Für das „IP-Management“ gibt es Vorschriften aus dem gewerblichen Rechtsschutz und dem Urheberrecht und somit auch gesetzliche Rahmenbedingungen, die zu beachten sind. Das IP-Management ist aber keine übersichtliche und klar abgrenzbare Disziplin, die man in Unternehmen klar zuordnen oder von anderen unternehmerischen Disziplinen klar abgrenzen kann. Man bewegt sich in mehreren Fachabteilungen zwischen Unternehmensplanung, Produktion, Marketing, Rechtsschutz, Patentwesen und vielen individuellen Aspekten eines Unternehmens. Das spiegelt sich auch bei der Betreuung von Unternehmen durch die Anwaltschaft wider, wo man kaum von einer rein juristischen Domäne sprechen kann; aber auch die Patentanwälte allein können das Thema nicht vollständig abdecken. Oder ist es vielleicht eine interdisziplinäre Managementaufgabe? Viele Praktiker mit ganz unterschiedlichem beruflichem Hintergrund, die mit dieser Aufgabe betraut sind, kennen diese Unsicherheit und haben es oft nicht leicht, das IP-Management mit den unternehmerischen Zielen in Einklang zu halten und vor allem, keine folgenschweren Fehler zu begehen.
Und nun wird eine Norm veröffentlicht, die hier Klarheit bringen soll. Die drängenden Fragen dazu sind:
- Wo kommt der Bedarf her, und an wen richtet sich die Norm?
- Welches sind die wesentlichen Inhalte dieser Norm?
- Hat die Norm Auswirkung auf die anwaltliche Arbeit oder womöglich sogar auf die Rechtsprechung?
- Entsteht durch die Norm eine Zunahme an zusätzlichen Aufgaben für Unternehmen und Anwaltschaft?
Bringt die Norm Vorteile und, wenn ja, wem? Da natürlich noch keine Erfahrungen mit der Anwendung der Norm bestehen, sind die folgenden Antworten auf die Fragen zum Teil noch Spekulation, allerdings basierend auf grundlegenden Arbeiten eines Teams von Fachleuten und einem kompetenten DIN-Normenausschuss.
Wo kommt der Bedarf her, und an wen richtet sich die Norm?
Die rechtliche Behandlung des Umgangs mit Rechten geistigen Eigentums hat sich in den vergangenen Jahren sehr verändert. Wenn bisher der Schwerpunkt auf dem klassischen Patentschutz von Erfindungen, Gebrauchsmusterschutz, Marken, Design oder Ähnlichem lag, ist mit den allgegenwärtigen digitalen Geschäftsmodellen eine sehr ernst zu nehmende Kategorie dazugekommen. Sicherung und Verteidigung eines Wissensvorsprungs bei neuen Produkten verlangen veränderte Vorgehensweisen. Vor allem müssen Unternehmen mit den nun allgegenwärtigen digitalen Geschäftsmodellen auch mit den dafür relevanten IP-Fragen für die Softwarenutzung umgehen lernen. Typisch für die aktuelle Situation ist, dass Produkte oder Dienstleistungen nicht wie bisher klar nach Branchen getrennt und dem IP entsprechend zuordenbar sind. Diese Grenzen scheinen aufgehoben, und es gibt, vor allem bei Software, branchenübergreifende Nutzungen. Plötzlich muss man also mit IP aus völlig anderen Geschäftsbereichen umgehen können. Diese Veränderung zieht viel nach sich, denn alle Produkte am Markt, ob mehr oder weniger innovativ, enthalten in vieler Hinsicht umfangreiche Softwareanteile. Die Sorgfalts- und Prüfungsmaßstäbe für die Rechts- und Patentabteilungen sehen jetzt anders aus. Die Recherche ist umfassender, die Anmeldepraxis anders – um nur zwei Beispiele zu nennen. Schließlich hat sich die Anmeldepraxis auch quantitativ verändert, denn die Hauptanmelder in nahezu allen Patentämtern kommen heutzutage aus China. Diese Dominanz, vor allem im Sektor des „Internet of Things“ und der neuen „5G-Übertragungstechnik“, ist für viele Unternehmen äußerst bedrohlich.
Das Bewusstsein für diese Probleme ist in letzter Zeit gewachsen, es gibt allerdings kaum zufriedenstellende Antworten darauf, wie man sich gegen diese Vielzahl neuer Aspekte und Risiken absichern soll. Aufgrund vieler solcher Fragestellungen aus der Praxis und von Diskussionen in Interessenverbänden, Foren und anderen Veranstaltungen zeigte sich der Bedarf von Firmen an der Beantwortung dieser Fragen immer klarer. Unter anderem hat sich besonders QIMIP, eine Abteilung des gemeinnützigen Deutschen Instituts für Erfindungswesen (D.I.E. e.V), zur Aufgabe gemacht, Unternehmen und Organisationen dabei zu unterstützen. Am Ende langjähriger und intensiver Zusammenarbeit mit dem Normenausschuss des DIN ist am 29.05.2020 die zitierte Norm dazu fertiggestellt und veröffentlicht worden.
Es ist also durchaus nicht so, dass hier ein Normenwerk zur Bereicherung des Blätterwalds in die Welt gesetzt wurde. Vielmehr gibt es von Unternehmerseite, besonders dem Mittelstand, sehr großen Bedarf, unter den kurz umrissenen aktuellen Umständen mehr Sicherheit im Umgang mit IP zu bekommen. Es ist höchste Zeit, dass hier eine Hilfestellung zur Verfügung steht.
Welches sind die wesentlichen Inhalte dieser Norm?
Die Norm DIN 77006:2020-06 mit dem Titel „Intellectual Property Managementsysteme – Anforderungen“ versteht sich als Ergänzung der DIN EN ISO 9001:2015-11 (Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen) für den Bereich des Intellectual Property. Die Norm behandelt systematisch alle Vorgänge in einem Unternehmen oder einer Organisation, bei denen der Umgang mit IP in der betrieblichen Wertschöpfung zum Tragen kommt, und gibt Hinweise zum nutzbringenden und risikoarmen Vorgehen. Die Norm will dabei unterstützen:
- ein IP-Management-System festzulegen, zu verwirklichen und aufrechtzuerhalten,
- IP zu identifizieren, zu erzeugen, zu sichern und zu verbessern,
- IP-Risiken (einschließlich Systemschwachstellen) auf ein Mindestmaß zu beschränken,
- Nutzen aus IP-Chancen zu ziehen und mit Nichtkonformitäten bezüglich des IP-Management-Systems umzugehen.
Die DIN 77006 legt weder spezifische Kriterien für die IP-Leistung fest, noch enthält sie Vorschriften für Details der Gestaltung eines IP-Management-Systems. Das muss jedes Unternehmen nach eigenem Bedarf im Rahmen der allgemeinen Empfehlungen individuell gestalten. Die Norm kann im Ganzen oder in Teilen für die systematische Verbesserung des IP-Managements genutzt werden.
Falls man die Norm im Unternehmen implementieren möchte, müssen für die Feststellung der Konformität mit der Norm alle Anforderungen in das IP-Management-System einer Organisation aufgenommen und ausnahmslos erfüllt sein. Nach Implementierung dieser Norm kann im Rahmen eines internen oder externen Audits die gewünschte Konformität mit der Norm belegt werden.
Man sollte sich vom Umfang der Norm nicht abschrecken lassen. Eine transparente Darstellung von Aufgaben braucht Erläuterungen. Im Wesentlichen geht es um folgende Schwerpunktthemen, die in entsprechenden Prozessen in einer Unternehmensorganisation implementiert werden müssen:
IP-Politik und IP-Strategie
IP-Ziele, IP-Risiken
Unterstützung, Betrieb
IP-Bewusstsein
IP-Administration
IP-Generierung
IP-Durchsetzung
IP-Verteidigung
IP-Transaktion
Bewertung der Leistung
Verbesserung
Die aufgeführten Prozesse folgen dabei dem PDCA-Prinzip (Plan – Do – Check – Act), das mittlerweile Bestandteil aller modernen Managementnormen ist.
Den Hauptteil der Norm bildet eine Liste systematischer Anforderungen für alle wichtigen Elemente eines modernen IP-Management-Systems unter Berücksichtigung der „High-Level-Struktur“ genormter Managementsysteme. Ein ausführlicher Anhang zu den einzelnen Abschnitten, die von erfahrenen Praktikern aus unterschiedlichen Branchen sorgfältig ausgewählt und zusammengestellt wurden, ergänzt die Norm und gibt gleichzeitig Hinweise für die Prozesse oder Teilprozesse, in denen man die Anforderungen umsetzen kann. Jede Organisation (Unternehmen oder Dienstleister wie Rechts-/Patentanwälte) erhält somit wertvolle Hinweise zur Ausformung oder Optimierung ihrer eigenen IP-Abläufe.
Hat die Norm Auswirkung auf die anwaltliche Arbeit oder womöglich sogar auf die Rechtsprechung?
Die DIN 77006 ist als systematische Zusammenstellung von Fachwissen zu verstehen und kann auch so genutzt werden. Sie setzt einschlägige Kenntnisse oder Erfahrung im Umgang mit der Materie voraus, sollte aber weitgehend selbsterklärend sein. Ihre Anwendung ist jedem selbst überlassen, eine qualifizierte Unterstützung bei Erledigung relevanter Aufgaben ist sie aber allemal.
Ein anderer Aspekt ist für die Anwaltschaft – Unternehmensjuristen, Syndizi, niedergelassene Rechts-/Patentanwälte – aber von zentraler Bedeutung und soll ausdrücklich angesprochen werden.
In juristischen oder patentrechtlichen Fragen stützt sich das Management von Unternehmen auf entsprechende fachliche Beratung. Dazu besteht eine Pflicht zur Vermeidung von Risiken in der Unternehmensführung. Das gilt selbstverständlich auch für den Umgang mit IP, das zumindest keine der einfachen Aufgaben darstellt. Die Nichtbeachtung bestimmter Anforderungen oder mangelnde Qualität bei der Ausführung solcher Aufgaben führen zu einer Haftung des Managements. In juristischen Kategorien ist das der Fall, wenn „die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet wird“. Wer dies unterlässt, handelt fahrlässig und schuldhaft. Das wiederum führt geradewegs zu einem Schadensersatzanspruch nach innen gegenüber dem Unternehmen oder nach außen gegenüber dadurch geschädigten Dritten (etwa Wettbewerbern). Die Frage ist nun, woran sich diese „Sorgfalt“ bemisst, denn beim IP-Management gibt es zwar allerlei Gesetze, aber nirgendwo allgemeingültige Regeln oder Rechtssätze, an denen sich die Gerichte in einem Streitfall orientieren und Fahrlässigkeit bewerten können – bisher nicht. Das hat sich mit der Veröffentlichung der Norm geändert.
Um Sorgfaltsmaßstäbe zu finden, orientieren sich die Gerichte an Rechtsnormen oder auch anderen Regelwerken. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gelten beispielsweise DIN-Normen als solche Regelwerke, denen die Anforderungen an die im Verkehr erforderliche Sorgfalt für den jeweils geregelten Bereich entnommen werden können. Allein dadurch erhält die Norm mit ihrem Erscheinen haftungsrechtliche Relevanz und ihre Bedeutung für das unternehmerische Risikomanagement.
Schon der Titel der Norm „Intellectual Property Managementsysteme – Anforderungen“ und noch mehr die detaillierten Inhalte dazu indizieren, dass hier relevante Regeln zu finden sind. Da es sich um eine DIN-Norm handelt, also keine populärwissenschaftliche Veröffentlichung, sondern um eine qualifizierte und geprüfte Zusammenstellung von Expertenwissen, die allgemein zugänglich ist, ergibt sich eine Quelle, in der Mindestanforderungen an ein qualitatives IP-Management zu finden sind. Werden im konkreten Fall eine oder mehrere der in der Norm aufgeführten Anforderungen nicht erfüllt, ist davon auszugehen, dass die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet worden ist. Das kann direkt zur Haftung des Managements und/oder der IP-Fachabteilung führen.
Das gilt ebenfalls für einen beratenden Rechts-/Patentanwalt. Berücksichtigt seine Beratung die Inhalte der Norm, so ist kein Verstoß oder Fehler zu sehen. Bei Nichtbeachtung wird es eine Frage des Einzelfalls sein, bei der jedoch die Norm eine wichtige Rolle spielen wird.
Wie die Rechtsprechung die Norm aufnehmen wird, ist natürlich noch nicht klar. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass die bisherige ständige Rechtsprechung fortgesetzt und diese Norm zur fachgerechten Beurteilung von IP-Fragen herangezogen wird. Somit wird sie auch die Rechtsprechung beeinflussen.
Entsteht durch die Norm eine Zunahme an zusätzlichen Aufgaben für Unternehmen und Anwaltschaft?
Die Norm hat eine konträre Zielsetzung. Sie soll die Aufgaben im IP-Management erleichtern, professionalisieren und Risiken vermeiden helfen. Natürlich muss man sich mit ihr vertraut machen, je nachdem, wie man sie implementieren möchte. Sollte man im IP-Management häufig oder ständig engagiert sein, wäre es auf jeden Fall ein Fehler, ihre Existenz und Inhalte nicht zu beachten.
Wenn man die Norm im Unternehmen implementiert und sich auditieren lässt, muss überprüfbar sein, dass das IP-Management-System die Anforderungen der DIN 77006 erfüllt. Wird dabei festgestellt, dass die Mindestanforderungen der Norm nicht erfüllt sind, kann man daraus schließen, dass im Unternehmen Defizite bestehen. Diese können bei der Beurteilung von sorgfältigem Umgang mit IP unter anderem als schadensursächlich angesehen werden.
Man kann sich zusätzlich vorstellen, dass die Versicherungswirtschaft ihre Prämienkalkulation danach ausrichten könnte, ob ihre Versicherungsnehmer die Anforderungen der DIN-Norm in ihren Betrieben erfüllen. Ebenso könnten Banken bei Finanzierungsentscheidungen, bei denen Bestand oder Bewertung von IP eine Rolle spielt, die Konformität oder die Auditierung nach Grundsätzen der Norm für entscheidungserheblich halten.
Bringt die Norm Vorteile und, wenn ja, wem?
Die Norm kann zweifachen Nutzen bieten.
Zum einen ist allein die Existenz eines umfassenden Regelwerks mit konkreten Hinweisen aus der Praxis für die Praxis wertvoll. Man kann sie als Nachschlagewerk, Ratgeber oder Leitfaden für das IP-Management nutzen. Bei näherer Befassung damit ergibt sich, dass eine vollständige Implementierung der Norm und deren Auditierung (intern oder extern) dazu der Königsweg sind.
Zum anderen gibt die Norm klare Hinweise darauf, was zur Compliance im IP-Management nötig ist. Die Frage hat an Brisanz gewonnen, da auf den Produkt- und Dienstleistungsmärkten mit allen Mitteln gekämpft wird. Gerade bei Rechtsstreitigkeiten, die hinsichtlich IP-Themen zugenommen haben, steht oft viel auf dem Spiel, wenn es sich um eine Kernkompetenz, den Wettbewerb um einen wichtigen Produktmarkt oder einen Standard handelt. Unternehmensführungen, Rechts-/Patentanwälte oder Berater sollten mit Hilfe der Norm ihre Haftungsrisiken im IP-Management minimieren oder ausschließen.