnung und der anerkannten Grundsätze der guten Sitten und anderer verwandter Konzepte im Bereich von Art. 4 Abs. 1 Buchst. f EU-Markenrichtlinie entwickeln und sich auf gemeinsame Kriterien für die Beurteilung dieser Tatbestandsmerkmale einigen, wann ein Zeichen gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstößt. Dabei werden, wie bei allen Projekten dieser Art, Beispiele zur Veranschaulichung der ermittelten Kriterien gegeben werden, die den Nutzern eine hilfreiche Unterstützung bieten.
Die Gemeinsame Praxis Nr. 14 wird entscheidend zur Harmonisierung der Praxis der nationalen Markenämter der EU und des EUIPO beitragen – genau, was die Autoren Frau Lipecka und Herr von Ahsen zu Recht einfordern.

Ausblick

Die ersten Sitzungen sind für Ende September 2021 geplant. Gegenstand der Diskussionen wird, neben vielen anderen Urteilen, sicherlich auch das wichtige „Fack Ju Göhte“-Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 27.02.2020 (C-240/18)6 sein, das festgestellt hatte, dass die Marke „Fack Ju Göhte“ nicht gegen die guten Sitten verstößt. Dieses Urteil hat zu großen Diskussionen geführt und es wird spannend zu sehen, in welchem Maße es in die Gemeinsame Praxis Nr. 14 einfließen wird.

Verfolgen Sie die Entwicklungen der Gemeinsamen Praxis Nr. 14 auf der Webseite des EUIPO!
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2 Siehe näher zum EUIPN hier.
3 Siehe die Auflistung aller acht Projektstränge hier.
4 Die Liste aller Gemeinsamern Praktiken mit den dazugehörigen Mitteilungen finden Sie hier.
5 Gleichzeit hat der Verwaltungsrat die gemeinsame Praxis Nr. 13 beschlossen, die die Frage der bösgläubigen Markenanmeldungen zum Gegenstand haben wird. Dabei handelt es sich ebenfalls um ein sehr wichtiges Thema, bei dem eine weitere Harmonisierung auf EU-Ebene wünschenswert ist.
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sven.sturmann@euipo.europa.eu

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