Einleitung
Das Bedürfnis, den prozessualen Geheimnisschutz in Patentverletzungsverfahren zu stärken, hat jüngst Gestalt angenommen. Der „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts“ (abrufbar hier; zuletzt abgerufen am 18.05.2020) beinhaltet einen neuen § 145a PatG, der vorsieht, dass Schutzmechanismen des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) auch in Patentstreitsachen Anwendung finden. Dieser Vorschlag hat enormen Zuspruch erhalten (vgl. die zahlreichen Stellungnahmen zum Entwurf, abrufbar hier; zuletzt abgerufen am 18.05.2020). Die Umsetzung dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein.
In der Zwischenzeit gilt weiterhin der Status quo. Die Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation beschränkt sich allerdings bisweilen auf den begrenzten Anwendungsbereich der §§ 172 Nr. 2, 174 I, III GVG, die insbesondere keinen effektiven Schutz für geheimhaltungsbedürftigen Vortrag gegenüber dem Prozessgegner bieten. Der vorliegende Beitrag spricht vor diesem Hintergrund einige Möglichkeiten an, wie der Geheimnisschutz in Patentverletzungsverfahren gleichwohl gelingen kann.
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold
Der effektivste Schutz eines Geheimnisses besteht darin, es nicht mitzuteilen. Auch gerichtliche Anordnungen oder Geheimhaltungsvereinbarungen erreichen dieses Schutzniveau nicht. Ob und inwieweit Informationen in einem Prozess mitzuteilen sind, ist anhand der Darlegungs- und Beweislast sowie der konkreten Substantiierungsanforderungen sorgfältig zu prüfen. Wer dies vorschnell übergeht, läuft Gefahr, das Geschäftsgeheimnis ohne Not durch eine „vorauseilende Übersubstantiierung“ preiszugeben.
Grundregel zur Darlegungs- und Beweislast
Als Grundregel gilt, dass derjenige, der aus einem Sachverhalt eine für sich günstige Rechtsfolge herleiten will, dessen tatsächliche Voraussetzungen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat. Der Anspruchsteller trägt demnach die Darlegungs- und Beweislast für alle anspruchsbegründenden Tatsachen und der Anspruchsgegner diejenigen für die Umstände, die Einwendungen und Einreden begründen sollen. Abweichendes kann sich aus gesetzlichen Anordnungen, etwa einer Beweislastumkehr, ergeben (vgl. § 139 Abs. 3 Satz 1 PatG).
Sekundäre Darlegungslast
Von enormer praktischer Relevanz ist die sekundäre Darlegungslast. Sie greift ein, wenn die primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs steht und den Sachverhalt von sich aus nicht ermitteln kann, während dem Prozessgegner die erforderliche Aufklärung möglich und zumutbar ist (BGH, NJW 2016, 3244 ff., Rn. 18). Unter diesen Umständen genügt ein einfaches Bestreiten nicht. Die nicht beweisbelastete Partei muss vielmehr (im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren) substantiiert die für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände darlegen (BGH, NJW 2008, 982 ff., Rn. 16).
Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag
Im Hinblick auf die konkreten Substantiierungsanforderungen an das Vorbringen der Parteien besteht ein Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag. Je detaillierter der Vortrag der darlegungsbelasteten Partei ist, desto höher ist die Erklärungslast des Gegners. Hat dieser hinreichenden Gegenvortrag geleistet, ist es wiederum Sache der darlegungs- und beweisbelasteten Partei, ihren Sachvortrag zu ergänzen und näher aufzugliedern (BGH, NJW 2018, 1089 ff., Rn. 19).
Praxisbeispiel
Die Bedeutung dieser Grundsätze für den Geheimnisschutz lässt sich anhand eines prominenten Beispiels verdeutlichen. Im Fall „Qualcomm vs. Apple“ (Urteil vom 20.12.2018 – 7 O 10495/17 = BeckRS 2018, 33489) hing die Frage der Verletzung unter anderem davon ab, ob ein streitgegenständlicher iPhone-Chip ein patentgemäßes „Offset“ aufwies. Die Klägerin hatte auf der Grundlage eines Teardown-Reports vorgetragen, dass dies aus technischen Gründen zwingend der Fall sein müsse, da sich sonst die patentgemäße Wirkung nicht einstellen könne. Die Beklagte hatte daraufhin zwar technische Gegenargumente vorgetragen. Von der Erläuterung und Vorlage der Schaltpläne des streitgegenständlichen Chips sah sie jedoch aus Geheimnisschutzgründen ab. Das Landgericht hielt das Bestreiten der Beklagten für unzureichend und verurteilte diese. Nach Auffassung der Kammer hätte sie konkret aufzeigen müssen, wie die angegriffene Ausführungsform tatsächlich ohne Offset funktioniere.
Das OLG München sah dies im Beschluss über die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung anders (Beschluss vom 09.04.2019 – 6 U 4653/18 = GRUR-RS 2019, 41076). Ein beachtliches Bestreiten liege bereits dann vor, wenn die Beklagte zumindest eine technische Möglichkeit aufzeige, wie die angegriffene Ausführungsform ohne Offset funktionieren könne. Ein Beweis sei nicht erforderlich. Vielmehr sei es – gerade umgekehrt – Sache der (im Ausgangspunkt darlegungs- und beweisbelasteten) Klägerin gewesen, ihren Sachvortrag daraufhin weiter zu konkretisieren und unter Beweis zu stellen (vgl. auch Kühnen, Handbuch Patentverletzung, 12. Aufl., Kap E, Rn. 145 ff.).
Das Beispiel zeigt: Selbst in einer bereits auf das Geschäftsgeheimnis hin zugespitzten Prozesssituation muss ein beachtlicher (Gegen-)Vortrag nicht zwingend die Offenlegung desselbigen erfordern.
Geheimnisschutz bei erforderlichem Vortrag
Sollte die Prozesssituation Vortrag zum Geschäftsgeheimnis verlangen, stellt sich die Frage, ob Schutzmechanismen zur Verfügung stehen, um diesen gegenüber den anderen Prozessbeteiligten abzusichern. Mehrere Gerichte, auch der BGH, haben dies bejaht und auf bestimmte Möglichkeiten ausdrücklich hingewiesen.
Anordnung nach § 142 ZPO
Ein Geheimhaltungsinteresse muss nicht zwingend darauf gerichtet sein, dem Prozessgegner die Informationen endgültig vorzuenthalten. Oftmals steht der Offenlegung vielmehr eine vertragliche Geheimhaltungsverpflichtung gegenüber einem Dritten entgegen.
In diesem Fall sollte die Vertragsbeziehung mit dem Dritten sorgfältig und frühzeitig analysiert werden. Üblicherweise enthalten vertragliche Geheimhaltungsklauseln gewisse Ausnahmen, wonach etwa Informationen offengelegt werden dürfen, wenn eine dahingehende Rechtspflicht besteht oder ein dahingehender gerichtlicher Beschluss vorliegt. Als rechtliche Grundlage hierfür kommt § 142 I ZPO in Betracht. Demnach kann das Gericht anordnen, dass eine Partei die in ihrem Besitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, auf die sich eine Partei bezogen hat, vorlegt. Mehrere Gerichte haben (jedenfalls in „FRAND-Fällen““) bisher bestätigt, dass sie willens sind, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, um dem Informationsinhaber die Vorlage im Einklang mit seiner Geheimhaltungspflicht zu ermöglichen [LG Mannheim, Urteil vom 04.09.2019, 7 O 115/16; Hinweise zur Handhabung von Anträgen auf Geheimhaltung in und außerhalb der mündlichen Verhandlung in Patentstreitsachen vor dem Landgericht München I (Stand: Februar 2020), S. 2]. Das Landgericht München I hat zudem darauf hingewiesen, dass es eine Vorlageanordnung davon abhängig machen wird, dass zuvor eine außergerichtliche Geheimhaltungsvereinbarung abgeschlossen wurde [Hinweise zur Handhabung von Anträgen auf Geheimhaltung in und außerhalb der mündlichen Verhandlung in Patentstreitsachen vor dem Landgericht München I (Stand: Februar 2020), S. 2].
Einreichung teilgeschwärzter Unterlagen und Anordnung von Geheimhaltungsmaßnahmen
Eine weitere Möglichkeit, auf die jüngst der BGH hingewiesen hat, besteht darin, zunächst nur eine teilgeschwärzte Fassung der betreffenden Unterlagen einzureichen und das Gericht um Anordnung geeigneter Geheimhaltungsmaßnahmen als Voraussetzung für die Einreichung einer ungeschwärzten Fassung zu ersuchen (BGH, Beschluss vom 14.01.2020 – X ZR 33/19 = NJW-RR 2020, 246). Sofern die Partei Unterlagen ohne einen solchen Sicherheitsmechanismus einreiche, müsse sie damit rechnen, dass diese den anderen Verfahrensbeteiligten unabhängig von darin enthaltenen Geschäftsgeheimnissen zur Verfügung gestellt werden.
In seiner Entscheidungsbegründung bezieht sich der BGH u.a. auf die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 25.04.2018 – I-2 W 8/18 = BeckRS 2018, 7036). Dieses hat ebenfalls klargestellt, dass eine Partei, die Geschäftsgeheimnisse „ohne entsprechende Sicherungsvorkehrungen frühzeitig vorträgt“, in Kauf nehme, dass diese dem Gegner ungeschützt bekannt würden. Die Partei müsse sich daher „vorab um das Zustandekommen einer Vertraulichkeitsvereinbarung mit dem Prozessgegner kümmern“. Sofern sich der Prozessgegner trotz Bestehens beachtlicher Geheimhaltungsbelange (die allerdings auch dargelegt werden müssen) weigere, eine Geheimhaltungsvereinbarung abzuschließen, könne sich der Geheimnisträger im Prozess ohne Nachteil darauf beschränken, lediglich in einem Umfang vorzutragen, durch den das Geschäftsgeheimnis nicht in Gefahr sei.
Zwischenbefund
Soweit Vortrag zu einem Geschäftsgeheimnis veranlasst ist, muss penibel darauf geachtet werden, dass alle geheimhaltungsbedürftigen Informationen entsprechend identifiziert und „abtrennbar“ in den Vortrag eingearbeitet werden, so dass entsprechende Teilschwärzungen sinnvoll erfolgen können. Bei der Einreichung kann die Offenlegung von der gerichtlichen Anordnung geeigneter Geheimhaltungsmaßnahmen abhängig gemacht werden. Welche Maßnahmen konkret möglich sind, lässt der BGH in der vorzitierten Entscheidung offen. In jedem Fall sollte frühzeitig der Versuch unternommen werden, eine Geheimhaltungsvereinbarung abzuschließen, wobei die vorstehenden Ansätze durchaus als Druckmittel dienen können.
Anwendung des GeschGehG bereits de lege lata durch „Türöffnerantrag“?
Auf einen Vorschlag, der jüngst von Zhu und Popp unterbreitet wurde (GRUR 2020, 338 ff.), sei der Vollständigkeit halber an dieser Stelle hingewiesen. Demnach soll ein vorbeugender Unterlassungsanspruch gemäß § 6 Satz 2 GeschGehG auch in Patentverletzungsverfahren im Rahmen der objektiven Klagehäufung oder der Widerklage möglich sein, wodurch die Anwendbarkeit der Schutzmechanismen des GeschGehG bereits de lege lata erzielt werden könne.
Ergebnis
Trotz (noch) bestehender Schwächen des prozessualen Geheimnisschutzes kann im Einzelfall bereits die sorgfältige Prüfung der Darlegungs- und Beweislast, verbunden mit entsprechend maßvollem Vortrag, ein effektiver Schutz sein. Sofern geheimhaltungsbedürftiger Vortrag (potentiell) prozessual veranlasst ist, bestehen auch insoweit Schutzmöglichkeiten. Soweit Informationen noch nicht durch eine Geheimhaltungsvereinbarung abgesichert sind, sollten zunächst nur eine teilgeschwärzte Fassung entsprechender Schriftsätze eingereicht und das Gericht um Geheimhaltungsmaßnahmen ersucht werden. Ob sich die „vorzeitige“ Anwendung der Schutzmechanismen des GeschGehG mittels „Türöffnerantrag“ etablieren wird, bleibt abzuwarten.
Jonathan.konietz@gowlingwlg.com