Seit Jahren sinken die Anmeldezahlen für Gebrauchsmuster. Berechtigterweise oder lassen sich Anmelder ein attraktives Schutzrecht entgehen?
Die Anmeldezahlen von Patentanmeldungen vor dem Europäischen Patentamt (EPA) zeigen im Zeitraum von 2017 bis 2021 – mit Ausnahme des ersten Coronajahrs 2020 – ein stetiges Wachstum. Vor dem Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) hingegen ergibt sich ein entgegengesetztes Bild: Der Trend bei den Anmeldezahlen deutscher Patent- und Gebrauchsmusteranmeldungen weist nach unten. Zwar gab es bei den Gebrauchsmusterzahlen aus dem ersten Coronajahr 2020 ein Zwischenhoch, doch lässt sich dieses in erster Linie auf einen Anstieg im Technologiefeld „Sonstige Konsumgüter“, wie beispielsweise Atemschutzmasken, zurückführen – und damit mitunter auf die Kreativität findiger Lockdown-Unternehmer.
Übergeordnet fügen sich die Anmeldezahlen für Gebrauchsmusteranmeldungen demnach in das Gesamtbild der rückläufigen Anmeldezahlen vor dem DPMA ein. Bezeichnenderweise schwindet bei den Herkunftsstaaten, die für die meisten Gebrauchsmusteranmeldungen verantwortlich sind, zunehmend das Interesse an Gebrauchsmustern – mit einer Ausnahme.
China gegen den Trend
Chinesische Anmelder stemmen sich gegen den Trend: Während 2017 lediglich 553 Gebrauchsmusteranmeldungen (entspricht einem Länderanteil von rund 4%) aus der Volksrepublik kamen, waren es 2021 schon 1.189 (Länderanteil rund 11%)1. Die Gebrauchsmusteranmeldungen aus China haben sich in den letzten vier Jahren also mehr als verdoppelt. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum sind die Anmeldezahlen aus den USA von 1.020 auf 335 um zwei Drittel zurückgegangen. Dieser Trend in den Gebrauchsmuster-Anmeldezahlen aus China ist umso bemerkenswerter, da sich die deutschen Patentanmeldungen chinesischer Anmelder im selben Zeitraum konstant in der Spanne von 450 bis 650 Anmeldungen aufhielten und somit lediglich rund ein Prozent der Patentanmeldungen vor dem DPMA ausmachten.
Während deutsche Patentanmeldungen aus China stagnieren, haben sich die Gebrauchsmusteranmeldungen mehr als verdoppelt.
Welche Gründe könnten chinesische Anmelder haben, das deutsche Gebrauchsmuster dem deutschen Patent vorzuziehen? Dazu eine punktuelle Betrachtung:
Besonderheiten des Gebrauchsmusters
Zwei prominente Schwachstellen des Gebrauchsmusters liegen auf der Hand: Die maximale Schutzdauer beträgt lediglich zehn Jahre, gegenüber 20 Jahren für ein Patent, und es lassen sich keine Verfahren, wie beispielsweise Herstellungsverfahren oder computerimplementierte Verfahren, schützen2. Anmelder, die markt- und/ oder entwicklungsbedingt auf längere Laufzeiten angewiesen sind oder die Schutz für ein Verfahren begehren, bevorzugen daher verständlicherweise eine Patentanmeldung. In anderen Szenarien jedoch könnte ein Gebrauchsmuster Vorteile bringen.
Schutzvoraussetzungen
Für einen wirksamen Gebrauchsmusterschutz muss der Gegenstand – vereinfacht ausgedrückt – gegenüber dem Stand der Technik neu und erfinderisch sein. Die erforderliche Erfindungshöhe für ein Gebrauchsmuster unterscheidet sich dabei nicht von der eines Patents3. Vorteile hat das Gebrauchsmuster aber bei der Frage, was Stand der Technik ist: Das Patent ist einem absoluten Stand der Technik ausgesetzt – mithin allem, was der Öffentlichkeit zum Anmelde- oder Prioritätszeitpunkt zugänglich war. Das Gebrauchsmuster ist demgegenüber inhaberfreundlicher: Mündliche Offenbarungen sowie offenkundige Vorbenutzungen außerhalb der Bundesrepublik zählen nicht zum Stand der Technik und stehen einem Gebrauchsmusterschutz daher nicht entgegen. Wenn beispielsweise auf einer Messe in den USA ein Produkt gezeigt wird, das einem Vorhaben in der eigenen Produktentwicklung sehr ähnlich ist, könnte jene Produktausstellung für ein Patentbegehren des Vorhabens ein Problem darstellen. Für ein Gebrauchsmuster hingegen bleibt die amerikanische Produktausstellung außer Acht, da sie außerhalb der Bundesrepublik stattfand.
Geringe Dauer bis zur Schutzrechtseintragung vs. ungeprüftes Schutzrecht
Ein Gebrauchsmuster lässt sich durch ein bloßes Registrierungsverfahren erlangen. So vergehen zwischen Anmeldung und Veröffentlichung etwa drei bis vier Monate. Mit der Veröffentlichung entfaltet das Gebrauchsmuster – sofern die Schutzvoraussetzungen erfüllt sind – einen Schutz. Verglichen mit der Dauer des Patenterteilungsverfahrens, das sich üblicherweise über mehrere Jahre erstreckt4, ist ein Gebrauchsmuster also innerhalb kürzester Zeit zu erlangen.
Diese Medaille hat gewiss zwei Seiten. Zwar dauert das Patenterteilungsverfahrens deutlich länger als die Gebrauchsmustereintragung, doch erhält der Inhaber durch die Erteilung bereits eine Indikation, dass das Patent auch belastbar, also gegen einen möglichen Verletzer durchsetzbar, ist. Eine solche Indikation fehlt bei der Eintragung eines Gebrauchsmusters. Dieser Nachteil kann abgemildert werden, indem der Anmelder von der Möglichkeit Gebrauch macht, beim DPMA eine Recherche für das Gebrauchsmuster zu beantragen, um über den gattungsgemäßen Stand der Technik informiert zu werden5.
Diese Recherche wird von denselben qualifizierten Prüfern durchgeführt wie eine Patent-Recherche. Letztlich sollte die Tatsache, dass Patente geprüfte und Gebrauchsmuster ungeprüfte Schutzrechte sind, nicht zu hoch bewertet werden. Denn erteilte Patente können ebenso wie Gebrauchsmuster auf Antrag Dritter einem Rechtsbestandsverfahren unterzogen werden. Die entsprechenden Nichtigkeitsverfahren bei Patenten sind dabei nicht selten von Erfolg gekrönt: Im Jahr 2018 beispielsweise resultierten rund 40% der erledigten Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht in einer vollständigen oder teilweisen Nichtigerklärung des angegriffenen Patents6.
Anmelder, die ihr Schutzrecht womöglich im Rahmen einer einstweiligen Verfügung durchsetzen möchten, haben es mit dem ungeprüften Gebrauchsmuster im Allgemeinen schwerer als mit einem Patent – nicht zuletzt weil der EuGH jüngst die Patentposition gestärkt hat7: Im Hauptsacheverfahren ist die Durchsetzbarkeit eines Gebrauchsmusters dagegen im Wesentlichen vergleichbar zu der des Patents.
Gebrauchsmusterabzweigung als taktisches Instrument
Ein weiteres beliebtes Instrument ist die Abzweigung eines Gebrauchsmusters aus einer deutschen oder europäischen Patentanmeldung. Eine solche Abzweigung kann – anders als die europäische Teilanmeldung – noch innerhalb von zwei Monaten nach Erledigung des Anmeldeverfahrens oder eines Einspruchsverfahrens erfolgen. Das gegenseitige Ergänzen von Patent und Gebrauchsmuster kann somit taktisch eingesetzt werden8. Insbesondere im Zusammenspiel mit der deutschen Besonderheit, dass für eine Patentanmeldung vor dem DPMA erst innerhalb von sieben Jahren ein Prüfungsantrag zu stellen ist, lässt sich die Gebrauchsmusterabzweigung sinnvoll nutzen: Während der sieben Jahre können aus einer Patentanmeldung zielgerichtet Gebrauchsmuster abgezweigt werden, um eigene Weiterentwicklungen zu schützen und/oder jüngere Konkurrenzentwicklungen zu erfassen.
Als Vorteil gegenüber der Patentanmeldung ist zudem hervorzuheben, dass der Anmelder eines Gebrauchsmusters eine sechsmonatige Neuheitsschonfrist genießt9: Öffentlich gemachte Beschreibungen oder Benutzungen bleiben außer Betracht, wenn sie auf den Anmelder selbst zurückgehen. Dies kann insbesondere dann, wenn sich der Anmelder erst nach der Veröffentlichung für eine Schutzrechtsanmeldung entschließt, einen Rettungsanker darstellen.
Letztlich hat das Gebrauchsmuster gegenüber dem Patent auch den Charme, dass ihm Anspruchsgebühren fremd sind. Anstatt also – wie bei einer Patentanmeldung – ab dem elften Anspruch Gebühren zu bezahlen, kann ein Gebrauchsmuster beliebig viele Ansprüche aufweisen, was für Wettbewerber durchaus zu einem Problem werden kann, da im Streitfall jeder Anspruch anzugreifen ist.
Fazit
Das Gebrauchsmuster hat gegenüber dem Patent einige Besonderheiten, die sich in verschiedenen Szenarien vorteilhaft nutzen lassen: Findet im Ausland eine Produktpräsentation statt, die einem eigenen Patent-Anmeldevorhaben entgegenstehen könnte, bleibt diese beim Gebrauchsmuster unberücksichtigt. Auch das eigene Versäumen einer rechtzeitigen Schutzrechtsanmeldung kann unter Ausnutzung der Neuheitsschonfrist durch ein Gebrauchsmuster geheilt werden. Zudem kann die Abzweigung eines Gebrauchsmusters aus einer anhängigen oder gar erledigten Patentanmeldung zielgerichtet eingesetzt werden, um den Schutz eigener Produkte zu erhöhen und parallel Konkurrenten im Ungewissen zu lassen. Pfiffige Anmelder nutzen diese Möglichkeiten für eine optimierte Schutzrechtstrategie – chinesische Anmelder scheinen dies bemerkt zu haben. Es wird spannend zu beobachten, ob das ausreicht, um den Negativtrend der Anmeldezahlen aus den letzten Jahren umzukehren.
1 Siehe DPMA Jahresbericht 2021, abrufbar hier. 2 Siehe §§ 2 Nr. 3, 23 I GebrMG; § 16 PatG; einzelne Verfahrensmerkmale in einem Schutzanspruch eines Gebrauchsmusters führen jedoch nicht zwingend zu einem Ausschlusstatbestand, insbesondere dann nicht, wenn Verfahrensangaben als Umschreibung bestimmter gegenständlicher Merkmale zu verstehen sind, die sich aufgrund der Herstellung ergeben, dazu Dr. Wolfgang Morawek in BPatG Jahresbericht 2021, S. 29 m.w.N. 3 BGH, Beschluss vom 20. 06. 2006 - X ZB 27/05 – Demonstrationsschrank. 4 Siehe Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Reinhard Houben, Roman Müller-Böhm, Michael Theurer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/7591 sub 3. 5 § 7 I GebrMG. 6 Drucksache 19/7591 sub 11. 7 EuGH Entscheidung C-44/21 vom 28.04.2022. 8 Die Zurücknahmefiktion bei Inanspruchnahme der inneren Priorität findet auf Gebrauchsmuster keine Anwendung, § 40 V S. 2 PatG. 9 § 3 I S. 2 GebrMG.