Eine Volksweisheit besagt, dass Krisen auch eine Chance böten, die gemachten Fehler zu erkennen und sie nicht zu wiederholen. Das klingt zunächst gut, doch fällt die Umsetzung oft schwer. Denn selbst wenn man (s)einen Fehler erkannt hat, bedarf es doch in der Regel eines besonderen Anlasses, diesen zu beheben. Ein solcher Anlass bietet sich nun für alle Beteiligten der Lieferkette (Supply-Chain), wenn Vertragsbeziehungen Covid-19-bedingt neu verhandelt oder überarbeitet werden.
Denn mit der erhofften Wiederbelebung der Wirtschaft nach dem Covid-19-Lockdown werden auch die Lieferketten wieder mobilisiert und aktiviert. Aus IP-Sicht bedeutet dies zweierlei: Für den Rechteinhaber wird der Fokus wieder stärker auf der Rechtsverfolgung von beispielsweise Patent-, Marken-, Design- oder anderen Rechtsverletzungen liegen, sei es gegen den Hersteller oder einen anderen – greifbaren – Beteiligten in der Lieferkette. Für den Zulieferer in der Lieferkette stellt sich umgekehrt die Frage, ob er gegen die Haftung für eine Rechtsverletzung vertraglich hinreichend abgesichert ist, sowohl gegenüber seinem Lieferanten als auch gegenüber seinem Abnehmer. Die durch Covid-19 bedingte Neuverhandlung von Lieferbeziehungen ermöglicht es auch, Verträge daraufhin zu prüfen, ob Haftungsrisiken sinnvoll verteilt sind und Vertragsklauseln aus IP-Sicht stimmig die eigenen Interessen abbilden.
Keine Zeit für Erschöpfung
Im gewerblichen Rechtsschutz gilt der Grundsatz, dass der Rechteinhaber seine Ausschließlichkeitsrechte nur ein einziges Mal, nämlich bei der ersten Veräußerung der (patent-)geschützten Sache, geltend machen kann (BGH GRUR 1998, 130 – „Handhabungsgerät“). Im Urheberrecht findet sich hierfür in § 17 Abs. 2 UrhG eine ausdrückliche Regelung. Eine ähnliche Regelung enthält das Markengesetz (vgl. § 24 MarkenG). Das Patentrecht hingegen weist keine solch ausdrückliche Regelung auf. Als allgemeiner Rechtsgedanke gilt die Erschöpfung jedoch auch dort.
Sobald der geschützte Gegenstand zum ersten Mal, und zwar entweder durch den Rechteinhaber selbst oder mit dessen Zustimmung, in Verkehr gebracht wurde, ist dieses Ausschließlichkeitsrecht verbraucht oder erschöpft. Insofern ist mit Bedacht der jeweilige Vertrag daraufhin zu prüfen, ob dieser eine Erschöpfung gegebenenfalls verhindert oder umgekehrt womöglich sogar begründet.
Das OLG Düsseldorf (Az. I-20 U 82/17) hatte sich vor zwei Jahren in einem Markenrechtsfall mit der Frage zu beschäftigen, ob bei einem Verkauf von Waren unter Vereinbarung der Incoterm-Klausel CIP (Carriage and Insurance Paid to), durch die der Leistungsort für die vom Verkäufer nach dem Kaufvertrag geschuldeten Leistungen bestimmt wird, die Eigentumsübertragung am Lieferort – also im Versandland – stattfindet und dies zu einem Inverkehrbringen der Waren im Europäischen Wirtschaftsraum führt und folglich Erschöpfung eingetreten ist. Der Entscheidung lag dabei der folgende Sachverhalt zugrunde: Der Inhaber mehrerer Marken ließ seine Produkte durch ein Tochterunternehmen mit Sitz im EWR herstellen und vertreiben. Das Tochterunternehmen verkaufte die Produkte anschließend unter Vereinbarung der vorbenannten Incoterm-Klausel CIP an einen Käufer außerhalb des EWR und übergab sie dem von ihm beauftragten und seinem Konzern angehörigen Frachtführer zum Transport an einen Ort außerhalb des EWR. Der Käufer ließ die Produkte wieder zurück in den EWR transportieren und verkaufte sie in Deutschland.
Das OLG hat angenommen, dass zur Realisierung des wirtschaftlichen Werts nach der Rechtsprechung des BGH eine willentliche Übertragung der Verfügungsgewalt auf einen Dritten erforderlich sei (vgl. BGH, GRUR 2006, 863 Rn. 15 aE – „ex works“). Vorliegend war durch die Verwendung der Incoterm CIP vereinbart, dass der Leistungsort, also der Ort der Übergabe an einen Frachtführer, beim Verkäufer liege, während der Bestimmungsort (auf den es hier nicht ankommt) sich im Ausland befinde. Damit war durch Inverkehrbringen im EWR Erschöpfung eingetreten.
Der Fall zeigt anschaulich, wie wichtig es ist, bei der Vereinbarung von Lieferpflichten Aspekte der Erschöpfung zu beachten. Zwar mögen die Hauptfunktionen der Incoterm die Kosten-, Pflichtenverteilung und der Gefahrübergang sein. Aus IP-Sicht ist jedoch auch die Auswirkung auf die Erschöpfung nicht zu vernachlässigen. Rechtlich hängen beide zusammen. Bei der Wahl der Incoterm kann bereits die Weiche gestellt werden, ob zukünftig beispielsweise marken- oder patentrechtliche Ansprüche ausgeschlossen sind – oder gewahrt bleiben.
Haftungsrisiken des Zulieferers
Die Haftung der Mitglieder einer Liefer- oder Verletzerkette, die regelmäßig als Täter oder Teilnehmer an derselben einheitlichen Rechtsverletzung gesehen werden, wird vom Endverkäufer über die Lieferanten/Zulieferer an den Hersteller weitergegeben. Auf jeder Stufe wird sich der Abnehmer regelmäßig zusichern lassen, dass die Ware frei von Rechten Dritter ist. So sehr das aus Sicht des Abnehmers verständlich und nachvollziehbar ist, birgt es doch für den Zulieferer das Risiko, dass er ein nur schwer zu überschauendes Maß an möglichen Rechten Dritter berücksichtigen und gegenüber dem Abnehmer dafür einstehen muss. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Vernetzung von Produkten und die dadurch bedingte Standardisierung. Der Hersteller von Halbleitern wird es beispielsweise schwer haben, das Risiko einer Schutzrechtsverletzung Dritter bei den von ihm (gegebenenfalls auch wieder mit Zulieferteilen) bestückten digitalen Prozessoren aufgrund der Vielzahl von Schutzrechten in diesem Bereich vollständig zu erfassen, insbesondere wenn das Einsatzgebiet der Prozessoren möglicherweise noch nicht klar umrissen ist.
Für den Zulieferer stellt sich aber auch noch ein weiteres Problem. Unter dem Gesichtspunkt der mittelbaren Patentverletzung (§ 10 PatG) besteht ein erhebliches – häufig unterschätztes – Geschäftsrisiko. Es reicht eben gerade nicht aus, dass der Zulieferer sicherstellt, dass die von ihm in Verkehr gebrachten Waren sowie deren Herstellungsverfahren frei von Schutzrechten Dritter sind. Der Tatbestand der mittelbaren Patentverletzung kann selbst den gutgläubigen Lieferanten jederzeit und schneller, als er denken mag, zur Zielscheibe in einem Verletzungsstreit machen. Dies gilt insbesondere dann, wenn er weiß oder es aufgrund der Umstände offensichtlich ist, dass die von ihm an einen Kunden gelieferte – an sich patentfreie – Ware anschließend bestimmungsgemäß in patentverletzender Weise verwendet werden soll. Nicht helfen wird es dem Zulieferer dabei, die Augen vor der geplanten Verwendung des Abnehmers zu verschließen. Das explizite und vorsätzliche Nichtwissen schützt nicht vor Haftung für mittelbare Patentverletzung.
Wesentlich relevanter dürfte aber die Fallkonstellation sein, in der der Zulieferer im groben Rahmen weiß, wofür die Ware verwendet werden soll, der Abnehmer aber kein gesteigertes Interesse daran haben wird, dem Zulieferer Detailkenntnisse zu verschaffen. Es stellt sich in diesen Fällen die Frage, bis zu welchem Punkt der Lieferant zu seiner eigenen Absicherung die geplante Verwendung „ausforschen“ muss und an welchem Punkt seine Sorgfaltspflicht ihr Ende findet. Der BGH hat in den Entscheidungen „Flügelradzähler“ und „Deckenheizung“ auf den gesunden Menschenverstand abgestellt und verschiedene Fallgruppen unterschieden. Zusammenfassend kann man feststellen, dass der Lieferant nur dann einer Haftung für eine mittelbare Patentverletzung entgehen kann, wenn er alle vorhandenen Informationen über die von seinem Kunden vorgesehene Verwendung sorgfältig geprüft und darüber hinaus auch alle solchen Verwendungen berücksichtigt hat, von denen er vernünftigerweise annehmen muss, dass diese im Zusammenhang mit den gelieferten Waren ebenfalls in Betracht kommen (können).
Praxisempfehlung
Dem Zulieferer ist daher – mangels gesetzlicher Regressansprüche gegen den Abnehmer – geraten, seine Haftung nicht nur „nach unten“, sondern auch „nach oben“, also gegenüber seinem Abnehmer, zu beschränken, beispielsweise, indem der „Abnehmer gewährleistet, dass die von ihm gewünschten herzustellenden Vertragsprodukte keine Schutzrechte Dritter verletzen. Sollten solche Schutzrechte verletzt sein, stellt der Abnehmer die Lieferantin von Schadensersatzansprüchen Dritter frei.“ Dass diese Regelung nur im Innenverhältnis wirkt und ein Dritter dennoch sowohl den Zulieferer als auch den Abnehmer gesamtschuldnerisch in Anspruch nehmen kann, ist nicht zu vermeiden. Aber immerhin lässt sich so das wirtschaftliche Risiko für den Zulieferer minimieren.
Im Ergebnis zeigen diese Fälle, dass die Krise vielleicht doch als Chance genutzt werden kann, auch solche Vertragsklauseln anzupassen, die nicht unmittelbar Covid-19-relevant sind.