Das Unions- und die nationalen Markensysteme sind zwar an sich voneinander unabhängig („autonome Systeme“). Auf einer der beiden Ebenen gewonnene Rechtserkenntnisse sollen aber die andere befruchten und letztlich zu einer einheitlichen Auslegung der Unionsmarkenverordnung (UMV) und – im Rahmen des Umsetzungsauftrags der Markenrechtsrichtlinie – der nationalen Markengesetze führen. Nach 25 Jahren Koexistenz der Systeme ist schon ein beträchtlicher Harmonisierungsgrad erreicht. Andererseits bestehen weiterhin einige, teilweise sogar grundlegende Diskrepanzen. Im Folgenden werden ausgewählte Fragen aus dem Bereich absoluter und relativer Schutzhindernisse dargestellt, die in Europa und Deutschland (noch) nicht einheitlich bewertet worden sind.
Absolute Schutzhindernisse
Die Funktion des Schutzhindernisses fehlender Unterscheidungskraft [Art. 7 (2) b UMV und § 8 (2) Nr. 1 MarkenG] wurde schon bisher zumindest unterschiedlich akzentuiert. Die europäische Rechtsprechung hat stets die Eigenständigkeit dieses Schutzhindernisses betont und seinen Regelungszweck in erster Linie auf die Eignung eines Zeichens, seine Funktion als betrieblichen Herkunftshinweis zu erfüllen, bezogen (etwa EuGH, C-90/11, 15.03.2012, „Strigl“). Dagegen soll es nach der Praxis in Deutschland – wie das Hindernis nach § 8 (2) Nr. 2 MarkenG (sogenanntes Freihaltebedürfnis), aber in anderer Ausprägung – dem Schutz der Mitbewerber vor ungerechtfertigten Rechtsmonopolen dienen (jetzt auch BGH, I ZB 18/13, 10.07.2014, „Gute Laune Drops“, Rn. 41). Die unterschiedlichen Ansätze treten nunmehr deutlicher hervor. Denn das EuG weist dem Schutzhindernis in jüngeren Entscheidungen sogar eine verbraucherschützende Funktion zu (T-423/18, 07.05.2019, VITA, Rn. 66). Ein solcher Auslegungsmaßstab könnte die bislang jedenfalls im Ergebnis weitgehend angeglichene Handhabung dieses Schutzhindernisses in Frage stellen.
Eine weitere Kontroverse im Bereich der Unterscheidungskraft hätte das Vorabentscheidungsverfahren aus Anlass der beim DPMA eingereichten Anmeldung – „#darferdas?“ – auflösen sollen. Der BGH hatte sich bereits vor 20 Jahren von der eingeführten Herangehensweise abgewandt, die Unterscheidungskraft eines Zeichens aus sich heraus und damit unabhängig von einer bestimmten Verwendung zu prüfen (zuerst I ZB 35/98, 21.09.2000, „SWISS ARMY“, S. 9 f.). Der EuGH war dieser Sichtweise in seiner „Deichmann“-Entscheidung darin gefolgt, dass der Prüfung tatsächlich eine bestimmte Verwendung zugrunde zu legen sei, allerdings nur die wahrscheinlichste (EuGH, Beschluss vom 26.04.2012, C-307/11). Das ging dem BGH noch nicht weit genug. Das Schutzhindernis soll nach seiner Auffassung bereits überwunden sein, wenn es jedenfalls eine praktisch bedeutsame und naheliegende Möglichkeit der Verwendung des Zeichens für die beanspruchten Waren/Dienstleistungen gibt, bei der das Zeichen vom angesprochenen Publikum als Marke wahrgenommen wird.
Auf die in diesem Sinn gefasste Vorlage des BGH hat der EuGH nun entschieden, dass die Unterscheidungskraft eines Anmeldezeichens „unter Berücksichtigung sämtlicher … relevanten Umstände, einschließlich sämtlicher wahrscheinlichen Verwendungsarten“ zu prüfen sei (C-541/18, 12.09.2019, „#darferdas?“). So könne in der Bekleidungsbranche die Anbringung des Zeichens auf der Außenseite der Ware und/oder auf dem eingenähten Etikett auf der Innenseite berücksichtigt werden. Misslich ist, dass der EuGH jedenfalls nicht unmissverständlich beantwortet hat, welche Konsequenz die Heranziehung mehrerer möglicher Verwendungsformen haben soll, wenn das Zeichen bei einer naheliegenden Verwendung als Marke verstanden wird, bei einer anderen dagegen nicht (vgl. a.a.O., Rn. 30, 31). Soll dann tatsächlich, wie der BGH meint, das Schutzhindernis überwunden sein, oder muss nicht umgekehrt die Feststellung zumindest einer naheliegenden Verwendungsform, in der das Zeichen nicht als Marke verstanden wird, gerade zur Verneinung der Unterscheidungskraft führen? Man mag aus dem Zusammenhang der Entscheidung spekulieren, dass wohl die erste Variante gemeint war. Die Entscheidung lässt im Übrigen sogar Raum für die Berücksichtigung nicht nur objektiv nachvollziehbarer, sondern sogar von anderen Verwendungen, die der Anmelder vorsieht (vgl. Rn. 24 ff.). Dass aus dieser Entscheidung europaweit dieselben Schlüsse gezogen werden, erscheint sehr zweifelhaft.
Das andere absolute Schutzhindernis mit überragender praktischer Bedeutung schließt Zeichen von der Eintragung aus, die zur Beschreibung von Merkmalen der beanspruchten Waren und Dienstleistungen dienen können [Art. 7 (1) Buchstabe b UMV; § 8 (2) Nr. 2 MarkenG]. Abweichende Auffassungen bestehen derzeit insbesondere in der Frage, ob die Eignung eines Zeichens, im Verkehr relevante Merkmale der beanspruchten Waren/Dienstleistungen zu bezeichnen, nur von der Beurteilung der angesprochenen Verkehrskreise abhängt. Nach der in Deutschland vorherrschenden Auffassung ist zunächst die objektive Bedeutung eines Zeichens maßgeblich. Ob eine beschreibende Bedeutung für die angesprochenen Verkehrskreise verständlich ist, ist ein wichtiger Anhaltspunkt für diese Eignung, aber kein zwingendes Kriterium. Im Unionsmarkensystem wird eine vorrangig objektive Betrachtung dagegen erkennbar vermieden, möglicherweise sogar ganz ausgeschlossen (vgl. Prüfungsrichtlinien Teil B, Abschnitt 4, Kap. 4, 2.6). Praktische Auswirkungen kann dies etwa bei weitgehend unbekannten geographischen Angaben haben, die nach der deutschen Praxis durchaus von der Eintragung ausgenommen sein können [BPatG, 28 W (pat) 531/18, 23.07.2019, „GLYNGØRE“].
Entgegengesetzte rechtliche Standpunkte sind jüngst auch bei der Beurteilung von abstrakten Mehrfarbenmarken deutlich geworden. Die deutsche Rechtsprechung hat angenommen, dass die Anmeldung einer Farbkombination ausreichend bestimmt sei, wenn die beanspruchten Farbtöne, ihr quantitatives Verhältnis (z.B. 50/50) und zudem die räumliche Verteilung der Farben (etwa nebeneinander in der Reihenfolge RAL … / RAL …) einschließlich der Ausführung der Schnittstelle (zum Beispiel als gerade Linie) angegeben sind. Entbehrlich sei eine Aussage zur äußeren Kontur der Farbflächen. Auf dieser Grundlage wurde von ausreichender Bestimmtheit der mit einer entsprechenden Beschreibung versehenen Anmeldung bestimmter Töne der Farben Blau/Silber für Energydrinks ausgegangen. Das EuGH ist dem für eine inhaltsgleiche Anmeldung nicht gefolgt. Die vorhandenen Angaben ließen noch zu weiten Raum für Formen, die zu verschiedenen Bildern oder Schemata führten (C-124/18 P, 29.07.2019, „Red Bull/EUIPO“).
Relative Schutzhindernisse
Im Bereich relativer, also auf Rechte Dritter gestützter Schutzhindernisse sticht die unterschiedliche Behandlung schwacher älterer Kennzeichen, vor allem von Marken, die sich an beschreibende Angaben anlehnen, hervor. Solche Anlehnungen sind legitim. Nach nationaler Auffassung müssen die Inhaber solcher Marken es aber hinnehmen, dass sich der Schutz nach Maßgabe ihrer Eigenprägung bemisst, also im Wesentlichen nach dem Element richtet, das die beschreibende Angabe verfremdet. Die Verwendung der beschreibenden Angaben selbst – auch als Bestandteil von Marken (EuGH, C-108 u. 109/97, 04.05.1999, „Chiemsee“, Rn. 25) – soll dagegen allen Mitbewerbern unbenommen bleiben. Rechtstechnisch handelt es sich um eine normative Ausformung des Schutzbereichs. Im Ergebnis kann dies bedeuten, dass tatsächliche Übereinstimmungen im Klang, Schriftbild und/oder Bedeutungsgehalt für die Frage des Bestehens einer Verwechslungsgefahr unerheblich sind, etwa der Klang und Sinn des Wortes „pjur“ oder der Wort-/Bildmarke [BPatG, 24 W (pat) 348/03, 13.07.2004]. Nach der jüngeren Auffassung des EuGH geht es demgegenüber zu weit, den Schutzbereich älterer Marken in dieser Weise zu begrenzen. Überlegungen zur Kennzeichnungskraft eines älteren Zeichens komme kein Vorrang gegenüber der Gewichtung der Markenähnlichkeit zu. Einer Monopolisierung beschreibender Angaben sei durch die Regelungen über absolute Schutzhindernisse, nicht aber auf der Grundlage relativer Schutzhindernisse zu begegnen [vgl. EuGH (GrK), MarkenR 2016, 592, Rn. 61 ff. – „KOMPRESSOR“]. Der BGH hat in derzeit anhängigen Rechtsbeschwerdesachen Gelegenheit (I ZB 21/19 und 22/19), zu diesem Problemkreis erneut Position zu beziehen [vgl. m.w.N. BPatG, 28 W (pat) 15/16 und 29/16, 01.03.2019, „INJEKT/INJEX“].
Bei der Prüfung der Ähnlichkeit von zusammengesetzten Marken, insbesondere von mehrteiligen Wortmarken (etwa der Wortkombination LIFE BLOG) kommt es nach europäischem genauso wie nach deutschem Verständnis auf ihren Gesamteindruck an. Deswegen können einzelne Elemente eines solchen Zeichens bei der Bestimmung der Ähnlichkeit von Zeichen durchaus unterschiedlich zu gewichten sein. In Ausnahmefällen kann eine Übereinstimmung oder Annäherung nur in einem Element eine relevante Ähnlichkeit solcher Marken begründen. Bei der Beurteilung solcher Fälle kommt es aber doch vielfach zu unterschiedlichen Ergebnissen. Nach der Rechtsprechung in Deutschland können einzelne Elemente einer mehrteiligen Marke als solche nur unter sehr engen Voraussetzungen eine relevante Zeichenähnlichkeit begründen, nämlich dann, wenn diese den Gesamteindruck eines (älteren oder jüngeren) Zeichens prägen oder wenn sie (in dem jüngeren Zeichen) eine selbständig kennzeichnende Stellung einnehmen. Die Rechtsprechung des EuG gewichtet dagegen das bloße Vorhandensein identischer Bestandteile stärker. Eine durchschnittliche Zeichenähnlichkeit besteht unter diesen Umständen auch schon dann, wenn der entsprechende Bestandteil gleichwertig neben anderen Bestandteilen des zusammengesetzten Zeichens steht, ohne den Gesamteindruck allein zu prägen („LIFE BLOG vs. BLOG“, T-0460/07, 20.01.2010). Auch in einem Einwortzeichen soll sich eine relevante Zeichenähnlichkeit aus der Übereinstimmung in einem Wortteil ergeben können („JUNGBORN vs. BORN“, T 401/12, 11.06.2014). Beide Fälle wären in Deutschland vermutlich abweichend entschieden worden.
Schlusswort
Die dargestellten Unterschiede in der europäischen und deutschen Rechtsprechung zeigen, wie wichtig es ist, sich hierüber kontinuierlich zu informieren. Nur so kann gewährleistet werden, dass ein Unternehmen differenziert beraten werden kann.
Hinweis der Redaktion: Christoph Schmid ist derzeit an die Zweite Beschwerdekammer des EUIPO entsandt. Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten sind die des Verfassers und binden das EUIPO oder dessen Beschwerdekammern in keiner Weise. (tw)
Christoph.schmid@euipo.europa.eu